BT-Drucksache 14/9398

zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Politik für Bildung und Inniovation - Chancen eröffnen, Werte vermitteln, Teilhabe sichern, im Wettbewerb erfolgreich bestehen

Vom 12. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9398
14. Wahlperiode 12. 06. 2002

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt,
Gustav-Adolf Schur, Petra Pau, Roland Claus und der Fraktion der PDS

zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Politik für Bildung und Innovation – Chancen eröffnen, Werte vermitteln,
Teilhabe sichern, im Wettbewerb erfolgreich bestehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Bildung braucht jeder Mensch für ein selbstbestimmtes Leben, für die kompe-
tente Mitwirkung an einer demokratischen und sozial gerechten Gesellschaft
sowie für eine erfolgreiche berufliche Entwicklung, ohne die heute für die
meisten Menschen weder Selbstbestimmung noch gesellschaftliche Teilhabe zu
verwirklichen sind. Bildung ist Teil emanzipierten Lebens selbst und wird zum
wesentlichen Bestandteil gesellschaftlicher Reproduktionsprozesse. Wegen die-
ser umfassenden Bedeutung betrachten wir Bildung als Menschenrecht und
öffentliches Gut, das nicht als Ware auf dem Markt gehandelt werden darf.
Jährlich verlassen über 80 000 junge Menschen die Schulen ohne Abschluss.
Trotz des Sofortprogramms der Bundesregierung gehen Jahr für Jahr rund
30 000 Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus,
wovon vorwiegend junge Leute aus den neuen Bundesländern, junge Frauen
sowie Migrantinnen und Migranten betroffen sind. Nur 8 % aus unteren Ein-
kommensschichten nehmen ein Hochschulstudium auf, während es bei einkom-
mensstarken Familien 70 % sind. Weiterbildungsangebote werden vor allem
von denjenigen wahrgenommen, die ohnehin einen höheren beruflichen Status
erreicht haben. Nicht zuletzt hat die PISA-Studie nachgewiesen, dass der Zu-
sammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland beson-
ders stark ausgeprägt ist.
PISA stellt das deutsche Bildungssystem insgesamt in Frage, weil es die soziale
Ungleichheit verschärft, nicht mildert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– dem Bildungswesen höchste Priorität zuzumessen.

Die gesamtstaatliche Verantwortung für einen Neuanfang in der Bildungs-
politik unter Einbeziehung der Länder, Schülerinnen und Schüler, Eltern
und Pädagogen wahrzunehmen und Eckpunkte für eine Bildungsreform vor-
zulegen, die dem Gebot der Chancengleichheit entsprechen. Dabei sind
Erfahrungen der Polytechnischen Oberschule aus der DDR und Überlegun-
gen zu einer Bildungsreform der 70er Jahre in den alten Bundesländern hin-
zuzuziehen. In Deutschland müssen Bildungsreformen eingeleitet werden,
in deren Rahmen Inhalte und Strukturen der Bildung überprüft und neu

Drucksache 14/9398 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

gestaltet werden. Die Länder haben in Verwirklichung ihrer Kulturhoheit
hier die entscheidende Verantwortung. Der Bund soll sie dabei wirksam un-
terstützen durch die Initiierung und Förderung von Forschungsprojekten,
durch die Verbesserung von Rahmenbedingungen in den Ländern vermittels
Bundesprogrammen und die Förderung von Bildungsinnovation;

– sich bei der EU und in den GATS-Verhandlungen dafür einzusetzen, dass
das deutsche Bildungswesen als öffentlich-staatliches Bildungswesen vor
weiterer Vermarktung geschützt wird.

Wir brauchen bundesweit ein Bildungssystem, das
l sich an modernen Bildungsinhalten orientiert, somit Bildung am Gegenstand

von Schlüsselproblemen ausrichtet und die Ausprägung von Schlüsselkom-
petenzen zum Ziel hat,

l die Lernenden und deren allseitige Förderung in den Mittelpunkt rückt,
l individuelle Förderung von der Kindertagesstätte (Kita) bis zur Weiterbil-

dung durch optimale Lehr- und Lernbedingungen ermöglicht,
l Qualitätsentwicklung durch Verständigung auf verbindliche Bildungs- und

Erziehungsziele und regelmäßige Evaluation der Ergebnisse garantiert,
l Schule als kulturelle Institution der Kommune fördert,
l allen Lernenden wirklich gleiche Chancen und gleiche Teilhabe an Bildung

ermöglicht,
l in Struktur und Pädagogik auf Förderung anstatt auf Auslese setzt.

Im Einzelnen bedeutet das:
l flächendeckender Ausbau eines ganztägigen frühkindlichen Bildungssys-

tems, in dem Betreuungs- und Bildungsaufgaben verbunden werden und so
den Kindern gleiche Startbedingungen für den Schulbesuch ermöglicht wer-
den;

l ein einheitliches integriertes Schulsystem, in dem die Schülerinnen und
Schüler vom ersten Schuljahr an in der Regel bis zum 16. Lebensjahr ge-
meinsam lernen und in dem die individuelle Förderung gewährleistet ist;

l Auflegen eines Bundesförderprogramms „Schuloffensive 2003 – 2006“ mit
folgenden Schwerpunkten:
– Förderung von bildungs- und erziehungswissenschaftlicher Forschung

mit dem Ziel, wirksamer moderne Bildungsinhalte zu bestimmen, die an
Schlüsselproblemen und Schlüsselkompetenzen orientiert sind, und päda-
gogische Methoden zu entwickeln, die auch soziale und kulturelle Ent-
wicklungen in der Jugend berücksichtigen,

– Unterstützung für die Errichtung und den Betrieb von Ganztagsschulen
mit einem pädagogischen Konzept, das ganztägig komplexe Bildungs-
und Entwicklungsprozesse ermöglicht,

– Unterstützung von Schulversuchen und pädagogischer Innovation in den
Ländern,

– Soforthilfe zur Erneuerung von Lehr- und Lernmitteln, zur Senkung der
Klassenfrequenzen und anderen notwendigen Maßnahmen;

l gleiche Möglichkeiten für alle, einen Beruf zu erlernen und berufliche
Ersterfahrungen zu sammeln, ein Hochschulstudium zu absolvieren und
Weiterbildungsangebote wahrzunehmen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9398

l Erhöhung der Bildungsausgaben in Deutschland auf mindestens 7 % des
Bruttosozialprodukts, um an internationale Standards heranzukommen und
um Gebührenfreiheit und Existenz sichernden Unterhalt in allen Bildungs-
stufen zu sichern;

l Errichtung eines Bildungsrates, in dem der Bund, die Länder und Kommu-
nen mit Wissenschaftlern, Eltern-, Schüler- und Lehrervertretern die not-
wendige, überfällige Bildungsreform vorbereiten und begleiten. Der An-
spruch liegt in bundesweit geltenden rahmenrechtlichen Grundlagen für den
gesamten Bildungsbereich. Das schließt ein, Mindeststandards in allen Bun-
desländern zu gewährleisten, die Vergleichbarkeit der Lerninhalte und Aner-
kennung der Abschlüsse sichern sowie gleiche Arbeitsbedingungen in den
Bildungseinrichtungen herstellen. Sie sollen Innovation und Eigenständig-
keit der Bildungseinrichtungen ermöglichen und nicht behindern;

l regelmäßige Vorlage eines Bundesberichts Bildung durch die Bund-Länder-
Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, der Leistungen
und Defizite des gesamten Bildungssystems von der Kita bis zur Weiterbil-
dung und die Lern- und Arbeitsbedingungen sowie deren personelle und
materielle Ausstattung darstellt und Perspektiven seiner Weiterentwicklung
ausweist.

Berlin, den 11. Juni 2002
Maritta Böttcher
Dr. Heinrich Fink
Angela Marquardt
Gustav-Adolf Schur
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.