BT-Drucksache 14/9364

Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg

Vom 12. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9364
14. Wahlperiode 12. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Wolfgang Bierstedt, Maritta Böttcher,
Heidi Ehlert, Dr. Ruth Fuchs, Wolfgang Gehrcke, Dr. Claus Grehn, Bärbel Grygier,
Uwe Hiksch, Carsten Hübner, Gerhard Jüttemann, Heidi Lippmann, Ursula Lötzer,
Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser, Dr. Uwe-Jens Rössel, Ilja Seifert, Dr. Winfried
Wolf, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen Entwicklung
in Johannesburg

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Zehn Jahre nach der Rio-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung wird vom
26. August bis 4. September 2002 auf dem World Summit on Sustainable
Development in Johannesburg Bilanz gezogen. Ziel ist die Zeichnung eines ge-
meinsamen Dokumentes zur Verankerung international anerkannter Ziele und
die Vereinbarung aktionsorientierter Schritte für eine nachhaltige Entwicklung.
Der Erfolg des Gipfeltreffens wird von der Bereitschaft der Industrienationen
abhängen, Verpflichtungen zur Verbesserung der Kooperation mit den Ländern
der Welt einzugehen. Die Bundesregierung hat am 17. April 2002 eine na-
tionale Nachhaltigkeitsstrategie als deutschen Fahrplan zum Übergang in eine
sozial und ökologische Wirtschaftsweise verabschiedet.
Das zehn Jahre zuvor mit der Agenda 21 in Rio de Janeiro verabschiedete Ak-
tionsprogramm für das 21. Jahrhundert enthält wichtige Festlegungen, u. a. zur
Armutsbekämpfung, zu Handel und Umwelt, zur Abfall-, Chemikalien-,
Klima-, Energie- und Landwirtschaftspolitik sowie zur finanziellen und techno-
logischen Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern,
deren Umsetzung zu großen Teilen noch aussteht. Bisher gelang es nicht, un-
gleiche Akteure mit teils gegensätzlichen Interessen zu gemeinsamem Handeln
gegen wachsende Ungleichheit zwischen und innerhalb von Nationen, sich aus-
weitende Armut, Hungersnöte und Krankheiten, fortschreitende Zerstörung
von Lebensgrundlagen und Rückgang der Artenvielfalt zu bewegen.
Armut bekämpfen – globale Gerechtigkeit gestalten
Der Rio-Konsens beruhte auf der Analyse der World Commission on Environ-
ment and Development (WCED), die als Schlussfolgerung von Umweltzerstö-
rungen das Ziel „Beseitigung der Armut“ formulierte. Armut aber ist weniger
die Hauptursache, sondern eher eine Folge von Umweltzerstörung und Res-
sourcenverschwendung weltweit, die durch den der kapitalistischen Produktion
innewohnenden Drang nach höchster Kapitalverwertung, die Reproduktion der
von ökonomischen Abhängigkeiten geprägten internationalen Beziehungen
und die neoliberale Politik hervorgerufen wird. Der Rio-Konsens betonte des-

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halb neben den ökologischen Erfordernissen die Notwendigkeit der gerechten
Verteilung, anderer Wirtschaftsverhältnisse und -kräfte. Er beinhaltet die Aner-
kennung des Rechtes der Länder des Südens auf chancengleiche Entwicklung,
der Hauptverantwortung des industrialisierten Nordens für die globale ökologi-
sche Krise und Bereitstellung von neuen Finanzmitteln, sowie Technologie-
transfer für die nachhaltige Entwicklung der ärmeren Länder.
Zehn Jahre nach Rio ist zu konstatieren:
l Die wirtschaftliche, ökologische und soziale Ungerechtigkeit ist weltweit

gewachsen. Mehr als eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut,
d. h. sie müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen,
mehr als 850 Millionen Menschen hungern. Die massive Verschuldung (ins-
gesamt 2 170 Mrd. US-Dollar) zwingt den ohnehin in Abhängigkeit stehen-
den so genannten Entwicklungsländern Entwicklungsmuster auf, die einsei-
tig an Verwertungsinteressen des industrialisierten Nordens ausgerichtet
sind. Die Folge ist eine Verstärkung ihrer Abhängigkeit. Mit der Öffnung
ihrer Märkte, mit demWegfall zahlreicher Einfuhrbeschränkungen und Aus-
fuhrregeln usw. entwickelt sich hier eine Dimension von Technologietrans-
fer und Handel, die zu wachsendem Ressourcenverbrauch und Emissions-
ausstoß führt. Zu einer Finanzierung von Entwicklung ist es trotz der in Rio
geforderten 600 Mrd. US-Dollar und der jüngsten UN-Konferenz zur Ent-
wicklungsfinanzierung in Mexiko nicht gekommen. Im Gegenteil, der Stand
der öffentlich gezahlten Entwicklungsgelder ist im Rahmen der OECD mit
0,22 % des Bruttosozialproduktes statt der vereinbarten 0,7 Prozent so nied-
rig wie nie zuvor.

l Die Energiekrise ist weltweit ungebrochen. Zwei Milliarden Menschen, zu-
meist einkommensschwache Familien und Bevölkerungen im ländlichen
Raum, haben keinen Zugang zu den höherwertigen Energieformen Strom
und Gas. Die Liberalisierung der Energiemärkte und die riesigen Subventio-
nen für fossile und nukleare Energieträger drücken die Energiepreise in den
Industrienationen und verringern Anreize für Investitionen in Energieeffizi-
enz und erneuerbare Energien, deren weltweiter Anteil nur bei zwei Prozent
liegt.

l Das Rio-Ziel zur Senkung der CO2-Emissionen wurde nicht erreicht. Statteines Rückganges bis 2000 auf das Niveau von 1990 stiegen die Emissionen
bis zum Jahr 1999 um sieben Prozent. Hauptverursacher sind nach wie vor
die Industrieländer. Der Klimawandel hat sich deshalb beschleunigt und zu
einer Zunahme von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Wirbel-
sturmfolgen und Dürren – speziell in Afrika und Lateinamerika geführt.

l Die lebensnotwendige Ressource Trinkwasser ist in Gefahr. Dies trifft vor
allem die arme Bevölkerung. Weltweit haben 1,6 Milliarden Menschen kei-
nen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung
ist von Krankheiten betroffen, die auf den Konsum unsauberen Trinkwassers
zurückgehen. Der Bau von Großstaudämmen wird häufig von schweren
Menschenrechtsverletzungen begleitet. Eine faire Abwägung zwischen ener-
getischem Nutzen und den Bewässerungs- und Trinkwasseranforderungen
erfolgt oft nicht.

l Die Auswirkungen übertragbarer Krankheiten wie HIV/AIDS, Tuberkulose
oder Malaria auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung sind in vielen Län-
dern nach wie vor verheerend.

l Die Bodenzerstörung durch Erosion, Verdichtung, Versieglung Versalzung,
Versauerung und anderer Übernutzung nimmt weiter zu und raubt so insbe-
sondere in armen Ländern die Grundlagen für eine eigenständige Nahrungs-
mittelproduktion.

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l Das Artensterben schreitet weiter voran und bedroht originäre Lebens- und
Produktionsweisen, insbesondere indigener Völker und die Existenz vieler
Tier- und Pflanzenarten.

l Die für das Klima und den Erhalt der Artenvielfalt wichtigen Wälder werden
vor allem zur Befriedigung der steigenden Nachfrage nach Papier und Holz-
produkten abgeholzt. Etwa 80 % der einstigen Urwälder sind verschwunden.
Afrika und Asien haben mehr als 90 % ihrer Urwälder verloren und in 78
Ländern, darunter fast in ganz Europa, sind sie vollständig zerstört. Unter
Schutz stehen weltweit zirka 10 % der Wälder. Die weltweite Entwaldungs-
rate liegt bei 15 bis 20 Mio. Hektar pro Jahr.

l Die Ziele der Agenda 21 können nicht allein durch administrative Anstren-
gungen der Unterzeichnerstaaten erreicht werden. Erfolgreiche Entwick-
lungs- und Umweltpolitik entfaltet sich in einem engagierten Miteinander
einer Vielzahl weiterer Akteure. Einer von vier Abschnitten der Agenda 21
enthält Kapitel, in denen Verpflichtungen zur Stärkung der Rolle der Arbeit-
nehmer und ihrer Gewerkschaften sowie zur Stärkung von Umwelt- und
Entwicklungsorganisationen hervorgehoben werden. Zahlreiche Kommunen
haben im Dialog mit ihren Bürgern Lokale Agenden zu Umwelt- und
Entwicklungsfragen erarbeitet und umgesetzt. Die zahlreichen Dialoge zur
Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung können jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Rolle der Bürger, der Arbeitnehmerinteressen-
vertretungen und der neuen sozialen Bewegungen in den letzten zehn Jahren
in der Bundesrepublik geschwächt wurde.

l Die Hoffnungen auf eine „Friedensdividende“ nach dem Ende des Kalten
Krieges sind zerstoben, nachdem die Rüstungsausgaben seit 1998 weltweit
wieder rapide ansteigen und im Jahr 2000 die Summe von rund 800 Mrd.
US-Dollar erreichten. Das sind 2,5 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts.
Auf die NATO einschließlich der USA entfielen davon 464 Mrd. Dollar oder
57,2 Prozent. Für den Haushalt 2003 plant die US-Administration eine Er-
höhung des Verteidigungshaushaltes um 48 Mrd. auf 394 Mrd. Dollar Ge-
samtverteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien und für die Jahre bis 2007
einen kontinuierlichen Anstieg auf die gigantische Summe von insgesamt
465 Mrd. Dollar. Inflationsbereinigt wären die Militärausgaben der USA
damit höher, als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Mitte der 1980er
Jahre. Diese Mittel sind für die Bekämpfung der Armut und für die Gestal-
tung einer gerechten Welt verloren.

Nationale Nachhaltigkeitsstrategie – kein Beitrag für Johannesburg
Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung „Perspektiven für
Deutschland“ ist kein Beitrag für das Gipfeltreffen in Johannesburg.
Die in der Strategie gesetzten prioritären Handlungsfelder enthalten im Wesent-
lichen nur schon bekannte Einschätzungen und Dokumente. Bei der Energie-
versorgung sind dies beispielsweise Elemente des Klimaschutzprogramms der
Bundesregierung, des Atomkonsenses oder die Darstellungen existierender Ge-
setze und Programme für erneuerbare Energien und die Kraft-Wärme-Kopp-
lung. Ergänzt sind sie durch umfänglich dokumentierte Pilotprojekte. Ein über-
zeugender weitreichender Ansatz zur Bewältigung der globalen Probleme ist
aber nicht erkennbar. Dies wird u. a. bei dem in der Strategie enthaltenen
„Managementkonzept der Nachhaltigkeit“ deutlich. Es besteht aus Manage-
mentregeln, Indikatoren und Zielen sowie einem Monitoring. Dabei zeigt sich
analog zu den Schwerpunkten, dass der umweltpolitische und soziale Gehalt
von weltweiter Ressourcenplünderung und Armut durch ein aufgeblähtes und
bisweilen beliebiges Problempaket verwässert und verdrängt wurde. Insbeson-
dere bei den „21 Indikatoren für das 21. Jahrhundert“ wird deutlich, dass die
wirklich heißen Eisen in der Strategie nur zögerlich oder überhaupt nicht ange-

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fasst wurden. Diese Ziele und Indikatoren haben eine zentrale Stellung inner-
halb dieser Strategie, weil hier konkrete und überprüfbare Zielstellungen fest-
geschrieben werden, oder werden sollten. In den zentralen Punkten der
nachhaltigen Entwicklung – Klimaschutz, Verkehrsentwicklung, Energie- und
Rohstoffeinsparung sowie Entwicklungszusammenarbeit – entsprechen sie aber
weder den Mindestanforderungen, die sich aus den Arbeiten verschiedener
Bundestags-Enquetekommissionen oder den Empfehlungen des Nachhaltig-
keitsrates und des Umweltrates der Bundesregierung ergeben, noch den Be-
schlüssen des Deutschen Bundestages.
Im Einzelnen ist für die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu kon-
statieren:
l Im kürzlich vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Antrag der Fraktio-

nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Das Kyoto-Protokoll ratifizie-
ren und zum Weltgipfel 2002 in Johannesburg in Kraft setzen“ (Bundestags-
drucksache 14/8026) wird von der Bundesregierung gefordert, sich die
Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zum Zielzu setzen. In den Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie wird jedoch nur die be-
kannte deutsche Selbstverpflichtung von 25 Prozent weniger CO2 gegenüber1990 aufgenommen. Diese reicht aber lediglich bis 2005. Gerade für eine
Strategie hätte man das genannte mittelfristige 40-Prozent-Ziel erwartet.
Das Fehlen dieser Zielstellung lässt sich nur damit erklären, dass der Klima-
schutz in der Bundesrepublik Deutschland ins Stocken geraten ist und die
Bundesregierung anscheinend keine Lösungsmöglichkeiten sieht: Deutsch-
land wird sein nationales Klimaschutzziel von 25 Prozent bis 2005 kaum
mehr erreichen. Die CO2-Emissionen steigen nun schon das zweite Jahr hin-tereinander an. Momentan ist die Bundesrepublik Deutschland zwar bei
minus 13,5 Prozent CO2 gegenüber 1990. Vom gesamten Rückgang in denelf Jahren bis 2001 entfielen in Deutschland aber 70 Prozent auf die ersten
drei Jahre – der Osteffekt. Ab 1993 hat die Bundesrepublik Deutschland
durchschnittlich nur 5 Mio. Tonnen im Jahr eingespart. Es werden somit für
die verbleibenden vier Jahre jährlich 29 Mio. Tonnen benötigt. Die Bundes-
republik Deutschland müsste also das Tempo der Einsparungen versechsfa-
chen. Dies scheint wenig realistisch.

l Die größten Probleme für den Klimaschutz ergeben sich durch das Verkehrs-
wachstum. Die Verkehrsintensität im Güterverkehr (Verkehrsleistung je Ein-
heit Bruttoinlandprodukt) soll sich in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-
desregierung bis 2020 um 5 Prozent, und die im Personenverkehr um
20 Prozent reduzieren. Bei einer zugrunde gelegten Fortschreibung des nied-
rigen Wachstums des Bruttoinlandproduktes von durchschnittlich 1,75 Pro-
zent in den letzten fünf Jahren würde sich nach den Zielvorgaben der Strate-
gie der Güterverkehr um 37 Prozent und der Personenverkehr um 16 Prozent
erhöhen.

l Eine Nagelprobe für die Nachhaltigkeit ist das Verhältnis zu den Entwick-
lungsländern. Die Bundesrepublik Deutschland soll nach der Nachhaltig-
keitsstrategie bis zum Jahr 2006 ihre Ausgaben für die Entwicklungszusam-
menarbeit von 0,27 auf 0,33 Prozent am Bruttoinlandprodukt steigern.
Angesichts der Tatsache, dass beispielsweise Holland schon jetzt mehr als
die seit Jahren von der UNO empfohlenen 0,7 Prozent bereitstellt, ist dies
für die Bundesrepublik Deutschland ein Armutszeugnis.

l Die Bundesregierung strebt bis zum Jahr 2010 eine Verdopplung des Anteils
erneuerbarer Energien an der Energieversorgung an. Mitte des Jahrhunderts
soll die Hälfte des Energieverbrauchs aus regenerativen Energien gedeckt
werden. Vor dem Hintergrund des hohen Pro-Kopf-Verbrauchs und des lang-
fristigen Wachstums sollte hingegen eine Vollversorgung aus regenerativen
Quellen als Ziel angestrebt werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9364

l Pro Tag fallen in Deutschland 130 Hektar baulichen Maßnahmen zum Op-
fer. Deshalb soll der tägliche Flächenverbrauch auf 30 Hektar im Jahr 2020
reduziert werden. Über dieses Zwischenziel hinaus muss die Versiegelung
jedoch gestoppt und zurückgeführt werden.

l Die Indikatoren zur deutschen Bildungspolitik sind zwar abstrakt richtig; es
fehlen aber Maßnahmen zu ihrer Realisierung. Es ist zutreffend, dass der
Anteil eines Altersjahrganges, der in Deutschland eine Hochschulausbildung
aufnimmt, erheblich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder liegt. Rich-
tig ist daher das Ziel einer Steigerung auf mindestens 40 Prozent. Doch die
BAföG-Novelle von 2001 gewährt nicht einmal einen vollständigen Inflati-
onsausgleich und deckt die tatsächlichen Ausbildungskosten nicht. Auch das
novellierte Hochschulrahmengesetz verhindert nicht, dass die Länder durch
die schrittweise Einführung von Studiengebühren das Studium weiter ver-
teuern. Auch für das im Jahre 1982 abgeschaffte Schüler-BAföG wurde kein
Ersatz geschaffen. Die Aufnahme eines Hochschulstudiums wird immer
mehr zu einem kostspieligen und risikobehafteten Vorhaben. Insbesondere
Angehörige unterer Einkommensschichten werden so vom Besuch der
Hochschulen abgehalten.

l Programme für eine nachhaltige umweltgerechte Entwicklung können nicht
aufgestellt, Abkommen zum Schutz der Umwelt können nicht unterzeichnet
werden, wenn zu wenig wissenschaftlich technisches Personal in Entwick-
lungsländern vorhanden ist. In zahlreichen Kapiteln der Agenda 21 wird
dem Aufbau wissenschaftlicher Kapazitäten in Entwicklungsländern eine
besondere strategische Bedeutung beigemessen. Dennoch bleibt der Trend
zur Abwerbung von Intelligenz durch Industrienationen dominant. Die be-
reitgestellten Mittel zur Ausbildung und zum Aufbau dieser Kapazitäten und
die Hilfen zur Reintegration von Fachkräften reichen nicht aus und müssen
verstärkt werden.

l In der Forschungspolitik reichen punktuelle, ökologische Akzente in weni-
gen Förderprogrammen nicht aus. Benötigt werden verbindliche Nachhaltig-
keitsziele für Forschung und Entwicklung, geeignete Techniklinien, nach-
haltiges Wirtschaften, sowie eine Lenkung von Innovationen auf den Erhalt
natürlicher Lebensgrundlagen und die Verbesserung sozialer Bedingungen.
Vorhaben mit nachteiligen Technikfolgen für Mensch und Natur müssen
vermieden und eingestellt werden. Dafür müssen Beschäftigungsverhält-
nisse in Forschung, Entwicklung und Lehre sozial sicherer und vom privaten
Gewinnstreben unabhängiger werden. Die Nationale Strategie der Bundes-
regierung postuliert demgegenüber das Fehlen von Freiräumen für Innovati-
onen und will diese durch stärkere Budgetierung und Deregulierung öffnen.

l Die Zielstellungen der Bundesregierung zum Abbau der Erwerbslosigkeit
und der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Erwerbsarbeit sind
unzureichend.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l bis zum Jahr 2007 die öffentlichen Mittel für die Entwicklungszusammen-

arbeit auf 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes anzuheben, den Anteil der
Mittel für die Bekämpfung extremer Armut zu erhöhen sowie das Aktions-
programm 2015 der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung der Armut
zu konkretisieren und umzusetzen,

l sich für die Erhebung einer Devisentransaktionssteuer (Tobin-Steuer) einzu-
setzen,

l sich im Rahmen einer ökologischen Finanzreform für einen radikalen Um-
bau der Subventionssysteme in den Industrieländern einzusetzen, alle Um-
welt- und regionale Märkte zerstörenden protektionistischen Maßnahmen,

Drucksache 14/9364 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

insbesondere im Agrarbereich abzuschaffen und die deutsche staatliche Au-
ßenwirtschaftspolitik nach sozial-ökologischen und entwicklungspolitischen
Kriterien auszurichten,

l sich für eine Revision des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte
der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) unter UN-Federführung und
ein Moratorium der Verhandlungen über das allgemeine Abkommen über
den Handel mit Dienstleistungen (GATS) unter UN-Führung einzusetzen,
eine tiefgreifende Reform der Welthandelsorganisation (WTO) zu beginnen,
ein Maßnahmepaket zum Schutz und Ausbau öffentlichen Güter vorzulegen
und dementsprechend die Fragen Wettbewerb, Direktinvestitionen im UN-
Rahmen zu behandeln, die Deregulierungs- und Privatisierungspolitik zu
stoppen, sowie die internationalen Umwelt-, Klima- und Artenschutzverein-
barungen in allen Handelsabkommen konsequent zu berücksichtigen,

l für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in den Entwicklungsländern,
insbesondere für HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria zusätzliche Mittel
bereitzustellen, um den Teufelskreis von Krankheit und Armut zu durch-
brechen,

l auf eine zügige Ratifizierung und Umsetzung des Biosafety-Protokolls zum
Umgang mit genetisch veränderten Organismen hinzuwirken, Mittel zum
Schutz der biologischen Vielfalt und zur Umsetzung eines globalen Wälder-
protokolls bereitzustellen,

l die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und das
Anlagen-, Zulassungs- und Planungsrecht sowie die Verwaltungsgerichts-
ordnung zwecks Schaffung eines breiteren Zugangs für rechtsschutz-
suchende Bürgerinnen und Bürger zu novellieren,

l eine Strukturreform der Bildungs- und Studienfinanzierung einzuleiten, die
allen jungen Menschen eine gebührenfreie Ausbildung und eine existenz-
sichernde Ausbildungsförderung bzw. Ausbildungsvergütung gewährleistet
und allen Erwachsenen eine kontinuierliche Weiterbildung ermöglicht,

l Bedürfnisfelder der Forschung und Entwicklung aus den konkreten Lebens-
bedürfnissen der Menschen abzuleiten und eine Demokratisierung der
öffentlichen und privaten Forschung einzuleiten,

l ihren militärisch dominierten Interventionskurs nach US-Vorbild in der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik aufzugeben, den Auftrag der Bundeswehr strikt
auf die Landes- und Bündnisverteidigung zu beschränken, die kostspielige
qualitative Aufrüstung nach den Vorgaben der „Defence Capabilities Ini-
tiative“ der NATO zu stoppen, die dadurch frei werdenden Mittel für die
Bekämpfung von Konfliktursachen einzusetzen und gemäß UN-Resolution
1325, Frauen stärker in die Bekämpfung von Konfliktursachen zu integrie-
ren,

l eine Reduktion des CO2-Ausstoßes gegenüber 1990 um 25 Prozent bis 2005sowie der im Kyoto-Protokoll aufgeführten Treibhausgase in CO2-Äquiva-lent gegenüber 1990 bis 2020 um 40 und bis 2050 um 80 Prozent als Zielset-
zungen festzuschreiben,

l die steuerliche Benachteiligung der Bahn als ökologischer Verkehrsträger
gegenüber Straßen- und Flugverkehr zu beenden, sich auf internationaler
Ebene für eine Besteuerung von Kerosin einzusetzen, die LKW-Maut so
weiterzuentwickeln, dass im Wettbewerb zwischen Schiene und Straße um
den Güterverkehr echte Kostengerechtigkeit hergestellt wird, ihre Verant-
wortung als Eigentümerin der Deutsche Bahn AG wahrzunehmen und sich
für ein kundenfreundliches Bahnpreissystem und den Erhalt regionaler
Netze einzusetzen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/9364

l eine kostendeckende Vergütung für alle erneuerbaren Energien ohne Men-
genbegrenzung zu sichern, die Förderprogramme für Wärmedämmung im
Gebäudebestand auszubauen, Mindeststandards für die Nutzung erneuerba-
rer Energien beim Bau neuer Gebäude zu setzen und besonders für den länd-
lichen Raum in „Entwicklungsländern“ Lösungen zur Produktion von Strom
und Wärme mit Biomasse, Biogas und den Anbau nachwachsender Roh-
stoffe für eine kontinuierliche Stromversorgung zu fördern,

l Mittel zum Transfer von Technologien und Fertigungsstätten zur Nutzung
regenerativer Energien in so genannten Entwicklungsländern bereitzustellen
und sich für die Aufnahme von Verhandlungen zu einem globalen Verbrei-
tungsvertrag für erneuerbare Energien einzusetzen,

l zur Begrenzung und Einstellung der Flächenversiegelung nachvollziehbare
Etappen festzulegen.

Berlin, den 11. Juni 2002
Eva Bulling-Schröter
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Heidi Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Claus Grehn
Bärbel Grygier
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Gerhard Jüttemann
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Roland Claus und Fraktion

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