BT-Drucksache 14/9121

Für eine pragmatische Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan

Vom 15. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9121
14. Wahlperiode 15. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Hermann Otto Solms, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van
Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke,
Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Ulrich Heinrich, Walter
Hirche, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Günter Rexrodt,
Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang
Gerhardt und Fraktion der FDP

Für eine pragmatische Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat in Taiwan ein tiefgreifender politi-
scher und gesellschaftlicher Wandel von einem autoritären Einparteiensystem
zu einer pluralistischen Demokratie stattgefunden. Taiwan erfüllt heute alle
Voraussetzungen einer demokratischen Grundordnung. Mit der Wahl des vor-
maligen Dissidenten und Oppositionspolitikers Chen Shui-bian zum Präsiden-
ten im Jahre 2000 und den Parlamentswahlen am 1. Dezember 2001 hat sich ein
friedlicher demokratischer Machtwechsel ereignet. Dieser Wandel zur Demo-
kratie ist auch insofern relevant, als er ein Vorbild für Entwicklungs- oder
Schwellenländer mit autoritären Regimen darstellen könnte. Umso wichtiger ist
es, dass die Gemeinschaft demokratischer Staaten ihn nicht ohne entsprechende
Würdigung zur Kenntnis nimmt. Nichtregierungsorganisationen honorieren die
friedliche Veränderung bereits, so die Liberale Internationale (LI), die Präsident
Chen Shui-bian im November 2001 den Freiheitspreis in Anerkennung des tai-
wanesischen Ringens um Freiheit und Demokratie verliehen hat. Die Regierun-
gen einiger westlicher Staaten zögern indes noch. So hat Präsident Chen Shui-
bian kein Einreisevisum erhalten, um den Freiheitspreis in Kopenhagen ent-
gegennehmen zu können.
Es ist an der Zeit, das Verhältnis zu Taiwan im Lichte der jüngsten Entwicklung
zu überdenken. Die durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 er-
kennbar gewordenen neuen globalen Herausforderungen haben zu neuen Kon-
stellationen in der Weltinnenpolitik geführt, die das Überbrücken alter Gräben
geboten erscheinen lassen. Auch gehen die Volksrepublik China und Taiwan in
letzter Zeit wieder aufeinander zu, wie die erstmalige Aufnahme direkter Fähr-
verbindungen vom Festland zu den taiwanesischen Inseln Kinmen und Matsu
sowie die Liberalisierung von Wirtschaftsbeziehungen taiwanesischer Firmen
mit dem Festland belegen. Präsident Chen Shui-bian hat unter der Bedingung
eines Pekinger Gewaltverzichts sowohl eine Unabhängigkeitserklärung Tai-

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wans als auch eine Zweistaatenlösung ausgeschlossen und bisherige Obergren-
zen für Investitionen sowie das Verbot des Handels mit dem Festland aufgeho-
ben.
Nach dem offiziellen Beitritt Taiwans am 1. Januar 2002 sind nun sowohl die
Volksrepublik China als auch Taiwan Mitglieder der Welthandelsorganisation.
Dieser erfordert, dass beide Neumitglieder sich auf einen Modus Vivendi ver-
ständigen, um ihren Streit nicht in deren Institutionen zu tragen. Konflikte, wie
sie um die personelle Besetzung der taiwanesischen Delegation am Rande des
APEC-Gipfels (APEC = Asiatisch-Pazifische Wirtschaftliche Zusammenar-
beit) in Schanghai kürzlich auftraten, sind dagegen eher geeignet, die Gremien
der Welthandelsorganisation zu blockieren.
Ein Überdenken der Beziehungen zu Taiwan bedeutet nicht die Aufgabe des
„Ein-China-Prinzips“. Dennoch sind eine Reihe von Maßnahmen denkbar, die
geeignet wären, die Beziehung zu Taiwan parallel zu den sich neu gestaltenden
Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China auf eine bessere
pragmatische Grundlage unterhalb der völkerrechtlichen Anerkennung zu stel-
len. Hier ergibt sich Spielraum. Zur Normalisierung der Beziehungen, auch der
deutschen und der europäischen Beziehungen zu Taiwan, vor dem Hintergrund
des politischen Wandels und der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung
sind kreative Ideen gefragt, die es erlauben, einerseits die „Ein-China-Politik“
beizubehalten, andererseits jedoch einen unverkrampften Umgang mit Taiwan
und dessen offiziellen Vertretern zu pflegen. Auch die USA gewähren Taiwan
einen größeren Freiraum. So konnte Präsident Chen Shui-bian im Mai 2001 in
New York Bürgermeister Rudolph Giuliani und 21 Kongressabgeordnete tref-
fen.
Mit einem Warenumsatz von ca. 12 Mrd. Euro ist Taiwan unser drittwichtigster
Handelspartner in Asien. Für die von allen Seiten gewünschte weitere Intensi-
vierung des wirtschaftlichen Austausches zwischen Deutschland und Taiwan
sind verlässliche Rahmenbedingungen unerlässlich. Auf Grund des völker-
rechtlichen Status Taiwans kann jedoch kein formales Doppelbesteuerungsab-
kommen geschlossen werden. Dies führt dazu, dass deutsche Firmen in Taiwan
sowohl dort als auch in Deutschland besteuert werden. Andere EU-Partner, wie
z. B. die Niederlande, Schweden und neuerdings auch Großbritannien, haben
mit der Unterzeichnung von „Übereinkünften“ zwischen den jeweiligen Han-
delsvertretungen bereits pragmatische Wege gefunden, um diese Belastung für
ihre Unternehmen zu vermeiden. Es ist dringend erforderlich, dass auch im
deutsch-taiwanesischen Wirtschaftsverkehr derartige Regelungen eingeführt
werden. Darüber hinaus sollte der wirtschaftliche und kulturelle Austausch
wieder stärker durch gegenseitige Besuche von Fachministern unterstützt wer-
den. Auch sollte – wie in anderen EU-Staaten – im Hinblick auf protokollari-
sche Regeln im Umgang mit Taiwan über pragmatische Lösungen nachgedacht
werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bei den

Partnern in der Europäischen Union darauf hinzuwirken, in Anerkenntnis
der positiven Veränderungen sowohl in Taiwan als auch im Verhältnis
zwischen Taiwan und der Volksrepublik China eine neue Bewertung des
Verhältnisses zu Taiwan vorzunehmen und hieraus praktische Rück-
schlüsse für die Gestaltung der Beziehungen zwischen der EU und Tai-
wan zu ziehen;

2. die Volksrepublik China und Taiwan sowohl bilateral als auch im Rahmen
der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu ermuti-

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gen, den Weg der politischen und wirtschaftlichen Annäherung fortzuset-
zen und zu intensivieren;

3. gegenüber den Partnern in der EU darauf hinzuwirken, gemeinsame
Regeln für die protokollarische Behandlung der in der EU ansässigen Ver-
tretungen Taiwans, insbesondere hinsichtlich der Bezeichnung der tai-
wanesischen Repräsentanzen sowie hinsichtlich Ausweisen, Steuerbefrei-
ung für Einrichtungsgegenstände, offizielle Postsendungen, Nummern-
schilder für Dienstwagen aufzustellen;

4. dabei keinen Zweifel daran zu lassen, dass ungeachtet aller Bemühungen
um eine pragmatische Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan die „Ein-
China-Politik“ der Europäischen Union in ihrem völkerrechtlichen Kern
unangetastet bleibt;

5. unterhalb der europäischen Ebene
5.1 in Anlehnung an die schwedischen, niederländischen und britischen

Modelle, gegebenenfalls durch Übereinkünfte zwischen den jeweiligen
Vertretungen in Taipeh und Berlin, in Absprache mit den jeweiligen
Finanzbehörden und den deutschen und taiwanesischen Wirtschaftsver-
bänden nach Wegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Firmen
in Deutschland und Taiwan zu suchen;

5.2 in Anerkennung der tief greifenden demokratischen Veränderungen in
Taiwan und der engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen auch
den Austausch auf der Ebene von Fachministern wieder aufzunehmen;

5.3 in Absprache mit den EU-Partnern die innerstaatlichen Voraussetzungen
für die Einreise von taiwanesischen Politikern als Privatpersonen in die
Bundesrepublik Deutschland zu schaffen;

5.4 zur Förderung des gegenseitigen Austausches die Teilnahme Taiwans an
wirtschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen in der Bundesrepublik
Deutschland zu fördern.

Berlin, den 14. Mai 2002
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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