BT-Drucksache 14/9097

Konsequente Fortsetzung der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes

Vom 15. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9097
14. Wahlperiode 15. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Karlheinz Guttmacher, Hildebrecht Braun
(Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Rainer Funke, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Konsequente Fortsetzung der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
des Bundes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat in den vergan-
genen 14 Jahren erhebliche Einsparungen im Personalbereich und Kürzungen
an Sach- und Investitionsmittel hinnehmen müssen. Diese Einsparungen waren
aber nicht immer auf eine konsequente Durchsetzung der 1988 im Grundsatz
beschlossenen Reform der WSV zurückzuführen. Insbesondere die jährliche
Einsparungspflicht von 1,5 % der Personalmittel hat in jüngster Zeit viele Be-
reiche der WSV vor kaum lösbare Aufgaben gestellt, da diese Einsparungen
nicht getragen waren von einer langfristigen Personalplanung im Sinne der ge-
nannten Reform der WSV.
Das Ziel der Reform muss nach wie vor sein, nahezu alle planbaren Aufgaben
bei Betrieb und Unterhaltung, die bislang öffentlich wahrgenommen werden, an
Private zu vergeben. Ziel der Reform ist nicht eine Privatisierung der WSV als
Ganzes, sondern eine Übertragung von Durchführungsaufgaben, für die der
Bund die Gewährleistungsverantwortung trägt.
Die konsequente Umsetzung der Reform der WSV ist allerdings nach wie vor
nicht zu erkennen.
Dabei ist eine Aufgabe nicht allein schon deshalb als hoheitlich und nicht über-
tragbar anzusehen, weil in einem Gesetz die Gewährleistungspflicht für den
Bund definiert ist. Grundsatz der Reform muss sein, überall dort, wo Gewähr-
leistungsaufgaben durch Dritte wirtschaftlicher wahrgenommen werden könn-
ten, diese privat zu vergeben. Dabei ist zu beachten, dass durch geeignete Aus-
schreibungsmethoden zunächst ein privates Durchführungsinteresse überhaupt
geweckt werden kann. Dadurch kann sich auf der breiten Ebene der WSV ein
privater Markt entwickeln der durch zögerliche Ausschreibungen bislang nicht
entstehen konnte.

Drucksache 14/9097 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
– die Reform der WSV, wie sie seit dem Grundsatzbeschluss von 1988 und

1997 vom Lenkungsausschuss vordefiniert wurde, konsequent fortzuführen;
– im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eine einheit-

liche moderne Kosten-Leistungsrechnung einzuführen, damit eine nachvoll-
ziehbare Kostentransparenz entsteht;

– ein unabhängiges Gutachten in Auftrag zu geben, das im Bereich der
Wasserfahrzeuge an der Küste die Kosten der WSV im Vergleich zur freien
Wirtschaft überprüft. Dabei müssen auch Kostenansätze wie Wiederbeschaf-
fungswerte, Vollkostenrechnung, Rückstellungskosten für Versicherungs-
fälle, Vorhalten von Werkstatteinrichtungen usw. mit betriebswirtschaft-
lichen Verfahren der freien Wirtschaft verglichen werden;

– die bisherige jährliche 1,5 % Einsparvorgabe im Personalbereich der WSV
ist durch ein qualifiziertes Personal- und Organisationskonzept zu ersetzen.

Berlin, den 14. Mai 2002
Hans-Michael Goldmann
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Rainer Funke
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung
Im Jahr 1988 wurde im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen (BMVBW) eine Grundsatzentscheidung zur Reform der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung des Bundes getroffen. Demgemäß sollten nahezu alle
planbaren Aufgaben bei Betrieb und Unterhaltung die bislang öffentlich wahr-
genommen wurden, an Private, herangeführt werden können. Auf dieser
Grundlage wurde auch das Personal bemessen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9097

Seit diesem Grundsatzbeschluss wird an der Reform gearbeitet.
Am 22. September 1997 beschloss die Lenkungsgruppe „Reform der WSV“
beim BMVBV ein Konzept zur Reform der WSV, die vom damaligen Bundes-
minister Wissmann akzeptiert wurde. In der Antwort der Bundesregierung
(Bundestagsdrucksache 14/6900) auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestags-
fraktion (Bundestagsdrucksache 14/7019) erklärte das BMVBW an den Re-
formplänen festhalten zu wollen.
Allerdings hat der aktuelle Bundesminister nun eine Vereinbarung mit der
Gewerkschaft Verdi geschlossen, wonach die Reform für 4 Jahre ausgesetzt
werden soll.
Bei der Reform der WSV geht es auch um die Übertragung von Gewährleis-
tungsaufgaben, die der Bund nicht selber durchführen muss und nicht um eine
Privatisierung wie sie z. B. bei der Bahn oder der Post durchgeführt worden ist.
Das Bundeskabinett hat am 1. Februar 1999 im Beschluss „Moderner Staat –
Moderne Verwaltung“ ausdrücklich beschlossen: „Daneben gibt es einen gro-
ßen Bereich anderer, bisher als öffentlich angesehener Aufgaben, die sicherge-
stellt, aber nicht unbedingt durch staatliche Organe selbst durchgeführt werden
müssen. In diesem Bereich muss der Staat jedenfalls die Erfüllung der Aufga-
ben gewährleisten.“
Ein erfolgreiches Beispiel der z. T. erfolgten Übertragung von Durchführungs-
aufgeben stellt die Nassbaggerei dar. Hier wurde von der letzten Regierung
beschlossen, dass 75 % dieser Aufgaben durch Dritte durchzuführen sind. Die
Ermittlung der zu baggernden Gesamtmenge sowie die Vergabe zur Durchfüh-
rung, Überwachung und Abrechnung blieb insgesamt bei der WSV. Diese Ent-
scheidung stellt die weitaus wirtschaftlichste Form dar. Wenn man dabei alleine
die zu baggernden Mengen vor dieser Entscheidung mit denen danach vergebe-
nen Baggermengen vergleicht, so spricht dies eine deutliche Sprache für eine
erhebliche Kosteneinsparung im Gesamtbereich der WSV. In vielen Bereichen
wurde beispielsweise festgestellt, dass gar nicht mehr gebaggert werden musste
oder nur noch fallweise nach Hochwässern (Neckar, Rhein).
Zum anderen wurden durch diese Maßnahmen erhebliche Kosten bei der nicht
mehr ganzjährig notwendigen Vorhaltung von Fahrzeugen und Werkstatteinhei-
ten eingespart.
Wenn im Bereich einiger Wasser- und Schifffahrtsämter heute dennoch höhere
Kosten anfallen, ist dies ein klares Zeichen von kaufmännischer Unzulänglich-
keit bei der Ausschreibung und Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Dies gilt
auch für den Bereich von Bauleistungen und Vermessungsaufgaben, hier hat
gerade die Vergabe bei den Ländern zu einer erheblichen Kostenreduzierung
geführt.
Weitere Kosten könnten gespart werden, wenn die Ausschreibung richtig
erfolgt. Statt der vielerorts praktizierten freihändischen Vergabe könnte man
einen Hausmeistervertrag (Grundlast von mittleren Mengen) ausschreiben mit
X-Kubikmetern.
In einigen Bereichen gelang es bislang nicht, private Anbieter zu finden. So ist
z. B. derzeit so gut wie kein privater Markt für Planungsaufgaben im Bereich
Schleusen und Wehre vorhanden.
Dies liegt aber unter anderem auch daran, dass von den wenigen Aufträgen in
einer Region keine private Firma leben könnte. Hier wäre z. B. ein bundeswei-
ter bzw. sogar europäischer Ansatz in Erwägung zu ziehen.
Oft wird angeführt, dass private Anbieter ja gar nicht günstiger anbieten wür-
den, als die WSV.

Drucksache 14/9097 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Das Problem ist aber, dass im gesamten Bereich des BMVBW nur das Kraft-
fahrtbundesamt eine moderne Kosten-Leistungsrechnung durchführt. Das Bun-
desfinanzministerium hat moderne Berechnungsmodelle, das BMVBW wendet
sie aber nicht an.
Seit ca. 1980 wird im Bundesverkehrsministerium an einer Kosten-Leistungs-
Rechnung gearbeitet und in den Betrieben der Bundesverkehrsverwaltung wer-
den nach den unterschiedlichsten Methoden Scheinrechungen vorgenommen.
Bei den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen sind seit 1997 Controllingdezer-
nate eingerichtet und personell besetzt, ohne dass ein einheitliches Controlling-
verfahren besteht; mit der Folge, dass in den unterschiedlichen Wasser- und
Schifffahrtsdirektionen nach unterschiedlichen Kriterien ein Controlling durch-
führt wird nach z. T. völlig veralteten Methoden.
Die angewendete Vollkostenrechnung erfasst nicht alle Bereiche, sie entsteht
nicht nach unternehmerischen Gesichtspunkten und es gibt keine einheitliche
Vollkostenrechnung die wirkliche Vergleiche ermöglichen würde.
So entsteht keine Kostentransparenz.
Vielmehr ist dies ein Beispiel für unwirtschaftliches Handeln im Bereich des
BMVBW, ebenso wie der Versuch seit über 10 Jahren ein Personalverwaltungs-
system zu erstellen bzw. einzuführen. Gerade auch im Interesse der Beschäftig-
ten der WSV sollte dafür gesorgt werden, dass langfristig für die vorhandenen
Beschäftigten der WSV, die gute Arbeit leisten, Perspektiven geschaffen wer-
den, die diesen auch bei verändernden Arbeitsweisen weiter Arbeit garantieren.
In der Beantwortung der letzten Kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion
zu diesem Thema durch die Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/7985)
wurde behauptet, dass das Seeaufgabengesetz definiere, was eine hoheitliche
Aufgabe sei und deshalb beispielsweise das geplante Schadstoffbekämpfungs-
schiff (SUBS) für die Ostsee nicht privat bereedert werden könne. Nur weil in
einem Gesetz, wie dem Seeaufgabengesetz definiert ist, welche Aufgaben die
Verwaltung wahrzunehmen hat, heißt das aber nicht, dass sie nicht vom Bund
an Dritte übertragen werden können.
Mit anderen Worten: Das Seeaufgabengesetz definiert die Gewährleistungs-
pflicht, nicht die Durchführung.
Bei der Übertragung können auch hoheitliche Aufgaben von Dritten ausgeführt
werden, wie dies z. B. bei der Stauregelung von Binnenflüssen geschieht.
Auch die Mehrzweckschiffe des Bundes, die bis auf wenige Ausnahmen nur
nach den nautischen Vorschriften für das Fahren eines Wasserfahrzeuges be-
setzt sind, sind für eine private Bereederung geeignet. Die Mannschaft dieser
Fahrzeuge hat bis auf den Kapitän, der während der Fahrt das Fahrwasser sowie
das Verhalten der Schiffe beobachtet, nichts mit den o. g. Hoheitsaufgaben zu
tun.
Seit zwei Jahren ist ein zunehmender Widerstand im BMVBW bei der Umset-
zung der Reform zu beobachten.
Wenn man z. B. die Aussagen des BMVBW zu den Einsatzplänen der Mehr-
zweckfahrzeuge „Mellum“, „Scharhörn“ und „Neuwerk“ mit den tariflichen
Bestimmungen für planbare Aufgaben vergleicht, so sind hier erhebliche und
nicht nach zu vollziehende Abweichungen festzustellen. So hat die Bundesre-
gierung geantwortet (Bundestagsdrucksache 14/7985), dass das SUBS künftig
im Zweischichtbetrieb betrieben werden solle, das funktioniert aber nur, wenn
das SUBS hoheitliche Aufgaben und keine planbare Aufgaben ausführt, denn
dann müsste das BMVBW sich an den Tarifvertrag halten und der sieht als ma-
ximale Arbeitszeit 10 Stunden vor, damit ist aber ein Zweischichtsystem nicht
haltbar.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9097

Man erklärt kurzerhand den Aufgabenbereich des SUBS für hoheitlich und um-
geht damit eine Ausschreibung und den Tarifvertrag.
Wieso sollte im Bereich der WSV nicht klappen, was gemeinsame Wirtschaft-
lichkeitsuntersuchungen des Bundesverteidigungsministeriums und des Bun-
desrechnungshofes für den Betrieb eines Forschungsschiffs ergeben haben: Er-
kennbare Kostenvorteile für eine private Bereederung.
Die FDP will keine komplette Privatisierung der WSV, sondern eine Fortfüh-
rung der Reform, so dass nach strengen Wirtschaftlichkeitsberechnungen Auf-
gaben dort wo möglich von privater Seite durchgeführt werden und die WSV
sich auf die Aufgaben besinnt, die sich für eine private Durchführung nicht eig-
nen.
Insbesondere der Binnenbereich leidet darunter, dass seit Jahren pauschal 1,5 %
an Stellen bei der WSV eingespart werden muss, ohne dass die Reform voran-
kommt. Das hat zur Folge, dass wichtige Instandhaltungs- und Erneuerungs-
maßnahmen im Bereich Schleusen und Wehre nicht durchgeführt werden
können.
Die WSV muss sich konsequent weiterentwickeln zu einer modernen leistungs-
fähigen Behörde. Das wird im Ergebnis heißen, dass in einigen Bereichen mehr
höherqualifiziertes Personal benötigt wird und in anderen Bereichen ggf. Perso-
nal abgebaut werden muss oder die Mitarbeiter sich fortbilden müssen.
Die jetzige Hinhaltepolitik hilft letztlich niemandem: Bundesminister Bodewig
hat der Gewerkschaft Verdi versprochen, die nächsten 4 Jahre nichts in Sachen
Umsetzung der Reform zu unternehmen. Das ist sowohl von Seiten der Perso-
nalvertretung unvernünftig, da konservatives Beharren auf Besitzständen sich
niemals auf Dauer bewährt und andererseits viele Aufgaben, von denen sich
derzeit niemand trennen will, bereits schon heute durch die Einsparungen der
letzten Jahre nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können. Diese
Politik des Ministers ist unverantwortlich, da bereits viele Steuermittel in die
Entwicklung der Reform gesteckt wurden und irgendwann die Macht des Fakti-
schen so groß sein wird, dass an nachhaltigen Veränderungen kein Weg mehr
vorbeiführt.
Getarnt wurde der beschlossene Stillstand durch eine Lenkungsgruppe, die Vor-
schläge zur Fortsetzung der Reform machen soll, die aber vorher von Verdi ge-
nehmigt werden müssen, die können dann alles ablehnen, so dass die nächsten
4 Jahre nichts passieren wird und trotzdem Aktivität vorgetäuscht werden kann.
Es werden also weiterhin Menschen für 30 Jahre eingestellt, von denen
niemand sagen kann, ob ihre Aufgabe in 6 Jahren noch von der WSV durch-
zuführen sein wird. Schon deswegen muss die Reform so schnell wie möglich
zu Ende gebracht werden, damit die Menschen Planungssicherheit bekommen.

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