BT-Drucksache 14/9050

Für eine substantielle und dauerhafte Rentenreform

Vom 15. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9050
14. Wahlperiode 15. 05. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg
van Essen, Paul K. Friedhoff, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Klaus
Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Für eine substantielle und dauerhafte Rentenreform

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Eine zukunftsweisende Rentenpolitik ermöglicht den Rentnern eine angemes-
sene Altersvorsorge, ohne die Arbeitnehmer durch zu hohe Beiträge zu überfor-
dern oder zukünftigen Generationen einen Schuldenberg zu hinterlassen. Daher
hat die FDP bei der Rentenreform 2001 den Ansatz imGrundsatz unterstützt, mit
4 Prozent des Bruttolohnes eine kapitalgedeckte private Vorsorge aufzubauen.
DieseReform ist allerdingsmit unzureichenderGenerationengerechtigkeit,man-
gelnder Beitragssatzstabilität, fehlender Steuerbefreiung aller Vorsorgebeiträge
und einer zu komplizierten Ausgestaltung der Anlagekriterien in der praktischen
Ausgestaltung misslungen. Die in mehreren Umfragen nachgewiesene, man-
gelnde Akzeptanz dieser Reform bei den Bürgern in Deutschland ist die Folge.
Die heutigen Probleme der gesetzlichen umlagefinanzierten Rentenversicherung
sind hierdurch in keiner Weise gelöst worden.
Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, eine echte Ren-
tenreform nach Maßgabe der folgenden Grundsätze zu erarbeiten:
E r s t e n s müssen seriöse volkswirtschaftliche und bevölkerungswissenschaft-
liche Annahmen für eine echte Rentenreform vorgelegt werden: Allein die An-
nahmen der Bundesregierung im Hinblick auf den Beitragssatz halten keiner
volkswirtschaftlichen Prüfung stand: ImUnterschied zu denAnnahmen der Bun-
desregierung prognostizieren führende Bevölkerungswissenschaftler für 2035
etwa eine deutlich höhere Lebenserwartung als es die Bundesregierung annimmt.
Kommt es damit zu einerVerlängerung derRentenbezugsdauer, würde allein dies
einen Anstieg des Beitragssatzes in der Rentenversicherung um ein halbes Pro-
zent erfordern. – Nach den ökonomischen Annahmen der Bundesregierung soll
die Arbeitslosenzahl von 3,8Millionen im Jahre 2000 auf 0,9 Millionen im Jahre
2030 sinken. Dem ist entgegenzuhalten: Der von der Bundesregierung erwartete
Rückgang der Arbeitslosenzahl erscheint bis zum Jahr 2020 zu optimistisch, da-
nach bis 2030 unrealistisch, entspräche er doch dann einerArbeitslosenquote von
unter 3 Prozent im Jahre 2030 und damit praktisch einer Vollbeschäftigung. Die
Bundesregierung hofft offensichtlich, dass der Rückgang des Erwerbspersonen-

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potenzials durch massive Wanderungen aus dem Lager der Nichterwerbsperso-
nen in das Lager der Erwerbspersonen ausgeglichen wird, z. B. durch eine Er-
höhung des tatsächlichen Renteneintrittsalters und der Frauenerwerbsquote bzw.
eine Verringerung der stillen Reserve.
Daraus folgt z w e i t e n s : Zusammen mit den angestrebten 4 Prozent für die
kapitalgedeckte Vorsorge – auch wenn diese von einer anderen Qualität sind –
werden voraussichtlich insgesamt 28 Prozent Beitragssatz erreicht. Dass dies für
Arbeitnehmer undUnternehmer unzumutbar und nicht akzeptabel ist, bedarf kei-
ner weiteren Erläuterung. Angesichts der weltweit höchsten Lohnzusatzkosten,
angesichts steigender Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung, angesichts
einer deutlich zu hohen Gesamt-Abgabenbelastung des Durchschnittsverdieners
inDeutschlandmuss gelten, dass als politischeZielsetzung dasBelastungsniveau
20 Prozent nicht überschritten werden darf. Die private Vorsorge soll nach einem
schrittweisen Übergang die gesetzliche Rentenversicherung so ergänzen, dass
die Altersvorsorge zu etwa 50 Prozent auf der privaten und betrieblichen Vor-
sorge beruht. Im Ergebnis wird die Alterssicherung der Zukunft eine neue Statik
haben. Sie wird sich aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversiche-
rung und den aus betrieblicher und privater Eigenvorsorge erwachsenden An-
sprüchen zusammensetzen. Nur so ergibt sich ein ausgeglichenesModell, das zu
einem auskömmlichen Alterseinkommen führt, aber die jüngere Generation vor
Überforderung schützt.
D r i t t e n s reicht als wesentliches Kriterium für die geförderte private Vorsorge
eine praktikable Zweckbestimmung für die Altersvorsorge aus. Denn die Anla-
gekriterien für die geförderte kapitalgedeckteAltersvorsorgewerden denwahren
Wert des künftigenRentensystems bestimmen.Davonwird abhängen, ob von der
neuen Vorsorgemöglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Es muss
ein echter Wettbewerb aller Anbieter gewährleistet sein, als Option ein vererb-
barer Kapitalstock gebildet werden können und die angebotenen privaten Alters-
vorsorgeprodukte bestimmten Mindeststandards genügen. Der Bürger muss bei
derAuszahlungWahlfreiheit je nach seinen individuellenBedürfnissen haben: Er
muss entscheiden können, ob er z. B. eine Verrentung, einen lebenslangen Aus-
zahlungsplan in abnehmenden oder steigenden Raten wählt oder sich einen Platz
in einem Alten- oder Pflegeheim sichern will.
V i e r t e n s muss das Wohneigentum als klassische Altersvorsorge in die För-
derung einbezogen werden, denn ein Rentner, der im Eigenheim wohnt, muss
keineMiete bezahlen und ihm kann nicht gekündigt werden. Nach dem jetzt gel-
tenden Recht können die Bürger künftig Geld zum Bau oder Kauf selbst genutz-
ten Wohnraums aus künftigen Altersvorsorgeverträgen entnehmen und müssen
den Betrag in monatlichen Raten in denselben Vertrag zurückzahlen; Zinsen fal-
len dafür nicht an. Für „Riester-Sparer“, die sich künftig selbst ein Darlehen ge-
währen, bedeutet dies: Wer so seine vierWände finanziert, muss mit erheblichen
Verlusten bei der privaten Zusatzrente rechnen. Das Finanzministerium Nord-
rhein-Westfalen hat errechnet, dass die Rendite der privaten Altersvorsorge um
etwa 25 Prozent höher ist, wenn der Anleger kein Geld für das Eigenheim ent-
nimmt. Alle Experten sind sich darin einig, dass diese Form der Einbeziehung
von Wohneigentum keinen deutlichen Anschub für den Erwerb von Immobilien
bringen wird. Im Gegenteil: Die Baukonjunktur wird weiter geschwächt. Wer so
sein Eigenheim finanzierenwill, wird schließlich dreifach belastet: Erstens durch
die Raten für die Rückzahlung des entnommenen Eigenkapitals aus demRiester-
Topf, zweitens durch die Raten für das Bankdarlehen und drittens durch die
zusätzlich laufenden privaten Altersvorsorgeraten à la Riester. Dies werden
Schwellenhaushalte für den Eigentumserwerb nicht leisten können.
Die FDP schlägt wie bereits im Gesetzgebungs- und im Vermittlungsverfahren
2001 vor: Der Bürger und Sparer soll die Mittel, die er im Rahmen von Alters-
vorsorgeverträgen ansammelt, als Eigenkapital beim Bau oder Erwerb einer

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Wohnung einsetzen. Diese sind zumZeitpunkt der Entnahme einmaligmit einem
ermäßigten – halben – Steuersatz analog § 34 EstG zu besteuern. Schließlich er-
hält er dieMöglichkeit, den entnommenen Betrag später wieder zurückzuführen,
die bei Entnahme erhobene Steuer erstattet zu bekommen und sich damit die För-
derung zu erhalten. Darüber hinaus wird eine Änderung des Wohnungsbau-
prämiengesetzes vorgeschlagen, um die Bausparförderung aufkommensneutral
gleichzustellen – in Verbindung mit einer klaren Zweckbindung zu Gunsten der
selbst genutzten Immobilie und dem Ausschluss der Doppelförderung.
F ü n f t e n s sind alle Vorsorgebeiträge für jede Art der Altersvorsorge – auch
die der gesetzlichen Rentenversicherung und der Selbständigen – schrittweise
von der Besteuerung zu befreien. In dem Maße, wie die Rente aus steuerfreien
Beiträgen finanziert wird, soll sie in Zukunft steuerpflichtig werden. Eine solche
nachgelagerte Besteuerung schafft für den Beitragszahler den notwendigen An-
reiz für den Aufbau einer kapitalgedeckten Vorsorge.
S e c h s t e n s sind im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge alle Durchfüh-
rungswege gleich zu behandeln. Das gilt sowohl für die Förderung wie für die
nachgelagerte Besteuerung. Direktzusagen und Unterstützungskassen dürfen
nicht diskriminiert werden. Die vorgesehenen Regelungen im Gesetzentwurf zu
den angeblichen Pensionsfonds sehen nur einen ,versicherungsförmigen Durch-
führungsweg‘ vor. Damit werden deutsche Pensionsfonds im Kern zu Versiche-
rungsprodukten gemacht, wird doch neben einer Garantie der eingezahlten Bei-
träge eine Zwangsverrentung des Kapitalstocks im hohen Alter verlangt. Dies
lässt den Verwaltungsaufwand steigen und die potentiell erzielbaren Renditen
deutscher Pensionsfonds sinken. Dieser deutsche Sonderweg muss so geändert
werden, dass auch bei der betrieblichen Altersvorsorge echte Pensionsfonds
möglich werden, die rentabel, europatauglich und international wettbewerbs-
fähig sind.
S i e b t e n s wurde eine bedarfsorientierte Grundsicherung eingeführt, welche
zum 1. Januar 2003 von denKreisen undKommunen umgesetzt werden soll. Das
Prinzip von Leistung und Gegenleistung wird mit einer solchen beitragsfreien
Grundrente zu Lasten der Kommunen durchbrochen: Jemand, der nicht gearbei-
tet hat, erhält im Alter genau so viel wie derjenige, der langjährig in die Renten-
versicherung eingezahlt hat. Problematisch ist neben diesem ordnungspoliti-
schen Bedenken auch das Vorgehen der Bundesregierung, Gesetze zu erlassen,
die daraus entstehenden Kosten aber auf die Länder, vor allem die Kreise und
Kommunen, abzuwälzen. So befürchten die Kreise und Kommunen, letztendlich
auf den Kosten für die „Grundsicherung“ – trotz Versprechungen der Bundes-
regierung um Ausgleichsleistungen – sitzen zu bleiben. Eine solche weitere
Verlagerung von Kosten auf die Kommunen durchbricht erneut das Konnexitäts-
prinzip („Wer Aufgaben in Auftrag gibt, kommt finanziell dafür auf“) und ist
rückgängig zu machen.

Berlin, den 14. Mai 2002
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt

Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt
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