BT-Drucksache 14/9018

Entschädigung von "Euthanasie"-Geschädigten, Zwangssterilisierten und anderen "vergessenen Opfern" des NS-Regimes

Vom 14. Mai 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9018
14. Wahlperiode 14. 05. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Ilja Seifert und der Fraktion der PDS

Entschädigung von „Euthanasie“-Geschädigten, Zwangssterilisierten und
anderen „vergessenen Opfern“ des NS-Regimes

Seit langem setzen sich Initiativen von „Euthanasie“-Geschädigten, Zwangsste-
rilisierten und anderen NS-Opfern sowie deren Angehörige für die Anerken-
nung als rassisch Verfolgte bzw. NS-Verfolgte und eine angemessene Entschä-
digung dieser „vergessenen Opfer“ des NS-Regimes ein.
Etwa 400 000 Menschen waren in der NS-Zeit Opfer von Zwangssterilisierun-
gen, etwa 200 000 bis 300 000 wurden durch die „Euthanasie“ ermordet. Etwa
5 000 Opfer dieser Zwangssterilisierungen leben heute vermutlich noch, die
Zahl der heute noch lebenden „Euthanasie“-Geschädigten (zum Beispiel Kin-
der von Opfern der „Euthanasie“, die dadurch zu Halb- und Vollwaisen wurden,
in Heime kamen, keine weiterführenden Schulen besuchen durften etc.) wird
auf wenige hundert geschätzt. Unklar ist insbesondere, wie viele Opfer dieser
NS-Verbrechen und deren Angehörige in anderen Ländern noch leben.
Der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V. (BEZ)
verlangt für „Euthanasie“-Geschädigte eine einkommensunabhängige Einmal-
zahlung von 7 500 DM bzw. 3 835 Euro, ohne Anrechnung auf die AKG-Härte-
richtlinien (AKG: Allgemeines Kriegsfolgengesetz) und ihre Gleichstellung
mit Zwangssterilisierten und anderen rassisch Verfolgten. Für Zwangssterili-
sierte fordert der BEZ eine Anhebung ihrer monatlichen Beihilfe von bisher
120 DM (61,36 Euro) auf 400 DM bzw. 205 Euro und eine Pauschalzahlung
von 5 000 DM für den erlittenen massiven tiefgreifenden und bleibenden Ge-
sundheitsschaden. Dieser Gesundheitsschaden sei auch durch die Einmalzah-
lung von 5 000 DM aus den AKG-Härterichtlinien von 1980 nicht abgegolten.
Für den Fall, dass die von der Bundesregierung 1998 angekündigte Stiftung
„Entschädigung von NS-Unrecht“ für die „vergessenen Opfer“ nicht zustande
käme, fordert der BEZ, „alternativ“ die AKG-Härterichtlinien entsprechend zu
erweitern und die Strukturen der Oberfinanzdirektionen dafür zu nutzen, um
die Zahlungen unbürokratisch abzuwickeln.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hatte diese alternative Regelung
in einem Schreiben an den Verband Anfang 2001 „mit Interesse aufgenommen“
und angekündigt, sie „im Rahmen der anstehenden Beratungen mit einfließen
(zu) lassen“. Dies ist nicht geschehen. Anfang des Jahres 2002 verbreitete das
BMF dann auf Anfragen Dritter sogar unzutreffenderweise, der BEZ habe sich
„gegen die Errichtung einer Stiftung ausgesprochen“. Der BEZ bewertet diesen
Umgang des BMF mit seinen Anliegen als wenig kooperativ und unfreundlich.
Seit Ende März steht nun fest, dass die Bundesregierung die zweite Bundesstif-
tung für „vergessene“ NS-Opfer nicht errichten wird. Ein entsprechender An-
trag der Fraktion der PDS wurde von den Regierungsparteien im Deutschen

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Bundestag abgelehnt. Auch der alternativen Forderung des BEZ ist bis heute
nicht entsprochen worden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass „Euthanasie“-Geschädigte

durch die Ermordung ihrer Eltern bzw. eines Elternteils einen psychischen
Dauerschaden davongetragen haben, dass sie außerdem dadurch, dass sie
in Kinderheime, Waisenheime etc. kamen, keine weiterführenden Schulen
besuchen durften, auch andere Diskriminierungen erlitten und für den dar-
aus entstandenen Berufs- und Rentenschaden bis heute gar nicht bzw.
nicht ausreichend entschädigt wurden?
Wenn ja, in welcher Weise will die Bundesregierung diese Entschädigung
ermöglichen?
Wenn nein, warum nicht?

2. Wie viele in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Ländern
lebende „Euthanasie“-Geschädigte haben in den vergangenen Jahren
a) eine einkommensunabhängige Einmalzahlung erhalten,
b) eine einkommensabhängige Einmalzahlung erhalten,
c) andere Zahlungen für gesundheitliche und andere, z. B. berufliche Folgen

der „Euthanasie“ erhalten
(bitte nach Staaten, in denen die Geschädigten leben, nach Höhe der Zah-
lung und für welche Art der Schädigung genau gezahlt wurde, aufschlüs-
seln)?

3. Wie viele „Euthanasie“-Geschädigte lebten nach Kenntnis der Bundesre-
gierung zum Zeitpunkt der in Frage 2 genannten Zahlungen bzw. leben
heute in den betreffenden Ländern, wie hoch ist also bezogen auf die in
Frage 2a bis c genannten Personen der Anteil der Entschädigten und
Nichtentschädigten?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Zwangssterilisierte einen
tiefgreifenden, nachhaltigen und bleibenden Gesundheitsschaden erlitten
haben, der bis in das hohe Alter hinein zu psychischen Traumen und ande-
ren schweren Gesundheitsschäden führt, und dass sie damit und durch die
nachfolgenden Rassegesetze wie z. B. das Verbot, eine weiterführende
Schule zu besuchen, Heiratserlaubnis nur mit anderen „Erbkranken“ etc.
sowohl einen bleibenden Gesundheitsschaden als auch einen schweren
und dauerhaften Berufs- und Rentenschaden erlitten?
Wenn ja, in welcher Weise will die Bundesregierung eine Entschädigung
dafür ermöglichen?
Wenn nein, warum nicht?

5. Wie viele in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Ländern
lebende Zwangssterilisierte haben
a) in den vergangenen Jahren eine einmalige Zahlung für den durch die

Zwangssterilisierung erlittenen nachhaltigen und bleibenden Gesund-
heitsschaden erhalten,

b) bisher pauschale monatliche Beihilfen erhalten
(bitte aufschlüsseln nach Staaten, in denen die Entschädigten leben,
sowie nach Art und Höhe der Zahlung und für welche Schädigung genau
gezahlt wurde)?

6. Wie viele Zwangssterilisierte leben nach Kenntnis der Bundesregierung
heute in diesen Ländern, wie hoch ist also der Anteil derer, die solche Ein-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9018

malzahlungen bzw. pauschalen Beihilfen erhalten, verglichen mit der Ge-
samtzahl der Opfer dieser NS-Verbrechen in diesen Ländern?

7. Wird die Bundesregierung nach ihrem Abrücken von der Ankündigung,
eine Bundesstiftung „Entschädigung von NS-Unrecht“ zu errichten,
Schritte ergreifen, um die AKG-Härterichtlinien entsprechend zu erwei-
tern, damit hier lebende „Euthanasie“-Geschädigte und Zwangssteri-
lisierte wenigstens so noch zu einer Einmalzahlung bzw. einer höheren
monatlichen Beihilfe kommen?
Wenn ja, wann und wie genau soll dies geschehen?
Wenn nein, warum nicht?

8. Welche Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um Opfern von „Eu-
thanasie“ und Zwangssterilisierungen in anderen Ländern eine geringe
Einmalzahlung oder Beihilfe zukommen zu lassen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung den Umgang des BMF mit dem BEZ und
welche Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um das BMF zu einem
kooperativen und ergebnisorientierten Umgang mit den Anliegen dieses
Verbandes zu veranlassen?

Berlin, den 7. Mai 2002
Ulla Jelpke
Dr. Ilja Seifert
Roland Claus und Fraktion

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