BT-Drucksache 14/90

Erwartungen an das Treffen des Europäischen Rates in Wien am 11./12. Dezember 1998

Vom 2. Dezember 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/90 vom 02.12.1998

Antrag der Fraktion der F.D.P. Erwartungen an das Treffen des
Europäischen Rates in Wien am 11./12. Dezember 1998 =

02.12.1998 - 90

14/90

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Paul K. Friedhoff, Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich,
Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Klaus Kinkel, Dr.
Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Jürgen W. Möllemann, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Günther Rexrodt, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max
Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk und der Fraktion der F.D.P.
Erwartungen an das Treffen des Europäischen Rates in Wien
am 11./12. Dezember 1998

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die EU steht vor großen Herausforderungen: Sie muß ihre Chancen und
Stärken für mehr Wachstum und den Abbau der hohen Arbeitslosigkeit
nutzen. Der Beginn der Europäischen Währungsunion am 1. Januar 1999 ist
nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Vollendung des
europäischen Binnenmarktes und damit ein bedeutender Beitrag zur
Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die
gemeinsame Währung wird der EU auch einen wichtigen Integrationsschub
verleihen. Die EU hat zudem die historische Chance zur Überwindung der
unnatürlichen Spaltung unseres Kontinents erkannt und mit zehn mittel-
und osteuropäischen Reformstaaten und Zypern im März dieses Jahres
einen Prozeß eingeleitet, an dessen Ende die Aufnahme dieser Staaten in
die EU stehen wird. Die Erweiterung der EU ist eine friedens-,
sicherheits- und stabilitätspolitische Notwendigkeit, an der die
Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer geographischen Lage und ihrer
Geschichte ein herausragendes Interesse hat. Die Erweiterung wird
darüber hinaus den Binnenmarkt um rd. 100 Millionen Verbraucher
vergrößern und durch eine neue Arbeitsteilung in der EU ebenso wie der
Euro die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas erhöhen. Das
fördert wirtschaftliches Wachstum und damit die Chancen für mehr
Beschäftigung auch bei uns.
Der im März 1998 begonnene Erweiterungsprozeß ist am 10. November 1998
mit der Aufnahme von konkreten Verhandlungen mit zunächst fünf mittel-
und osteuropäischen Staaten und Zypern in ein entscheidendes Stadium
eingetreten. Außerdem hat die EU-Kommission ermutigende Berichte über
die fünf anderen Beitrittskandidaten, mit denen bisher noch nicht
verhandelt wird, vorgelegt.
Die EU-Erweiterung setzt nach wie vor verstärkte Anstrengungen der
Kandidaten voraus, um die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen. Die EU
muß aber ihrerseits die dringend erforderlichen internen Reformen
endlich vorantreiben, um erweiterungsfähig zu werden. Herzstück wird
dabei die Reform der EU-Finanzierung sein, die die grundlegende Reform
der beiden teuersten Gemeinschaftspolitiken, der Agrar- und
Strukturpolitik, voraussetzt. Nur wenn die Ausgabenstruktur reformiert
wird, läßt sich die angestrebte fairere Lastenteilung in der EU
erreichen. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß der Europäische Rat in
Wien erste Grundsatzentscheidungen trifft. Unter deutscher EU-
Präsidentschaft muß das gesamte Reformpaket verabschiedet werden, damit
der Erweiterungsprozeß nicht blockiert wird.
Der Deutsche Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung sich für einen
zügigen Fortgang des institutionellen Reformprozesses einsetzt, ohne
daß dies den Erweiterungsprozeß aufhält.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei den
anstehenden Entscheidungen auf folgendes hinzuwirken:
1. Zur Reform des EU-Finanzsystems sollten in Wien folgende Eckwerte
beschlossen werden:
- Die Eigenmittelobergrenze von 1,27 % des EU-Bruttosozialproduktes
ist festzuschreiben.
- Bis zu den ersten Beitritten ist diese Obergrenze deutlich zu
unterschreiten, um Finanzspielraum für die Erweiterung zu schaffen.
- Alle Ausnahmeregelungen, insbesondere der britische
Beitragsrabatt, sind abzuschaffen.
- Die EU muß endlich eine wirksame Korruptionskontrolle und
Betrugsbekämpfung einführen. Dazu müssen u. a. die Rechte des
Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlamentes und des
Europäischen Rechnungshofes umfassend gestärkt werden.
- Verschwendung von Steuergeldern wird am wirksamsten durch
Subventionsabbau bekämpft.
- Eine fairere Lastenteilung setzt eine grundlegende Reform der
Ausgabenstruktur voraus. Der Anteil für Bildung und Forschung von
derzeit 3,8 % sollte unter Wahrung der Subsidiarität auf 10 %
gesteigert werden.
2. Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik muß eine stärkere
Marktorientierung der reformbedürftigen Sektoren, ein drastisches
Zurückschneiden der überbordenden Bürokratie und eine deutliche Senkung
der Agrarausgaben insgesamt zum Ziel haben. Die Eingriffe in den Markt
sind schrittweise zu verringern. Dazu gehört auch, die Subventionierung
von Agrarexporten im Rahmen internationaler Verhandlungen weltweit
abzubauen. Ziel der Reform ist eine marktorientierte,
wettbewerbsfähige, WTO-konforme und umweltverträgliche
landwirtschaftliche Produktion. Landwirte müssen den wesentlichen Teil
ihres Einkommens am Markt erzielen. Der Europäische Rat in Wien muß die
Einführung einer Kofinanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik durch die
nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten beschließen. Damit soll eine
deutliche Nettoentlastung für Deutschland erreicht werden, ohne daß die
gemeinsame Agrarpolitik renationalisiert, der Wettbewerb verzerrt oder
der Ausgabenabbau verhindert wird.
3. Der Europäische Rat in Wien muß auch eine erste Orientierung zur
Reform der Strukturpolitik geben: Die Strukturhilfen müssen auf die
Regionen mit dem größten Entwicklungsrückstand konzentriert werden; die
neuen Bundesländer gehören dazu. Insbesondere ist die EU-Erweiterung an
der östlichen EU-Außengrenze gezielt zu organisieren und zu
unterstützen. Die derzeitige Förderkulisse, die rd. 50 % der EU-
Bevölkerung umfaßt, sollte auf 30 % gesenkt werden. Die Konzentration
auf wirklich bedürftige Regionen sollte einhergehen mit der Stärkung
des Subsidiaritätsprinzips bei der nationalen und regionalen
Wirtschaftsförderung.
Hauptziele der Strukturförderung sind die Verbesserung von
Infrastruktur und Bildung sowie die Förderung von unternehmerischer
Eigeninitiative und die Entwicklung von klein- und mittelständischen
Unternehmen. Die Struktur- und Anpassungshilfen sollten grundsätzlich
zeitlich befristet und, wo möglich, degressiv und auf Darlehensbasis
gewährt werden. Hilfe aus dem Kohäsionsfonds steht grundsätzlich nur
den EU-Mitgliedstaaten zu, die die Bedingungen für eine Mitgliedschaft
in der Währungsunion noch nicht erfüllen.
4. Der Europäische Rat sollte in Wien als Ziel festlegen, daß ab Ende
2002 die ersten Beitritte zur EU erfolgen. Die vergangenen
Erweiterungsrunden und, besonders eindrucksvoll, die Einführung der
gemeinsamen Währung haben gezeigt, daß konkrete Daten den
Einigungsprozeß innerhalb der EU beschleunigen. Nur ein festes
Beitrittsdatum zwingt die EU, die notwendigen internen Reformen
rechtzeitig abzuschließen. Für die Beitrittskandidaten bedeutet ein
festes Datum einen wichtigen Motivationsschub, um die fundamentalen
Strukturreformen in Wirtschaft und Gesellschaft so voranzutreiben, daß
diese Länder dem Wettbewerb im Binnenmarkt nach berechenbaren
Übergangsfristen standzuhalten vermögen. Ein festes Datum ist auch ein
wichtiges Signal an ausländische Direktinvestoren. Ein stärkeres
Engagement ausländischer Firmen hilft umgekehrt dem
Transformationsprozeß mehr als Beihilfen aus den Struktur- und
Sozialfonds.
5. Der Europäische Rat in Wien möge beschließen, daß Lettland und
Litauen, denen von der EU-Kommission wichtige Fortschritte bei der
Annäherung an die EU bescheinigt wurden, in die erste Gruppe der
Beitrittskandidaten aufgenommen werden. Die EU muß ein Zeichen dafür
setzen, daß sie den offenen Charakter des Erweiterungsprozesses
respektiert, wonach Kandidaten, die rasche Reformfortschritte machen,
zur ersten Gruppe aufschließen können. Litauen und Lettland haben
entsprechende politische und wirtschaftliche Fortschritte gemacht, die
es erlauben, die ohnehin problematische Spaltung der baltischen Staaten
in zwei verschiedene Gruppen aufzuheben. Der politische Wandel in der
Slowakei hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bietet auch gute
Chancen für eine schnellere Integration in die EU.
Bonn, den 2. Dezember 1998
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günther Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Wolfgang Gerhardt und Fraktion

02.12.1998 nnnn

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