BT-Drucksache 14/8904

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur Lage im Nahen Osten

Vom 24. April 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8904
14. Wahlperiode 24. 04. 2002

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich Nolting, Ulrich Irmer,
Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt,
Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
zur Lage im Nahen Osten

Mit jedem Terroranschlag und mit jeder militärischen Gegenaktion wird der
Graben aus Hass und Feindschaft im Nahen Osten tiefer, wird der Weg zum
Frieden versperrt. Dabei müssten beide Seiten wissen: Zum friedlichen Mitein-
ander gibt es keine Alternative. Ein unabhängiger Palästinenserstaat kann aber
ebenso wenig herbeigebombt werden wie die Spirale der Gewalt durch Gegen-
gewalt zurückgeschraubt werden kann. Trotz der vielen Vermittlungsversuche
haben sich die Fronten zwischen beiden Seiten in letzter Zeit weiter verhärtet.
Gefordert ist daher jetzt massiver internationaler Druck, um den Friedenswillen
der Konfliktparteien zu erhöhen. Das Madrider Treffen zwischen UNO, Russ-
land, Europäischer Union und den USA war hierfür ein guter Ansatz.
Nie zuvor haben sich so viele internationale Akteure um eine Streitschlichtung
im Nahen Osten bemüht. Nicht nur die besondere Rolle der Vereinten Nationen
und der Vereinigten Staaten in dieser kritischen Phase, auch das Engagement
der Europäischen Union und Russlands zeigen, dass sich die maßgeblichen
Kräfte der internationalen Staatengemeinschaft für eine Konfliktlösung einset-
zen. Dies ist eine bislang einmalige Chance, die genutzt werden muss.
Die jüngste Mission von US-Außenminister Colin Powell hat gezeigt, dass
selbst die einzige verbleibende Supermacht nicht in der Lage ist, einen Ausweg
aus der verfahrenen Situation zu finden. Eine umfassende konzertierte Aktion
aller maßgeblichen Akteure der Staatengemeinschaft ist daher dringend gebo-
ten. Dabei stehen auch die arabischen Nachbarn Israels in der Verantwortung.
Voraussetzung für eine internationale Absicherung einer Nahost-Friedensrege-
lung ist aber zunächst ein Ausstieg aus der Logik der Gewalt. Doch auch ein
tragfähiger Waffenstillstand und eine international abgesicherte Koexistenz
eines palästinensischen und eines israelischen Staates allein bilden noch kein
belastbares Fundament für dauerhaften Frieden. Die tief sitzende Erbfeind-
schaft zwischen Israelis und Palästinensern kann nur durch langfristige vertrau-
ensbildende Maßnahmen und grenzübergreifende Zusammenarbeit abgebaut
werden.

Drucksache 14/8904 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Der KSZE/OSZE-Prozess hat einen ganz zentralen Beitrag zur Überwindung
des Ost-West-Konfliktes und damit zur Wiederherstellung der deutschen Ein-
heit und zur europäischen Integration geleistet. Die Schlussakte von Helsinki,
die Charta von Paris und die Europäische Sicherheits-Charta haben Grundlagen
für das Zusammenleben von Staaten und Völkern in Europa geschaffen, die
sich über Jahrzehnte feindlich gegenüberstanden. Auch der Nahe Osten braucht
dringend einen derartigen, von der internationalen Staatengemeinschaft unter-
stützten Prozess der regionalen Vertrauensbildung, auf dessen Grundlage eine
Sicherheitsarchitektur entworfen werden kann, die das friedliche Zusammen-
leben von Arabern und Israelis in der Region sicherstellt. Als Land, dessen Ge-
schichte in besonderer Weise vom KSZE/OSZE-Prozess geprägt wurde, sollte
Deutschland sowohl im Rahmen der Europäischen Union als auch im Rahmen
der Vereinten Nationen hierfür eine Initiative ergreifen.
Nachdem die Bundesregierung dies zunächst als illusorisch und unrealistisch
verworfen hatte ist sie nunmehr selbst zu der Erkenntnis gelangt, dass durch
einen KSZNO-Prozess eine Perspektive für einen tragfähigen Frieden und gute
Nachbarschaft in der Region eröffnet werden könnte. Diese Einschätzung wird
übrigens zunehmend auch von den Konfliktparteien selbst geteilt. Eine belast-
bare Friedensregelung imNahen Osten geht weit über die Absicherung der staat-
lichen Existenz von Israelis und Palästinensern hinaus. Gute Nachbarschaft in
der Region wird nur durch ein tragfähiges Netzwerk politischer und wirtschaft-
licher Zusammenarbeit, durch Sicherheitspartnerschaft und durch kulturellen
Austausch zu erreichen sein. Sie muss Antworten finden auf die drängenden so-
zialen, ökonomischen und vor allem auch auf die ökologischen Zukunftsfragen.
Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
1. ungeachtet der fortdauernden Bemühungen um einen Waffenstillstand und

ausgehend von dem Erfolgsmodell KSZE/OSZE, mit dem die Spaltung
Europas überwunden werden konnte, bereits jetzt eine Initiative für eine
internationale Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen
Osten zu ergreifen (KSZNO), an deren Ende eine belastbare Friedensrege-
lung für die gesamte Region stehen sollte;

2. sich in Absprache mit den Partnern in der Europäischen Union, insbeson-
dere mit der spanischen Präsidentschaft, über eine derartige Initiative der
EU unter Federführung des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Eu-
ropäische Außen- und Sicherheitspolitik mit dem Ziel zu verständigen, sie
als gemeinsamen europäischen Vorschlag in die Gespräche mit den Verein-
ten Nationen, den USA und Russland sowie mit den Konfliktparteien und
ihren arabischen Nachbarn einzubringen;

3. dafür Sorge zu tragen, dass den Vereinten Nationen und ihrem Generalsekre-
tär, Kofi Annan, eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung einer derartigen
KSZNO-Initiative zufällt;

4. sich in diesem Sinne gemeinsam mit den EU-Partnern auch für eine Emp-
fehlung des VN-Sicherheitsrates einzusetzen, mit der der Rahmen für einen
derartigen KSZNO-Prozess und die in ihm enthaltenen vertrauensbildenden
Maßnahmen (Abrüstung und Rüstungskontrollverträge, Konfliktverhütung,
Krisenbewältigung, Frühwarnung, wirtschaftliche und ökologische Zusam-
menarbeit etc.) festgelegt werden.

Berlin, den 24. April 2002
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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