BT-Drucksache 14/8502

Konkrete Maßnahmen zur Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte ergreifen

Vom 13. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8502
14. Wahlperiode 13. 03. 2002

Antrag
der Abgeordneten Carsten Hübner, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, Uwe Hiksch,
Heidi Lippmann, Dr. Winfried Wolf, Pia Maier, Ursula Lötzer, Roland Claus
und der Fraktion der PDS

Konkrete Maßnahmen zur Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller
Rechte ergreifen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(WSK) (Sozialpakt) von 1966 trat 1976 in Kraft und ist seitdem völkerrecht-
liche Grundlage für den Schutz elementarer Menschenrechte. Die hohe Zahl
von mittlerweile 145 Vertragsstaaten dokumentiert, dass die im Sozialpakt ver-
ankerten Rechte als grundlegende Kriterien menschenwürdigen Lebens welt-
weit akzeptiert sind. Dennoch erreicht der Sozialpakt nicht die Verbindlichkeit
des Internationalen Pakts über politische und bürgerliche Rechte (Zivilpakt).
Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es dem Pakt an effektiven
Durchsetzungskriterien sowie -instrumenten mangelt: Die Überprüfung der
Umsetzung der WSK-Rechte erfolgt bislang ausschließlich anhand eines Staa-
tenberichtsverfahrens, dessen Ergebnisse für die Vertragsstaaten unverbindlich
bleiben. Ein Individualbeschwerdeverfahren bei Rechtsverletzungen, wie es
beim Zivilpakt installiert ist, existiert beim Sozialpakt nicht.
Sowohl der Sozial- als auch der Zivilpakt sind gleichartig konzipiert, umfassen
abwehrrechtliche Regelungen sowie dem Vertragsstaat obliegende Schutz- und
Erfüllungspflichten. Dennoch wird bei der Interpretation des Sozialpakts viel-
fach nach wie vor die unmittelbare Anwendbarkeit der in ihm niedergelegten
Rechte bestritten. Die völkerrechtliche Normqualität der WSK-Rechte steht da-
mit im Gegensatz zu der konkreten Ausgestaltung der im Zivilpakt verankerten
Rechte, die umfassend justitiabel sind. Der WSK-Ausschuss der UN hat seit
seiner Konstitutierung die Position vertreten, dass eine Unterscheidung der
Rechtsstellung der beiden Menschenrechtspakte inakzeptabel ist. Diese Bewer-
tung wird durchgängig von den Gutachten, die im Rahmen der Sachverstän-
digenanhörung des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe 2000 erstellt wurden, gestützt. Zwar sind die
WSK-Rechte rechtstechnisch durchaus komplizierter und häufig vager formu-
liert als die deutlich gefassten Freiheitsrechte. Gerade dieser Umstand hätte für
die internationale Staatengemeinschaft, die die Unteilbarkeit der Menschen-
rechte bei der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 bekräftigt hat, aller-
dings besondere Verpflichtung sein sollen, für die Um- und Durchsetzung der
WSK-Rechte verbindliche Verfahren zu entwickeln und kurzfristig für die völ-
kerrechtliche Praxis nutzbar zu machen.

Drucksache 14/8502 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Auch die Bundesregierung hat bislang geringes Interesse an einer verbindlichen
Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte gezeigt. In der
Frage der Schaffung eines Fakultativprotokolls zum WSK-Pakt rechtfertigt die
Bundesregierung ihr unzureichendes Engagement weiterhin mit der angeblich
mangelnden Justitiabilität der Rechte. Auch dies steht im Gegensatz zu den
vom Ausschuss des Deutschen Bundestages für Menschenrechte und Humani-
täre Hilfe eingeholten Sachverständigenstellungnahmen. Eine Reihe wichtiger
internationaler Abkommen auf dem Gebiet wirtschaftlicher, sozialer und kul-
tureller Rechte wie die revidierte Europäische Sozialcharta und die UN-
Konvention über die Rechte der Wanderarbeiter ist immer noch nicht von
Deutschland ratifiziert worden. Darüber hinaus haben die im Sozialpakt fest-
geschriebenen Rechte in Deutschland keinen Eingang in die innerstaatliche
Verfassung gefunden, wie es beispielsweise in Spanien, Portugal und Südafrika
der Fall ist. Hinzu kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland zwar ihrer
Berichtspflicht an den WSK-Ausschuss im Gegensatz zu vielen anderen Län-
dern regelmäßig nachkommt – die vom Ausschuss verfasste Stellungnahme mit
Empfehlungen aber hinsichtlich der geäußerten Kritikpunkte zumeist pauschal
als unbegründet zurückweist oder schlicht ignoriert. Diese Haltung steht in ei-
nem klaren Widerspruch zum Selbstverständnis der Menschenrechtspolitik der
Bundesregierung, wie es 1998 im 5. Menschenrechtsbericht formuliert wurde:
„Wer den Schutz des Individuums als Ausgangspunkt aller Menschenrechts-
politik ernst nimmt, muss sich gleichermaßen für die Verwirklichung der bür-
gerlichen und politischen Rechte wie für die der sozialen und wirtschaftlichen
Rechte einsetzen.“
Angesichts der nunmehr über drei Jahrzehnte bestehenden weitgehenden völ-
kerrechtlichen Unverbindlichkeit der im Sozialpakt nieder gelegten Rechte be-
darf es dringend der Implementierung umfassender Justitiabilität der wirtschaft-
lichen, sozialen und kulturellen Rechte im internationalen Rechtssystem sowie
einer signifikanten Erhöhung der Mittel, die für die Menschenrechtsarbeit der
UNO insgesamt und insbesondere des völlig unzureichend ausgestatteten
WSK-Ausschusses zur Verfügung stehen.

Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
auf,
1. die Implementierung eines Individualbeschwerdeverfahrens aktiv voranzu-

treiben, indem sie
l den bereits vorliegenden Entwurf des WSK-Ausschusses für ein Fakulta-

tivprotokoll unterstützt,
l bei der diesjährigen Sitzung der UN-Menschenrechtskommission eine In-

itiative auf Einsetzung einer open-ended working group mit dem Ziel der
Erarbeitung eines Fakultativprotokolls auf der Grundlage des bereits vor-
liegenden Entwurfs startet,

l in der EU und gegenüber den anderen Staaten aktiv für die Unterstützung
des vorliegenden Entwurfs für ein Fakultativprotokoll wirbt;

2. umgehend die von ihr noch nicht ratifizierten völkerrechtlichen Instrumente
zum Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu ratifi-
zieren, insbesondere
l die UN-Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer

und ihrer Familienangehörigen,
l die ILO-Konvention Nr. 169,
l die revidierte Europäische Sozialcharta,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8502

l die Fakultativprotokolle zur UN-Kinderrechtskonvention über Kinder in
bewaffneten Konflikten und gegen Kinderhandel, Kinderprostitution und
Kinderpornografie,

l die Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention zurückzuneh-
men;

3. die vom WSK-Ausschuss in ihren concluding observations zum vierten
deutschen Staatenbericht ausgesprochene Kritik anzunehmen und die ge-
äußerten Empfehlungen durch entsprechende Maßnahmen umgehend umzu-
setzen. Dies betrifft u. a.
l die Verbesserung der Rechtsausbildung durch Einbeziehung der WSK-

Rechte als verbindlichem Ausbildungsinhalt,
l die Etablierung einer Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung bei Geset-

zes- und Verwaltungsmaßnahmen,
l die vollständige Gewährung der WSK-Rechte für Asylbewerber,
l die umfassende Gleichstellung von Frauen und Männern,
l die Anhebung der in Ostdeutschland gezahlten Löhne auf Westniveau,
l die Festlegung einer Armutsgrenze und Sicherstellung der Gewährung

von Sozialhilfe auf einem Niveau, das einen angemessenen Lebensstan-
dard sichert, sowie die Bekämpfung der Obdachlosigkeit;

4. ihren Willen zur Stärkung der WSK-Rechte durch entsprechende finanzielle
Unterstützung zu untermauern, indem sie
l die aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts an das UN-Hochkommissa-

riat für Menschenrechte geleisteten Mittel von derzeit 880 000 Euro ver-
doppelt,

l zweckgebundene Mittel für die Arbeit des WSK-Ausschusses zur Verfü-
gung stellt,

l sich in der UNO durch geeignete Maßnahmen dafür einsetzt, dass mittels
Umschichtungen im UN-System die für das Hochkommissariat für Men-
schenrechte im Rahmen des regulären UN-Budgets zur Verfügung ste-
henden Mittel von derzeit 22,46 Mio. US-Dollar verdoppelt werden.

Berlin, den 13. März 2002
Carsten Hübner
Petra Bläss
Wolfgang Gehrcke
Uwe Hiksch
Heidi Lippmann
Dr. Winfried Wolf
Pia Maier
Ursula Lötzer
Roland Claus und Fraktion

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