BT-Drucksache 14/8496

Gesetz zur Erhöhung der Rechtssicherheit beim Betriebsübergang

Vom 13. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8496
14. Wahlperiode 13. 03. 2002

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van
Essen, Ulrike Flach, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Jürgen Koppelin,
Ina Lenke, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Rechtssicherheit beim
Betriebsübergang

A. Problem
Die im Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vor-
genommene Ergänzung des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs um die Ab-
sätze 5 und 6 wird zu einer dramatischen Zunahme der Rechtsunsicherheit im
Falle eines Betriebsübergangs führen. Die aufgrund der Richtlinie 2001/23/EG
des Rates vom 12. März 2001 (zur Angleichung der Rechtsvorschriften in Mit-
gliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Über-
gang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen) in
§ 613a Abs. 5 BGB vorgeschriebenen Informationspflichten der Arbeitgeber
im Falle des Betriebsübergangs sind so weit gefasst, dass die Gefahr der fehler-
haften Information des einzelnen Arbeitnehmers sehr wahrscheinlich, wenn
nicht unvermeidbar ist. Da im Falle der unrichtigen bzw. unvollständigen In-
formation dem Arbeitnehmer ein unbefristetes Widerspruchsrecht im Sinne des
§ 613a Abs. 6 BGB gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zusteht,
wird es für die Unternehmen und Betriebe kaum noch kalkulierbar, welche Fol-
gen ein Betriebsübergang hat. Zudem wird in der Ergänzung des § 613a BGB
durch die Absätze 5 und 6 nicht differenziert, ob ein Betrieb über eine Arbeit-
nehmervertretung verfügt, sondern eine Informationspflicht des Arbeitgebers
gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer statuiert. Die Richtlinie 2001/23/EG
des Rates vom 12. März 2001 sieht jedoch eine Information der Arbeitnehmer-
vertretungen und nur „hilfsweise“ (bei fehlender Möglichkeit zur Bildung eines
Betriebsrats) die Unterrichtung der einzelnen Arbeitnehmer vor. Die Auswei-
tung der individuellen Informationspflicht auf Arbeitnehmer in Betrieben mit
Interessenvertretungen bedeutet daher eine zusätzliche Bürokratisierung und
eine damit verbundene unnötige Kostenbelastung der Unternehmen und Be-
triebe.

Drucksache 14/8496 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

B. Lösung
§ 613a Abs. 6 wird neu gefasst und um die Regelung ergänzt, dass das Wider-
spruchsrecht des Arbeitnehmers spätestens sechs Monate nach dem Betriebs-
übergang erlischt. Die Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers über den Be-
triebsübergang werden durch eine Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes
auf den Betriebsrat beschränkt. In § 613a Abs. 5 BGB wird die Unterrichtungs-
pflicht des Arbeitgebers gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer auf Betriebe
beschränkt, in denen keine Arbeitnehmervertretung bestehen kann.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8496

Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Rechtssicherheit beim
Betriebsübergang

Der Bundestag hat folgendes Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

In § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der im Bun-
desgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 400-2, veröf-
fentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch …
(BGBl. I S. …) geändert worden ist, werden die Absätze 5
und 6 wie folgt neu gefasst:

„(5) In Betrieben mit weniger als fünf ständig wahlbe-
rechtigten Arbeitnehmern im Sinne des § 1 des Betriebsver-
fassungsgesetzes hat der bisherige Arbeitgeber oder der
neue Inhaber die von dem Übergang betroffenen Arbeitneh-
mer vor dem Übergang zu unterrichten über:
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Über-

gangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des

Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genomme-

nen Maßnahmen.
(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeits-

verhältnisses innerhalb von drei Wochen schriftlich wider-
sprechen, nachdem er von dem bisherigen oder dem neuen
Inhaber über den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt

des Übergangs in Textform unterrichtet worden ist. Der Wi-
derspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder
dem neuen Inhaber erklärt werden. Das Widerspruchsrecht
erlischt spätestens mit Ablauf von sechs Monaten nach dem
Betriebsübergang.“

Artikel 2
Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes

Nach § 110 des Betriebsverfassungsgesetzes in der
Fassung der Bekanntmachung vom 23. Dezember 1988
(BGBl. 1989 I S. 1, ber. S. 902), das zuletzt durch (BGBl. I
S. …) geändert worden ist, wird folgender § 110a neu ein-
gefügt:

㤠110a
Unterrichtung des Betriebsrates bei Betriebsübergang

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat vor dem Übergang
eines Betriebs oder Betriebsteils (§ 613a des Bürgerlichen
Gesetzbuchs) rechtzeitig zu informieren über
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Über-

gangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des

Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genomme-

nen Maßnahmen.“

Berlin, den 13. März 2002
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dirk Niebel
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt

Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 14/8496 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Die im Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und
anderer Gesetze vorgenommene Änderung (nur) des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 613a Abs. 5 und 6) wird dem
Regelungsanliegen und der Systematik der Richtlinie 2001/
23/EG des Rates vom 12. März 2001 (zur Angleichung der
Rechtsvorschriften in Mitgliedstaaten über die Wahrung
von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Un-
ternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebstei-
len) nicht gerecht. Diese sieht in erster Linie eine Informa-
tion der Arbeitnehmervertretungen und nur „hilfsweise“
(bei fehlender Möglichkeit zur Bildung eines Betriebsrats)
die Unterrichtung der einzelnen Arbeitnehmer vor. Auch die
Verknüpfung der nach EG-Recht erforderlichen umfassen-
den Information über den Betriebsübergang und seine wirt-
schaftlichen und sozialen Hintergründe und Folgen mit dem
durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ent-
wickelten Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers ist nicht
sachgerecht. Zudem ist die unbegrenzte Widerspruchsfrist
in Folge einer unrichtigen oder unvollständigen Unterrich-
tung durch den Arbeitgeber nicht sachgerecht und führt zu
erheblicher Rechtsunsicherheit.
Daher sind beide Komplexe systematisch zu trennen und
die umfassende Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers über
den Betriebsübergang und seine Folgen primär im Betriebs-
verfassungsgesetz zu regeln. Dafür spricht auch, dass Be-
triebsübergänge häufig mit Betriebsänderungen im Sinne
von § 111 ff. BetrVG verbunden sind und das Betriebsver-
fassungsgesetz hierfür bereits eine umfassende Informa-
tionspflicht des Arbeitgebers vorsieht (§ 111 BetrVG). Fal-
len Betriebsübergang und Betriebsänderung zusammen, ist
dem Informationsanspruch des Betriebsrats somit bereits
nach geltendem Recht Genüge getan.
Zur Erhöhung der Rechtssicherheit und besseren Kalkulier-
barkeit der Folgen eines Betriebsübergangs für Arbeitgeber
wie Arbeitnehmer ist das Widerspruchsrecht analog dem
Kündigungsschutzrecht auf sechs Monate zu befristen.

B. Einzelbegründung
Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetz-

buchs)
Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001
(zur Angleichung der Rechtsvorschriften in Mitgliedstaaten
über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim
Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unterneh-
mens- oder Betriebsteilen) sieht eine unmittelbare Unter-
richtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern
nur in nicht betriebsratsfähigen Betrieben vor (Kapitel III
Artikel 7 Abs. 6). Eine Ausweitung dieser Verpflichtung auf
sämtliche Betriebe führt nicht nur zu erheblichem Verwal-
tungsaufwand, der sachlich nicht begründet ist, sondern ist
auch systemwidrig, weil die Richtlinie in erster Linie die In-
formation des Betriebsrats vorsieht und nur subsidiär dieje-
nige der Arbeitnehmer, nämlich dann, wenn diese unabhän-
gig von ihrem Willen keinen Betriebsrat wählen können.

Dieser Systematik sollte auch das nationale Recht entspre-
chen. § 613a Abs. 5 schreibt demzufolge eine individuelle,
umfassende Information des Arbeitnehmers über sämtliche
in der Richtlinie angesprochene Aspekte des Betriebsüber-
gangs nur in nicht betriebsratsfähigen Betrieben vor. Der
Katalog derjenigen Gesichtspunkte, über die der Arbeitge-
ber nach der Richtlinie zu informieren hat, ist sehr umfang-
reich. Eine (von der Richtlinie im Übrigen nicht geforderte)
Verpflichtung zur Unterrichtung in Textform überfordert die
Arbeitgeber gerade in den hier angesprochenen Kleinstbe-
trieben mit weniger als fünf Arbeitnehmern. Darüber hinaus
sollten Kleinbetriebe nicht mit einer Formvorschrift belastet
werden, die bei Informationspflichten nach dem Betriebs-
verfassungsgesetz (z. B. § 111) nicht einmal für „große“ Ar-
beitgeber vorgesehen ist. Zudem ist die persönliche Zusam-
menarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in die-
sen Kleinstbetrieben so eng, dass die Unterrichtung auch in
anderer geeigneter Form (z. B. in einem persönlichen Ge-
spräch) erfolgen kann. Für die Form der individuellen Un-
terrichtung, die an die Stelle der für betriebsratsfähige Be-
triebe vorgesehenen Unterrichtung nach § 110a BetrVG
tritt, wird von der Statuierung eines besonderen Formerfor-
dernisses abgesehen.
Für das Widerspruchsrecht und seine Verknüpfung mit einer
ordnungsgemäßen Unterrichtung durch den bisherigen Ar-
beitgeber oder den neuen Inhaber über einen bevorstehen-
den Betriebsübergang sieht § 613a Abs. 6 BGB eine neue,
eigenständige Regelung vor, die unabhängig davon gilt, ob
in dem jeweiligen Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden
kann oder nicht. Angesichts der weitreichenden Rechtsfol-
gen, die an die Ausübung des Widerspruchsrechts geknüpft
sind, ist eine einfache, praktikable und rechtssichere Gestal-
tung notwendig. Diese lässt sich jedoch nicht erzielen, wenn
man den Beginn für die vierwöchige Widerspruchsfrist, an
die vollständige Information durch den Arbeitgeber über
sämtliche nach der Richtlinie mitteilungspflichtige Um-
stände und Folge des geplanten Betriebsübergangs knüpft.
Im Interesse der Rechtssicherheit ist es vielmehr erforder-
lich, aber auch ausreichend, wenn die Widerspruchsfrist für
den Arbeitnehmer im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (erst) dann zu laufen beginnt, nach-
dem er von dem bisherigen Arbeitgeber oder neuen Inhaber
sowohl über die Tatsache des (bevorstehenden) Betriebs-
übergangs als auch über das maßgebliche Datum unterrich-
tet worden ist.
Verlangt man dagegen für den Fristbeginn detaillierte Infor-
mationen über den Grund des Übergangs, seine rechtlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Folgen sowie die hinsichtlich
der Arbeitnehmer vorgesehenen Maßnahmen, ist einem
Auslegungsstreit, wie er bereits zu § 5 Abs. 1 Nr. 9 bzw.
§ 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG geführt wird, Tür und Tor ge-
öffnet. Durch die hier vorgenommene Neufassung der Ab-
sätze 5 und 6 des § 613a BGB soll vermieden werden, dass
eine rechtswissenschaftliche Kontroverse um die notwen-
dige Darstellungstiefe über Jahre hinweg Rechtsunsicher-
heit über den Beginn der Widerspruchsfrist des Arbeitneh-
mers im Falle eines Betriebsübergangs schafft. Eine solche
Rechtsunsicherheit wäre auch für die Investitionsbereit-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8496

schaft ausländischer Unternehmen und damit dem Wirt-
schaftsstandort Deutschland abträglich. Die Reduzierung
der Widerspruchsfrist von vier auf drei Wochen entspricht
der Systematik des individuellen Arbeitsrechts, das in § 4
Satz 1 Kündigungsschutzgesetz eine dreiwöchige Frist zur
Anrufung des Arbeitsgerichts bei Geltendmachung einer so-
zial nicht gerechtfertigten Kündigung ausreichen lässt. Die
Drei-Wochen-Frist hatte die Bundesregierung auch in ihrem
Kabinettsentwurf des Gesetzentwurfs zur Änderung des
Seemannsgesetzes und anderer Gesetze für ausreichend und
sachgerecht gehalten.
Die Erhebung des Widerspruchs wird auf sechs Monate
nach Übergang des Betriebes begrenzt und ist danach aus-
geschlossen, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer von
dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs vom bisherigen Ar-
beitgeber oder neuen Inhaber des Betriebes informiert wor-
den ist. Dies soll insbesondere für die Fälle des verdeckten
Betriebsübergangs Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für
die Unternehmen wie die Arbeitnehmer schaffen. Dem

Rechtsschutzinteresse der Arbeitnehmer wird durch die
sechsmonatige Frist zur Geltendmachung des Widerspruchs
genügt, da die Ausschlussfrist sich aus dem Kündi-
gungsschutzrecht ergibt, wonach eine Kündigungs-
schutzklage nach Ablauf von sechs Monaten nach Versäu-
mung der Klagefrist im Sinne des § 4 Satz 1 Kündigungs-
schutzgesetz (KSchG) ausgeschlossen ist ( § 5 Abs. 3 Satz 2
KSchG).

Zu Artikel 2 (Änderung des Betriebsverfassungs-
gesetzes)

Für den Fall des bloßen Betriebsübergangs (ohne gleichzei-
tige Betriebsänderung) wird die bislang im BetrVG beste-
hende Lücke durch einen neuen § 110a BetrVG geschlos-
sen. Damit wird zugleich eine Harmonisierung mit denjeni-
gen Fällen erreicht, in denen der Betriebsübergang auf einer
Umwandlung nach dem UmwG beruht (vgl. z. B. § 5 Abs. 1
Nr. 9, § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG).

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