BT-Drucksache 14/8481

Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen und nachhaltig fördern

Vom 12. März 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8481
14. Wahlperiode 12. 03. 2002

Antrag
der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler,
Dr. Christian Schwarz-Schilling, Aribert Wolf, Dr. Norbert Blüm, Rainer Eppelmann,
Hubert Hüppe, Dr. Angela Merkel, Hans-Peter Repnik, Anita Schäfer, Dr. Erika
Schuchardt, Dr. Hans-Peter Uhl und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus Kinkel, Ina Albowitz, Dr. Werner Hoyer
und der Fraktion der FDP

Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen und nachhaltig fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 19. Januar 2002 schlossen die sudanesische Regierung und die SPLM/A-
Nuba (South Sudan People’s Liberation Movement/Army) ein Waffenstill-
standsabkommen für die Nuba-Berge ab, das vorerst sechs Monate gültig sein
soll. In dem so genannten Bürgenstock-Abkommen wird allen Zivilisten volle
Bewegungsfreiheit zugesichert, um den Binnenvertriebenen die Rückkehr in
ihre Heimat zu ermöglichen. Außerdem verpflichten sich die Vertragspartner,
keine Minen mehr zu legen und Minenräumungskommandos zu unterstützen.
Als oberstes Kontrollorgan und Schlichtungsinstanz soll eine Kommission un-
ter einem neutralen, ausländischen Vorsitzenden eingerichtet werden, in die die
Konfliktparteien je drei Vertreter entsenden.
Das Bürgenstock-Abkommen wurde als vorsichtiger Schritt auf demWeg zu ei-
ner innenpolitischen Entspannung gewertet. Dass der Weg zum Frieden noch
sehr weit ist, zeigte sich schon wenige Tage später mit der Bombardierung von
Dörfern im Süd-Sudan. Am 24. und 25. Januar 2002 griff die sudanesische
Luftwaffe die Orte Koc, Leer und Mayandiit in der Region Oberer Nil an. Die
Angriffe wurden auch im Februar fortgesetzt und kulminierten in der Bombar-
dierung des Zentrums für die Verteilung von Hilfsgütern des Welternährungs-
fonds in Bieh am 20. Februar 2002. Dabei wurden 17 Menschen getötet und
zahlreiche Personen verletzt.
Mit der Fortsetzung der Angriffe auf Siedlungen und Zivilisten in dem erdöl-
reichen Gebiet im Süd-Sudan sind wieder Zweifel an der Glaubwürdigkeit der
Regierung aufgekommen. Der Sondergesandte des amerikanischen Präsidenten
für den Sudan, Senator John Danforth, hat daher alle Gespräche mit Khartoum
vorerst abgebrochen, bis die Regierung eine vollständige Erklärung zu diesen
Vorgängen abgegeben hat. Daraufhin setzte das sudanesische Verteidigungs-
ministerium eine nach eigenen Aussagen hochrangige Kommission ein, die die
Vorfälle untersuchen soll. Es geht aber nicht nur darum, den Friedensprozess in
den Nuba-Bergen zu fördern und einen Stopp aller Bombardierungen zu errei-
chen. Es müssen zudem befriedete Zonen geschaffen werden, um Impfungen

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durchführen zu können. Ein weiterer Schwerpunkt muss auf den Kampf gegen
Sklaverei gelegt werden. Diese Zielsetzungen der US-amerikanischen Politik
müssen von der EU unterstützt werden. Unabdingbar ist daher, eine Kommis-
sion einzurichten, um diesen Prozess unabhängig zu kontrollieren.
In Gesprächen mit der EU-Troika-Mission im Dezember 2001 ist die Regie-
rung in Khartoum mehrere Verpflichtungen eingegangen, wie z. B. eine partei-
übergreifende Zusammenarbeit zur Förderung der weiteren Demokratisierung
herzustellen, mit anderen Parteien unter Einschluss der Oppositionskräfte zu
kooperieren, ein Programm zur politischen Bildung durchzuführen, die Sicher-
heitskräfte stärker zu kontrollieren, den Zusatz zum National Security Forces
Act auf den Kampf gegen Terrorismus zu begrenzen, ernsthafte Anstrengungen
für eine politische Lösung des Konflikts zu unternehmen, die Zivilbevölkerung
und zivile Einrichtungen nicht mehr anzugreifen und die Lieferung von Hilfs-
gütern nicht zu behindern.
Der UN-Sonderbeauftragte für den Sudan, Gerhart Baum, bezeichnete es als
alarmierend, dass die sudanesischen Sicherheitskräfte ihre Kampagne von Schi-
kanierung, Einschüchterung und Verfolgung fortsetzen, politische Gegner und
Menschenrechtsverteidiger angreifen und willkürlich inhaftieren. Die Organi-
sation „Reporter ohne Grenzen“ bestätigt, dass die Pressefreiheit eingeschränkt
und jede kritische Berichterstattung über die Regierung mit hohen Geldstrafen
belegt wird; auch seien Journalisten inhaftiert.
Der UN-Sonderbeauftragte merkte auch kritisch an, dass das Bildungssystem
einen wachsenden konfessionellen Charakter erhält, indem der Islam eine vor-
herrschende Rolle im Erziehungssystem einnimmt, während das Lehren des
christlichen Glaubens auf ein Minimum eingeschränkt, wenn nicht ganz verbo-
ten wird. Nach wie vor sind Christen Diskriminierungen und Schikanierungen
ausgesetzt. Eines der Prinzipien des IGAD-Prozesses ist die Trennung von Kir-
che und Staat; dazu gehörte auch die Entbindung des Süd-Sudans von der Scha-
ria. Im Nord-Sudan unterliegen auch Christen der Scharia. Beispielsweise droht
auch Muslimen, die zum Christentum konvertieren, die Todesstrafe. Khartoum
versucht darüber hinaus auch, die ethnische Spaltung innerhalb der südsudane-
sischen Völker zu fördern; das Regime will eine Einigung der verschiedenen
Stämme verhindern, von der es eine Bedrohung für sich ausgehen sieht.
Die Ölvorkommen haben den Konflikt ernsthaft verschärft, beide Kriegspar-
teien versuchen mit allen Mitteln die Kontrolle über diese Region zu erlangen.
Die Kampfhandlungen haben sich in den letzten Wochen intensiviert; Zehntau-
sende Menschen wurden vertrieben. Der Lage der Menschenrechte in den Öl-
fördergebieten muss daher größeres Augenmerk geschenkt werden. Hinzu
kommt, dass die Regierung sich bislang nicht gewillt zeigt, über die Verwen-
dung der Öl-Einnahmen Rechenschaft abzugeben. Der Bevölkerung, vor allem
der in den Ölgebieten, kommen die Gelder nur ganz unzureichend zugute.
Auch die im Süd-Sudan herrschende SPLM/A hat sich schwerer Menschen-
rechtsverletzungen schuldig gemacht. Die Rebellen sind für außergerichtliche
Tötungen, Vergewaltigungen, willkürliche Verhaftungen und Zwangsrekrutie-
rungen verantwortlich. Demokratische Strukturen fehlen, die Zivilgesellschaft
ist nur schwach entwickelt, obwohl 80 bis 90 % des Süd-Sudans befriedet sind.
Inzwischen haben Kirchen und Nichtregierungsorganisationen begonnen, Pro-
gramme zum Aufbau demokratischer Strukturen zu entwickeln. Sie benötigen
die Unterstützung durch internationale Geber.
Einzig das Programm von UNICEF zur Demobilisierung von Kindersoldaten
im Süd-Sudan ist ein gewisser Lichtblick in der ansonsten unverändert schlech-
ten Situation der Menschenrechte im Sudan. Von 9 000 Kindersoldaten sind in-
zwischen 3 500 demobilisiert worden. Dieser Prozess erhielte größere Glaub-

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würdigkeit, wenn der Sudan dem am 12. Februar 2002 in Kraft getretenen UN-
Protokoll zum Verbot von Kindersoldaten beiträte.
Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, dass angesichts des Kon-
flikts im Nahen Osten der seit über 20 Jahre anhaltende Bürgerkrieg im Sudan
nicht aus dem Blickfeld der internationalen Staatengemeinschaft gerückt wird.
Sudan braucht Frieden. Er kann nur mit dem gleichzeitigen Aufbau der Zivilge-
sellschaft gesichert werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Regierung des Sudans immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie die

von ihr eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Internationa-
len Pakt über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und im Internationalen
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
einzuhalten hat;

2. die Regierung in Khartoum aufzufordern, die Konvention gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe zu ratifizieren und die Konvention zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau (CEDAW) zu unterzeichnen;

3. eine deutsche Politik gegenüber dem Sudan zu definieren und sichtbar zu
machen;

4. die Politik der Bundesrepublik Deutschland und der EU gegenüber dem
Sudan eng mit den USA, die eine wichtige aktive Rolle einnehmen, abzu-
stimmen;

5. im Rahmen der bevorstehenden 58. Sitzung der UN-Menschenrechtskom-
mission sich dafür einzusetzen, dass die Lage im Sudan erneut in einer Re-
solution kritisch bewertet wird;

6. sich bei den Vereinten Nationen und der UN-Menschenrechtskommission
dafür einzusetzen, dass das Mandat des UN-Sonderbeauftragten für den Su-
dan, das im April endet, um ein Jahr verlängert wird;

7. den Vorschlag des UN-Sonderberichterstatters für den Sudan zu unterstüt-
zen, eine eigene, unabhängige Menschenrechtskommission zu gründen;

8. im Nachgang zur EU-Troika-Mission im Dezember 2001 auf eine einheitli-
che Haltung der EU hinzuwirken und sich für die Fortsetzung eines offenen
Dialogs der EU mit Khartoum einzusetzen unter der Voraussetzung, dass
dieser an Bedingungen geknüpft wird, in erster Linie an die Einhaltung der
Menschenrechte, einschließlich der Gewährung von Glaubens-, Meinungs-,
Presse- und Versammlungsfreiheit;

9. die Regierung in Khartoum ständig an die von ihr eingegangenen Ver-
pflichtungen gegenüber der EU anlässlich der EU-Troika-Mission zu erin-
nern;

10. sich dafür einzusetzen, dass die US-Regierung ihr Engagement im Sudan
auch nach dem Ende des sechsmonatigen Mandats von Senator John Dan-
forth im April dieses Jahres fortsetzt;

11. sich dafür einzusetzen, dass ein nachhaltiges Konzept der Rehabilitierung
und Entwicklung für die Nuba-Berge entwickelt und das Waffenstillstands-
abkommen über den bisher vereinbarten Zeitraum hinaus verlängert wird;

12. die sudanesische Regierung zu veranlassen, durch neue Kontrollmechanis-
men ein Instrumentarium zu entwickeln, um die Durchführung der Dan-
forth-Mission sicherzustellen, vor allem hinsichtlich des Schutzes der Zi-
vilbevölkerung vor Bombardierungen;

Drucksache 14/8481 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
13. im Rahmen ihrer bi- und multilateralen Kontakte darauf hinzuwirken, dass
die sudanesische Regierung die Einnahmen aus der Erdölförderung in die
Entwicklung des Landes, vor allem in den vom Krieg gezeichneten Ölregi-
onen und zugunsten der aus diesen Gebieten geflohenen Menschen inves-
tiert;

14. zu prüfen, ob das im Jahr 1997 geschlossene Goethe-Institut wieder geöff-
net werden kann und dafür auch die von der Bundesregierung bereitgestell-
ten Mittel für den Dialog mit dem Islam genutzt werden können;

15. bei Entscheidungen über das Begehren von Flüchtlingen aus dem Sudan
nach einem Aufenthalt in Deutschland die nach wie vor schlechte Men-
schenrechtslage im Sudan zu berücksichtigen und die Länderinnenminister
auf die Gefahr der Gewalt und Folter bei Abschiebungen in den Sudan hin-
zuweisen;

16. die politischen Stiftungen, Kirchen und humanitären Organisationen bei ih-
ren Bemühungen zu unterstützen, den Aufbau von zivilgesellschaftlichen
Strukturen zu ermöglichen, dazu gehören vor allem die Ausbildung von
Gemeinde- und Bezirksräten und die Förderung des „New Sudan Law Re-
view Committee“, dessen Ziel es ist, eine rechtliche Ordnung zu etablieren.

Berlin, den 12. März 2002
Hermann Gröhe
Monika Brudlewsky
Dr. Heiner Geißler
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Aribert Wolf
Dr. Norbert Blüm
Rainer Eppelmann
Hubert Hüppe
Dr. Angela Merkel
Hans-Peter Repnik
Anita Schäfer
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Hans-Peter Uhl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dr. Helmut Haussmann
Dr. Klaus Kinkel
Ina Albowitz
Dr. Werner Hoyer
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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