BT-Drucksache 14/8430

Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten heimische Produzenten unterstützen und Verbraucher schützen

Vom 27. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8430
14. Wahlperiode 27. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Gudrun Kopp,
Ernst Burgbacher, Birgit Homburger, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Klaus Haupt, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, heimische Produzenten unterstützen und
Verbraucher schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die Pflanzenschutzpolitik an wissenschaftlichen und nicht an ideologischen

Kriterien auszurichten;
– an der weiteren notwendigen Harmonisierung des Pflanzenschutzmittelein-

satzes in Europa trotz der so genannten Agrarwende in Deutschland festzu-
halten;

– die Initiative auf EU-Ebene zu unterstützen, um die Frist für den Abschluss
der EU-weiten Harmonisierung der Zulassung von Pflanzenschutzmittel-
wirkstoffen von 2003 auf 2008 zu verschieben;

– zur Sicherung des heimischen Anbaus von Obst und Gemüse, von Arznei-
und Gewürzpflanzen sowie von Zierpflanzen sicherzustellen, dass die
Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln für diese Kulturen gewährleistet
ist;

– dafür Sorge zu tragen, dass die vorliegende 7. Verordnung zur Änderung der
Rückstands-Höchstmengen-Verordnung noch vor der kommenden Vegetati-
onsperiode in Kraft gesetzt wird;

– darauf hinzuwirken, dass die neuen Abstandsregelungen für Pflanzenschutz-
mittel zu Hecken, Feldgehölzen, Säumen, Gräben und anderen Struktur-
elementen in der Landwirtschaft mit dem Ziel einer praxistauglichen Aus-
gestaltung korrigiert werden;

– die geplante Aufteilung zwischen Bewertungs- und Managementfunktion
für den Zulassungsbereich von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen der Re-
organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes wegen der damit
verbundenen gravierenden Nachteile für Industrie und Landwirtschaft und
einer damit einhergehenden Verschärfung der Probleme bei der Lücken-
indikation aufzugeben;

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– das bestehende de facto Moratorium für den Anbau gentechnisch veränder-
ter Pflanzen aufzulösen und damit die Nutzung dieser innovativen Techniken
auch im Pflanzenschutz zu ermöglichen.

Berlin, den 26. Februar 2002
Marita Sehn
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Gudrun Kopp
Ernst Burgbacher
Birgit Homburger
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Klaus Haupt
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung
In Deutschland hat eine bürokratische Auslegung der Zulassungskriterien in
Kombination mit einer ideologisch geprägten Pflanzenschutzpolitik die Verfüg-
barkeit zugelassener Pflanzenschutzmittel vor allem für die Kleinkulturen
eingeschränkt. Insbesondere der Obst- und Gemüsebau, der Anbau von Arznei-
und Gewürzpflanzen sowie von Zierpflanzen steht vor existenziellen Proble-
men. Eine derart ideologiesierte Pflanzenschutzpolitik verkennt die positiven
Entwicklungen des letzten Jahrzehnts, die zu einer Verringerung der Wirkstoff-
mengen in Deutschland geführt haben. Positiv an dieser Tendenz ist zudem,
dass mit dem Einsatz innovativer Produkte eine deutlich geringere Belastung
der Umwelt einhergeht. Moderne Pflanzenschutzmittel entfalten ihre Wirksam-
keit nicht nur in erheblich kleineren Mengen, sie sind außerdem biologisch
besser abbaubar. Damit kommt neben einer Mengenbetrachtung der Risiko-
betrachtung eine entscheidende Bedeutung zu: Moderne Pflanzenschutzmittel
verringern die Risiken für Menschen, Tiere und die Umwelt.
Mit der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inver-
kehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und mit dem ersten Gesetz zur Ände-
rung des Pflanzenschutzgesetzes vom 14. Mai 1998 wurden die Grundlagen zur
Harmonisierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in Europa geschaffen. Lei-
der wurde diese kontinuierliche Weiterentwicklung der Pflanzenschutzpolitik
insbesondere durch die so genannte Agrarwende der Bundesregierung gestoppt.
Damit ist die dringend notwendige Harmonisierung des Pflanzenschutzes in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8430

Europa von deutscher Seite aufgegeben worden. Die daraus resultierenden
Belastungen und Wettbewerbsnachteile infolge von fehlenden zugelassenen
Pflanzenschutzmitteln haben die heimischen Produzenten zu tragen.
Insbesondere der Wechsel zur Indikationszulassung ohne Übergangszeitraum
hat die ohnehin schon bestehenden Lücken für den Einsatz zugelassener Pflan-
zenschutzmittel in Sonderkulturen nochmals größer werden lassen. Zudem
haben die Kompetenzstreitigkeiten der Einvernehmensbehörden bei der Zulas-
sung von Pflanzenschutzmitteln zu weiteren Engpässen geführt.
Zur Behebung des Zulassungsnotstands muss die Bundesregierung eine ent-
sprechende Initiative auf EU-Ebene unterstützen, die auf eine Verschiebung der
Frist für den Abschluss der EU-weiten Harmonisierung der Zulassung von
Pflanzenschutzmittelwirkstoffen von 2003 auf 2008 zielt.
Weiterhin ist die Verfügbarkeit verschiedener Wirkstoffe für den Obst- und
Gemüsebau durch das rechtzeitige Inkraftsetzen der vorliegenden 7. Verord-
nung zur Änderung der Rückstands-Höchstmengen-Verordnung unerlässlich.
Nur durch das Inkrafttreten der Verordnung mit ihren neuen Höchstmengen für
den Gemüsebau ist sicherzustellen, dass eine nachfolgende Zulassung und Ge-
nehmigung entsprechender Pflanzenschutzmittel für diese Anwendungsgebiete
erfolgen kann.
Die bestehenden Wettbewerbsnachteile für die heimischen Produzenten müssen
abgebaut werden. Es ist nicht akzeptabel, dass Pflanzenschutzmittel, die schon
lange in Deutschland nicht mehr zugelassen sind, immer noch in anderen
europäischen Mitgliedstaaten angewendet werden dürfen. Außerdem erfordern
Aspekte des Verbraucherschutzes und der Verbrauchertransparenz einheitliche
Standards in Europa. Sofern von bestimmten Pflanzenschutzmitteln eine Gefahr
für die Verbraucher ausgeht, müssen diese Mittel in allen europäischen Mit-
gliedstaaten verboten werden. Gehen aber keine unvertretbaren Risiken von
Pflanzenschutzmitteln aus, ist es nicht hinnehmbar, dass zwar Obst und Gemüse
in Deutschland frei verkehrsfähig ist, das im Ausland mit Pflanzenschutzmitteln
behandelt wurde, die im Obst- und Gemüseanbau in Deutschland verboten sind,
den heimischen Produzenten diese Mittel aber vorenthalten werden.
Mit den neuen Abstandsregelungen werden insbesondere Landwirte getroffen,
die in der Vergangenheit durch die Anpflanzung von Hecken und Feldgehölzen
besondere Leistungen für eine vielfältige Flora und Fauna erbracht haben. Dies
ist zum Teil auf freiwilliger Basis trotz erheblicher Kosten für die Landwirte
geleistet worden. Die Tatsache, dass vor allem die Obstbauern im Alten Land
vermehrt zur Verringerung der Wasseroberfläche und zur Einhaltung der gesetz-
lichen Anforderungen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Gräben zu-
schütten, unterstreicht die dringend notwendige Überarbeitung und die Not-
wendigkeit von praktikablen Lösungen.
Die geplante Neugliederung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes orien-
tiert sich nicht an den Notwendigkeiten der Landwirtschaft und Industrie. Eine
effiziente und zuverlässige Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wird in Frage
gestellt. Wissenschaftliche Erfahrungen aus diesem Bereich werden durch ideo-
logische Zielvorgaben ersetzt. Das führt zu gravierenden Nachteilen und
Schwierigkeiten: vor allem entsteht mehr Bürokratie und der Verwaltungsappa-
rat wird noch weiter ausgebaut. Kompliziertere und ausuferndere Verfahrensab-
läufe stellen weiterhin einen erheblich größeren Zeitaufwand für die Pflanzen-
schutzindustrie und höhere Kosten dar. Für die heimische Landwirtschaft ergibt
sich durch den daraus resultierenden verspäteten Zutritt neuer Pflanzenschutz-
mittel ebenfalls ein Wettbewerbsnachteil. Die Pflanzenschutzindustrie wird sich
wegen der höheren Kosten auf eine noch stärkere Entwicklung von Pflanzen-
schutzmitteln für die großen Kulturen beschränken. Damit wird das Problem
der Lückenindikationen auf weitere Sonderkulturen ausgedehnt. Die Neuorga-

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nisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes geht damit bei der Zulas-
sung von Pflanzenschutzmitteln in die falsche Richtung.
Mit der Grünen Gentechnik kann der Einsatz ökologisch bedenklicher Pflan-
zenschutzmittel reduziert bzw. überflüssig gemacht werden. Dazu bedient sich
die Grüne Gentechnik der gezielten Einkreuzung von Genen, welche Resisten-
zen gegen Krankheiten und Schädlinge bewirken. Damit entspricht sie dem Ge-
danken eines vorsorgenden Verbraucherschutzes, indem sie den Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln von vornherein unnötig macht. Grüne Gentechnik heißt
den Landwirten nutzen, ohne den Verbraucher zu schaden. Eine fortschrittliche
und zukunftsorientierte Agrarpolitik kann es sich deshalb nicht erlauben, diese
Chancen nicht zu nutzen.

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