BT-Drucksache 14/8398

Hilfsmittelversorgung (z. B. bei Inkontinenz) für Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Krankheiten

Vom 27. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8398
14. Wahlperiode 27. 02. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth Fuchs und der Fraktion der PDS

Hilfsmittelversorgung (z. B. bei Inkontinenz) für Menschen mit Behinderungen
und/oder chronische Krankheiten

Unter Harninkontinenz leiden Menschen aller Altersklassen. Anhand inter-
nationaler Untersuchungen muss davon ausgegangen werden, dass alters-
unabhängig jeder zwölfte Mann sowie jede vierte Frau davon betroffen sind.
Gegenwärtig sollen in Deutschland etwa vier Millionen Menschen dauerhaft
von Inkontinenz betroffen sein. Diese Menschen müssen ausreichend beraten,
motiviert, therapiert und versorgt werden. Neben der ärztlichen Tätigkeit und
den physiotherapeutischen Maßnahmen kommt der Hilfsmittelversorgung be-
sondere Bedeutung zu. Es gilt auch, über eine entsprechende Hilfsmittelversor-
gung dazu beizutragen, die Lebensqualität von Menschen mit Inkontinenz zu
verbessern.
Unter dem Vorwand des Kostendrucks prüfen Krankenkassen seit einiger Zeit
nicht nur Arznei-, sondern auch Hilfsmittel-Verordnungen besonders intensiv.
Hilfsmittel fallen weder in die (inzwischen per Gesetz abgeschafften) Arznei-
mittelbudgets der Kassenärztlichen Vereinigungen noch werden sie bei den
Arzneimittel-Richtgrößenprüfungen einbezogen.
Es gehört zum typischen hausärztlichen Leistungsspektrum, pflegebedürftigen
Patientinnen und Patienten in Heimen bzw. in der häuslichen Umgebung z. B.
bestimmte Inkontinenz-Hilfsmittel zu verschreiben. Die Verordnungsfähigkeit
dieser Hilfsmittel ist im § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt:
„Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall
erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, soweit die
Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen sind.“
Mit Hinweis darauf, dass Inkontinenz-Artikel gelegentlich den Charakter von
Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens annehmen können, verweigern
Krankenkassen in jüngerer Zeit immer öfter die Kostenübernahme. Grundsätz-
lich können Inkontinenz-Hilfen verordnet werden:
l zur Behandlung von Dermatosen oder Dekubita;
l wenn zusätzlich zur Inkontinenz schwere Funktionsstörungen vorliegen, bei

denen ein Dekubitus oder eine Dermatose drohen;
l bei Erkrankungen, bei denen nur durch die Nutzung von Inkontinenz-Hilfen

eine Teilhabe am alltäglichen Leben gewährleistet werden kann.
Es häufen sich Fälle, in denen Krankenkassen verlangen, dass zur Gewährung
von Inkontinenz-Hilfsmitteln – neben der Inkontinenz – eine weitere Erkran-
kung vorliegen muss.

Drucksache 14/8398 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Danach dürfen Patienten, die angeblich nicht mehr aktiv am Alltagsleben teil-
nehmen können, Inkontinenz-Hilfen nicht gewährt werden. Wenn aufgrund des
körperlichen oder geistigen Zustands einer Patientin/eines Patienten davon aus-
zugehen sei, dass eine aktive Teilnahme am alltäglichen gesellschaftlichen
Leben nicht mehr erfolgen wird, werden Inkontinenz-Artikel – z. B. saugfähige
Bettschutzeinlagen – als Pflegehilfsmittel eingestuft, die nicht verordnungs-
fähig sind. Sollten Hausärzte versehentlich dennoch derartige Hilfsmittel ver-
ordnen, müssen sie damit rechnen, dass ihnen später die entstandenen Kosten
als „sonstiger Schaden“ angelastet werden.
Einige Krankenkassen – z. B. die BKK Berlin – gehen dazu über, sich nicht
mehr an die empfohlene Wertmittelgrenze für die Abgabe von Hilfsmitteln zu
halten. Sie machen derartige Verordnungen genehmigungspflichtig. Angeblich
seien damit keine Einschränkungen für medizinisch notwendige Leistungen
verbunden. Denjenigen, die die Hilfsmittel benötigen, bereitet das aber zusätz-
liche Ängste sowie Wege und Wartezeiten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland derzeitig von

Inkontinenz betroffen?
2. Ist eine von Krankenkassen praktizierte restriktive Verordnungspraxis im

Sinne der Bundesregierung?
3. Welche aktuellen richtungsweisende Urteile liegen vor, die z. B. über die

vom Bundessozialgericht am 7. März 1990 gesprochenen (AZ: 3 RK 15/88,
3 RK 17/88 und 3 RK 15/89) hinaus gehen und welche Auswirkungen er-
geben sich für die Betroffenen daraus hinsichtlich der im Grundsatz als
Kassenleistung bestätigten Verordnung und Bewilligung von Inkontinenz-
Hilfsmitteln?

4. Entspricht es nach Ansicht der Bundesregierung den Anforderungen not-
wendiger Versorgung, Hilfsmittel, die sowohl den Behandlungserfolg
sichern als auch als alltäglicher Gebrauchsgegenstand angesehen werden
können, regelmäßig verordnen zu lassen oder müssen Ärztinnen und Ärzte,
die die Verordnung zum Wohl ihrer Patientinnen und Patienten vornehmen,
finanzielle Benachteiligungen in Kauf nehmen?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorgabe von Krankenkassen, dass zur
Bewilligung von Inkontinenz-Artikeln neben der eigentlichen Blasen- und/
oder Darmschwäche auch noch der Nachweis mindestens einer weiteren
Erkrankung verlangt wird?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob in der Praxis gilt,
dass im Einzelfall Anspruch auf die erforderlichen Hilfsmittel besteht – ärzt-
liche Sorgfalt immer vorausgesetzt – und dieser Anspruch prinzipiell keiner
Begrenzung unterliegt, oder muss die Krankenkasse tatsächlich jede ein-
zelne Verordnung bewilligen?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Praxis einiger Kassen, für sich die
Wertmittelgrenze außer Kraft zu setzen und eine Genehmigungspflicht für
Hilfsmittel einzuführen?

8. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Preisstruktur und
-entwicklung von Inkontinenz-Artikeln vor?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8398

9. Hält die Bundesregierung angesichts der restriktiven Handhabung von Hilfs-
mittelverschreibungen gesetzliche oder andere Maßnahmen für erforderlich,
die die Einhaltung des im SGB IX gesetzlich verankerten Kriteriums der
Teilhabe-Förderung für Menschen mit Behinderungen und/oder chronische
Erkrankungen gewährleisten?
Wenn ja, welche?

Berlin, den 25. Februar 2002
Dr. Ilja Seifert
Dr. Ruth Fuchs
Roland Claus und Fraktion

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