BT-Drucksache 14/8272

Entwicklung und Wohlstand durch mehr Mut zur Marktförderung

Vom 20. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8272
14. Wahlperiode 20. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Hildebrecht
Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther
Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Günter Rexrodt, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann
Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwicklung und Wohlstand durch mehr Mut zur Marktöffnung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) vom 9. bis

14. November 2001 in Doha war in wirtschafts-, entwicklungs- und handels-
politischer Hinsicht ein Erfolg. Die Ergebnisse werden die Entwicklung des
Welthandelssystems in den kommenden Jahren maßgeblich bestimmen. Von
diesem Erfolg wird gerade die deutsche Wirtschaft im besonderen Maße pro-
fitieren, da ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts und jeder vierte
Arbeitsplatz vom Außenhandel abhängt.

2. Eine merkantilistisch denkende Handelsdiplomatie, die die eigene Markt-
öffnung jeweils als Konzession an die Partnerstaaten hinstellt, die gewährt
werden muss, um im Gegenzug verbesserten Marktzutritt im Ausland zu er-
reichen, führt in die Irre. Es ist falsch, die Liberalisierung der eigenen
Märkte als Opfer und die Öffnung ausländischer Märkte als Gewinn darzu-
stellen. Denn dadurch wird Protektionisten und Globalisierungsgegnern
Recht gegeben, die behaupten, dass die Liberalisierung des Welthandels ein
Nullsummenspiel ist oder gar zu weniger Wohlstand führt. Diese Behaup-
tung widerspricht allen empirischen Untersuchungen. Vielmehr profitiert ein
Land am meisten von der eigenen Öffnung und zwar unabhängig davon,
welche Politik die anderen Staaten verfolgen. Deshalb muss zukunftsorien-
tierte Handelspolitik den Leitsätzen der multilateralen Handelsordnung fol-
gen, die insbesondere auf den Prinzipien der Nichtdiskriminierung und
Meistbegünstigung beruht.

3. Der Welthandel läuft noch lange nicht so reibungslos, wie er es bei konse-
quenter Handelsliberalisierung gemäß dem multilateralen Regelwerk der
WTO könnte. So gibt es noch immer sehr viele Zollhürden. In Indien sind
noch fast alle Importe mit Zöllen von mindestens 15 Prozent belegt, während
in den USA nach Daten der Welthandelsorganisation 13 Prozent aller Textil-
und Bekleidungsimporte Zölle von über 15 Prozent und in der EU über ein
Drittel aller Agrarimporte Zölle von über 15 Prozent aufweisen. Länder, die

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den Agrarhandel liberalisiert haben (z. B. Australien, Canada) zeigen sich
besonders protektionistisch beim Textilhandel und umgekehrt. Auch die ein-
geleiteten Antidumping-Maßnahmen haben sich seit 1995 mehr als verdop-
pelt. Deshalb muss die Handelsliberalisierung als traditionelle WTO-Ange-
legenheit ganz oben auf der Agenda bleiben und darf nicht durch „neue“
Themen verdrängt werden.

4. Die multilaterale Streitschlichtung ist ein geeigneter Ansatz, um von einer
machtorientierten zu einer regelorientierten Außenhandelspolitik zu gelan-
gen. Die verstärkte Inanspruchnahme dieses Mechanismus durch Entwick-
lungsländer oder auf die Verurteilung der USA im Foreign Sales Corpora-
tions Fall belegen die Richtigkeit des multilateralen Ansatzes.

II. Der Deutsche Bundestag fordert vor diesem Hintergrund die Bundes-
regierung auf,

1. im Rahmen der langfristigen sektoralen Konzepte der bilateralen deutschen
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit einen Schwerpunkt auf die Durch-
führung solcher strukturellen Anpassungsmaßnahmen zu setzen, die es den
Entwicklungsländern ermöglichen, die sich aus der Öffnung der Märkte und
der Globalisierung ergebenden Entwicklungschancen zu nutzen;

2. die Finanzierung verstärkter Hilfeleistung für Entwicklungsländer muss
langfristig sichergestellt werden, damit diese ihre Interessen in einer multi-
lateralen Welthandelsordnung wahrnehmen können. Der neue Doha-Devel-
opment Agenda Global Trust Fund ist auch mit deutscher Beteiligung ent-
sprechend finanziell auszustatten. Dadurch wird ein wichtiges positives
Zeichen gegenüber den Entwicklungsländern gesetzt;

3. die Bemühungen um weitergehende institutionelle Reformen der WTO als
Organisation und Verhandlungsforum müssen verstärkt fortgesetzt werden.
Dazu gehören höhere Effizienz, Transparenz und eine bessere Einbindung
der Parlamente z. B. in Form einer Parlamentarischen Versammlung bei der
WTO;

4. um Protektionismus über Anti-Dumping- und Anti-Subventionsmaßnahmen
einzudämmen, muss so schnell wie möglich eine restriktivere Auslegung der
Schutzklausel nach Artikel 19 GATT-Abkommen durchgesetzt werden. Dies
ist deshalb besonders wichtig, weil das Multifaserabkommen 2005 endgültig
aufgehoben wird und die Versuchung groß sein könnte, ein Quotenregime
durch Anti-Dumping-Maßnahmen zu ersetzen. Dies würde besonders Ent-
wicklungs- und Schwellenländer treffen;

5. sich massiv für die Integration der Wettbewerbspolitik in das WTO-Regel-
werk einsetzen. Ziel muss es sein, mittelfristig Wettbewerbspolitik als neuen
Teil der WTO-Überprüfungsmechanismen zu etablieren und langfristig zu
einem Rahmen gemeinsamer Wettbewerbsregeln und zu einer globalen
Wettbewerbsordnung unter dem Dach der WTO zu kommen;

6. die Ausarbeitung und Vereinbarung von Sozialstandards sollte ausschließ-
lich der internationalen Arbeitsorganisation (IAO) überlassen bleiben. Wie
die Diskussion um die EU-Forderung, die Arbeit von WTO und IAO institu-
tionell zu verknüpfen in Doha gezeigt hat, schüren alle Versuche, Handels-
politik und Sozialstandards unter dem Dach der WTO zu vereinen, das Miss-
trauen der Entwicklungsländer und tragen nichts zu deren weiteren Sensibi-
lisierung für dieses Thema bei. Der Verbesserung der sozialen Lage der
Menschen in den Entwicklungsländern dienen offene Weltmärkte und die
gezielte Bekämpfung von Missständen, etwa durch das Internationale Pro-
gramm zur Abschaffung der Kinderarbeit (IPEC), das auf IAO-Definitionen
fußt, besser als das Drohen mit Handelssanktionen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8272

7. die Welttextilmärkte sind Ende 2004 wie bisher vorgesehen uneingeschränkt
zu liberalisieren. Die Bundesregierung muss sich allen Versuchen widerset-
zen, hier protektionistische Hintertüren zu öffnen, gleichgültig, ob solche
Vorstöße von Industrieländern oder von protektionistisch gesonnenen
Entwicklungsländern gestartet werden;

8. sich im Rahmen der EU für einen konkreten Zeitplan für das Ende der Ex-
porterstattungen im Agrarhandel einzusetzen, die den Markt erheblich und
besonders zu Lasten der Entwicklungsländer verzerrt haben. Die Bundesre-
gierung wird aufgefordert, sich außerdem im Rahmen der EU dafür einzuset-
zen, dass intensiv geprüft wird, inwieweit bestimmte Marktordnungen den
Handel der EU mit den Entwicklungsländern beeinträchtigen bzw. verzerren
und mit welchen Reformen der Handel im beidseitigen Interesse intensiviert
und störungsfreier ausgestaltet werden könnte.

Berlin, den 19. Februar 2002
Gudrun Kopp
Rainer Brüderle
Paul K. Friedhoff
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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