BT-Drucksache 14/8153

Auswirkungen der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das NPD-Verbotsverfahren II

Vom 28. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8153
14. Wahlperiode 28. 01. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Petra Pau, Sabine Jünger,
Roland Claus und der Fraktion der PDS

Auswirkungen der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das
NPD-Verbotsverfahren II

Am 22. Januar 2002 hat das Bundesverfassungsgericht die mündlichen Ter-
mine im NPD-Verbotsverfahren aufgehoben. Bei einem Telefongespräch eines
Abteilungsleiters des Bundesministeriums des Innern (BMI) mit einem
Mitglied des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts soll der Beamte den
Hinweis gegeben haben, dass es sich bei einer der 14 vom Gericht geladenen
Anhörungspersonen aus dem rechtsextremen Spektrum um einen (ehemaligen)
V-Mann eines Landesamtes für Verfassungsschutz handeln soll. Aussagen die-
ser Person finden sich im Verbotsantrag der Bundesregierung, des Bundesrates
und des Deutschen Bundestages, ohne dass kenntlich gemacht wäre, dass es
sich bei ihr um einen (ehemaligen) V-Mann eines Landesamtes für Verfas-
sungsschutzes oder eines anderen Geheimdienstes handelt.
Medienberichten zufolge soll es sich bei dem V-Mann um das ehemalige NPD-
Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Frenz, einen langjährigen Funktionär der
NPD Nordrhein-Westfalen handeln. Die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ (17. Ja-
nuar 2002) meldete, dass Wolfgang Frenz bis 1995 für das nordrhein-westfäli-
sche Landesamt für Verfassungsschutz in Düsseldorf tätig gewesen sei. Der
Verbotsantrag der Bundesregierung sei unter anderem mit drei Zitaten aus sei-
nem 1998 erschienenen Buch „Verlust der Väterlichkeit oder Das Jahrhundert
der Juden“ begründet worden (in den Verbotsanträgen des Deutschen Bundes-
tages und des Bundesrates wird dieses Buch noch öfter zitiert!). In einer Presse-
mitteilung des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Fritz Beh-
rens, vom 23. Januar 2002 erklärt dieser, „bereits 1995 ist die Zusammenarbeit
mit ihm endgültig beendet worden“. Nach einem Bericht in der Südwest-
rundfunk-Sendung „Report Mainz“ vom 23. Januar 2002 soll der 66-jährige
Wolfgang Frenz 36 Jahre lang für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen
gearbeitet und dafür monatlich 600 bis 800 DM Honorar erhalten haben.
Darüber hinaus gibt es ernstzunehmende Informationen, nach denen nicht aus-
zuschließen ist, dass sich unter den 14 vom Gericht geladenen Anhörungs-
personen zumindest eine weitere Person befindet, die für ein Landesamt bzw.
das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig sein soll. Laut der Berliner Zeitung
„DER TAGESSPIEGEL“ vom 23. Januar 2002 handelt es sich bei dem
V-Mann um den NPD-Bundesschatzmeister Erwin Kemna. Dieser werde eben-
falls vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen als „Vertrauensperson“ ge-
führt, berichtete die Zeitung und berief sich dabei auf Sicherheitskreise. Erwin
Kemna ist Mitglied des NPD-Bundesvorstands und des Landesvorstands in
Nordrhein-Westfalen.

Drucksache 14/8153 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bereits im Zusammenhang mit der Enttarnung des Thüringer Neonazis und
führenden NPD-Funktionärs Tino Brandt als V-Mann des Thüringer Ver-
fassungsschutzes wurde in der Kleinen Anfrage der Fraktion der PDS „Aus-
wirkungen der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das NPD-Verbotsver-
fahren“ (Bundestagsdrucksache 14/6238) die Frage aufgeworfen, inwieweit der
V-Leute-Einsatz durch die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes
das NPD-Verbotsverfahren negativ beeinflussen könnte – zumal wenn die
V-Leute an herausgehobener Stelle in rechtsextremen Parteien und Organisatio-
nen tätig sind und ihre Aktivitäten in den Verbotsanträgen als Belege angeführt
würden. Es bestehe nicht zuletzt die Gefahr, dem Verfassungsschutz könne die
Rolle eines „Agent Provokateur“ zugewiesen werden.
Damals antwortete die Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/6301) äu-
ßerst zurückhaltend und verwies lediglich darauf, das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz selbst „achte unter strikter Einhaltung der Vorgaben des Bundes-
verwaltungsgerichts über die nachrichtendienstliche Beobachtung (BVerwGE
110, 126 ff., 139) bei der eigenen Quellenführung darauf, dass diese nicht die
Zielsetzung oder Aktivitäten eines Beobachtungsobjekts entscheidend bestim-
men“.
Nach dem Bericht des Bundesministers des Innern, Otto Schily, vor dem Innen-
ausschuss des Deutschen Bundestags am 23. Januar 2002 muss davon ausge-
gangen werden, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD offenbar seit langem
durch eine Arbeitsgruppe von Vertretern mehrerer Innenministerien von Bund
und Ländern sowie mehrerer Verfassungsschutzbehörden begleitet wird. Diese
stellt offenbar das bei den Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungs-
schutz sowie den Innenministerien der Länder vorhandene Material zusammen,
sichtet und aktualisiert es und leitet es schließlich an die Prozessparteien bzw.
die Anwälte der Bundesregierung, des Bundesrates und des Deutschen Bundes-
tages weiter.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Um welche Person (oder Personen) handelt es sich bei dem V-Mann (V-Leu-

ten)?
a) Welche Funktionen hatte(n) und hat er (haben sie) innerhalb der rechts-

extremistischen Szene inne?
b) Welche Landesämter für Verfassungsschutz haben ihn bzw. sie in

welchem Zeitraum als V-Leute geführt und wie viel Geld wurde für diese
Tätigkeit gezahlt?

c) Mussten diese V-Leute während ihrer Tätigkeit für den Verfassungs-
schutz milieubedingte Straftaten begehen und wenn ja, welche waren
dies im Einzelnen (bitte aufschlüsseln)?

2. Zu welchem Zeitpunkt der Erarbeitung des Verbotsantrages bzw. des Ver-
botsverfahrens und von wem hat die Bundesregierung Kenntnis davon er-
halten, dass mindestens eine der 14 vom Gericht geladenen Anhörungsper-
sonen für ein Landesamt für Verfassungsschutz tätig war bzw. ist und wie
hat sie darauf reagiert?

3. Wann wurden
a) das parlamentarische Kontrollgremium,
b) das Bundesverfassungsgericht
über den Vorgang unterrichtet?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8153

4. Aus welchem Grund ist im Verbotsantrag der Bundesregierung nicht kennt-
lich gemacht worden, dass es sich bei einzelnen Passagen um Aussagen von
V-Leuten handelt und warum wurden diese Aussagen überhaupt verwandt?

5. Welche Personen aus welchen Ministerien und Ämtern gehören der für das
Prozessmaterial zuständigen Bund-Länder-Arbeitsgruppe an?
a) Wie oft hat sich diese Arbeitsgruppe getroffen?
b) Was hat sie beraten und beschlossen?
c) Gibt es Protokolle dieser Arbeitsgruppentreffen und wenn ja, wieso er-

halten weder die an dem Verbotsverfahren gegen die NPD beteiligten
Fraktionen des Deutschen Bundestags noch anscheinend andere Verfas-
sungsorgane diese Protokolle?

6. Hat diese Arbeitsgruppe jemals eine Liste aller V-Leute in der NPD und
deren Umfeld zusammengestellt?
a) Wenn ja, wann geschah das und wo ist diese Liste?
b) Warum haben die Fraktionen des Deutschen Bundestags, die Anwälte

und offenbar auch das Bundesverfassungsgericht bis heute diese Liste
nicht?

c) Wenn diese Liste nicht erstellt wurde, wer ist dafür verantwortlich, dass
dies nicht geschah?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die politischen Akti-
vitäten von Wolfgang Frenz und ggf. anderen V-Leuten und deren Bedeu-
tung für die bundesdeutsche rechtsextreme Szene und die Entwicklung der
NPD in den vergangenen fünf Jahren?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über schwere Straftaten von
Mitgliedern oder Sympathisanten der NPD-Nordrhein-Westfalen, die wäh-
rend der Amtszeit von Wolfgang Frenz als NPD-Landesvorsitzender und
seiner Tätigkeit als V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz
Nordrhein-Westfalen verübt wurden (bitte aufschlüsseln; falls mehrere V-
Leute bekannt sind, bitte entsprechend beantworten)?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung mit Blick auf das Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts die Führung von V-Leuten, die eine derart exponierte
Stellung innerhalb des rechtsextremen Spektrums innehaben?
Erwägt die Bundesregierung eine generelle Einschränkung des Einsatzes
von V-Leuten und wenn ja, in welcher Form?

10. Kann die Bundesregierung sicherstellen, dass sich unter den 14 vom Bun-
desverfassungsgericht bestellten Anhörungspersonen und weiteren im Ver-
botsantrag zitierten rechtsextremen Aktivisten neben dem jetzt bekanntge-
wordenen Fall keine weiteren V-Leute eines Landesamtes bzw. des
Bundesamtes für Verfassungsschutz oder eines anderen bundesdeutschen
Geheimdienstes befinden?

11. Wie bewertet die Bundesregierung den politischen und juristischen Scha-
den, der mit Blick auf das NPD-Verbotsverfahren durch die Fälle Tino
Brandt und den aktuellen Fall entstanden ist und welche Konsequenzen
will die Bundesregierung daraus ziehen, dass offenbar Mitarbeiter von Ver-
fassungsschutzbehörden selbst die obersten Verfassungsorgane der Repub-
lik über wichtige Tatsachen wie die Vergangenheit von in Verbotsverfahren
genannten Zeugen als frühere V-Leute nicht unterrichten?

12. Denkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des eingetretenen Scha-
dens über eine Neuregelung der parlamentarischen Kontrolle der Geheim-
dienste nach und wenn ja, wie soll diese aussehen?

Drucksache 14/8153 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
13. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Vorgang im
Hinblick auf die seit vielen Monaten in der Öffentlichkeit und auch im
Deutschen Bundestag geforderte Schaffung einer unabhängigen Beobach-
tungsstelle gegen Rassismus und Rechtsextremismus?

Berlin, den 23. Januar 2002
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Petra Pau
Sabine Jünger
Roland Claus und Fraktion

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