BT-Drucksache 14/7876

Klimapolitische Schlussfolgerungen aus dem Energiebericht des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7876
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun
(Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Klaus Haupt, Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Ulrich Irmer, Gudrun Kopp,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Klimapolitische Schlussfolgerungen aus dem Energiebericht des Bundesminis-
ters für Wirtschaft und Technologie

Am 27. November 2001 hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technolo-
gie, Dr. Werner Müller, den Energiebericht „Nachhaltige Energiepolitik für
eine zukunftsfähige Energieversorgung“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Unter
der Annahme, dass die zu Beginn der Legislaturperiode von der Bundesregie-
rung festgelegten Rahmenbedingungen für den Energiebereich unverändert
bleiben, werden dort u. a. zwei bis zum Jahr 2020 reichende Szenarien einander
gegenübergestellt und deren Konsequenzen für die Energie- und Klimapolitik
erläutert. Das erste Szenario gelangt zu dem Ergebnis, dass die CO2-Emissio-nen in Deutschland bis zum Jahr 2020 voraussichtlich um 156 Mio. Tonnen,
also um 16 % gegenüber 1990 sinken werden. Ein zweites Szenario untersucht,
welche Anpassungen auf den Energiemärkten notwendig wären, wenn die
CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2020 weitergehend, gegenüber1990 nämlich um rund 40 %, reduziert werden sollten und welche wirtschaftli-
chen Folgen damit gegebenenfalls verbunden wären. Für die im zweiten im
Vergleich zum ersten Szenario zu leistende Mehr-Reduktion von ca. 240 Mio. t
Kohlendioxid weist der Bericht gesamtwirtschaftliche Zusatzkosten von kumu-
liert rd. 500 Mrd. DM aus. Unter den von der Bundesregierung festgelegten
Rahmenbedingungen betragen die Vermeidungskosten pro Tonne Kohlendio-
xid in Deutschland demnach rund 2 100 DM.
Dem ist der mittlere Tonnenpreis gegenüberzustellen, der gegenwärtig auf dem
Weltmarkt für CO2-Zertifikate unter Nutzung der so genannten flexiblen Me-chanismen des Kyotoprotokolls entrichtet werden muss. Die Bundesregierung
berichtet dazu in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP
„Klimaschutzprogramm der Bundesregierung und Umsetzung des Kyotoproto-
kolls in Deutschland (Nachfrage)“ (Bundestagsdrucksache 14/7422) unter an-
derem von den Niederlanden, welche die flexiblen Mechanismen des Kyoto-
protokolls seit längerem intensiv nutzen; im Rahmen der dortigen Programme
liegen die Reduktionskosten für eine Tonne Kohlendioxid deutlich unter
10 US-Dollar, betragen also weniger als 20 DM. Ferner beziffern die in der
Antwort der Bundesregierung zitierten wissenschaftlichen Schätzungen der
Preise für Emissionszertifikate überwiegend eine Spanne zwischen drei und

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sieben US-Dollar. Damit liegen die im Energiebericht des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, zugrunde gelegten Vermei-
dungskosten für eine Tonne Kohlendioxid in Deutschland um das Hundertfache
höher als der mittlere Tonnenpreis, der gegenwärtig auf dem Weltmarkt für
CO2-Zertifikate unter Nutzung der so genannten flexiblen Mechanismen desKyotoprotokolls entrichtet werden muss. Mit anderen Worten: Die Kosten des
Klimaschutzes in Deutschland könnten – unter Beibehaltung nationaler An-
strengungen – durch eine Nutzung der flexiblen Mechanismen des Kyotoproto-
kolls und den Handel mit Emissionszertifikaten drastisch gesenkt werden.
Zur Einführung eines Zertifikatehandels in Deutschland äußern sich indessen
sowohl die Bundesregierung als auch die Fraktionen der Regierungskoalition
widersprüchlich: Nachdem ein Antrag der Fraktion der FDP zur konkreten Vor-
bereitung eines Börsenhandels mit Emissionszertifikaten noch am Vorabend
der Sechsten Weltklimakonferenz mit den Stimmen der Regierungskoalition im
Deutschen Bundestag abgelehnt worden war, hat das Bundeskabinett entspre-
chend einem wiederholten Antrag der Fraktion der FDP (zuletzt am 14. No-
vember 2001 auf Bundestagsdrucksache 14/7450) am 5. Dezember 2001 end-
lich den Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Kyotoprotokolls beschlossen.
Obwohl dieses Protokoll die Einführung eines internationalen Zertifikatehan-
dels ausdrücklich vorsieht, hat sich der Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie, Dr. Werner Müller, – genau an jenem Tag, an dem das Bundeska-
binett den Gesetzentwurf zur deutschen Ratifizierung des Kyotoprotokolls be-
schlossen hatte – ablehnend zum Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur
Einführung eines europäischen Emissionsrechtehandels geäußert (Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 5. Dezember 2001). Die einander grundsätzlich wi-
dersprechenden Äußerungen erfordern eine Klarstellung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wird die Bundesregierung im Eindruck ihres Gesetzentwurfs zur Ratifizie-

rung des Kyotoprotokolls auch in Deutschland den Handel mit Emissions-
zertifikaten auf nationaler Ebene einführen und sich an der Nutzung der fle-
xiblen Mechanismen des Kyotoprotokolls auf internationaler Ebene
beteiligen?

2. Wenn nein, welche Vorstellungen verbindet die Bundesregierung stattdessen
mit einer Ratifizierung des Kyotoprotokolls?

3. Wenn ja, in welcher konkreten Form und bis zu welchem Zeitpunkt gedenkt
die Bundesregierung geeignete Maßnahmen zu ergreifen?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den Richtlinienentwurf der EU-Kommis-
sion vom 23. Oktober 2001, der die Einführung eines europaweiten Handels
mit Emissionszertifikaten für bestimmte Branchen bzw. Anlagen ab 2005
vorsieht?

5. Welche Position vertritt die Bundesregierung – mit Blick auf die Vorstellun-
gen im vorgenannten EU-Richtlinienentwurf – zur Frage absoluter Emissi-
onsobergrenzen für bestimmte Sektoren, Branchen oder Unternehmen, zur
Bestimmung möglicher Marktteilnehmer, zur verpflichtenden Teilnahme am
Zertifikatehandel, zum Verfahren der (Erst-)Zuweisung von Emissionsrech-
ten sowie zur Gewährleistung von Transparenz, Überwachung und Kon-
trolle eines Zertifikatehandels?

6. Wie will die Bundesregierung einen deutschen Handel mit Emissionszertifi-
katen ggf. konkret mit den im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung
vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere mit der sog. Ökosteuer und der
freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft verbin-
den?

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7. Wann wird der mehrfach für das Jahresende 2001 angekündigte Abschluss-
bericht der beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit angesiedelten „Arbeitsgruppe Emissionsrechtehandel“ vorgelegt
und wie ist der gegenwärtige Stand der Beratungen in diesem Gremium?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der Energiebe-
richt des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Mül-
ler, als Plädoyer für die möglichst baldige Einführung eines Handels mit
Emissionszertifikaten zu werten ist, weil die Kosten für den Klimaschutz im
Vergleich zu den von der Bundesregierung bisher ergriffenen Maßnahmen
auf diesem Wege erheblich reduziert werden könnten?

9. Teilt die Bundesregierung mit der FDP unverändert das nationale Klima-
schutzziel, bis 2005 eine Reduzierung der CO2-Emissionen in Deutschlandum 25 % gegenüber 1990 zu erreichen und wie bewertet sie das langfristige
Ziel einer Reduktion um 40 % bis zum Jahr 2020?

Berlin, den 11. Dezember 2001
Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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