BT-Drucksache 14/7841

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Bundesregierung -14/6890, 14/7261, 14/7825- Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7841
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun
(Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Ulrich Irmer, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie der Bundesregierung
– Drucksachen 14/6890, 14/7261, 14/7825 –

Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur
gewerblichen Erzeugung von Elektrizität

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der für das „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur ge-
werblichen Erzeugung von Elektrizität“ federführende Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages hat sich im Rah-
men einer Anhörung von Sachverständigen am 5. November 2001 mit dem vor-
gelegten Gesetzentwurf befasst. Die anwesenden Experten haben in großer Zahl
gegenüber der Regierungsvorlage begründete Bedenken geäußert. Vor demHin-
tergrund dieser Einwände ist der Ausstieg aus der Kernenergie in der vorgesehe-
nen Form sowohl aufgrund klimapolitischer Erwägungen als auch aus for-
schungs- und sicherheitspolitischen Gründen abzulehnen.
Um den so genannten Ausstieg aus der Kernenergie ohne Risiko für eine sichere
Stromversorgung in Deutschland bewältigen zu können, muss der dadurch be-
wirkte Ausfall bei der Stromerzeugung kompensiert werden. Ergänzt durch
einen – derzeit noch geringen – Beitrag der erneuerbaren Energieträger wird der
erhebliche Kompensationsbedarf nach den Angaben im jüngsten Energiebericht
des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie durch einen stärkeren
Rückgriff auf fossile Energieträger, namentlich auf Kohle undGas zu bewältigen
sein, was einen entsprechenden Anstieg der Kohlendioxidemissionen bewirken
wird. Will man den Ausstoß von Treibhausgasen tatsächlich verringern, ist ein
schlüssiges Energiekonzept unverzichtbar. Solange aber die zentrale Frage offen
bleibt, wie auf die Kernenergie langfristig verzichtet werden kann, ohne die
Atmosphäre durch den verstärkten Einsatz fossiler Brennstoffe zusätzlich zu be-

Drucksache 14/7841 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

lasten, ist der beabsichtigte Ausstieg aus der Kernenergie nicht zu vertreten. Als
Übergangsenergie muss die Kernenergie solange Bestandteil des Energiemixes
bleiben, wie nicht andere CO2-freie Energieträger ihren Anteil am Energiemixersetzen. Daher bleibt es derzeit nötig, die Option zur künftigen Nutzung der
Kernenergie offenzuhalten und insbesondere Forschung und Entwicklung in die-
sem Bereich weiterzuführen. Dies gilt mit Blick auf die Entsorgungsfrage auch
für die Fortführung der Erkundungsarbeiten bereits ausgewählter Lagerstätten
für radioaktiven Abfall.
Der beabsichtigte Ausstieg aus der Kernenergie ohneAlternative gefährdet über-
dies massiv die Führungsrolle Deutschlands im Bereich der nuklearen Sicher-
heit. Deshalb darf die konsequente Forschung und Weiterentwicklung im Be-
reich der Kernenergietechnologien – auch mit Blick auf den Bereich der
Kernfusion – nicht behindert werden. Zu vergegenwärtigen sind in diesem Zu-
sammenhang nicht zuletzt die technologischen Entwicklungen in anderen Län-
dern innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Vordringlich, um die Ge-
fahr katastrophaler Freisetzungen aus Reaktoranlagen auszuschließen und um
radioaktive Abfälle zu minimieren, zielen diese u. a. auf eine Verbesserung der
Sicherheit von Leichtwasserreaktoren sowie auf die Entwicklung inhärent siche-
rer Hochtemperaturreaktoren. Im Vordergrund der internationalen kerntech-
nischen Forschung stehen überdies Transmutationsverfahren und die Entwick-
lung innovativer Brennelemente zur Umwandlung praktisch aller langlebigen
radioaktiven Reststoffe. Der Beschluss der Bundesregierung zum so genannten
Atomausstieg koppelt Deutschland insoweit von der internationalen Entwick-
lung ab und bewirkt einen durchgreifenden Kompetenzverlust Deutschlands bei
der internationalen Kooperation mit anderen Ländern. Nach Expertenmeinung
ist der deutsche Einfluss in internationalen Gremien gegenwärtig bereits redu-
ziert. Die Möglichkeiten einer Einflussnahme Deutschlands auf die Festlegung
von Kriterien zur Sicherheit und Abfallminimierung verringern sich zusehends.
Kerntechnischer Kompetenzerhalt, Mitsprache bei der Entwicklung höchster in-
ternationaler Sicherheitsstandards sowie der Umstieg auf inhärent sichere Kern-
kraftwerke liegen aber im Interesse der Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger,
zumal rund 100 kerntechnische Anlagen in unmittelbarer Nachbarschaft
Deutschlands betrieben werden. Kerntechnische Fachkompetenz muss bei den
Kraftwerksbetreibern und Aufsichtsbehörden der Länder sowie nicht zuletzt
auch im Bundesamt für Strahlenschutz und im Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit erhalten und fortentwickelt werden. Auch für
einen Rückbau oder eine Stilllegung von Anlagen sowie für die Entsorgung der
Abfälle ist umfangreiches kerntechnisches Fachwissen unabdingbar. Alle am
Betrieb kerntechnischer Anlagen beteiligten Stellen sowie die Hochschulen und
andere Forschungseinrichtungen benötigen auch in Zukunft kompetente Mitar-
beiter in ausreichender Zahl. Demgegenüber hat sich in Deutschland seit 1998
die Anzahl jener Personen, welche ein Hochschulstudium im Bereich der Reak-
tortechnik, Reaktorphysik, Strahlentechnik, Radiochemie oder anderen für die
Bedienung undWartung vonKernreaktoren nötigen Fächern aufgenommen bzw.
erfolgreich abgeschlossen haben, stark verringert. Absehbar ist insoweit, dass
auch dieAnzahl kerntechnischer Lehrstühle inDeutschland, die in den vergange-
nen Jahren schon auf etwa ein Viertel derjenigen in den achtziger Jahren zurück-
gegangen war, noch weiter reduziert werden wird (siehe dazu auch die Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP „Fachkräfte
im Bereich der Reaktorsicherheit und der Beschluss zum Ausstieg aus der Kern-
kraft“ – Bundestagsdrucksache 14/4022). Im Eindruck des Ausstiegsbeschlusses
der Bundesregierung wird in Fachkreisen allgemein erwartet, dass der Bedarf
von Betreibern, Firmen, Gutachterorganisationen, Aufsichts- und Genehmi-
gungsbehörden sowie an den Hochschulen und Forschungszentren schon in
wenigen Jahren von deutscher Seite nicht mehr gedeckt werden kann.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7841

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– den eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der

Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität zurückzu-
ziehen und

– dem Deutschen Bundestag stattdessen ein energiepolitisches Gesamtkonzept
vorzulegen, welches sowohl den dargelegten forschungs- und sicherheits-
politischen Anforderungen als auch den klimapolitischen Verpflichtungen
Deutschlands angemessen Rechnung trägt.

Berlin, den 11. Dezember 2001
Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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