BT-Drucksache 14/7832

Opferrechte stärken und verbessern

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7832
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim
Günther (Plauen), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gerhard Schüßler, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Opferrechte stärken und verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Schutz und die Rechte des Opfers von Gewaltverbrechen gehören in den
Mittelpunkt des Strafverfahrens. Häufig ist im Strafrecht die Strafe für den
Täter von gesteigertem öffentlichem Interesse. Aber auch der Frieden des
Opfers fordert den Rechtsstaat. Opfer einer Straftat zu werden gehört zu den
schlimmsten Erfahrungen eines Menschen.
Im Strafverfahren muss daher ein möglichst schonender Umgang mit Gewalt-
opfern im Vordergrund stehen. Hier ist das Opfer einer Straftat nämlich in vie-
len Fällen ein wichtiger Zeuge und daher gezwungen, sich intensiv mit der Tat
und dem Täter auseinanderzusetzen. Wie verletzend und demütigend dies sein
kann, verdeutlicht das Beispiel eines Vergewaltigungsopfers.
Jeder an einem Strafverfahren Beteiligte hat Anspruch auf einen fairen Um-
gang. Hierzu zählt insbesondere das Opfer. Die Akzeptanz unserer Gesetze und
der Rechtsordnung werden wir nur dann sichern können, wenn sich auch die
Opfer von Straftaten vom Staat gerecht behandelt fühlen. Der Opferschutz ge-
hört daher zu den zentralen Themen der Rechtspolitik. Bürgerrechte sind auch
immer Mitwirkungsrechte des Bürgers. Wer Bürgerrechte wirklich ernst
nimmt, für den steht das Opfer daher im Mittelpunkt der Überlegungen.
In den strafrechtlichen Diskussionen der 70er Jahre wurde das Opfer jedoch
schlicht übersehen, da das Straf- und Strafprozessrecht zu täterbezogen orien-
tiert waren.
Bereits in der letzten Wahlperiode hat jedoch ein Paradigmenwechsel in der
Rechtspolitik stattgefunden, wodurch die rechtliche, tatsächliche und psycholo-
gische Situation der Opfer und Zeugen durch verschiedene gesetzliche Maß-
nahmen entscheidend verbessert worden ist. So sind Opfer heute als selbstän-
dige Verfahrensbeteiligte anerkannt und sie können einen Opferanwalt auf
Kosten des Staates erhalten. Darüber hinaus können schutzbedürftige Zeugen
per Video außerhalb des Gerichtsaales vernommen werden. Die Opfer können
auf Honorare zugreifen, die die Täter für die öffentliche Vermarktung der Tat
erhalten. Insbesondere hat sich der Täter-Opfer-Ausgleich dort, wo er auch vom
Opfer akzeptiert wird, bewährt. Dabei wird der Täter mit den Folgen seiner Tat,

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insbesondere mit dem Leid des Opfers, dass es bislang nur anonym erfahren
hat, konfrontiert.
Die Bundesregierung hat durch ihre bisherigen Initiativen und Ankündigungen
in der Rechtspolitik gezeigt, dass sie diesen Kurs nicht entschieden genug fort-
setzen will. Die Diskussionen der vergangenen Monate um die Aufhebung der
sog. Terroristengesetze und die Stärkung von Verteidigerrechten im Strafpro-
zess zeigen, dass die Bundesregierung zu den Schwerpunkten der 70er Jahre
zurückkehrt.
Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
im Rahmen der Überlegungen zur Reform des Strafprozessrechts, des Straf-
rechts sowie der Opferschutzgesetze folgende Forderungen umzusetzen:
1. Die Strafprozessordnung ist um eine Änderung zum so genannten Adhäsions-

verfahren zu ergänzen, so dass dieses weit häufiger durchgeführt wird, als
gegenwärtig.

2. Die Strafprozessordnung ist um eine klarstellende Änderung beim Täter-
Opfer-Ausgleich zu ergänzen, so dass die Wiedergutmachung durch den
Täter in der Praxis noch häufiger genutzt wird.

3. Die Vorschriften über den Verfall und die Einziehung von kriminellen Ver-
mögensgegenständen im Strafgesetzbuch sind neu zu fassen, damit zukünf-
tig effektiv von ihnen Gebrauch gemacht werden kann.

4. Das Jugendgerichtsgesetz ist um die Bereitstellung eines Opferanwalts und
die Zulassung der Nebenklage zu ergänzen.

5. Die Beschränkung des Rechtsmittels gemäß § 400 Abs. 1, 1. Alt. StPO wird
abgeschafft.

6. In das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist eine Vorschrift aufzunehmen,
die die Strafgerichte, Staatsanwaltschaften und Polizei verpflichtet, Opfer
auf das OEG aufmerksam zu machen.

7. Das OEG ist so zu ergänzen, dass sowohl dem Opfer, als auch den nahen
Angehörigen ein Anspruch auf Beratung und Betreuung zur Bewältigung
der psychischen Folgen oder zur Wiedereingliederung in das Berufsleben
eingeräumt werden.

8. Die Bundesregierung wird aufgerufen, auf die Bundesländer dahin gehend
einzuwirken, weitere Opferschutzstiftungen zu errichten.

Berlin, den 11. Dezember 2001
Jörg van Essen
Rainer Funke
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger

Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Wolfgang Gerhard und Fraktion

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Begründung
Zu 1. Das Adhäsionsverfahren, mit dem das Opfer die Möglichkeit hat, bereits

im Strafverfahren seine zivilrechtlichen Ansprüche geltend zu machen,
hat in der Praxis nie eine nennenswerte Bedeutung erlangt. Dies führt
dazu, dass die Opfer ihre Opferrolle zweimal durchleben müssen, im
Strafprozess und im anschließenden Zivilprozess. Zudem verzögert sich
der Zeitpunkt der endgültigen gerichtlichen Aufarbeitung der Straftat er-
heblich. Das Adhäsionsverfahren muss grundsätzlich regelmäßig durch-
geführt werden. Abweisungen durch das Gericht dürfen nur in eng be-
grenzten Ausnahmefällen zulässig sein.

Zu 2. Praxisorientierte Ausführungsrichtlinien sind nötig. Notwendig ist darü-
ber hinaus die persönliche Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen. Der erzieherische Wert des Täter-Opfer-Ausgleichs hat
sich insbesondere im Jugendstrafrecht bewährt. Allerdings sollte auch
weiterhin nie ein Täter-Opfer-Ausgleich gegen den Willen eines Opfers
durchgeführt werden.

Zu 3. Das Problem des geltenden § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB besteht darin, dass
nach dieser Vorschrift die Anordnung des Verfalls ausgeschlossen ist, so-
weit ein Verletzter aus der Tat einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den
Täter auf Rückerstattung des Erlangten hat. Dabei spielt es keine Rolle,
ob der Geschädigte bekannt ist oder er seinen Anspruch geltend macht.
Es genügt vielmehr, dass die Forderung abstrakt besteht. Diese Regelung
führt in der Praxis in Fällen, in denen Tatverletzte nicht ermittelt werden
können, oft zu dem unbilligen Ergebnis, dass ein Straftäter Vermögens-
gegenstände, die er eindeutig aus strafbaren Handlungen erworben hat,
für sich behalten kann. Ansprüche des Tatverletzten auf Erstattung des-
sen, was der Täter unmittelbar durch die rechtswidrige Tat erlangt hat,
sollen auch im Stadium des Vollstreckungsverfahrens befriedigt werden.
Es ist dabei sicherzustellen, dass etwaige Ausgleichsansprüche durch die
Gewinnabschöpfung in ihrer Realisierbarkeit nicht unangemessen beein-
trächtigt werden. Vielmehr erfordert es der strafrechtliche Opferschutz,
die Lage der durch Straftaten finanziell geschädigten Opfer nach Mög-
lichkeit zu verbessern und zu erleichtern. Die Rückerstattungs- oder Ent-
schädigungsansprüche des Opfers sind gegenüber denen des Staates zu
privilegieren.

Zu 4. Die Nebenklage ist gemäß § 80 Abs. 3 JGG gegen Jugendliche unzu-
lässig. Diese Regelung ist bislang als Jugendschutzvorschrift verstanden
worden. Das Verhältnis zwischen dem jugendlichen Straftäter auf der
einen Seite und dem Opfer auf der anderen Seite bedarf einer neuen
Balance. Der Erziehungsgedanke des Jugendstrafverfahrens darf nicht
dazu führen, dass dem Opfer wesentliche Rechte versagt werden. Gerade
Jugendliche sollen erkennen, was sie dem Opfer konkret angetan haben.
Es kann gerade dem Erziehungs- und Resozialisierungsgedanken dienen,
wenn dem jugendlichen Straftäter im Verfahren deutlich vor Augen
geführt wird, was er seinem Opfer angetan hat. Eine stärkere Akzentuie-
rung der Opferinteressen ist geeignet, die Einsicht und das Verantwor-
tungsbewusstsein beim jugendlichen Straftäter zu fördern. Die besonde-
ren Umstände des Jugendgerichtsverfahrens und die Berücksichtigung
des Persönlichkeitsschutzes müssen gewährleistet werden. Eine Ein-
schränkung dieser Grundsätze ist durch die Zulassung der Nebenklage
im Jugendgerichtsverfahren jedoch nicht zu erkennen.

Zu 5. Das Opferschutzgesetz hat die Beschränkung der Rechtsmittel für die
Opfer in Strafverfahren in die Strafprozessordnung eingefügt. Dem
Opferschutz wird diese Regelung nur unzureichend gerecht. Opfer sind
über geringe Strafen für die Täter oft enttäuscht und reagieren mit

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Unverständnis. Dem Genugtuungsinteresse dient dies sicher nicht. Dies
führt letztendlich dazu, dass das Vertrauen in die Justiz schwindet. Mit
der Zulassung von Rechtsmitteln wird die Position des Opfers im Straf-
verfahren wesentlich gestärkt. Das Bewusstsein, im Strafverfahren als
Teilnehmer mit Rechten und Pflichten ernstgenommen zu werden, wird
steigen. Es soll daher im Bereich der Zulassung von Rechtsmitteln die
Rechtslage wiederhergestellt werden, die vor Inkrafttreten des Opfer-
schutzgesetzes bestanden hat.

Zu 6. Das OEG ist in der Bevölkerung weithin unbekannt, so dass nur etwa ein
Siebtel der anspruchsberechtigten Gewaltopfer einen Antrag auf Ent-
schädigung nach dem OEG stellt. Eine gesetzliche Aufklärungsver-
pflichtung wird dazu dienen, die vielfältigen Möglichkeiten, die das
OEG bietet, für die Opfer transparenter zu machen.

Zu 7. Die Entschädigungsleistungen des OEG bestehen, gemäß entsprechender
Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, lediglich
im Ersatz der Kosten für die Heilbehandlung sowie Renten bei dauer-
hafter Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 25 %. Es fehlen
dagegen Leistungen wie die Beratung und psychologische Betreuung des
Opfers. Bei der staatlichen Beratung und psychologischer Betreuung der
Opfer handelt es sich um die wichtigsten Formen effektiver Opferhilfe.
Während das im StGB und im JGG vorgeschriebene Institut der Bewäh-
rungshilfe zurecht die Resozialisierung des Täters als Ziel verfolgt, fehlt
eine entsprechende Einrichtung zugunsten des Opfers, um diesem z. B.
nach längerer Rehabilitation den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu
erleichtern oder Hilfen bei der Bewältigung des Alltags zu verschaffen.
Insbesondere in den Fällen, wo Kinder Opfer eines sexuellen Gewaltver-
brechens werden, ist die intensive psychologische Betreuung der Eltern
unerlässlich.

Zu 8. Es sollen insbesondere Lücken des bestehenden Opferentschädigungs-
gesetzes geschlossen werden. Die Stiftungen sollen materielle Unter-
stützung für Gewaltopfer durch einmalige Schadensbeihilfen sowie
Schmerzensgeldersatz leisten. Die Beihilfen werden dabei nur gewährt,
wenn der Empfänger bedürftig ist und keine andere – private oder staat-
liche – Stelle vorrangig in Anspruch genommen werden kann. Bei Un-
zumutbarkeit der Realisierung eines anderweitigen Anspruchs kann die
Landesstiftung „Opferschutz“ in Vorleistung treten und gegebenenfalls
die Rechte des Opfers anschließend einklagen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Stiftungen soll die Förderung von Opfer-
zeugenbetreuungsprogrammen sein. Hiervon kann die Stärkung des
ehrenamtlichen Engagements zur Begleitung und Betreuung der Opfer
von Straftaten an den Gerichten ausgehen.

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