BT-Drucksache 14/7768

Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten

Vom 10. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7768
14. Wahlperiode 10. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Eva-Maria Bulling-
Schröter, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser,
Dr. Uwe-Jens Rössel, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Laut § 12 Abs. 3 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) liegt die Tarifho-

heit für den Schienenpersonenfernverkehr beim Bund und nicht bei der
Deutschen Bahn AG (DB AG).

2. Die DB AG hat im Juli 2001 ein neues umfassendes Bahnpreissystem in
seinen allgemeinen Grundlinien vorgestellt. Sie hat am 26. Oktober 2001
durch das für Marketing und Vertrieb zuständige Vorstandsmitglied
kundgetan, dass dieses neue Bahnpreissystem am 15. Dezember 2002 in
Kraft treten wird.

3. Das Bahnpreissystem von Bundesbahn und Reichsbahn bzw. dasjenige
der DB AG hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Es ist
heute wenig transparent und damit kundenfeindlich.

4. Das projektierte neue Bahnpreissystem ist bereits in den bisher bekann-
ten Grundzügen noch weniger transparent. Da bei diesem jede Verbin-
dung von Ort zu Ort individuell berechnet werden soll („Loco-Preis-Sys-
tem“) und dabei u. a. Kriterien wie die Auslastung der Züge zum Tragen
kommen und da es ein umfassendes System von Rabattpreisen bei Vor-
buchungen geben soll, wird die Kundschaft keinen allgemeinen Orientie-
rungspunkt für die zu erwartenden jeweiligen Kosten einer Bahnfahrt
mehr haben.

5. Das weitreichende neue Rabattsystem in diesem neuen Bahnpreissystem
ist an Vorbuchungen gebunden. Diese Vorbuchungen werden bei vielen
regelmäßig verkehrenden Zügen ein solches Ausmaß annehmen, dass die
Einhaltung von § 10 (AEG), wonach eine generelle Beförderungspflicht
bei den „regelmäßig verwendeten Beförderungsmitteln“ existiert, nicht
mehr gewährleistet sein dürfte.

6. Mit dem neuen Bahnpreissystem wird erstmals ein Preissystem aus-
schließlich für einen Teilbereich der Bahn, für den Fernreiseverkehr, fest-
gelegt. Seine Kompatibilität mit dem Nahverkehr, soweit er in Verant-
wortung der DB Regio durchgeführt wird, ist zumindest problematisch.
Eine Kompatibilität mit dem internationalen Bahnverkehr und mit der
wachsenden Zahl von Bahnbetreibern, die nicht der DB AG angehören,
ist definitiv nicht gegeben. Damit wird ein Bahnpreissystem vorgeschla-
gen, das die Ganzheitlichkeit des Schienenverkehrs zusätzlich in Frage
stellt und sich als kundenfeindlich erweisen dürfte.

Drucksache 14/7768 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

7. Die im neuen Bahnpreissystem vorgesehene Halbierung des BahnCard-
Rabattes stellt eine qualitative Abwertung dieser Karte und damit eine
erhebliche Verschlechterung der allgemeinen Zugangsmöglichkeit zum
Schienenverkehr dar.

8. Die mit dem neuen Bahnpreissystem vorgesehenen, zum Teil weitrei-
chenden Rabattsätze für Frühbucher, können als zusätzliche Elemente in
einem solchen Preissystem Sinn machen. Es ist jedoch wirklichkeits-
fremd darauf zu setzen, dass ein großer Teil der traditionellen Bahn-
kundschaft „zug-genau“ Hin- und Rückfahrt plant und dass die Bahn
die entsprechenden Anschlüsse garantieren kann. Die weitreichende
Gleichsetzung zwischen den Bedürfnissen und dem Kundenverhalten
der Fluggäste mit denen der Fahrgäste im Schienenverkehr ist metho-
disch und hinsichtlich des Verkehrsaufkommens nicht vertretbar.

9. Mit dem neuen Bahnpreissystem werden in besonderem Maß die (mehr
als 100 000) Pendlerinnen und Pendler benachteiligt, die bestimmte
Strecken nicht täglich, aber regelmäßig zum Normaltarif fahren, und da-
bei als Ermäßigung die BahnCard einsetzen.

10. Das neue Bahnpreissystem bietet eine Reihe – begrüßenswerter – fami-
lien- und gruppenfreundlicher Rabatte. Einige dieser Rabatte sind aller-
dings bereits Teil des geltenden Tarifsystems. Vor allem aber entwertet
die DB AG diese Angebote wieder dadurch, dass sie das erfolgreichste
Familien- und Gruppenticket – das „Schönes-Wochenende-Ticket“ – ab
dem 1. Januar 2002 und ab dem 1. April 2002 jeweils ein weiteres Mal
und damit in der Summe erheblich verteuern und nach unterschiedli-
chen Meldungen später ganz abschaffen will.

11. Bahnfahren dürfte mit dem neuen Bahnpreissystem damit insgesamt
nicht, wie behauptet, preiswerter, sondern teurer werden. Dafür spricht
auch der Umstand, dass der Nahverkehr insgesamt teurer werden soll
und dass der Anteil des Nahverkehrs an der gesamten Verkehrsleistung
im Schienenverkehr bei 52 Prozent (1999) liegt.

12. Mit dieser Preisdifferenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr orien-
tiert die DB AG darauf, den Nahverkehr, der weitgehend durch den
Bund subventioniert wird, als „Melkkuh“ zu instrumentalisieren.

13. Das Management der DB AG hat anlässlich der Vorstellung des neuen
Bahnpreissystems erklären lassen, Ziel des neuen Systems sei eine „Än-
derung der Grundphilosophie des Bahnreisens“ (Vorstandsvorsitzender
Hartmut Mehdorn). Eine Managementpolitik der Umerziehung ent-
spricht jedoch einem alten Denken und erwies sich schon immer als
kontraproduktiv, weil kundenfeindlich.

14. Angesichts der aufgezeigten grundsätzlichen Mängel ist das neue Sys-
tem der Bahntarife nicht geeignet, Verkehr von der Straße und aus der
Luft auf die Schienen zu lenken und damit der Zielsetzung der Bahnre-
form und den erklärten Zielsetzungen der Verkehrspolitik – wie zuletzt
konkretisiert im „Verkehrsbericht 2000“ – gerecht zu werden. Vielmehr
droht das neue Bahnpreissystem zu einem weiteren Mosaikstein einer
Bahnpolitik zu werden, die einen Abbau des Schienenverkehrs zur
Folge hat und dabei den Zugang der Allgemeinheit zum Schienenver-
kehr und insbesondere den Zugang der Menschen, die nicht in den gro-
ßen Ballungsgebieten wohnen, verschlechtern wird. Eine solche Politik
widerspricht dem grundgesetzlichen Auftrag, wonach der „Bund (zu)
gewährleisten (hat), dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere
den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes
... sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz ... Rech-
nung getragen wird“ (Grundgesetz Artikel 87e).

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7768

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. Den Vorstand der DB AG aufzufordern, die Planungen für das gegenwär-

tig in Entwicklung befindliche neue Bahnpreissystem einzustellen. Statt-
dessen ist ein Bahnpreissystem zu entwickeln, das seitens des Bundes in
Zusammenarbeit mit dem Vorstand der DB AG und gemäß § 12 Abs. 3
AEG geeignet ist, Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die
Schiene zu verlagern.

2. Ein solches System muss drei Kriterien Genüge leisten:
l Es muss transparent sein.
l Es muss die Bahn als Massenverkehrsmittel begreifen und einen ent-

sprechend optimalen Mobilitätszugang für Millionen Menschen ge-
währleisten.

l Es muss sozialen Ansprüchen gerecht werden.
3. Entsprechend diesen Kriterien ist die Entwicklung eines Bahnpreissys-

tems mit folgenden Komponenten zu prüfen:
l Kriterium Transparenz:

Grundsätzlich sollte das Preissystem von einem festen Kilometerpreis
ausgehen. Ort-zu-Ort-Tarife („Loco-Preis-System“) sollten nur in Fäl-
len Geltung haben, bei denen es sich ausschließlich um Hoch-
geschwindigkeitsverkehr handelt, zu dem es preisgünstigere und lang-
samere Alternativen gibt.
Ein solches Bahnpreissystem muss der Ganzheitlichkeit des Systems
Schiene (Einheit Nah- und Fernverkehr; Kombination nationaler und
internationaler Verkehr; Kompatibilität mit Unternehmen, die nicht
zur Gruppe der DB AG zählen) so weit wie möglich Rechnung tragen.

l Kriterium Mobilitätszugang für Millionen Fahrgäste:
Die Gültigkeit der bisherigen zentralen Mobilitäts-Zugangs-Karte
BahnCard darf nicht abgewertet werden. Sie sollte umgekehrt auf-
gewertet werden, u. a. durch ihre Einsatzmöglichkeit auch in Tarif-
verbünden. Darüber hinaus sollte die bisherige Netzkarte zu einer
zweiten Mobilitätskarte ausgebaut werden: Sie muss wesentlich preis-
werter sein als zurzeit, sie muss im Preis kinderfreundlich, familien-
freundlich bzw. günstig für Lebensgemeinschaften sein. Schließlich
muss die Bahn diese zweite Mobilitätskarte ins Bewusstsein des nach
Millionen zählenden potentiellen Kundenstamms rücken, indem sie
eine entsprechende Werbekampagne durchführt. In der Schweiz doku-
mentieren die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) mit einem „Ge-
neralabonnement“ den großen Zuspruch, den eine solche Mobilitäts-
Zugangs-Karte erhalten kann.

l Kriterium soziale Ausgestaltung:
Das gesamte Preisniveau eines neuen Bahnpreissystems muss für die
drei verschiedenen Kategorien von durchschnittlichen Bahnfahrgästen
(Nahverkehrspendler, regelmäßige Nutzerinnen und Nutzer des Fern-
verkehrs, Bahn-Gelegenheitsverkehr als Massenverkehr) deutlich ge-
senkt werden. Bei den ersten beiden Kategorien von Bahnnutzenden
kann über verbesserte – reduzierte – Angebote bei Monatskarten, regi-
onalen Netzkarten, über die genannte verbesserte BahnCard und die
neue Netzkarte eine solche Reduktion erreicht werden. Für den mas-
senhaften Bahn-Gelegenheitsverkehr ist die Beibehaltung des bisheri-
gen Preisniveaus des „Schönes-Wochenende-Tickets“ und die Wieder-
herstellung der Geltungsdauer dieses Tickets für das gesamte

Drucksache 14/7768 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wochenende (und zwar sowohl am Samstag als auch am Sonntag)
erforderlich.

Berlin, den 3. Dezember 2001
Dr. Winfried Wolf
Christine Ostrowski
Eva-Maria Bulling-Schröter
Gerhard Jüttemann
Rolf Kutzmutz
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens-Rössel
Roland Claus und Fraktion

Begründung
Der Bund hat seine Verantwortung wahrzunehmen und die Anforderungen an
das neue Bahnpreissystem zu benennen, da die Vorstellungen der DB AG für
das projektierte Bahnpreissystem mit der offiziellen Zielsetzung der Bundes-
regierung, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, nicht übereinstimmen.

Tarifhoheit beim Bund
Anders als es der Eindruck in der Öffentlichkeit vermuten lässt, liegt die Tarif-
hoheit für den Schienenpersonenfernverkehr beim Bund und nicht bei der DB
AG. Im AEG heißt es in § 12 Abs. 3: „Ohne eine vorherige Genehmigung
1. der Beförderungsbedingungen im Schienenpersonenverkehr, 2. der Beförde-
rungsentgelte im Schienenpersonennahverkehr dürfen Eisenbahnverkehrsleis-
tungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 nicht erbracht werden. Die Tarifhoheit liegt beim
Bund, soweit es sich um Beförderungsbedingungen einer Eisenbahn des Bun-
des für ihren Schienenpersonenfernverkehr handelt, im übrigen bei den Län-
dern. Die Genehmigungsbehörde kann auf die Befugnis zur Genehmigung ver-
zichten.“
Die DB AG hat ihre eigenen Vorstellungen im Juli 2001 für ein neues umfas-
sendes Bahnpreissystem in seinen allgemeinen Grundlinien vorgestellt. Sie hat
am 26. Oktober 2001 durch das für Marketing und Vertrieb zuständige Vor-
standsmitglied kundgetan, dass dieses neue Bahnpreissystem am 15. Dezem-
ber 2002 in Kraft treten wird. Dies bestätigt die Pressemitteilung der DB AG
vom 26. Oktober 2001, wonach zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2002
dieses System Gültigkeit erlangen soll.

Mangelnde Transparenz
Das Preissystem der DB AG hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Es
ist heute wenig transparent und damit kundenfeindlich. Das liegt in erster Linie
daran, dass ein ursprünglich einfaches Grundsystem (Kilometerpreis mal Ent-
fernung – ggf. minus BahnCard-50 %-Rabatt – plus Zuschlag) in den letzten
zehn Jahren zunehmend ergänzt wurde durch eine wachsende Zahl von Sonder-
angeboten, die – anstatt Ausnahmen zu regeln – die Regel wurden, durch die
ICE-Aufpreise, die nicht mehr fix wie bei IC/EC, sondern entfernungsgebun-
den (Loco-Preise) sind.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7768

Die Anforderungen an höhere Transparenz und verbesserte Kundenfreundlich-
keit erfüllt das projektierte Bahnpreissystem nicht. Bereits in den bisher
bekannten Grundzügen ist es noch weniger transparent. Da bei diesem jede
Verbindung von Ort zu Ort individuell berechnet werden soll („Loco-Preis-
System“) da dabei u. a. Kriterien wie die Auslastung der Züge zumindest teil-
weise zum Tragen kommen und da es ein umfassendes System von Rabattprei-
sen bei Vorbuchungen geben soll, wird die Kundschaft keinen allgemeinen Ori-
entierungspunkt für die zu erwartenden jeweiligen Kosten einer Bahnfahrt
mehr haben. Für das projektierte Bahnpreissystem wurden bisher die Grund-
preise bzw. Preise für konkrete Verbindungen seitens der DB AG nicht genannt.
Es soll rund 20 Millionen unterschiedliche Preise geben, die laut DB AG bei
der Vorstellung des neuen Preissystems im Juli 2001 „in den nächsten Mona-
ten“ erst noch „errechnet“ werden.

Verletzung der Beförderungspflicht
Das weitreichende neue Rabattsystem in diesem neuen Bahnpreissystem ist an
Vorbuchungen gebunden. Diese Vorbuchungen werden bei vielen regelmäßig
verkehrenden Zügen ein solches Ausmaß annehmen, dass die Einhaltung von
§ 10 AEG, wonach eine generelle Beförderungspflicht bei den „regelmäßig
verwendeten Beförderungsmitteln“ existiert, nicht mehr gewährleistet sein
dürfte. Im AEG heißt es in § 10 Beförderungspflicht: „Öffentliche Eisenbahn-
verkehrsunternehmen, die dem Personenverkehr dienen, sind zur Beförderung
von Personen und Reisegepäck verpflichtet, wenn 1. die Beförderungsbedin-
gungen eingehalten, 2. die Beförderung mit den regelmäßig verwendeten Be-
förderungsmitteln möglich ist und 3. die Beförderung nicht durch Umstände
verhindert wird, welche das Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht abwenden
und denen es auch nicht abhelfen konnte.“

Einheitlichkeit des Tarifsystems gefährdet
Bisher gab es eine gemeinsame Grundstruktur bei Nah- und Fernverkehr, auch
wenn diese zunehmend aufgelöst wurde. Die Bahnkundschaft will nicht unter-
scheiden, wann sie im Nah- und wann sie im Fernverkehr unterwegs ist. Dies
hat auch der Bahnchef in jüngerer Zeit betont und u. a. dadurch unterstrichen,
dass er die Verantwortlichkeit für Fern- und Nahverkehr im DB AG-Vorstand
in eine Hand legte. Das neue Preissystem widerspricht dieser Einsicht.
Zudem wächst die Zahl der Bahnbetreiber, die nicht zur DB AG gehören und
sie soll nach Willen vieler Verantwortlicher in der Politik der Bundesrepublik
Deutschland und der EU weiter wachsen.
Mit dem neuen Bahnpreissystem wird erstmals ein Preissystem ausschließlich
für einen Teilbereich der Bahn, für den Fernreiseverkehr, festgelegt. Seine
Kompatibilität mit dem Nahverkehr, soweit er in Verantwortung der DB Regio
durchgeführt wird, ist zumindest problematisch. Eine Kompatibilität mit dem
internationalen Bahnverkehr und mit der wachsenden Zahl von Bahnbetrei-
bern, die nicht der DB AG angehören, ist definitiv nicht gegeben. Damit wird
ein Bahnpreissystem vorgeschlagen, das die Ganzheitlichkeit des Schienenver-
kehrs zusätzlich in Frage stellt und sich als kundenfeindlich erweisen dürfte.

Entwertung der BahnCard und Problematik des neuen Rabatt-Systems
Die im neuen Bahnpreissystem vorgesehene Halbierung des BahnCard-Rabat-
tes auf 25 % des Grundpreises stellt eine qualitative Abwertung dieser Karte
und damit eine erhebliche Verschlechterung der allgemeinen Zugangsmöglich-
keit zum Schienenverkehr dar. 1992 ist die BahnCard nach jahrelangen Forde-
rungen von Verkehrs-, Umwelt- und Fahrgast-Verbänden – sie bezogen sich auf
den Halbpreispass der Schweiz – gegen zunächst erheblichen Widerstand der

Drucksache 14/7768 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bundesbahn durchgesetzt worden. Heute gibt es rund 3 Millionen BahnCard-
Nutzerinnen und -Nutzer. Dabei könnten es weit mehr sein, wenn ihr Prinzip
„generell halber Preis“ in der Folgezeit nicht durch viele Sonderangebote
unterlaufen worden wäre und die BahnCard damit abgewertet wurde.
Die mit dem neuen Bahnpreissystem vorgesehenen, zum Teil weitreichenden
Rabattsätze für Frühbucher, können als zusätzliche Elemente in einem solchen
Preissystem Sinn machen. Es ist jedoch wirklichkeitsfremd darauf zu setzen,
dass ein großer Teil der traditionellen Bahnkundschaft „zug-genau“ Hin- und
Rückfahrt plant und dass die Bahn die entsprechenden Anschlüsse garantieren
kann. Die weit reichende Gleichsetzung der Bedürfnisse von Fluggästen mit
denen von Fahrgästen im Schienenverkehr ist methodisch und hinsichtlich des
Verkehrsaufkommens nicht vertretbar.
Das Bahn-Management argumentiert, erst die BahnCard-Rabatte zusammen
mit den erheblichen Rabatten im Rahmen des Frühbuchungssystems machten
das gesamte neue Bahnpreissystem attraktiv.
Tatsächlich würde – ein Kilometerpreis von 30 Pfennigen für die Hälfte und
von 22 Pfennigen für die andere Hälfte der Entfernung unterstellt – eine Fahr-
karte Berlin–Köln und zurück bei einer Buchung 7 Tage im Voraus ohne Bahn-
Card 186 DM kosten (bei 3 Tagen im Voraus 226 DM). Mit BahnCard 25 %
wären es 141 DM (bei 3 Tagen im Voraus: 177 DM). Im Vergleich zur Bahn-
Card 50 % (190 DM) scheinen das auf den ersten Blick Verbilligungen zu sein.
Doch hier handelt es sich um irreführende und wirklichkeitsfremde Rechnun-
gen:
– Erstens entfallen mit dem neuen Bahnpreissystem alle anderen aktuellen

Rabatte – etwa das „Guten-Abend-Ticket“ (ab 19 Uhr Kostenpunkt: 69 DM)
oder der Super-Sparpreis. Wer heute diese Rabattmöglichkeiten wählt bzw.
wählen kann, liegt beim „Guten-Abend-Ticket“ wesentlich günstiger als
beim niedrigsten Fahrpreis im neuen System. Im Vergleich zum Super-Spar-
preis heute (249,– DM) wird die Reise Berlin–Köln–Berlin mit dem geplan-
ten Preissystem ohne BahnCard ca. 300 DM kosten und damit teurer. Nur
wenn 7 oder 3 Tage im Voraus gebucht werden kann, lägen die Preise mit
186 DM bzw. 226 DM niedriger.

– Zweitens stellt sich die Frage: Wer kann real so planen und 7 Tage im Vo-
raus die exakten Züge für die Hinfahrt und für die Rückfahrt festlegen?

– Drittens kommt hier hinzu, dass die Bahn verschweigt, dass beim 7-Tages-
Frühbucher-Rabatt zwischen Hin- und Rückfahrt ein Wochenende liegen
muss. Damit reduziert sich der potenzielle Kundenkreis nochmals erheblich.

– Viertens ist das Risiko bei Nichtantritt der Fahrt erheblich, weil die Rück-
erstattung nur mit größeren – bisher nicht quantifizierten – Abschlägen
erfolgt.

– Fünftens besteht die Unklarheit: Was ist, wenn ein Anschluss nicht klappt?
Die Widersinnigkeit des Vorbuchungs-Rabatt-Systems wurde in der Freibur-
ger „Zeitung zum Sonntag“ gut auf den Punkt gebracht: „Mit der Tarif-
reform wird die Bahn ihr Ziel vor allem deshalb nicht erreichen, weil sie von
ihren Kunden verlangt, was sie selbst nicht zu leisten vermag: auf die Mi-
nute genau zu planen.“ (8. Juli 2001).

– Sechstens gibt es schließlich das entscheidende Manko: Der Kunde kann ge-
rade nicht planen – er lässt sich gewissermaßen auf ein Glücksspiel ein.
Denn die Bahn kann im Frühbuchungssystem nur eine begrenzte Zahl der
Plätze reserviert halten. Hat ein Fahrgast seine Planung für Hin- und Rück-
fahrt ausgetüftelt und versucht er zu buchen, dann kann es sein, dass alles
„ausgebucht“ ist.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/7768

Kein „Schönes-Wochenende-Ticket“ mehr?
Das neue Bahnpreissystem bietet eine Reihe – begrüßenswerter – familien- und
gruppenfreundlicher Rabatte. Einige dieser Rabatte sind allerdings bereits Teil
des geltenden Tarifsystems. Vor allem aber entwertet die DB AG diese Ange-
bote wieder dadurch, dass sie das erfolgreichste Familien- und Gruppenticket –
das „Schönes-Wochenende-Ticket“ – ab dem 1. Januar 2002 und ab dem
1. April 2002 jeweils ein weiteres Mal und damit in der Summe erheblich ver-
teuern will und nach unterschiedlichen Meldungen später ganz abschaffen will.
Das spezifische Familien- und Gruppenticket, exakt gezielt auf denjenigen
Zeitraum, in welchem Familien- und Gruppenfahrten stattfinden, dem Wochen-
ende, mit der Orientierung auf die preisbewusste Kundschaft, das „Schönes-
Wochenende-Ticket“, war und ist – trotz einiger Beschränkungen und regelmä-
ßiger Preiserhöhungen – ein großer Erfolg. Kein seriöser Kaufmann streicht
oder verschlechtert qualitativ exakt dasjenige Angebot, das ihm bisher den
größten Publikums- und Markterfolg einbrachte.

Netzkarte der DB AG ist nicht mit dem Generalabonnement der SBB vergleich-
bar
Anders als in der benachbarten Schweiz wird der Mobilitätszugang zur Schiene
für Millionen Fahrgäste auch nicht durch eine geeignete Netzkarte verbessert.
Die bisherige Netzkarte der DB AG kostet 6 500 DM in der 2. Klasse und
10 150 DM in der 1. Klasse. Sie rechnet sich im Vergleich zum Bahnfahren mit
BahnCard erst ab rund 40 000 km im Schienenverkehr. Da die durchschnittli-
che Bundesbürgerin bzw. der durchschnittliche Bundesbürger im Jahr „nur“
rund 12 000 km (überwiegend auf der Straße) zurücklegt, ist damit diese Netz-
karte nur für ein sehr kleines Segment von Vielfahrern attraktiv, hauptsächlich
für Geschäftsreisende. In der Schweiz kostet die Netzkarte – dort „Generala-
bonnement (GA)“ genannt – wesentlich weniger als ihr bundesdeutsches Äqui-
valent. Vor allem ist sie zu einer kundenfreundlichen Mobilitäts-Zugangs-Karte
ausgebaut. Das „GA Erwachsene“ kostet in der 2. Klasse 2 900 SFr bzw. in der
1. Klasse 4 600 SFr. Der Ehe- oder Lebenspartner zahlt nur etwas mehr als die
Hälfte. Das „GA plus Familia Partner“ kostet in der 2. Klasse 1 550 SFr und in
der 1. Klasse 2 400 SFr. Der Geltungsbereich des Generalabonnements reicht
weit über die SBB hinaus und schließt auch wichtige Busgesellschaften ein
(Angaben der SBB-Tarife jeweils ab Dezember 2001). Obgleich die Schweiz
wesentlich kleiner als die Bundesrepublik Deutschland ist, legen die Schweizer
Bürgerinnen und Bürger rund doppelt so viel Kilometer auf der Schiene zurück
als ein Bundesbürger. Die niedrigeren Schweizer Preise können somit nicht mit
dem kleineren Schienennetz begründet werden.

Neues Bahnpreissystem verteuert Schienenverkehr
Bahnfahren dürfte mit dem neuen Bahnpreissystem damit insgesamt nicht, wie
behauptet, preiswerter, sondern teurer werden. Dafür spricht vor allem der Um-
stand, dass der Nahverkehr insgesamt teurer werden soll.
90 % der Bahnkunden (Anteile am Verkehrsaufkommen) fahren im Nahver-
kehr. Laut bestehender Gesetzgebung handelt es sich bei dem „Schienenper-
sonennahverkehr“ um Verkehr im Entfernungsbereich bis 50 km oder um
Schienenverkehr mit maximal einer Stunde Fahrtzeit. Gemessen an der Perso-
nenkilometer-Leistung macht der Nahverkehr rund 52 % aus (1999). Für das
Marktsegment Nahverkehr sieht das Management der Bahn in jedem Fall hö-
here Preise vor. Die Rede ist von einer Erhöhung um zehn %. Da der ehemalige
InterRegio-Verkehr zunehmend dem Nahverkehr zugeschlagen wird (statt IR
werden RE- und IRE-Züge eingesetzt), erhöht sich der Anteil des so (neu) defi-
nierten Nahverkehrs an den gesamten Verkehrsleistungen nochmals.

Drucksache 14/7768 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Nahverkehr als „Melkkuh“ für die DB AG
Im Fernverkehr liegt die durchschnittliche Reiseweite (je Fahrt) bei 220 km.
Die neuen Rabatte mit einem sinkenden Grundpreis je Kilometer sollen jedoch
erst ab Entfernungen von 140 km „greifen“. Im Segment „über 140 km“ bewegt
sich also nur ein Teil der Bahnkunden. Die Fahrgäste des Nahverkehrs – und
damit rund die Hälfte der im Jahr zurückgelegten Personenkilometer – können
ebenso wenig von diesen Verbilligungen profitieren wie die Fahrgäste im Fern-
verkehr, die auf Strecken bis 140 km verkehren.
Mit dieser Preisdifferenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr orientiert die
DB AG darauf, den Nahverkehr, der weitgehend durch den Bund subventio-
niert wird, als „Melkkuh“ zu instrumentalisieren. Der Nahverkehr der Bahn
wird bereits in erheblichem Maß durch Steuermittel finanziert. 13,5 Mrd. DM
Regionalisierungsgelder erhalten die Länder vom Bund, um damit bei der DB
Regio (und anderen Betreibern) Nahverkehrsleistungen zu bestellen. Mit dem
Fahrplanwechsel 2001 wurden ehemalige InterRegio-Verbindungen dem Nah-
verkehr zugeschlagen (sie werden nun als InterRegioExpress/IRE oder RE be-
dient). In einigen Fällen bedeutet dies, dass die Länder weniger andere Nahver-
kehre (RE, RB, SE) bestellen. In den überwiegenden Fällen werden diese
ehemaligen Fernverkehre nun durch zusätzliche Landesmittel und perspekti-
visch durch einen Anstieg der Regionalisierungsmittel finanziert (Süddeutsche
Zeitung vom 3. Juli 2001). Zusammen mit dem neuen Bahnpreissystem wird so
der Nahverkehr für die DB AG und insbesondere für deren Töchter DB Netz
(Trassenpreise) und DB Reise und Touristik zu einer „Melkkuh“. „Gemolken“
wird wie folgt:
– Die 13,5 Mrd. DM Regionalisierungsgelder (und zusätzliche Ländermittel

für „Sonderlösungen“ zum Erhalt von IR-Verbindungen) fließen zum größ-
ten Teil der DB AG zu, was 60 % der gesamten Einnahmen im Personenver-
kehr der DB AG ausmacht (1999: 13,5 von 22,5 Mrd. DM).

– Die Bahn investiert im Nahverkehr kaum in Strecken und zu wenig in Fahr-
zeuge, so dass die abgeführten Trassengelder anderen Netzteilen, vor allem
dem Fernverkehr, zufließen, was eine Quersubventionierung bedeutet.

– Schließlich fließen der DB Regio die Einnahmen aus dem normalen Ge-
schäft mit der Bahnkundschaft zu. Mit dem neuen Bahnpreissystem erfolgt
nun gerade in diesem Sektor eine erhebliche Erhöhung der Bahnpreise – die
Rede ist von 10 %. Dieser zusätzliche Betrag dürfte erneut der Quersubven-
tionierung dienen.

Zu Recht hat der rheinland-pfälzische Minister für Wirtschaft, Verkehr, Land-
wirtschaft und Weinbau Hans-Artur Bauckhage das neue Bahnpreissystem in
diesem Zusammenhang kritisiert: Die Länder, die sich zum Teil (wie Rhein-
land-Pfalz) erheblich und erfolgreich für den Schienenpersonennahverkehr
(vgl. den Pfalz-Takt-Verkehr) einsetzten, sehen sich nicht nur mit der massiven
Vernachlässigung des Streckennetzes in der Fläche, sondern auch noch mit
deutlich höheren Bahnpreisen im Nahverkehr konfrontiert.

Umerziehung der Bahnreisenden durch das neue Bahnpreissystem ist kontra-
produktiv
Das Management der DB AG hat anlässlich der Vorstellung des neuen Bahn-
preissystems erklären lassen, Ziel des neuen Systems sei eine „Änderung
der Grundphilosophie des Bahnreisens“ (Vorstandsvorsitzender Hartmut
Mehdorn). Noch drastischer formulierte es Anna Brunotte, die Leiterin des
Preis- und Erlösmanagements bei der DB AG: „Die Kunden werden schnell
lernen, was ausverkauft heißt“ (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom
6. Juli 2001).

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/7768

Eine Managementpolitik der Umerziehung entspricht jedoch einem alten Den-
ken und erwies sich schon immer als kontraproduktiv, weil kundenfeindlich.

Neues Bahnpreissystem widerspricht dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu
bringen
In der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung vom Oktober
1998 heißt es: Notwendig sei die „Verlagerung möglichst hoher Anteile des
Straßen- und Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraße“ und im „Verkehrsbe-
richt 2000“ vom November 2000 wird erklärt: „(Wir) müssen … dafür sorgen,
dass die Schiene einen größeren Teil der prognostizierten Verkehrsleistungen
übernimmt und damit ihren prozentualen Anteil am Modal Split des Personen-
und Güterverkehrs erhöht.“
Angesichts der aufgezeigten grundsätzlichen Mängel ist das neue System der
Bahntarife nicht geeignet, Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die
Schienen zu lenken und damit der Zielsetzung der Bahnreform und den erklär-
ten Zielsetzungen der Verkehrspolitik – wie zuletzt konkretisiert im „Verkehrs-
bericht 2000“ – gerecht zu werden. Vielmehr droht das neue Bahnpreissystem
zu einem weiteren Mosaikstein einer Bahnpolitik zu werden, die einen Abbau
des Schienenverkehrs zur Folge hat und dabei den Zugang der Allgemeinheit
zum Schienenverkehr und insbesondere den Zugang der Menschen, die nicht in
den großen Ballungsgebieten wohnen, verschlechtern wird. Eine solche Politik
widerspricht dem grundgesetzlichen Auftrag, wonach der „Bund (zu) gewähr-
leisten (hat), dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrs-
bedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes … sowie bei deren
Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz … Rechnung getragen wird“
(Grundgesetz Artikel 87e).

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