BT-Drucksache 14/7611

Für eine Deutsch-Russische Kulturstiftung für kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter

Vom 27. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7611
14. Wahlperiode 27. 11. 2001

Antrag
der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz,
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg vanEssen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff,
Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke,
Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Für eine Deutsch-Russische Kulturstiftung für kriegsbedingt verbrachte
Kulturgüter

Die Problematik kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter stellt eine der großen
Herausforderungen für die Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen dar.
Anlässlich seiner Reise nach Sankt Petersburg im April dieses Jahres hat Bun-
deskanzler Gerhard Schröder erklärt, fast sechzig Jahre nach dem deutschen
Angriff auf die damalige Sowjetunion sei es an der Zeit, diese Frage einver-
nehmlich zu lösen. Das Problem dürfe nicht zu einer dauerhaften Belastung der
Beziehungen führen. Gleichzeitig kündigte Präsident Vladimir Putin an, Fach-
leute seien beauftragt worden, eine Formel für die Rückführung zu finden, die
für beide Länder akzeptabel sei. Weder bei den deutsch-russischen kulturpoliti-
schen Konsultationen in Berlin am 7. September dieses Jahres noch anlässlich
des Staatsbesuches von Präsident Vladimir Putin am 25. September 2001 konn-
ten jedoch konkrete Fortschritte vereinbart werden. Mit seiner Ankündigung
vor dem Deutschen Bundestag, eine neue Seite in der Geschichte der deutsch-
russischen Beziehungen aufschlagen zu wollen und mit der anlässlich des
Staatsbesuches unterzeichneten Erklärung zur Intensivierung des deutsch-russi-
schen Kulturaustausches hat Präsident Vladimir Putin allerdings hohe Erwar-
tungen geweckt. Die von beiden Ländern für 2003 und 2004 in diesem Zusam-
menhang geplante gegenseitige Präsentation ihrer Kulturen würde unvollständig
bleiben, wenn die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter hierbei unberücksich-
tigt blieben. Die beabsichtigte Intensivierung des Kulturaustausches sollte daher
Anlass sein, in dieser strittigen Frage eine für beide Seiten akzeptable und zu-
kunftsorientierte Regelung zu finden.
Die Rechtsgrundlage ist eindeutig. Bereits 1955 hatte die Sowjetunion ihre
Verpflichtungen aus Artikel 56 der Haager Landkriegsordnung erfüllt und alle
damals identifizierten Bestände aus deutschen Museen, die sich auf dem Terri-
torium der DDR befanden, zurückgegeben. Diese Rückgabeverpflichtung
wurde darüber hinaus in Artikel 16 Abs. 2 des Deutsch-Sowjetischen Nachbar-
schaftsvertrages vom 9. November 1990 und in Artikel 15 des Deutsch-Russi-
schen Kulturabkommens vom 16. Dezember 1992 festgelegt. Das 1997 von der
Staatsduma verabschiedete Gesetz über die so genannte Beutekunst steht inso-
fern in Widerspruch zu den allgemeinen und spezifischen Normen des Völker-
rechts und ist damit völkerrechtswidrig.

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Ausgehend von dieser eindeutigen Rechtslage sollte gleichwohl eine Lösung
angestrebt werden, die sich nicht lediglich auf die Umsetzung von Ansprüchen
beschränkt, sondern darauf abzielt, die seit Jahrzehnten in dunklen Kellern
lagernden Exponate deutscher und damit europäischer Hochkultur wieder der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen und dadurch einen Beitrag sowohl zur
Bewahrung des europäischen Kulturerbes als auch zur weiteren Aussöhnung
und zum besseren Verständnis zwischen Deutschen und Russen zu leisten.
Dieses Ziel könnte durch die Errichtung einer gemeinsamen Deutsch-Russi-
schen Kulturstiftung erreicht werden. Ihr sollten die Kulturgüter, soweit sie im
Eigentum der öffentlichen Hand stehen, als Dauerleihgaben zur Verfügung
gestellt werden. Vorrangiger Zweck der Stiftung, der sich private Eigentümer
anschließen könnten, wäre, die Kunstschätze einerseits vor weiterer Zerstörung
durch unsachgemäße Lagerung zu bewahren und andererseits ein Forum zu
schaffen, das der breiten Öffentlichkeit ein Kulturerbe von unschätzbarem Wert
zugänglich macht. Darüber hinaus sollte sich die Stiftung der Förderung des
kulturellen und wissenschaftlichen Austausches zwischen Deutschland und
Russland widmen. Die finanzielle Grundausstattung der Stiftung sollte im Rah-
men eines „Public Private Partnership“-Projektes durch öffentliche und private
Zuwendungen erfolgen. Neben den deutschen und russischen Kulturbehörden
wären hier in erster Linie auch deutsche und russische Unternehmen gefordert.
Als Ausdruck des gemeinsamen europäischen Kulturerbes käme auch eine
komplementäre Förderung durch den Europarat, die Europäische Union sowie
durch Mitgliedsbeiträge privater Förderer in Frage. Zur Grundfinanzierung der
Stiftung wäre ferner daran zu denken, Teile der Bestände zu veräußern. Die in
die Stiftung eingebrachten Exponate sollten wechselweise sowohl am jeweili-
gen russischen und deutschen Sitz der Stiftung ausgestellt sowie auf Wander-
ausstellungen und durch Leihgaben der interessierten internationalen Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht werden.
Die Bundesregierung sollte die Stiftungsinitiative prioritär auf die Tagesord-
nung des deutsch-russischen „Sankt Petersburger Dialogs“ mit dem Ziel setzen,
sie noch vor der für 2003 vorgesehenen Intensivierung des deutsch-russischen
Kulturaustausches, gegebenenfalls im Rahmen der Veranstaltungen zur 300-
Jahrfeier von Sankt Petersburg, umzusetzen. Gegenstand der Stiftungsinitiative
sollte auch die Einsetzung einer gemischten Kommission zur Klärung der noch
offenen Rechtsfragen und zur Umsetzung von Rechtsansprüchen von Privatper-
sonen und privatrechtlichen Vereinigungen sein. Dabei sollte die Bundesregie-
rung mit Nachdruck auf die Rückübereignung von kriegsbedingt verbrachtem
Kunstgut einschließlich der Archive und Bibliotheksbestände an die privaten
Eigentümer hinwirken.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ein Konzept für die Gründung einer Deutsch-Russischen Kulturstiftung zur

Bewahrung und Pflege der kriegsbedingt nach Russland verbrachten Kultur-
güter zu erarbeiten,

2. im Rahmen der andauernden deutsch-russischen Verhandlungen über die
Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter auf eine Zustimmung
der russischen Seite zur Gründung einer Deutsch-Russischen Stiftung hinzu-
wirken,

3. auf die betroffenen öffentlich-rechtlichen Träger (überwiegend Museen) mit
dem Ziel einzuwirken, kriegsverbrachte Kulturgüter, sofern sie im öffent-
lichen Eigentum stehen, der Deutsch-Russischen Kulturstiftung als Dauer-
leihgabe zu übertragen,

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4. sicherzustellen, dass mit der Deutsch-Russischen Stiftung ein Forum ge-
schaffen wird, mit dem die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter einer
breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,

5. in diesem Zusammenhang dafür Sorge zu tragen, dass die Stiftung in die
Lage versetzt wird, die Kulturgüter nicht nur am jeweiligen Stiftungssitz in
Deutschland und in Russland auszustellen, sondern die Exponate im Rah-
men eines dynamischen Konzeptes durch Wanderausstellungen und Leih-
gaben zugänglich zu machen,

6. sicherzustellen, dass die Stiftung sich über den eigentlichen Stiftungs-
zweck hinaus auch der Förderung des kulturellen und wissenschaftlichen
Austausches zwischen Deutschland und Russland widmet,

7. ferner im Rahmen der Stiftung eine unabhängige deutsch-russische Exper-
tenkommission zur Regelung noch offener Rechtsfragen und zur Umset-
zung von Rechtsansprüchen mit dem Ziel einzusetzen, die Rückübertra-
gung von in privatem Eigentum befindlichen, kriegsbedingt verbrachtem
Kulturgut einschließlich der Archive und Bibliotheksbestände an ihre
Eigentümer sicherzustellen,

8. zur finanziellen Grundausstattung der Stiftung ein „Public Private Partner-
ship“-Modell öffentlicher und privater Zuwendungen zu erarbeiten, an dem
neben deutschen und russischen Kulturbehörden auch maßgeblich deutsche
und russische Unternehmen sowie private Förderer beteiligt werden soll-
ten. Dabei sollte in Abstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Eigen-
tümern auch die Veräußerung einzelner Kunstgegenstände in Betracht ge-
zogen werden,

9. unter dem Gesichtspunkt des Erhaltes europäischen Kulturerbes darüber
hinaus finanzielle Fördermöglichkeiten durch die Europäische Union etwa
im Rahmen des Förderprogramms „Kultur 2000“ und durch den Europarat
zu eruieren,

10. die Stiftungsinitiative prioritär auf die Tagesordnung des so genannten
deutsch-russischen „Sankt Petersburger Dialogs“ mit dem Ziel zu setzen,
die Stiftungsgründung im Rahmen der für 2003/2004 vorgesehenen Inten-
sivierung der deutsch-russischen Kulturzusammenarbeit vorzunehmen,

11. zu prüfen, inwieweit eine derartige Stiftungsinitiative einen Beitrag zu
einer pragmatischen Regelung ähnlich gelagerter noch offener Fragen im
Verhältnis zu anderen osteuropäischen Partnern, insbesondere zu Polen und
zur Ukraine, leisten könnte.

Berlin, den 26. November 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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