BT-Drucksache 14/7533

zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. -14/5684- Für die demokratische Erneuerung Pakistans

Vom 20. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7533
14. Wahlperiode 20. 11. 2001

Beschlussempfehlung und Bericht
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und F.D.P.
– Drucksache 14/5684 –

Für die demokratische Erneuerung Pakistans

A. Problem
Durch den Putsch des pakistanischen Militärs vom 12. Oktober 1999 und die
Einsetzung eines Kabinetts unter dem Generalstabschef und jetzigen Chief
Executive der Islamischen Republik Pakistan, General Pervez Musharraf,
wurde der gewählte Premierminister des Landes Nawaz Sharif gestürzt.
Die Machtübernahme durch das Militär wurde in Pakistan dennoch durch weite
Teile der Bevölkerung begrüßt. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass
alle zivilen Regierungen seit dem Ende des früheren Militärregimes nicht in der
Lage waren, die drängendsten Probleme des Staates zu lösen und die nötige Re-
form der Staatsstruktur durchzuführen. Trotz der Abhaltung weitgehend freier
und demokratischer Wahlen war aufgrund der weit verbreiteten Korruption und
des mangelnden Verantwortungsgefühls der ökonomischen und politischen Eli-
ten für eine demokratische Gesellschaftsordnung eine Teilhabe der Mehrheit
der Bevölkerung am politischen und ökonomischen Leben nicht möglich. Zu-
dem hat die Verstrickung Pakistans in teure und gefährliche aussenpolitische
Abenteuer, verbunden mit einer verfehlten Wirtschaftspolitik, das Land in eine
sehr ernste Lage gebracht.
Die terroristischen Attentate vom 11. September 2001 in New York und
Washington sowie die im Augenblick laufenden Aktionen der internationalen
Staatengemeinschaft gegen das terroristische Netzwerk Al Qaida und seine Un-
terstützer stellen Pakistan als Nachbarstaat Afghanistans vor große Herausfor-
derungen. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen der Staaten-
gemeinschaft, Pakistan als wichtigen Partner in ihren Kampf gegen den
internationalen Terrorismus einzubinden. Er anerkennt die bisher durch die
Regierung von Chief Executive General Pervez Musharraf geleistete Unter-
stützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

B. Lösung
Annahme des Antrags auf Drucksache 14/5684 in geänderter Fassung.
Annahme mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PDS

Drucksache 14/7533 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7533

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag auf Drucksache 14/5684 in folgender Fassung anzunehmen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Durch den Putsch des pakistanischen Militärs vom 12. Oktober 1999 und die
Einsetzung eines Kabinetts unter dem Generalstabschef und jetzigen Chief
Executive der Islamischen Republik Pakistan, General Pervez Musharraf,
wurde der gewählte Premierminister des Landes Nawaz Sharif gestürzt.
Die Machtübernahme durch das Militär wurde in Pakistan dennoch durch weite
Teile der Bevölkerung begrüßt. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass
alle zivilen Regierungen seit dem Ende des früheren Militärregimes nicht in der
Lage waren, die drängendsten Probleme des Staates zu lösen und die nötige Re-
form der Staatsstruktur durchzuführen. Trotz der Abhaltung weitgehend freier
und demokratischer Wahlen war aufgrund der weit verbreiteten Korruption und
des mangelnden Verantwortungsgefühls der ökonomischen und politischen Eli-
ten für eine demokratische Gesellschaftsordnung eine Teilhabe der Mehrheit
der Bevölkerung am politischen und ökonomischen Leben nicht möglich. Zu-
dem hat die Verstrickung Pakistans in teure und gefährliche außenpolitische
Abenteuer, verbunden mit einer verfehlten Wirtschaftspolitik, das Land in eine
sehr ernste Lage gebracht.
Für Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Strom- und Wasser-
versorgung, des Umweltschutzes und der Massentransportsysteme, sowie für
Sozialprogramme oder Bildungsmaßnahmen wurden kaum Mittel aufgewandt.
So weist Pakistan nach Angaben der Weltbank (1999) eine Analphabetenquote
von 59,1 Prozent unter den über 15-jährigen Einwohnern auf. Allein der jährli-
che Schuldendienst und die hohen Kosten für die Armee machen rund 60 Pro-
zent des Staatshaushaltes aus. Ausländische Investitionen werden aufgrund der
politisch wie wirtschaftlich instabilen Lage des Staates nur mit großer Zurück-
haltung vorgenommen. Die zivilen Regierungen haben diesen Zustand nicht
nur nicht bekämpft, sondern waren an dessen Entstehung aufgrund von Korrup-
tion und Patronage bis in höchste politische Kreise aktiv beteiligt.
Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass die Regierung unter Chief
Executive General Pervez Musharraf angekündigt hat, die Zeit ihrer Herrschaft
für grundlegende Reformen des Landes wie Wiederbelebung der Wirtschaft,
Aufdeckung und Ahndung von Korruption, Demokratisierung und Dezentrali-
sierung von Staats- und Verwaltungsstrukturen, Wiederherstellung von politi-
scher Moral und nationaler Einheit, Auflegung von Sozial- und Bildungspro-
grammen sowie für eine Landreform zu nutzen.
Die ersten Schritte zur Umsetzung dieses Programms wurden bereits in die
Wege geleitet, beispielsweise durch die Institutionalisierung einer permanenten
Korruptionsbekämpfung, die Berufung kompetenter und unbelasteter Minister
und Berater, die erfolgreichen Umschuldungsverhandlungen mit den Geberlän-
dern und den Beginn der von dem Internationalen Währungsfonds und der
Weltbank geforderten Reformen im Verwaltungs- und Steuerbereich.
Dennoch übersieht der Deutsche Bundestag nicht, dass die Armeeführung Pa-
kistans auch unter den zivilen Premierministern eine dominante und bestim-
mende Kraft des Staates war. Daher trifft auch sie eine Mitverantwortung für
die Zustände der Vergangenheit, wobei außenpolitisch hier insbesondere die
Verstrickung in den afghanischen Bürgerkrieg, die Verschärfung des Konflikts
mit Indien und die Beteiligung am atomaren Wettrüsten zu nennen sind.
Angesichts des ernsten Zustandes, in dem sich Pakistan befindet und zu dem
die politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte wesent-
lich beigetragen haben, erwartet der Deutsche Bundestag, dass die Ankündi-

Drucksache 14/7533 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

gungen des gegenwärtigen Regimes, durch grundlegende und überfällige Re-
formen die Basis für eine leistungs- und entwicklungsfähige Demokratie zu
legen, in die Tat umgesetzt werden. Hierzu ist es erforderlich, die Verpflichtung
zur Übergabe an eine demokratisch gewählte Regierung einzuhalten und dafür
Sorge zu tragen, dass alle Staatsbürger am demokratischen Prozess in vollem
Umfange teilnehmen können. Dies schließt das Recht der Minderheiten zur
freien und ungehinderten Teilhabe am allgemeinen Wahlrecht ein.
Der Deutsche Bundestag betont, dass die Stabilität in der hochgerüsteten Re-
gion Südasien dauerhaft nur durch ein gefestigtes, innenpolitisch reformiertes
und demokratisches Pakistan zu gewährleisten ist. Dafür muss Pakistan ernst-
hafte Schritte zur Lösung seiner Probleme in den Bereichen Ökonomie, Staats-
verschuldung, Staatsstruktur und im Sozialwesen unternehmen. Die Regierung
unter Chief Executive General Pervez Musharraf muss in diesem Sinne glaub-
haft versichern, die Grundlagen für den baldigen Übergang zu einer demokra-
tisch gewählten, zivilen Regierung zu schaffen.
Die terroristischen Attentate vom 11. September 2001 in New York und
Washington sowie die im Augenblick laufenden Aktionen der internationalen
Staatengemeinschaft gegen das terroristische Netzwerk Al Qaida und seine Un-
terstützer stellen Pakistan als Nachbarstaat Afghanistans vor große Herausfor-
derungen. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen der Staatenge-
meinschaft, Pakistan als wichtigen Partner in ihren Kampf gegen den
internationalen Terrorismus einzubinden. Er anerkennt die bisher durch die Re-
gierung von Chief Executive General Pervez Musharraf geleistete Unterstüt-
zung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
1. die Regierung von Chief Executive General Pervez Musharraf gegenüber ex-

tremistischen fundamentalistischen Kräften in Afghanistan und in Pakistan
selbst durch geeignete politische, wirtschaftliche und entwicklungspolitische
Maßnahmen zu unterstützen, um somit die Lage in Pakistan stabilisieren zu
helfen und Pakistan dauerhaft in die internationale Antiterrorkoalition einzu-
binden,

2. Pakistan bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme aus Afghanistan durch
geeignete Maßnahmen beizustehen,

3. im Rahmen der Europäischen Union und in Zusammenarbeit mit den USA
auf denAufbau einer gerechten und stabilenOrdnung innerhalb und zwischen
den Staaten in Süd- und Zentralasien nachdrücklich hinzuwirken, da nur so
der Nährboden für Terrorismus und inner- wie zwischenstaatliche Konflikte
ausgetrocknet werden kann,

4. auf die Regierung Pakistans einzuwirken,
4.1 sich als eine Übergangsregierung im Sinne des Urteils des Obersten Ge-

richtshofs Pakistans zu begreifen, deren wichtigste Aufgabe es ist, Rah-
menbedingungen für ein funktionsfähiges und demokratisches Staatswe-
sen mit einem gerechten Wahlsystem (unter Berücksichtigung einer
angemessenen Repräsentation von Frauen) und einem dezentralen
Staatsaufbau mit föderalen Merkmalen zu schaffen und bis spätestens
Herbst 2002 zur Demokratie zurückzukehren;

4.2 eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben, deren wesentliche
Merkmale sind: Effektivität, Kontinuität, Verlässlichkeit, Bekämpfung
der Korruption;

4.3 dass zur nachhaltigen Sanierung der Staatsfinanzen ein allen Bevölke-
rungsschichten gerecht werdendesAbgabensystem geschaffen und damit
die Steuerbasis erheblich verbreitert wird;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7533

4.4 außenpolitisch einen Kurs der Normalisierung, Verständigung und wirt-
schaftlichen Öffnung gegenüber Indien und den anderen Nachbarländern
einzuschlagen, um so die Bindungen der Staaten untereinander zu stärken
und ein vielfältiges friedensförderndes Beziehungsgeflecht aufzubauen.
Voraussetzung hierfür ist dieVerhinderung der Infiltration vonMilitanten
über die „Line of Control“ in Kaschmir und die konsequente Umsetzung
der VN-Sicherheitsratsresolution 1333, die u. a. jede militärische und lo-
gistische Unterstützung der Taliban in Afghanistan untersagt, sowie der
VN-Sicherheitsratsresolution 1368. Grundsätzlich sind beide Seiten –
Pakistan und Indien – aufgerufen, für Kaschmir eine Politik der Zurück-
haltung und Befriedung zu betreiben;

4.5 eine Politik der Toleranz und Achtung der Menschenrechte zu betreiben,
die sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert und die Rechte von
Frauen und ethnischer und religiöser Gruppen auch nicht beeinträchtigt.
Hierzu gehört nach Auffassung des Deutschen Bundestages die Aufhe-
bung des sog. Blasphemiegesetzes;

4.6 entwicklungsorientiert im Sinne von „good governance“ zu handeln und
insbesondere im Rahmen der ökonomischen Möglichkeiten neue
Schwerpunkte in den Bereichen Bildung, Sozialwesen und Infrastruktur
zu setzen, um Frauen und Männern, Mädchen und Jungen eine neue Per-
spektive zu geben;

5. Pakistan bei den anstehenden grundlegenden Reformen tatkräftige beratende
und technische Hilfe zu leisten und dafür auch internationale Unterstützung
zu gewinnen, sofern die neue pakistanische Regierung dauerhaft glaubhaft
machen kann, den eingeschlagenen Reformweg konsequent zu verfolgen und
sich die Schaffung stabiler demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen
zum Ziel zu setzen;

6. in der Staatengemeinschaft darauf hinzuwirken, die Arbeit der Regierung
Musharrafs sehr aufmerksam und kritisch zu verfolgen und die sich daraus er-
gebenden Chancen nicht aus grundsätzlichen Vorbehalten heraus zu verspie-
len. Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region Südasien können nicht
durch Blockade, Ausgrenzung oder Isolation befördert werden, sondern nur
durch kritische und konstruktive Einbindung in die internationale Gemein-
schaft, durch eine wirksame Verpflichtung auf international anerkannte
grundlegende Normen zwischenstaatlichen Verhaltens und durch eine diesen
Kriterien folgende Zusammenarbeit mit Pakistan und den anderen Staaten der
Region;

7. alle Bemühungen zu unterstützen, damit Pakistan und Indien denVertrag über
einen umfassenden Teststopp nuklearer Waffen (Comprehensive Test Ban
Treaty – CTBT) und den Nichtverbreitungsvertrag (Non Proliferation Treaty
– NPT) unterzeichnen;

8. die traditionellen und freundschaftlichenBeziehungen zu Pakistan und Indien
zu nutzen und sich gegenüber beiden Staaten für einen verstärkten Dialog
über den Abbau von Spannungen, über vertrauensbildende Maßnahmen und
die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einzusetzen.

Berlin, den 17. Oktober 2001

Der Auswärtige Ausschuss
Hans-Ulrich Klose
Vorsitzender

Johannes Pflug
Berichterstatter

Willy Wimmer (Neuss)
Berichterstatter

Rita Grießhaber
Berichterstatterin

Ulrich Irmer
Berichterstatter

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter

Drucksache 14/7533 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Johannes Pflug, Willy Wimmer (Neuss),
Rita Grießhaber, Ulrich Irmer und Wolfgang Gehrcke

I.
Der Deutsche Bundestag hat den vorliegenden Antrag auf
Drucksache 14/5684 in seiner 170. Sitzung am 17. Mai
2001 beraten.
Der Antrag wurde an den Auswärtigen Ausschuss federfüh-
rend, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe sowie an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwiesen.

II.
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe hat den Antrag in seiner 66. Sitzung am 4. Juli 2001
beraten. Er empfiehlt einstimmig mit nachfolgender Be-
schlussempfehlung die Annahme:
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
stellt fest, dass sich seit Entstehen des Antrags die politische
und menschenrechtliche Situation in Pakistan verschlechtert

hat, und weist den federführenden Ausschuss darauf hin,
dass eine Aktualisierung geboten erscheint.
Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat den Antrag in seiner Sitzung am 27. Juni
2001 beraten. Er empfiehlt einstimmig die Annahme.

III.
Der Auswärtige Ausschuss hat in seiner 82. Sitzung am
17. Oktober 2001 den Antrag beraten und sich auf eine der
verschärften Sicherheitslage in Pakistan nach den Terror-
anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten
Staaten und der Militäroperation gegen das terroristische
Netzwerk Al Qaida in Afghanistan Rechnung tragende
aktualisierte Fassung verständigt. Er empfiehlt dem Plenum
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion der PDS die Annahme in dieser geänderten
Fassung.

Berlin, den 17. Oktober 2001
Johannes Pflug
Berichterstatter

Willy Wimmer (Neuss)
Berichterstatter

Rita Grießhaber
Berichterstatterin

Ulrich Irmer
Berichterstatter

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter

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