BT-Drucksache 14/7453

Versicherungsfremde Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung herausnehmen - Beiträge senken

Vom 14. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7453
14. Wahlperiode 14. 11. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Dr. Irmgard Schwaetzer, Ina
Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Versicherungsfremde Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung
herausnehmen – Beiträge senken

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Job-AQTIV-Gesetz verfolgt die Bundesregierung offensichtlich weiter
die Strategie, überwiegend sozialpolitische und damit gesamtgesellschaftliche
Aufgaben auf die Solidargemeinschaft der Beitragszahler abzuwälzen: Beispiele
hierfür sind die noch umfassendere Finanzierung der betrieblichen Weiterbil-
dung durch die Versicherten, die „beschäftigungsschaffende Infrastrukturför-
derung“, mit der Aufgaben der Kommunen und Länder durch die Beitragszahler
finanziert werden, die Ausweitung der Einsatzfelder von Strukturanpassungs-
maßnahmen (SAM) und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sowie die
Übernahme des Sofortprogramms zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, also
eines Personenkreises, bei dem es sich in der Regel nicht um bisherige Beitrags-
zahler zur Arbeitslosenversicherung handelt. Damit ist das Job-AQTIV-Gesetz
geeignet, zu einer weiteren Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
beizutragen und – als Bestandteil der gesetzlichen Lohnzusatzkosten – Arbeits-
plätze zu gefährden.
Folge der Überwälzung vieler grundsätzlich gesamtgesellschaftlicher Aufgaben
auf die Arbeitslosenversicherung ist eine unübersehbare Fülle von Instrumen-
ten, die vorgeblich die Arbeitsmarktchancen für die verschiedenen Zielgruppen
Arbeitsloser verbessern soll. Alle Beteiligten nutzen so die Arbeitslosenversi-
cherung, um beschäftigungspolitische Lasten auf Dritte – die beitragszahlenden
Arbeitgeber und Arbeitnehmer – abzuwälzen: Der Staat signalisiert Aktionis-
mus und verleitet so die Betroffenen zu der Illusion, er könne die Probleme lö-
sen. Die Arbeitgeber werden verleitet, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für
die Lösung betrieblicher Personalpolitik zu mißbrauchen. Der private Sektor
wird durch den zweiten Arbeitsmarkt bedrängt. Die Gewerkschaften schließ-
lich versuchen, mit Hilfe arbeitsmarktpolitischer Instrumente die Interessen ih-
rer Mitglieder zu bedienen, nicht die der Arbeitslosen. Dem steht gegenüber,
dass die Effekte und Effizienz der einzelnen Maßnahmen nach allen bisher be-
kannt gewordenen Untersuchungen mit großer Skepsis zu betrachten sind. Dies

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gilt in besonderem Maße für Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungs-
maßnahmen.
Werden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf diese Weise in den
Dienst gesamtgesellschaftlicher Aufgaben gestellt, wird die dringende Notwen-
digkeit verspielt, den Beitragssatz zu senken. Zudem wird mit der Ausweitung
des zweiten Arbeitsmarktes Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt verhindert.
Im Ergebnis entsteht eine Spirale, die die Ausgaben der Bundesanstalt für Ar-
beit erhöht, die Beitragssätze nach oben treibt und die Beschäftigungsdynamik
einschnürt. Dieser Teufelskreis muss und kann durchbrochen werden.
Dafür ist es notwendig, das Versicherungsprinzip in der Arbeitslosenversiche-
rung deutlich zu stärken. Für eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversi-
cherung muss man sich im Interesse der Beschäftigung auf dem ersten Arbeits-
markt klar dazu bekennen, dass sich die staatliche Förderung allein an der
Vermittlung von Arbeitslosen orientieren darf. Die Arbeitslosenversicherung
selbst sollte auf die Deckung des Risikos des Einkommensverlustes bei
Erwerbslosigkeit für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte beschränkt
werden. Sind dem Leistungsbezug keine anspruchsgenerierenden Beitragszah-
lungen vorausgegangen, müssen diese grundsätzlich als nichtversicherungs-
adäquat qualifiziert werden. Auch trifft das Argument, der Bund trage bereits
mit seinem Haushaltszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit zur Finanzierung
versicherungsfremder Leistungen bei, nicht zu, da dieser Zuschuss eine reine
Defizithaftung darstellt und im langfristigen Durchschnitt bei Null liegen sollte.
In der Arbeitslosenversicherung muss wieder eine Gesamtäquivalenz zwischen
Beiträgen und Leistungen hergestellt werden. Ziel der Leistungen muss es un-
verändert sein, Arbeitnehmer durch eine von der Bedürftigkeit unabhängige
Versicherungsleistung, die an die Stelle des ausfallenden Entgeltes tritt, vor den
wirtschaftlichen Folgen der Arbeitslosigkeit zu schützen.
Eine solche institutionelle Ausgliederung in den Haushalt des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Sozialordnung (Einzelplan 11) würde auch eine Entflech-
tung des Korporatismus und eine Redemokratisierung der Entscheidungen in
der Arbeitsmarktpolitik bedeuten. An Stelle eines korporatistisch organisierten
Geflechtes von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Exekutive, das die
Weichen in der Arbeitsmarktpolitik stellt, würde der demokratisch legitimierte
Deutsche Bundestag treten. Dieser kann und muss dann auch über die Ausga-
ben für „aktive Arbeitsmarktpolitik“ im Wettbewerb mit anderen Ausgaben-
zwecken bei knappen Mitteln entscheiden. Hiervon muss ein heilsamer Sparef-
fekt ausgehen, der die angestrebte, stufenweise Rückführung der ausgeuferten
Programme fördert. Dadurch könnte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung
von 6,5 % auf mindestens 5,5 % gesenkt werden.
Um das Versicherungsprinzip und eine verantwortungsbewusste Inanspruch-
nahme von Versicherungsleistungen noch weiter zu stärken, sollte, wie bereits
in dem Antrag der Fraktion der FDP vom 25. September 2001 (Bundestags-
drucksache 14/6621) eingeführt, nicht nur die Unterscheidung zwischen Ar-
beitgeberanteil und Arbeitnehmerbeiträge überdacht, sondern den Versicherten
in der Arbeitslosenversicherung auch eine größere Wahlfreiheit eingeräumt
werden. Dies betrifft etwa den zeitlichen Verlauf der Unterstützungsleistungen.
Hier könnte dem Versicherten die Wahl zwischen einer mit der Dauer der Ar-
beitslosigkeit konstanten, fallenden oder steigenden Unterstützungsleistung
eingeräumt werden. Ähnliche Optionen ließen sich für die Dauer der An-
spruchsbelastung realisieren, wobei zusätzliche Variationsmöglichkeiten mit
Karenzzeitregelungen bestünden. Außerdem könnte von denjenigen Arbeitneh-
mern, die auf eine Zumutbarkeitsregelung verzichten und zumindest vorüber-
gehend jede Arbeit anzunehmen bereit sind, ein geringerer Beitragssatz gefor-
dert werden. Damit könnte die Arbeitslosenversicherung ihre Leistungen noch
genauer auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Versicherten ausrichten und

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gleichzeitig die so möglich gewordenen Einsparungen in Form von niedrigeren
Beiträgen an die Versicherten weitergeben.

Daher fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf:
1. Die Bundesregierung legt einen Plan vor, wonach die aktive Arbeitsmarkt-

politik, wie etwa Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen,
deutlich gestrafft und aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit in den
Bundeshaushalt Einzelplan 11 (Bundesministerium für Arbeit und Sozial-
ordnung) überführt werden.

2. Die Bundesregierung legt parallel dazu einen Stufenplan über die Zusam-
menführung dieser Maßnahmen vor. Der eingesparte Bundeszuschuss zum
Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit kommt dem Einzelplan 11 zugute.

3. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird zum 1. Januar 2002 auf min-
destens 5,5 % gesenkt, bei weiterem Spielraum noch niedriger.

4. Die Bundesregierung führt Wahltarife in die Arbeitslosenversicherung ein,
die es dem Arbeitnehmer ermöglichen, nach seinen Präferenzen konstante
oder variable Unterstützungsleistungen zu erhalten, die Dauer seines An-
spruchs festzulegen und unterschiedliche Zumutbarkeitsregelungen zu ver-
einbaren.

5. Die Bundesregierung legt ein Maßstäbegesetz vor, das eine klare Abgren-
zung steuerfinanzierter und beitragsfinanzierter Aufgaben der Arbeitsmarkt-
politik enthält und die künftigen Kompetenzen der Bundesanstalt für Arbeit
auf eine sichere gesetzliche Grundlage stellt.

Berlin, den 13. November 2001
Dirk Niebel
Rainer Brüderle
Dr. Irmgard Schwaetzer
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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