BT-Drucksache 14/7200

Notwendigkeit für die Aufhebung des "Religionsprivilegs" im Vereinsgesetz?

Vom 17. Oktober 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7200
14. Wahlperiode 17. 10. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Heinrich Fink, Dr. Evelyn Kenzler,
Petra Pau und der Fraktion der PDS

Notwendigkeit für die Aufhebung des „Religionsprivilegs“ im Vereinsgesetz?

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, durch den das „Reli-
gionsprivileg“ des § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Vereinsgesetzes (VereinsG) gestrichen
werden soll. Damit würden Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften,
die nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, den
Regelungen des Vereinsgesetzes unterworfen und den Behörden die Möglich-
keit gegeben, einzelne Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zu
verbieten und aufzulösen. Begründet wird der Wunsch nach Streichung des
„Religionsprivilegs“ mit dem Bedürfnis, gegen Vereinigungen, deren Zwecke
oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfas-
sungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten,
auch dann ein Verbot aussprechen zu können, wenn es sich um Religionsge-
meinschaften handelt. Demgegenüber hat der Berliner Erzbischof Kardinal Ge-
org Sterzinsky davor gewarnt, „zu schnell das Religionsprivileg zu streichen,
ohne die ganze Tragweite zu bedenken“ (DER TAGESSPIEGEL, 22. Septem-
ber 2001); der Kölner Staatskirchenrechtler Prof. Dr. Wolfgang Rüfner sieht in
dem Vorhaben „eine Einschränkung der Religionsfreiheit“ (Katholische Nach-
richtenagentur, 18. September 2001).
Außerdem besteht die Gefahr, dass Religions- oder Weltanschauungsgemein-
schaften pauschal in den Generalverdacht des Extremismus gestellt werden.
Zudem ist fraglich, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, eine Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaft als „Ausländerverein“ im Sinne des § 14 Abs. 1
VereinsG zu verbieten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:
1. Ist ein Verbot von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften nach

gegenwärtiger Rechtslage (vollkommen) unmöglich?
2. Bei welchen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften ist nach Auf-

fassung der Bundesregierung davon auszugehen, dass sie entsprechend dem
gegenwärtigen Sach- und Erkenntnisstand nach Aufhebung des „Religions-
privilegs“ gemäß den Vorschriften des Vereinsgesetzes aufgelöst werden
sollten (bitte die einzelnen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften
mit ihrem offiziellen Namen bezeichnen, ihre Mitgliederstärke sowie den
nach Auffassung der Bundesregierung zutreffenden Verbotsgrund entspre-
chend den Bestimmungen des Vereinsgesetzes angeben)?

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3. Hat es bereits Verbotsverfügungen nach dem Vereinsgesetz gegen eine Or-
ganisation gegeben, die sich selbst als Religions- oder Weltanschauungs-
gemeinschaft bezeichnete?
a) Wenn ja:

aa) Welchen Ausgang haben die entsprechenden Verfahren genommen
(bitte nach den jeweiligen Organisationen getrennt aufführen)?

bb) Welche betroffenen Organisationen waren „Ausländervereine“ im
Sinne des § 14 Abs. 1 VereinsG?

b) Wenn nein, aus welchen Gründen ist von Verbotsverfügungen abgesehen
worden?

4. Wenn Verbotsverfügungen nach dem Vereinsgesetz gegen Organisationen,
die sich selbst als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bezeich-
net haben, durch die Gerichte nicht bestätigt worden sind:
a) Gegen welche Organisationen richteten sich die gerichtlich nicht bestä-

tigten Verbotsverfügungen?
b) Welche betroffenen Organisationen waren „Ausländervereine“ im Sinne

des § 14 Abs. 1 VereinsG?
c) Mit welcher Begründung wurden die Verbotsverfügungen von den Ge-

richten nicht bestätigt (bitte nach den einzelnen Organisationen getrennt
aufführen)?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Aufhebung des
§ 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vor allem BVerwGE 37, 344, 363 ff.), nach der
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an die verfassungsmäßige
Ordnung gebunden sind und erforderlichenfalls dem Verbot und der Auflö-
sung nach Artikel 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unterliegen, sie aber mit Rück-
sicht auf die Bestandsgewährleistung des Artikels 137 Weimarer Reichsver-
fassung (WRV) und auf die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses (Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG) nur dann verboten und aufzulö-
sen sind, wenn ihre verfassungsfeindliche Betätigung nicht mit milderen Ver-
waltungsmitteln wirksam verhindert werden kann?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass terroristische oder schwer-
kriminelle Vereinigungen sich schon jetzt nicht auf das „Religionsprivileg“
berufen könnten, weil § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG die zulässige Tätigkeit von
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den „Rahmen des Arti-
kels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 der deutschen
Verfassung vom 11. August 1919“ (WRV) und Artikel 137 Abs. 3 Satz 1
WRV die Tätigkeit der Religionsgesellschaften „innerhalb der Schranken
des für alle geltenden Gesetzes“ stellt, mithin zumindest eine nachweislich
terroristisch oder schwerkriminell aktive Vereinigung den durch Artikel 137
Abs. 3 Satz 1 WRV gesetzten Rahmen verlassen würde und deshalb nicht
von der Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG erfasst wäre?
Wenn ja, welche Notwendigkeit sieht die Bundesregierung dann noch für
eine Aufhebung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG?
Wenn nein, warum nicht?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Verbot einer als „Aus-
länderverein“ im Sinne des § 14 Abs. 1 VereinsG geltenden Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaft mit der Begründung, dass ihre Tätigkeit
„sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“ beeinträch-
tige, zumindest eine erhebliche Beschränkung des grundgesetzlich garan-
tierten Anspruchs auf Freiheit der Religionsausübung und des Zusammen-

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schlusses zu Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften darstellen
würde?
Wenn ja, wie will die Bundesregierung nach einer Aufhebung des § 2 Abs. 2
Nr. 3 VereinsG sicherstellen, dass die Grundrechte aus den Artikeln 4 und
140 GG in Verbindung mit den Artikeln 136 bis 139 WRV nicht durch Ver-
botsverfügungen nach dem Vereinsgesetz verletzt werden?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 17. Oktober 2001
Ulla Jelpke
Dr. Heinrich Fink
Dr. Evelyn Kenzler
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

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