BT-Drucksache 14/698

Einrichtung der Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Unrecht" und der "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

Vom 18. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/698 vom 18.03.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Einrichtung der Bundesstiftung
Entschädigung für NS-Unrecht und der Stiftungsinitiative deutscher
Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft =

18.03.1999 - 698

14/698

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Heinrich Fink, Wolfgang Gehrcke-Reymann, Ulla
Jelpke,
Dr. Evelyn Kenzler, Petra Pau und der Fraktion der PDS
Einrichtung der Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Unrecht" und der
"Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft"

Im Koalitionsvertrag vom 20. Oktober 1998 heißt es: "Die neue
Bundesregierung wird eine Bundesstiftung ,Entschädigung für Unrecht`
für die ,vergessenen Opfer` und unter Beteiligung der deutschen
Industrie eine Bundesstiftung ,Entschädigung für NS-Zwangsarbeit` auf
den Weg bringen".
In seiner Regierungserklärung vom 10. November 1998 hatte Bundeskanzler
Gerhard Schröder ausgeführt, daß er schon "vor der Aufnahme der
Amtsgeschäfte betroffene Industrieunternehmen zusammengerufen" habe,
"um über einen gemeinsamen Fonds zur Entschädigung berechtigter
Ansprüche von Zwangsarbeitern zu sprechen" (Stenographischer Bericht
der 3. Sitzung, 10. November 1998).
Mittlerweile hat Kanzleramtsminister Bodo Hombach einen internen
Arbeitsentwurf zur Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vorgelegt, in dem
der organisatorische Aufbau einer Stiftung, der Zweck der Stiftung und
der Zeitplan für die Einrichtung einer solchen Stiftung skizziert
werden (siehe "DER SPIEGEL", 1. Februar 1999). Auch hat
Kanzleramtsminister Bodo Hombach in Gesprächen in den USA Möglichkeiten
eines eventuellen bilateralen Abkommens ausgelotet, das zukünftige
Sammelklagen aus den USA gegen deutsche Unternehmen, die in den
Stiftungsfonds zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeit einzahlen,
ausschließt (siehe FR, FAZ und Handelsblatt vom 17. Februar 1999).
Ein erstes Treffen mit Vertretern von 12 bundesdeutschen Unternehmen
fand am 16. Februar 1999 in Bonn statt, auf dem über die Einrichtung
der Stiftung gesprochen wurde. Gegenüber den Medien erklärte
Bundeskanzler Gerhard Schröder im Anschluß an dieses Treffen, daß
Rechtssicherheit darüber bestehen müsse, daß Ansprüche nur noch
gegenüber dem Fonds, nicht aber gegen Firmen erhoben werden dürften. In
einer "gemeinsamen Erklärung" der Unternehmen und des Bundeskanzlers
heißt es, daß das Bemühen im Vordergrund stehe, "Klagen, insbesondere
Sammelklagen in den USA, zu begegnen und Kampagnen gegen den Ruf
unseres Landes und seiner Wirtschaft den Boden zu entziehen" (Presse-
und Informationsamt der Bundesregierung vom 16. Februar 1999).
Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, daß Zahlungen in den Fonds von
2,5 bis 3 Mrd. DM, wie sie öffentlich gehandelt worden sind, "wenig
realistisch" seien. Auch lehnte er Zahlungen der Bundesregierung ab
(Handelsblatt, 17. Februar 1999). Zum Modus der Entschädigungszahlungen
an die NS-Opfer erklärte er, daß es noch strittig sei, ob man in Form
von einmaligen Zahlungen oder in Form einer Rente die Entschädigung
zahle; er tendiere zu einer einmaligen Zahlung (Handelsblatt, 17.
Februar 1999).
Kanzleramtsminister Bodo Hombach erklärte im Anschluß an diese
Gespräche im Bundeskanzleramt, daß zwischen 200 000 und 300 000 frühere
Zwangsarbeiter aus dem Fonds Entschädigungen erhalten könnten. Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt weiter: "Offenbar muß man sich
noch über die Definition des Begriffs ,Zwangsarbeit` einigen" (FAZ, 17.
Februar 1999).
Vertreter der Wirtschaft begrüßten die Gespräche als "Meilenstein",
wiesen aber auch darauf hin, daß noch "viele Fragen offen" seien (FAZ,
17. Februar 1999).
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die deutsche
Industrie sich zu ihrer moralischen und politischen Verantwortung für
die Errichtung und Festigung der Nazi-Diktatur bekennen muß, nicht
zuletzt
-- weil 1933 der Reichsverband der deutschen Industrie (RDI) Hitler
nach der "Machtergreifung" für die Sicherung der Wirtschaft vor
"Störungen" und "politischen Schwankungen" mit einer "Adolf-Hitler-
Spende der deutschen Wirtschaft" dankte,
-- weil viele namhafte Industrielle schon während der Weimarer
Republik die NSDAP finanziell und politisch unterstützten?
2. Wie viele Menschen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
während der NS-Zeit zur Zwangsarbeit verschleppt, und aus welchen
Staaten kamen sie (differenziert auflisten)?
3. In welchen Ländern leben nach Kenntnis der Bundesregierung wie
viele ehemalige NS-Zwangsarbeiterinnen und NS-Zwangsarbeiter (bitte
nach Ländern und Anzahl der NS-Zwangsarbeiterinnen und NS-
Zwangsarbeiter auflisten), und wie viele dieser NS-Zwangsarbeiterinnen
und NS-Zwangsarbeiter in welchen Ländern haben einmalige
Entschädigungszahlungen (in welcher Höhe) erhalten oder beziehen
Entschädigungsgelder in Form einer Rente?
4. Worauf stützt der Bundeskanzler seine Ansicht "Die deutschen
Unternehmen haben sich ihrer Verantwortung stets gestellt" (FAZ, 17.
Februar 1999), die er gegenüber den Medien mit Blick auf den in der
Vergangenheit gepflegten Umgang der deutschen Unternehmen mit der NS-
Zwangsarbeit geäußert hatte?
a) Wie viele deutsche Unternehmen, die von NS-Zwangsarbeit
profitierten, haben nach Kenntnis der Bundesregierung bisher keine
Entschädigungen für NS-Zwangsarbeit gezahlt?
b) Welche Unternehmen haben wann und in welcher Höhe Entschädigungen
für NS-Zwangsarbeit gezahlt?
c) Wie viele Opfer der NS-Zwangsarbeit haben bisher keine
Entschädigungen von deutschen Unternehmen erhalten?
d) Wie erklärt sich der Bundeskanzler im Hinblick auf seine o. g.
Aussage, daß die deutschen Unternehmen erst nach 54 Jahren und nach
massiven Boykottdrohungen und Androhungen von Sammelklagen bereit sind,
eine Stiftung zu gründen?
5. Was meinte der Bundeskanzler mit der Äußerung, daß eines der Ziele
der Bundesregierung bei der Begleitung der "Stiftungsinitiative
deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sei, eine
"Grundlage zu schaffen, um (. . .) Kampagnen gegen den Ruf unseres
Landes und seiner Wirtschaft den Boden zu entziehen"?
a) Von welchen Kampagnen spricht der Bundeskanzler?
b) Von wem werden diese Kampagnen seiner Meinung nach initiiert?
6. Wie viele derzeit noch bestehende deutsche Unternehmen haben in
der NS-Zeit nach Kenntnis der Bundesregierung wie viele Zwangsarbeiter
ausgebeutet?
7. Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die im
Koalitionsvertrag vom 20. Oktober 1998 angekündigte Bundesstiftung
"Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" auf den Weg zu bringen?
a) Wann soll diese Stiftung eingerichtet werden?
b) Wie soll das Organisationsmodell dieser Stiftung aussehen?
c) Welche genauen Zielsetzungen soll diese Stiftung verfolgen?
d) Welche finanziellen Mittel soll diese Stiftung zur Verfügung
gestellt bekommen?
e) Wurden in den Bundeshaushalt 1999 Mittel für eine Bundesstiftung
zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeit eingestellt, und wenn nein, warum
nicht?
f) Ab wann sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung
Entschädigungszahlungen aus dieser Stiftung erfolgen?
g) Wie soll die Beteiligung der deutschen Industrie an dieser
Stiftung realisiert werden?
h) Wie hoch sollen die Schadensersatzleistungen für die ehemaligen
NS-Zwangsarbeiterinnen und NS-Zwangsarbeiter sein, und wie wird dies
berechnet (in bezug auf Art und Dauer der geleisteten Arbeit, die
Arbeitsbedingungen, die gesundheitlichen Schädigungen durch
Mißhandlungen und Hunger, den entgangenen Lohn, Sozialversicherungen
etc.)?
i) Sollen die Entschädigungen in Einmalzahlungen oder in Form einer
Rente ausgezahlt werden?
j) Wie und wann soll die Einrichtung dieser Stiftung im Ausland
bekanntgemacht werden, damit alle ehemaligen NS-Zwangsarbeiterinnen und
NS-Zwangsarbeiter die Möglichkeit haben, Entschädigungszahlungen
einzufordern?
8. Hat die Bundesregierung für den Aufbau der geplanten
Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" von sich aus Kontakt
mit NS-Opferverbänden aufgenommen?
a) Wenn ja, wann und mit welchen?
b) Wenn nein, warum nicht, und ist die Bundesregierung nicht auch der
Ansicht, daß bei der Einrichtung einer Stiftung zur Entschädigung der
NS-Zwangsarbeit der wichtigste Gesprächspartner die Opferverbände sind?
9. Welche Rolle spielt die Bundesregierung beim Zustandekommen der
"Stiftungsinitiative der deutschen Unternehmen: Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft"?
a) Welche Organisationsform soll die "Stiftunginitiative deutscher
Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" nach Kenntnis der
Bundesregierung haben?
b) Welches sind die Ziele der Stiftung?
c) Nach welchem Schlüssel sollen die Unternehmen in den Fonds
einzahlen?
d) Wie und durch wen wird der Fonds dieser Stiftung kontrolliert?
e) Wie wird der Begriff "Zwangsarbeit" von den an der
Stiftungsgründung beteiligten Unternehmen definiert?
f) Sollen auch Kriegsgefangene, die im NS-Staat Sklavenarbeit
verrichten mußten, unter diese Definition fallen?
g) Wie hoch sollen die Schadensersatzleistungen für die ehemaligen
NS-Zwangsarbeiterinnen und NS-Zwangsarbeiter sein, und wie wird dies
berechnet (in bezug auf Art und Dauer der geleisteten Arbeit, die
Arbeitsbedingungen, die gesundheitlichen Schädigungen durch
Mißhandlungen und Hunger, den entgangenen Lohn, Sozialversicherung
etc.)?
h) Sollen die Entschädigungen in Einmalzahlungen oder in Form einer
Rente ausgezahlt werden?
i) Welche Schwierigkeiten bestehen zur Zeit, um die Stiftung der
deutschen Unternehmen zügig aufbauen zu können?
j) Wie und wann soll die Einrichtung dieser Stiftung im Ausland
bekanntgemacht werden, damit alle ehemaligen NS-Zwangsarbeiterinnen und
NS-Zwangsarbeiter die Möglichkeit haben, Entschädigungszahlungen
einzufordern?
10. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung mit der Begleitung der
Einrichtung der "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft"?
11. Gehört zu den von der Bundesregierung anvisierten Zielen im
Zusammenhang mit der Einrichtung dieser Stiftung auch die Verhinderung
von
a) Sammelklagen von NS-Opfern und NS-Zwangsarbeiterinnen und NS-
Zwangsarbeitern,
b) Boykottdrohungen in den USA gegen deutsche Unternehmen?
12. Nach welchem Zeitplan soll die Einrichtung der Stiftung der
deutschen Unternehmen erfolgen, und weicht der Aufbau dieser Stiftung
vom bisherigen Zeitplan ab?
Wenn ja,
a) warum?
b) in welchem Rahmen?
13. Welche deutschen Unternehmen wurden auf welchem Wege zum Aufbau
der Stiftung von der Bundesregierung und/oder Vertretern der Wirtschaft
eingeladen?
a) Welche Unternehmen haben bisher eine Beteiligung zugesagt?
b) Welche Unternehmen haben eine Beteiligung mit welcher Begründung
abgelehnt?
14. Welche Verhandlungen haben welche Vertreter der Bundesregierung
wann und zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis mit welchen
Vertretern der US-Regierung und amerikanischer Organisationen im
Zusammenhang mit der Einrichtung der Stiftung der deutschen Unternehmer
geführt (bitte einzeln auflisten)?
a) Haben amerikanische Regierungsvertreter Zusagen über ein
bilaterales Abkommen gegeben, das die Grundlagen schaffen soll, damit
Sammelklagen von NS-Opfern in den USA gegen deutsche Unternehmen nicht
mehr möglich sind, und wenn ja, welche?
b) Was würde nach Ansicht der Bundesregierung geschehen, wenn ein
derartiges Abkommen nicht zustande kommen würde, und teilt die
Bundesregierung die Einschätzung von Anwälten von NS-Opfern, daß dies
das Ende der Stiftung der deutschen Unternehmen zur Entschädigung der
NS-Zwangsarbeit wäre?
c) Wieso wurde Kanzleramtsminister Bodo Hombach bei seiner Reise
Anfang Februar 1999 in die USA vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen
Bank, Rolf Breuer, begleitet, und hat dieser an irgend welchen
Gesprächen bezüglich der Entschädigung von NS-Zwangsarbeit
teilgenommen, und wenn ja, an welchen?
15. Mit welchen Regierungen anderer Länder haben welche Vertreter der
Bundesregierung wann und mit welchem Ziel und welchem bisherigen
Ergebnis Kontakt und Gespräche im Zusammenhang mit dem Problem der
Entschädigung der NS-Zwangsarbeit aufgenommen (bitte einzeln
auflisten)?
a) Sollen mit anderen Staaten ebenfalls bilaterale Abkommen
abgeschlossen werden?
b) Welche Auswirkungen auf die Stiftung der deutschen Unternehmer
hätte es, wenn eines oder mehrere dieser Länder dem Abschluß eines
Abkommens nicht zustimmen würden?
16. Warum wurde von der Bundesregierung mit der Initiierung einer
"Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft" begonnen und die Bundesstiftung zur "Entschädigung der NS-
Zwangsarbeit" erst einmal zurückgestellt?
17. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß sich die
Verhandlungen um die Errichtung einer Stiftung der deutschen
Unternehmen als schwierig und langwierig erweisen und sogar scheitern
könnten und daß damit erneut wertvolle Zeit verloren ginge, um die noch
lebenden NS-Opfer zu entschädigen?
Wenn nein, warum nicht?
Bonn, den 13. März 1999
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Ulla Jelpke
Dr. Evelyn Kenzler
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

18.03.1999 nnnn

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