BT-Drucksache 14/6962

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 15)

Vom 25. September 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6962
14. Wahlperiode 25. 09. 2001

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, Gudrun Kopp, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke,
Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Carl-Ludwig
Thiele, Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 15)

A. Problem
Die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Vorstellungen durch Sozialisierungen
sowie die Vergesellschaftung als Mittel der Wirtschaftspolitik generell haben
sich überlebt. Die diesbezügliche Ermächtigungsnorm im Grundgesetz ist
obsolet und deshalb aufzuheben.

B. Lösung
Aufhebung von Artikel 15 des Grundgesetzes.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Keine

Drucksache 14/6962 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 15)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1
Änderung des Grundgesetzes

Artikel 15 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III , Gliede-
rungsnummer 100-1, veröffentlichen bereinigten Fassung,
das zuletzt durch das Gesetz ... geändert worden ist, wird
aufgehoben.

Artikel 15 wird gestrichen.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 24. September 2001
Rainer Brüderle
Rainer Funke
Gudrun Kopp
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6962

Begründung

Zu Artikel 1 (Artikel 15 GG)
Artikel 15 des Grundgesetzes (GG) ging aus der Weimarer
Reichsverfassung von 1919 hervor. Die Überführung von
Unternehmen in Gemeineigentum wurde in der Nachkriegs-
zeit von vielen als zulässiges Mittel der Wirtschaftspolitik
betrachtet. Für die SPD von 1949 war die in Artikel 15 GG
eröffnete Möglichkeit, bei entsprechender Mehrheit im Par-
lament eine grundlegende Umgestaltung der Wirtschafts-
ordnung vornehmen zu können, ein wichtiges Argument für
die Zustimmung zum Gesamtwerk des Grundgesetzes trotz
aus ihrer Sicht bestehender Unvollkommenheiten.
Die Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen
und Produktionsmitteln ist in Artikel 15 GG geregelt wor-
den. Dieser sieht eine Überführung in Gemeineigentum
oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft vor. Der Be-
griff der Gemeinwirtschaft entzieht sich einer präzisen Defi-
nition. Die Entschädigungsregel ist analog zu Artikel 14
Abs. 3 GG, der sich mit der Enteignung zum Wohle der All-
gemeinheit generell befasst, ausgestaltet. Die Sozialisierung
nach Artikel 15 GG muss als eigenständiges Rechtsinstitut
gegenüber der Enteignung nach Artikel 14 Abs. 3 GG ange-
sehen werden. Sie bezieht sich ausschließlich auf Grund
und Boden, Naturschätze sowie Produktionsmittel und ent-
faltet ihre Wirkung insofern als Ermächtigung zum Eingriff
in die Wirtschaftsverfassung. Die spezifisch wirtschaftspoli-
tische Ausrichtung zeigt sich auch daran, dass anders als bei
der Enteignungsnorm nach Artikel 14 Abs. 3 GG keine Bin-
dung an das Gemeinwohl expressis verbis vorgesehen ist.
Artikel 15 GG ist deshalb als Teil einer Entscheidung für
die wirtschaftspolitische Offenheit des GG zu verstehen.
Der Begriff der Vergesellschaftung in Artikel 15 GG ist le-
diglich ein anderes Wort für Sozialisierung. Die Vergesell-
schaftung stellt eine alte Forderung sozialistischer Parteien
dar. Die Sozialisierung von Produktionsmitteln sollte der
wesentliche Schritt zur Überwindung des Kapitalismus sein.
Mittels der Vergesellschaftung wollte der Sozialismus den
bürgerlich-liberalen Kapitalismus durch ein System der Ge-
meinwirtschaft ersetzen, das den besitzlosen Schichten kol-
lektive Verfügungsmacht über das Wirtschaftseigentum ver-
schaffen sollte.
Artikel 15 GG ermächtigt den Gesetzgeber, zwangsweise in
Eigentumsrechte einzugreifen. Unter dem Begriff Produkti-
onsmittel versteht die herrschende Lehre wörtlich die „Mit-
tel der Produktion“ und zwar die der Produktion unmittelbar
dienenden Betriebsanlagen (Gebäude, Maschinen, Werk-
zeuge), die für die Produktion verwandten Betriebsmittel
(Rohstoffe, Halbfabrikate) und die in der Produktion einge-
setzten Urheberrechte (Patente, Warenzeichen). Auch im in-
ternationalen Recht und im Europäischen Gemeinschafts-
recht wird die Sozialisierung als Eingriff in das Eigentum
behandelt.
Mit Blick auf Artikel 19 Abs. 1 GG ist lediglich die allge-
meine Sozialisierung, nicht aber die Sozialisierung nur be-
stimmter einzelner Eigentumsobjekte, wie z. B. nur einer
Fabrik, zulässig.

Es ist in der Bundesrepublik Deutschland nie zu Sozialisie-
rungen gekommen. Der wirtschaftliche und politische Zu-
sammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung auf der
Basis des Modells der sozialen Marktwirtschaft haben die
praktische Irrelevanz des Artikels 15 GG untermauert. Auch
die Rechtfertigung des Artikels als innenpolitisches Ventil
ist nicht tragbar. Der Zusammenbruch der DDR hat gezeigt,
dass eine sozialistische oder auch gemeinwirtschaftliche
Alternative in dieser Form nicht existiert. Die Einigungsver-
träge haben ein Weiteres getan, die derzeitige Wirtschafts-
und Eigentumsverfassung normativ zu verfestigen. Bei der
Regelung offener Vermögensfragen stand die Alternative, in
den neuen Bundesländern Volks- und genossenschaftliches
Eigentum in einem von Artikel 15 GG zugelassenen Maße
in gemeinwirtschaftlichen Formen zu belassen, nie zur Dis-
kussion. Die von der sozialistischen Lehre unter dem spezi-
fischen Gesichtspunkt der Verwirklichung des Sozialismus
entwickelten Formen der Sozialisierung sind für den deut-
schen Gesetzgeber ohnehin nicht verbindlich; er könnte, er
müsste sie aber nicht zugrunde legen, wenn er sich für eine
Sozialisierung einzelner Produktionsmittel oder von Grund
und Boden entschiede. Aber allein die Existenz des
Artikels 15 GG stellt eine potentielle Bedrohung der Wirt-
schaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland dar, da sie
eine gesetzliche Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen
bedeutet. Sie passt auch nur sehr bedingt in die Gesamt-
konzeption des GG, die von der freien Persönlichkeitsent-
faltung und der Eigenverantwortlichkeit des Individuums
ausgeht. Die Verstaatlichung ganzer Wirtschaftssektoren ist
außerdem nicht mit Artikel 98 EG-Vertrag vereinbar, wo-
nach die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft im Einklang
mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit
freiem Wettbewerb handeln sollen.
Eine ersatzlose Streichung des Artikels 15 GG trägt den Er-
fahrungen Rechnung, die seit 1949 auch weltweit mit dem
Institut der Vergesellschaftungen als wirtschaftspolitischem
Instrument gemacht worden sind. Nach dem Erfolg der so-
zialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland
und angesichts des Niedergangs der planwirtschaftlich be-
stimmten Wirtschaftsordnungen sind die Sozialisierungsfor-
derungen aus den politischen Programmen der großen poli-
tischen Parteien nicht nur in Deutschland verschwunden.
Der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch der
DDR dürfte bewirken, dass auch längerfristig in der Bun-
desrepublik Deutschland Sozialisierungsforderungen keine
Bedeutung in der politischen Auseinandersetzung gewinnen
werden.
Alle bedeutenden politischen Kräfte der Bundesrepublik
Deutschland sind sich in ihrer Unterstützung der marktwirt-
schaftlichen Ordnung auf der Grundlage im Privateigentum
stehender Wirtschaftsunternehmen einig. In der gegenwärti-
gen Verfassungswirklichkeit ist der Artikel 15 GG daher be-
deutungslos geworden.
Eine Streichung des Artikels 15 GG würde die Achtung des
Gesetzgebers vor dem Eigentum und dem verantwortungs-
vollen Umgang damit sowie die Überzeugung dokumentie-
ren, dass sich wirtschaftspolitische Ziele mit der Vergesell-

Drucksache 14/6962 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

schaftung unter anderem von Produktionsmitteln nicht er-
reichen lassen. Damit ist zugleich ein nachdrückliches Be-
kenntnis des Gesetzgebers zur sozialen Marktwirtschaft
verbunden.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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