BT-Drucksache 14/6838

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -14/6830, 14/6835- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören der Waffen, die durch die ethnisch albanischen bewaffneten Gruppen freiwillig abgegeben werden

Vom 29. August 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6838
14. Wahlperiode 29. 08. 2001

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Gisela Frick, Paul K. Friedhoff, Rainer Funke,
Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Dr.Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Heinrich L. Kolb, GudrunKopp,
Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther
Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Günter Rexrodt, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Marita Sehn,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Guido Westerwelle, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 14/6830, 14/6835 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz
auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören der Waffen,
die durch die ethnisch albanischen bewaffneten Gruppen freiwillig abgegeben
werden

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Seit dem Auseinanderbrechen der Bundesrepublik Jugoslawien vor über
10 Jahren ist die Entwicklung in fast allen ehemaligen Teilrepubliken durch
Krieg, Bürgerkrieg, Terror, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen ge-
kennzeichnet. Das Wiederaufflammen historischer Feindseligkeiten zwischen
den Volksgruppen hat nicht nur zu unermesslichem Leid der Betroffenen selbst
geführt, es stellt auch eine erhebliche Bedrohung für die politische Stabilität
des gesamten südosteuropäischen Raumes dar. Nachdem die bewaffneten Kon-
flikte in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo durch massive Militärinterventi-
onen der internationalen Staatengemeinschaft beigelegt werden konnten, sollen
nun auch in Mazedonien unter Beteiligung von NATO-Truppen die Vorausset-
zungen für ein friedliches Zusammenleben der serbischen Mehrheit und der
albanischen Minderheit geschaffen werden.
Selbst nach einer erfolgreichen Beendigung dieser weiteren NATO-Mission
wird der Balkan ein Krisenherd bleiben. Militärische Interventionen sind
jedoch als Mittel langfristiger politischer Stabilisierung untauglich. Nach den
bisherigen Entsendebeschlüssen des Deutschen Bundestages ist es daher drin-

Drucksache 14/6838 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

gend geboten, Initiativen für eine umfassende und belastbare Friedensregelung
auf dem Balkan zu ergreifen. Der Zeitpunkt hierfür ist günstig: In Slowenien
und inzwischen auch in Kroatien bestehen gefestigte demokratische Strukturen.
Auch in Serbien haben sich nach der friedlichen Revolution demokratische
Kräfte durchsetzen können. Die Konflikte in Bosnien-Herzegowina und im
Kosovo sind weitgehend unter Kontrolle. Albanien bemüht sich um eine
konstruktive Haltung. Alle maßgeblichen politischen Parteien in der Region
streben nach einer Einbindung in die europäische Wertegemeinschaft. Auch das
internationale Umfeld ist nach der Zustimmung Russlands zu den NATO-Plä-
nen anlässlich des G8-Gipfels in Genua und nach der Erklärung des Präsidenten
des UNO-Sicherheitsrates vorteilhaft.
Dieses Momentum muss jetzt für eine dauerhafte politische Stabilisierung der
Region genutzt werden. Als einzige Organisation, die neben den USA, Kanada
und Russland auch alle europäischen Staaten einschließlich der ehemaligen
Teilrepubliken Jugoslawien umfasst, bildet die OSZE hierfür den geeigneten
Rahmen.
Die OSZE kann über 25 Jahre nach ihrer Gründung eine außerordentliche Er-
folgsbilanz vorweisen. Der KSZE/OSZE-Prozess hat mit der Schlussakte von
Helsinki, der Charta von Paris und der europäischen Sicherheitscharta einen
ganz zentralen Beitrag zur Überwindung des Ost-West-Konfliktes und damit
zur Wiederherstellung der deutschen Einheit und zur europäischen Integration
geleistet. Auch Südosteuropa braucht dringend einen derartigen, von der inter-
nationalen Staatengemeinschaft unterstützten Prozess der regionalen Vertrau-
ensbildung, auf dessen Grundlage das friedliche Zusammenleben der Staaten
und Volksgruppen in der Region gewährleistet wird. Als Land, dessen Ge-
schichte in besonderer Weise vom KSZE/OSZE-Prozess geprägt wurde, sollte
Deutschland sowohl im Rahmen der Europäischen Union als auch im Rahmen
der Vereinten Nationen hierfür die Initiative ergreifen. Gegenstand dieser Ini-
tiative sollten die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Südosteuropa (KSZSE) unter der Schirmherrschaft der OSZE für den
Aufbau einer südosteuropäischen Sicherheitsarchitektur sein. Die bereits im
Rahmen des KSZE-Prozesses erfolgreichen Instrumente wie vertrauens-
bildende Maßnahmen, Streitschlichtung, regionale Zusammenarbeit, sollten
hierbei ebenso eingesetzt werden, wie die konkrete Perspektive einer schritt-
weisen Annäherung der betroffenen Staaten an die euroatlantischen Strukturen
verwirklicht werden muss. Ziel der KSZSE, an der neben den OSZE-Mitglied-
staaten der EU, der NATO und der Vereinten Nationen, auch die betroffenen
Teilrepubliken und Volksgruppen sowie wie ihre Organisationen teilnehmen
sollten, muss die schrittweise Klärung aller offenen Fragen wie Minderheiten-
status, Vertriebenenrückkehr, der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, Abrüs-
tung und Rüstungskontrolle, die Etablierung präventiver Konfliktlösungsme-
chanismen sowie regionale Kooperation auf der Grundlage der gegenseitigen
Anerkennung politischer und geographischer Grenzen sein. Dabei muss auch
sichergestellt werden, dass die KSZSE in enger Koordinierung mit dem eben-
falls unter der Schirmherrschaft der OSZE stehenden Stabilitätspakt für Südost-
europa, der in erster Linie auf die sozio-ökonomische Stabilisierung der Region
abzielt, durchgeführt wird. Während beim wirtschaftlichen Wiederaufbau – ins-
besondere im Rahmen des „Quick Start Pakets“ – bereits beachtliche Erfolge
erzielt werden konnten, bestehen – wie die Eskalationen in Mazedonien und die
nach wie vor labile Lage in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo zeigen – bei
den Bemühungen um eine politische Stabilisierung noch erhebliche Defizite.
Insbesondere kommt der im Rahmen des Stabilitätspaktes beschlossene südost-
europäische Konsultationsprozess ebenso wenig von der Stelle wie die Umset-
zung der von ihm verabschiedeten „Charta für gute Nachbarschaft, Stabilität
und gute Zusammenarbeit in Südosteuropa“. Mit der KSZSE muss der politi-
schen Komponente des Stabilitätspakts neue Impulse verliehen werden. Im

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6838

Rahmen der gegenwärtig stattfindenden Vorbereitungen für die 56. Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen in New York sollten sich daher alle Kräfte
auf die Erteilung eines VN-Mandates an die OSZE richten, als regionale Orga-
nisation im Sinne der UNO-Charta eine KSZSE einzuberufen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ausgehend von dem Erfolgsmodell KSZE/OSZE mit dem die Spaltung

Europas überwunden werden konnte, eine Initiative für eine internationale
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa (KSZSE)
zu ergreifen, an deren Ende eine belastbare Friedensregelung für den ge-
samten südosteuropäischen Raum stehen sollte;

2. sich gegenüber den Partnern in der Europäischen Union, insbesondere
gegenüber der belgischen Ratspräsidentschaft dafür einzusetzen, eine der-
artige Initiative im Rahmen den gemeinsamen europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik durchzuführen;

3. sich in diesem Sinne gemeinsam mit den EU-Partnern im Rahmen der
bevorstehenden 56. Vollversammlung der Vereinten Nationen für die Ver-
abschiedung einer Resolution der Generalversammlung zur Einberufung
einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa unter
der Schirmherrschaft der OSZE einzusetzen;

4. hierdurch dafür Sorge zu tragen, dass den Vereinten Nationen und ihrem
Generalsekretär Kofi Annan eine zentrale Rolle bei der Umsetzung einer
derartigen KSZSE-Initiative zufällt;

5. sich ebenfalls gegenüber dem VN-Sicherheitsrat für eine Empfehlung ein-
zusetzen mit der ein Rahmen für einen derartigen KSZSE-Prozess und die
in ihm enthaltenen vertrauensbildenden Maßnahmen (Abrüstung und Rüs-
tungskontrolle, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung, Frühwarnung etc.)
festgelegt werden;

6. dafür Sorge zu tragen, dass Vorbereitung und Durchführung der KSZSE in
enger Abstimmung mit dem ebenfalls unter OSZE-Schirmherrschaft etab-
lierten Stabilitätspakt für Südosteuropa, insbesondere unter Berücksichti-
gung der bereits im „Arbeitstisch Demokratisierung und Menschenrechte“
entwickelten Instrumente des Paktes stattfindet;

7. bei Vorbereitung und Durchführung der Konferenz, insbesondere auch den
im Rahmen des Stabilitätspaktes etablierten südosteuropäischen Konsulta-
tionsprozess (SEECP) und die von ihm im Februar 2000 verabschiedete
„Charta für gute Nachbarschaft, Stabilität und Zusammenarbeit in Südost-
europa“ einzubeziehen;

8. darauf hinzuwirken, dass mit der KSZSE-Initiative gleichzeitig die Rolle
der OSZE als regionale Abmachung im Sinne von Kapitel 8 gestärkt wird;

9. in diesem Zusammenhang insbesondere auch dafür einzutreten, dass die
OSZE notfalls auch ohne Zustimmung der an einem Konflikt beteiligten
Staaten den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anrufen, Lösungsvor-
schläge unterbreiten und bei deren Umsetzung mitwirken kann;

10. sich gegenüber den OSZE-Partnern, aber auch im Rahmen der Vereinten
Nationen für eine zunehmende Regionalisierung der Verantwortung für die
in der UNO-Charta festgelegten Grundsätze mit dem Ziel einzusetzen, dass
auch die OSZE im Rahmen ihres Verantwortungsbereiches gegebenenfalls
andere hierfür geeignete Organisationen mit einem Mandat zur Unterstüt-
zung friedenserhaltender Maßnahmen beauftragen kann;

Drucksache 14/6838 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
11. für eine Erweiterung der Befugnisse des OSZE-Generalsekretärs der Stär-
kung seiner politischen Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung von
Missionen und der Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für Konflikt-
regionen wie Südosteuropa einzutreten;

12. dafür zu sorgen, dass der bereits 1992 verabschiedete Beschluss, wonach
das Konsensprinzip in bestimmten Situationen, insbesondere bei eindeuti-
gen und groben Fällen von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen ge-
gen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wie in einigen südosteuropäischen
Staaten geschehen, außer Kraft gesetzt werden kann („Konsens Minus
Eins“), endlich umgesetzt wird;

13. sich dafür einzusetzen, dass der OSZE als entscheidender Baustein einer
gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur, der gleichwertig neben den Or-
ganisationen der kollektiven Verteidigung steht, eine führende Rolle bei
Präventivmaßnahmen, beim Krisen- und Konfliktmanagement, bei Lang-
zeitmissionen und bei Peace Keeping Missions zugeordnet wird und zur
Erreichung dieses Ziels auf ein höheres Maß politischer Verbindlichkeit
und eine verbesserte praktische Umsetzung von OSZE-Beschlüssen hin-
zuwirken;

14. die Handlungsfähigkeit der OSZE als gesamteuropäische Sicherheitsor-
ganisation auch durch eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung
zu stärken.

Berlin, den 29. August 2001
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel

Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.