BT-Drucksache 14/6606

Auskunft zu Entscheidungen zum Satellitennavigationssystem "Galileo"

Vom 27. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6606
14. Wahlperiode 27. 06. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink,
Rolf Kutzmutz, Heidi Lippmann, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Auskunft zu Entscheidungen zum Satellitennavigationssystem „Galileo“

Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gab die
Bundesregierung durch den Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF), Wolf-Michael Catenhusen, am 9. Mai 2001 einen Be-
richt zum Stand der Verhandlungen mit der EU-Kommission und der Europäi-
schen Weltraumorganisation (ESA). Seit geraumer Zeit sind Fragen der Träger-
und Betreiberschaft, der Nutzergruppen, möglicher Nutzungsgebühren, der
Nutzungsziele und -inhalte zu zivilen oder „Friedenseinsätzen“ sowie zur
Finanzierung des Satellitensystems Galileo zwischen der privaten Wirtschaft
auf der einen Seite und der EU-Kommission und der ESA auf der anderen Seite
offen.

Im Rahmen der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Frak-
tion der CDU/CSU „Nutzung von Geoinformationen in der Bundesrepublik
Deutschland“ vom 27. September 2000 (Bundestagsdrucksache 14/4139) wird
ausgeführt, dass die wachsende Rolle der Satellitentechnik bei der Gewinnung
und Verteilung von Informationen „in Einzelfällen […] den Aufbau neuer Welt-
raumsysteme bedeuten [kann] (z. B. die Planung für das Navigationssystem
Galileo)“, es aber auch heißen kann, „dass stärker auf Produkte des entstehen-
den privaten Anbietermarktes [in der Satellitentechnik; d. V.] zurückgegriffen
wird.“ Nach den vorliegenden Dokumenten der Europäischen Kommission ist
inzwischen offensichtlich die Entscheidung für den ersten Weg beim Europäi-
schen Rat in Nizza gefallen. Galileo soll zwischen 2001 und 2008 in den Pha-
sen Entwicklungs- und Validierungsphase (bis 2005), Errichtungsphase (bis
2007) und Betriebsphase (ab 2008) nach einer Mitteilung der KOM (2000) 750,
S. 4, entstehen.

Obwohl bereits im November 2000 klar war, dass nach ersten Abschätzungen
für die Systemimplementierung ca. 3,25 Mrd. Euro europaweit anfallen, die zu
1,5 Mrd. Euro als Beitrag der privaten Wirtschaft und zu 1,1 Mrd. Euro durch
öffentliche Mittel aufgebracht werden sollten, wie in einem Expertengespräch
zum Thema „Galileo“ am 7. Dezember 2000 in der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik erörtert wurde, ist seither noch offen, wer die „Restfinanzie-
rung“ übernimmt. Hier wurde im Ausschuss betont, dass die Bundesregierung
in Verhandlungen mit der Europäischen Kommission und der ESA hofft, dass
eine Finanzierungsentscheidung über den Beitrag der Industrie bis Ende 2003
getroffen werden würde. Unklar ist ebenfalls, wie Galileo wettbewerbsseitig für
private und öffentliche Nutzergruppen mit der Option der Erhebung von Ge-
bühren attraktiv gemacht werden kann, wenn das Global Positioning System
(GPS) für die Nutzung seiner Satellitenaufnahmen keine Nutzungsgebühr er-
hebt.

Drucksache 14/6606 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Parallel mit den vielfältigen Informationen über eine zivile Nutzung von Ga-
lileo existieren auch zahlreiche Hinweise darauf, dass dieses Satellitensystem
– vergleichbar dem US-amerikanischen System GPS – eine militärische Kom-
ponente enthält. Entsprechende Äußerungen liegen u. a. vom vormaligen
NATO-Generalsekretär und seitens der Bundesregierung vor.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welcher Betreiberschaft und welcher Trägerschaft soll Galileo künftig
stehen?

2. Mit welcher Begründung hat der Europäische Rat in Nizza beschlossen, die
Entwicklungs- und Validierungsphase des Satellitensystems Galileo von
2001 bis 2005 mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren, und aus welchen
Gründen erwartet die Bundesregierung eine Einigung über den Finanzie-
rungsbeitrag der Privatwirtschaft erst zu einem offensichtlich späten Zeit-
punkt in 2003?

3. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Tatsache,
dass die privaten Interessenten sich nach der Einführung von Galileo eine
Rückfinanzierung von 8,6 bis 9,0 Mrd. Euro erwarten, und welche Rück-
flüsse für die öffentlichen Kassen sind vorgesehen?

4. Wie ist in diesem Zusammenhang mit der Feststellung in der Ausschuss-
Drucksache 14/404, Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (BMVBW) an den Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung vom 22. Januar 2001 auf der Seite 2 die Informa-
tion zu bewerten, dass beim Verkehrsministerrat am 20./21. Dezember 2000
eine Entscheidung zu den Investitionskosten von Galileo in Höhe von
6,4 Mrd. DM nicht zustande kam wegen einer nicht zufrieden stellenden
privaten Beteiligung und die Kommission dies kurzfristig klären soll, um
eine Entscheidung zur Fortsetzung von Galileo zu treffen?

Wird das Galileo-Projekt nicht weiter betrieben bzw. wird das Satellitensys-
tem nicht errichtet, wenn die private Beteiligung weiterhin nicht befriedi-
gend ausfällt?

5. Wie ist der exakte finanzielle Planungsstand für die einzelnen Phasen des
Satellitensystems Galileo hinsichtlich der Finanzaufbringung durch die
öffentliche Hand und die private Wirtschaft, und aus welchen EU-Förder-
mitteln soll eine Finanzierung von Galileo ab 2001 erfolgen?

6. Über welche Erfahrungen verfügt die Bundesregierung bei der Planung und
Vorfinanzierung von Satelliten bzw. Satellitensystemen hinsichtlich der
ersten Finanzierungsplanungen und letztendlich auftretender Kosten, und
welche Gesamtkosten werden beim Satellitensystem Galileo erwartet?

7. Wer trägt das Risiko für Satelliten, die ihren vorbestimmten Zielort in der
Umlaufbahn nicht erreichen?

8. Welche Auffassung vertreten andere EU-Länder zur Finanzierung von Gali-
leo durch ein Public-Private-Partnership und wie bewertet die Bundesregie-
rung die wettbewerbspolitischen Vorteile von Galileo vor dem Hintergrund,
dass für die kommerzielle Nutzung von Galileo eine Gebührenerhebung im
Gespräch ist, aber das Global Positioning System (GPS) gebührenfrei ist?

9. Welche konkreten Zwecksetzungen verfolgt die europäische Politik und die
Bundesregierung mit der Zustimmung zur Entstehung eines solchen unab-
hängigen Satellitensystems für Europa, und welche Erwägungen im Zusam-
menhang mit der Debatte um die Westeuropäische Union (WEU) gibt es?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6606

10. Wie ist die Feststellung in der Studie des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raum-
fahrt (DLR) „Wirtschaftsstrategische und sicherheitspolitische Bedeutung
des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo und seine Auswir-
kungen auf die zivile Infrastruktur“ vom 27. November 2000 auf Seite 12
zu verstehen, dass „Galileo, auch wenn es ausschließlich für den zivilen
Gebrauch konzipiert wird, eine Dual use-Technologie“ darstelle, die „im
Krisenfall eine Nutzung aus Galileo-Signalen durch potenzielle Gegner
durch aktive Funkstörungen und eine Signalverschlüsselung verhindern
oder zumindest erschweren würde“?

11. Wie ist die Aussage des NATO-Generalsekretärs Xavier Solana im
SPIEGEL-Interview vom 19. Juni 2000 (DER SPIEGEL Nr. 25/2000,
S. 198 ff.) zu verstehen, in denen er als Schwachpunkte der EU-Militär-
politik den strategischen Lufttransport, die Befehlssteuerung und die Kom-
munikation sowie die Aufklärung benennt und die Nachfrage nach der Un-
abhängigkeit der EU vom militärisch wichtigen US-Satellitensystem damit
beantwortet, dass das entsprechende europäische System Galileo im Ent-
stehen sei?

12. Was meint die Bundesregierung in der Ausschuss-Drucksache 14/404, Be-
richt des BMVBW an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung vom 22. Januar 2001, S. 2, mit der Formulierung, „mit
Galileo kann die Unabhängigkeit Europas von national kontrollierten Sys-
temen erreicht und dadurch Anwendungsmöglichkeiten in sicherheitskriti-
schen und hoheitlichen Aufgabenbereichen eröffnet werden“, und welche
Art zukünftiger „Friedenseinsätze mit europäischen Staaten an denen die
NATO nicht beteiligt ist“, die nur mit Hilfe von Galileo möglich sein sol-
len, meint die Studie „Wirtschaftstrategische und sicherheitspolitische Be-
deutung des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo und seine
Auswirkungen auf die zivile Infrastruktur“, Hrsg.: BMBF und DLR,
27. November 2000, S. 11?

13. Welche relevanten Geoinformationen beabsichtigt die Bundesregierung aus
dem Satellitensystem Galileo zu gewinnen, die sie nicht aus einer metho-
dischen Auswertung bestehender so genannter Datenfriedhöfe von Fern-
erkundungsdaten der letzten Jahrzehnte für interessierte Nutzerinnen und
Nutzer gewinnen und zugänglich machen kann?

14. Welche sicherheitspolitischen Interessen inner- und außerhalb der Bundes-
republik Deutschland verfolgt die Bundesregierung mit ihrem Engagement
bei der Implementation von Galileo, z. B. Stichwort Erstellung von Bewe-
gungsprofilen?

15. Welche Rationalisierungseffekte verspricht sich die Bundesregierung durch
die Nutzung von Geodaten?

Berlin, den 25. Juni 2001

Dr. Winfried Wolf
Maritta Böttcher
Dr. Heinrich Fink
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Roland Claus und Fraktion

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