BT-Drucksache 14/6573

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -14/6310 - Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStG)

Vom 4. Juli 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

6573

14. Wahlperiode

04. 07. 2001

Erste Beschlussempfehlung und erster Bericht

des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 14/6310 –

Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus
(Spätaussiedlerstatusgesetz – SpStatG)

A. Problem

Unter ausdrücklicher Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtspre-
chung zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Bundesvertriebenengesetz
(BVFG) legt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einer Reihe von Ent-
scheidungen vom 19. Oktober 2000 (z. B. BVerwG 5 C 44.99) diese Norm
nunmehr in einer Weise aus, die für die Verwaltungspraxis einer weit reichen-
den Änderung der materiellen Rechtslage gleichkommt. Durch diese Änderung
der Rechtsprechung verlieren die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG aufgeführten
Merkmale (familiäre Vermittlung deutscher Sprache, Kultur oder Erziehung)
weitgehend ihre Funktion bei der Steuerung der Zuwanderung von Spätaus-
siedlern über das Tatbestandsmerkmal „deutsche Volkszugehörigkeit“. Insbe-
sondere durch die im Vergleich zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtspre-
chung erhebliche Relativierung des Merkmals „deutsche Sprache“ für die
Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit wird die Spätaussiedlerzuwan-
derung erleichtert (auf Grund der bisher für rechtens gehaltenen Auslegung des
in Rede stehenden Normsatzes wurden mehr als 50 % der Aufnahmeanträge
wegen fehlender Deutschkenntnisse abgelehnt). Dies wird belastende Folgen
für die Sozialverträglichkeit und Akzeptanz dieser Zuwanderung haben.

B. Lösung

Durch eine klarstellende Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG soll eine Fortsetzung
der bisherigen Verwaltungspraxis ermöglicht werden.

Der übrige Teil des Gesetzentwurfs bleibt einer späteren Beratung und Be-
schlussfassung vorbehalten.

Annahme des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU gegen die Stimmen der Frak-
tionen der F.D.P. und PDS.
Drucksache

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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Bund, Ländern und Gemeinden entstehen durch die Fortführung der bisherigen
Verwaltungspraxis keine Ausgaben.

E. Sonstige Kosten

Keine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

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Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

1. den vom Ausschuss zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussied-
lerstatusgesetz – SpStatG) verabschiedeten Teil des Entwurfs eines Gesetzes
– Drucksache 14/6310 – in nachstehender Fassung anzunehmen:

„Artikel 1
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes

Das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom
2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes
vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2534), wird wie folgt geändert:

1. § 6 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher
Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder
deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der
Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung
oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder
nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört
hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuord-
nung zur deutschen Nationalität muss bestätigt werden durch die familiäre
Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist nur festgestellt, wenn jemand
im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein
einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Ihre Feststellung entfällt,
wenn die familiäre Vermittlung wegen der Verhältnisse in dem jeweiligen
Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar war. Ein Bekennt-
nis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist,
weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen
oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch aufgrund der Ge-
samtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und
keiner anderen anzugehören.“

Nach § 100 wird folgender neue Paragraph eingefügt:

㤠100a
Übergangsregelung

Auch Anträge nach § 15 Absatz 1 sind nach dem Recht zu bescheiden,
das nach dem … (Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes) gilt“.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.“

2. den übrigen Teil des Gesetzentwurfs einer späteren Beschlussfassung vorzu-
behalten.

Berlin, den 4. Juli 2001

Der Innenausschuss

Ute Vogt (Pforzheim)

Vorsitzende

Günter Graf (Friesoythe)

Berichterstatter

Hartmut Koschyk

Berichterstatter

Marieluise Beck (Bremen)

Berichterstatterin

Dr. Max Stadler

Berichterstatter

Ulla Jelpke

Berichterstatterin
Drucksache

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– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe), Hartmut Koschyk,
Marieluise Beck (Bremen), Dr. Max Stadler und Ulla Jelpke

I. Zum Verfahren

1. Der Gesetzentwurf wurde in der 177. Sitzung des Deut-
schen Bundestages am 22. Juni 2001 an den Innenaus-
schuss federführend sowie an den Rechtsausschuss und
an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zur Mit-
beratung überwiesen.

2. Der

Rechtsausschuss

hat in seiner 91. Sitzung am
4. Juli 2001 mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. ge-
gen die Stimmen der Fraktion der PDS empfohlen, dem
Gesetzentwurf zuzustimmen.

3. Der

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

hat in
seiner 96. Sitzung am 4. Juli 2001 mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der F.D.P.
und PDS Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen.

4. Der

Innenausschuss

hat den Gesetzentwurf in seiner
63. Sitzung am 27. Juni 2001 abschließend beraten und
ihm mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU gegen die Stimmen
der Fraktionen der F.D.P. und PDS in der aus der Be-
schlussempfehlung ersichtlichen Fassung zugestimmt,
die auf folgendem Änderungsantrag der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 29. Juni 2001
(Ausschussdrucksache 514 neu) basiert, dem der Aus-
schuss mit dem gleichen Abstimmungsergebnis gefolgt
ist:

1. In Artikel 1 werden die Nummern 1, 3 und 4 gestri-
chen.

2. In Artikel 1 wird die Nummer 2 jetzt Nummer 1 und
der § 6 Abs. 2 Satz 1 wird wie folgt neu gefasst:

„(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren
worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er
von einem deutschen Staatsangehörigen oder deut-
schen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum
Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine ent-
sprechende Nationalitätenerklärung oder auf ver-
gleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum be-
kannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur
deutschen Nationalität gehört hat.“

3. In Artikel 1 wird aus Nummer 5 jetzt Nummer 2 und
§ 100a wird wie folgt gefasst:

㤠100a
Übergangsregelung

Auch Anträge nach § 15 Abs. 1 sind nach dem
Recht zu bescheiden, das nach dem … (Tag des In-
krafttretens dieses Gesetzes) gilt.“

In der Ausschussberatung wurde zusammen mit dem
Änderungsantrag nachfolgender Klarstellung für den
Bericht zugestimmt:

,Durch die Wendung „... nur zum deutschen Volks-
tum bekannt ...“ in § 6 Abs. 2 Satz 1 SpStaG ist

nicht ausgeschlossen, dass in einem Fall von Behör-
denwillkür, der zur Dokumentation eines anderen
Volkstumbekenntnisses geführt hat, der Antragstel-
ler gleichwohl glaubhaft machen kann und muss,
sich tatsächlich zum deutschen Volkstum bekannt zu
haben.‘

II. Zur Begründung

A. Allgemeiner Teil

1. Die Koalitionsfraktionen, die den Gesetzentwurf initiiert
haben, haben in der Ausschussberatung klargemacht,
dass sie damit den vor dem 19. Oktober 2000 bestehen-
den Rechtszustand wiederherstellen wollen. Die Gründe
dafür sind unter 2 im Einzelnen dargelegt.

Die Fraktion der CDU/CSU hat sich diesem Vorhaben
angeschlossen und die gesetzliche Klarstellung für rich-
tig befunden. Sie hat begrüßt, dass die Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf die weiteren, in
dem Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6310 vorgesehe-
nen materiellen Änderungen verzichtet. Sie appelliert in
diesem Zusammenhang an die Koalitionsfraktionen,
nicht auf eine materielle Verschlechterung des Rechtes
für Spätaussiedler umzuarbeiten, weil sie befürchtet,
dass andernfalls die Spätaussiedlung zum Erliegen
kommt.

Die Fraktion der F.D.P., die den Gesetzentwurf abge-
lehnt hat, sieht die eigentlichen Probleme einmal in der
„Ghettobildung“, zum anderen darin, dass die Familien-
mitglieder von Spätaussiedlern kaum Deutsch sprechen
können und das auch selten lernen. Deshalb liegt für sie
das Hauptthema bei der Integration und dem Erlernen
der deutschen Sprache. Sie hat darauf hingewiesen, dass
der Sprachtest der Feststellung der Spätaussiedlereigen-
schaft dient und dass die Praxis insoweit z. T. zu ver-
schiedenen, nicht wünschenswerten Ergebnissen führt.
Aus diesem Grunde hat sich die Fraktion der F.D.P. da-
für ausgesprochen, diese Fragen im Innenausschuss ein-
mal gründlich zu beraten, da das Urteil des BVerwG
einiges für sich habe. Einen Zeitdruck für die schnelle
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs sieht sie schon
deshalb nicht, weil die Zahl der Anträge nicht angestie-
gen, sondern im 1. Quartal deutlich zurückgegangen ist.

Seitens der Fraktion der PDS, die dem Gesetzentwurf
ebenfalls nicht zugestimmt hat, werden die von der Frak-
tion der F.D.P. vorgebrachten Ablehnungsgründe geteilt.
Sie hält es für verfehlt, jetzt im Vorfeld einer Gesamt-
konzeption Teilbereiche zu regeln. Sie erwartet inner-
halb einer Gesamtkonzeption eine eindeutige Zuwande-
rungsregelung für Deutsche aus anderen Ländern. Die
Fraktion der PDS weist darauf hin, dass sie Artikel 116
GG immer in Frage gestellt hat. Sie macht deshalb die
von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. in ihrer
Regierungszeit eingeführte Politik, die der Sprache als
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Regulator für die Einwanderung einen hohen Wert zu-
weist, nicht mit.

2. Der Verwaltungspraxis in Bund und Ländern liegt bei
der Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Bundesver-
triebenengesetz (BVFG) das gemeinsame Verständnis zu
Grunde, dass die dort alternativ aufgeführten Merkmale
das Bekenntnis der nach dem dort genannten Stichtag
geborenen Personen zum deutschen Volkstum oder das
in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 aufgeführte Bekenntnissurro-
gat, d. h. die Ersetzung des Bekenntnisses durch die Zu-
rechnung zur deutschen Nationalität durch das Recht des
Herkunftsstaats, wenn sie ohne Zutun des Betreffenden
erfolgt (vgl. BVerwGE 99, 133, 134 [Leitsatz], 140),
objektiv bestätigen sollen. Dieselbe Funktion haben die
in § 6 Abs. 1 BVFG genannten Bestätigungsmerkmale.
Ihrer Funktion entsprechend müssen die Bestätigungs-
merkmale im Zeitpunkt der Aussiedlung noch feststell-
bar sein. Höchstrichterlich ist der besondere Zu-
sammenhang zwischen dem Bestätigungsmerkmal
„Sprache“ in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG und den dort
ebenfalls aufgeführten Bestätigungsmerkmalen „Kultur“
oder „Erziehung“ dergestalt hervorgehoben worden,
dass die Vermittlung deutscher Sprache in der Regel die
Vermittlung deutscher Kultur oder Erziehung indiziert,
wohingegen in der Regel dem russischen Kulturkreis
angehört, wer nur unzulängliche Deutschkenntnisse
hat und Russisch als Muttersprache oder bevorzugte
Umgangssprache spricht (vgl. BVerwGE 102, 214
[Leitsätze], 220 ff.). Dementsprechend werden seit Ende
1997 im Rahmen des Aufnahmeverfahrens (§ 27f
BVFG) durch das Bundesverwaltungsamt im Aussied-
lungsgebiet Anhörungen („Sprachtests“) durchgeführt
mit dem Ziel, insbesondere das Vorliegen des Bestäti-
gungsmerkmals „Sprache“ – entsprechend seiner beson-
deren Bedeutung – festzustellen. Für die Einführung der
„Sprachtests“ war neben der höchstrichterlichen Präzi-
sierung der insoweit zu erfüllenden gesetzlichen Anfor-
derungen die Erfahrung maßgebend, dass die Angaben
der Antragsteller in den von ihnen einzureichenden An-
tragsformblättern – unter Berücksichtigung der zur Be-
stätigung benannten Zeugen – häufig nicht verifizierbar
waren. Dies stellte sich vor der Einführung der „Sprach-
tests“ regelmäßig erst nach Verlassen des Aussiedlungs-
gebiets heraus. Dann war die Rücknahme des Aufnah-
mebescheides nach dem Verwaltungsverfahrungsgesetz
zu prüfen. Hierbei wurde – wie in der höchstrichterli-
chen Rechtsprechung (vgl. BVerwGE a. a. O., S. 216 f.;
105, 60, 61 f., 64) – davon ausgegangen, dass durch die
in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG genannten Merkmale
das Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigt wer-
den soll und demgemäß zumindest eines dieser Merk-
male noch im Zeitpunkt der Aussiedlung feststellbar
sein muss. Nach nunmehriger höchstrichterlicher Auf-
fassung sollen sich dagegen die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
BVFG aufgeführten Bestätigungsmerkmale „unmittel-
bar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur
deutschen Nationalität …“ (vgl. z. B. BVerwG-Urteil
vom19. Oktober 2000 – 5 C 44.99 –, Umdruck S. 10) be-
ziehen. Da sie danach nicht mehr das Bekenntnis oder
Bekenntnissurrogat zum deutschen Volkstum bestätigen,
vielmehr tatbestandlich lediglich die familiäre Vermitt-
lung der Merkmale gefordert sein soll, würde die Fest-

stellbarkeit von Deutschkenntnissen im Zeitpunkt der
Aussiedlung lediglich indizieren, dass diese Vermittlung
stattgefunden hat (als „Grundlage für eine [mögliche]
deutsche Bewusstseinslage...“[a. a. O., S. 11, 13, 14 f.]).
Der Nachweis kann demzufolge auch auf andere Art und
Weise geführt werden (vgl. a. a. O., S. 15), was in der
Verwaltungspraxis regelmäßig auf das Angebot von
Zeugen – naturgemäß vorzugsweise aus dem familiären
Bereich – hinauslaufen würde. Die hierzu in der Verwal-
tungspraxis gemachten Erfahrungen (aus der Zeit vor
Einführung der „Sprachtests“) sind, ohne dass hierbei
eine Missbrauchsabsicht unterstellt wird, unbefriedi-
gend: Dies liegt schon darin begründet, dass der zu er-
mittelnde Vorgang, für den nach Änderung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung im Zeitpunkt der
Aussiedlung keine feststellbaren Anzeichen mehr vor-
handen sein müssen, in weitem Ausmaß der subjektiven
Bewertung anheim gegeben ist, die häufig durch Tatsa-
chen weder verifiziert noch widerlegt werden kann. Im
Ergebnis läuft dies auf eine erhebliche Erweiterung der
Zuwanderungsmöglichkeit für Spätaussiedler durch
Aushöhlung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG hinaus.
Die deutsche Volkszugehörigkeit würde dann weitge-
hend durch eine deutsche Abstammung bestimmt. Dies
entspricht nicht den mit der Einführung des Rechtsinsti-
tuts des Spätaussiedlers durch das Kriegsfolgenbereini-
gungsgesetz vom 21. Dezember 1992 verfolgten gesetz-
geberischen Absichten. Diese bestanden darin, unter
grundsätzlicher Übernahme der höchstrichterlichen
Rechtsprechung aus Gründen der Verwaltungspraktika-
bilität mit Hilfe des in § 6 Abs. 2 BVFG genannten Ge-
burtsstichtages zwei Fallgruppen in zwei Absätzen zu
bilden. Für die erste Fallgruppe wurde die bisherige Re-
gelung der deutschen Volkszugehörigkeit in § 6 Abs. 1
BVFG (unverändert) übernommen. In Absatz 2 wurde
für die „Früh-“ bzw. „Spätgeborenen“ im Sinne der da-
maligen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z. B.
BVerwGE 51, 298) dagegen ein im Vergleich zur Recht-
sprechung insbesondere durch die Forderung eines eige-
nen Volkstumsbekenntnisses verschärfter selbständiger
Tatbestand geschaffen. Dieses Volkstumsbekenntnis soll
auch durch ein objektives Bestätigungsmerkmal (§ 6
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) bestätigt werden – wie in § 6 Abs. 1
BVFG (vgl. auch den Ausschussbericht zum Regie-
rungsentwurf eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes
[KfbG], in dem zu § 6 u. a. ausgeführt wird: „Liegt eine
ausdrückliche Erklärung zu einer anderen Nationalität
[scil. als der deutschen] vor, wird ein Bekenntnis zum
deutschen Volkstum auf andere Weise nur dann festge-
stellt werden können, wenn die Prägung in der Familie
eindeutig auf das deutsche Volkstum hinweist …“ [Bun-
destagsdrucksache 12/3597 S. 53]). Infolge der geänder-
ten höchstrichterlichen Interpretation dieser Norm ist zu
erwarten, dass die Sozialverträglichkeit und Akzeptanz
der Spätaussiedlerzuwanderung erheblich belastet
würde. (Für die Feststellung der deutschen Volkszuge-
hörigkeit ist heute auf Grund des Geburtsstichtages fast
ausschließlich § 6 Abs. 2 BVFG anzuwenden.) Spätaus-
siedler würden kaum noch als (ehemalige) Volksdeut-
sche wahrgenommen werden können, wenn sie ohne
Deutschkenntnisse als solche anerkannt werden könn-
ten; außerdem würde ihre Integration zusätzlich er-
schwert. Denn insbesondere fehlende Deutschkenntnisse
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stellen sich bei den russlanddeutschen Spätaussiedlerfa-
milien zunehmend als starkes Hindernis für deren
Integration in Deutschland heraus. Dadurch entstehen
Belastungen für die Sozialhaushalte, welche vor allem
dann schwer zu erklären sein werden, wenn die Aner-
kennung als Spätaussiedler trotz fehlender Deutsch-
kenntnisse möglich sein soll.

Die Änderung des geltenden Rechts, die im Wesentli-
chen klarstellender Natur ist, soll deshalb eine im We-
sentlichen unveränderte Fortsetzung der bisherigen Ver-
waltungspraxis ermöglichen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

(§ 6 Abs. 2)

Die Neufassung stellt vor allem eine Rückkehr zur Rechts-
lage dar, wie sie vor den BVerwG-Urteilen vom 19. Oktober
2000 (z. B. BVerwG 5 C 44.99) in der Verwaltungspraxis
von Bund und Ländern sowie in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung gesehen wurde.

Sie präzisiert die tatbestandlichen Voraussetzungen des Be-
kenntnisses oder des Bekenntnissurrogats (vgl. hierzu All-
gemeiner Teil, 1) unter Anknüpfung an die im Regierungs-
entwurf des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes sowie in
dem Ausschussbericht hierzu (Bundestagsdrucksache 12/
3597) bekundeten Intentionen und unter Berücksichtigung
der Erfahrungen der Verwaltungspraxis. Dem Ausschussbe-
richt zufolge soll es nicht genügen, wenn das Bekenntnis
zum deutschen Volkstum „kurz vor oder gar nur zum Zwe-
cke der Aussiedlung abgegeben wurde. Die Prägung in der
Familie muss vielmehr im Verhalten außerhalb der Familie
ihren Ausdruck gefunden und dazu geführt haben, dass sich
die Person nach Erreichen der Bekenntnisfähigkeit oder
nach der Erklärungsfähigkeit nach dem Recht des Her-
kunftsgebietes auch zum deutschen Volkstum bekannt hat“
(vgl. Bundestagsdrucksache 12/3597 S. 53). Nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung reicht es hingegen aus,
wenn das Bekenntnis oder die Erklärung spätestens im Zeit-
punkt des Verlassens des Aussiedlungsgebiets vorgelegen
hat (vgl. BVerwGE 99, 133, 145 f.; 102, 214, 218). Diese
Rechtsprechung ermöglicht es, ein grundsätzlich „die deut-
sche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis
zu einem fremden Volkstum“ durch „Angabe einer anderen
als der deutschen Volkszugehörigkeit gegenüber amtlichen
Stellen“ zu revidieren (BVerwGE 99, 133, 141). Zwar muss
hierfür, um Lippenbekenntnisse und solche mit dem Ziel,
„in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erhalten“ (a. a. O.,
S. 147), auszuschließen, „die Ernsthaftigkeit der sich nach
außen hin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum dar-
stellenden Erklärung besonders“ nachgewiesen werden
(a. a. O.). Dieser „Nachweis ist erst erbracht, wenn durch
Tatsachen belegt ist, daß auf Grund der gegebenen ob-
jektiven Merkmale auch eine innere Hinwendung zum
deutschen Volkstum stattgefunden hat“ (a. a. O.). In der
Verwaltungspraxis fördert diese Auslegung jedoch
Verhaltensopportunismus (mit entsprechenden Folgen bei
den Bemühungen um die Revidierung einer zunächst abge-
gebenen anderslautenden Nationalitätenerklärung), dem

durch die in der Begründung des Regierungsentwurfs eines
KfbG (Bundestagsdrucksache 12/3212 a. a. O.) und des
Ausschussberichts (vgl. Bundestagsdrucksache 12/3597
S. 53) zum Ausdruck gekommenen Intentionen der Be-
kenntnis-Regelung gerade begegnet werden sollte. (Auch
nach höchstrichterlicher Einschätzung ist bei Erwachsenen
„in der Regel von einem verfestigten Volkstumsbewußtsein
auszugehen“ [vgl. BVerwGE 105, 60, 65], was die Proble-
matik der Revidierung eines „Gegenbekenntnisses“ deutlich
macht). Durch die in der Neufassung des Absatzes 2 auch
insoweit erfolgte Klarstellung wird deshalb die Revidierung
eines „Gegenbekenntnisses“ nunmehr ausgeschlossen. „Als
Form des Bekenntnisses kommt dabei regelmäßig die in
vielen Aussiedlungsgebieten mögliche amtliche Registrie-
rung zur deutschen Nationalität in Betracht“ (vgl. Aus-
schussbericht zum KfbG [Bundestagsdrucksache 12/3597
S. 53]). Im territorialen Bereich der ehemaligen UdSSR ist
dies vor allem die Nationalitätenerklärung für die Eintra-
gung in amtliche Dokumente (z. B. erster Inlandspass). Sie
muss nunmehr erstmals nach Eintritt der Bekenntnisfähig-
keit (vgl. hierzu Urteil des BVerwG vom 31. Januar 1989 –
9 C 78.87 – [Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 59]) bzw. der
Erklärungsfähigkeit nach dem insoweit grundsätzlich maß-
geblichen innerstaatlichen Recht (vgl. BVerwGE 99, 133,
141) zu Gunsten der deutschen Nationalität erfolgen und in
der Folge nicht mehr zu Gunsten einer anderen Nationalität
abgeändert worden sein. Den Interessen der Betroffenen
wird durch die Fiktion in Satz 5 hinreichend Rechnung ge-
tragen. Besteht die Möglichkeit einer amtlich registrierten
Nationalitätenerklärung nicht und tritt kein Bekenntnissur-
rogat (vgl. hierzu Allgemeiner Teil, 1) an die Stelle des Be-
kenntnisses, muss das Bekenntnis in einer Weise äußerlich
erkennbar hervorgetreten sein, die der amtlich registrierten
Nationalitätenerklärung gleichkommt. Das Bekenntnis zum
deutschen Volkstum oder das Bekenntnissurrogat hierfür
bedürfen der Bestätigung durch ein auch im Zeitpunkt der
Ausreise noch objektiv feststellbares Merkmal (vgl. auch
BVerwGE 105, 60, 61 f.). Dieser funktionale Zusammen-
hang zwischen Bekenntnis bzw. Bekenntnissurrogat und
Bestätigungsmerkmal wird durch die Neufassung unmiss-
verständlich hergestellt. Nachdem bereits die bis zu den
Entscheidungen des BVerwG vom 19. Oktober 2000 maß-
gebende höchstrichterliche Rechtsprechung die besondere
Bedeutung des Bestätigungsmerkmals „Sprache“ hervorge-
hoben hatte (vgl. BVerwGE 102, 214 [Leitsätze], 220 ff.)
und die Verwaltungspraxis bestätigt hat, dass die beiden Be-
stätigungsmerkmale Kultur oder Erziehung losgelöst von
der Sprache kaum zuverlässig feststellbar sind und insoweit
keine praktische Relevanz besitzen, wird auf sie nunmehr
verzichtet. Unter demselben Gesichtswinkel wird, was im
Ergebnis eine Erleichterung für die Antragsteller bedeutet,
lediglich darauf abgehoben, ob die familiär vermittelten
Deutschkenntnisse im Zeitpunkt der Aussiedlung noch
durch ein mit dem Antragsteller zu führendes einfaches Ge-
spräch (im Rahmen einer Anhörung [„Sprachtest“]) fest-
stellbar sind. Dadurch erübrigen sich Feststellungen zur
muttersprachlichen oder bevorzugten umgangssprachlichen
Verwendung des Deutschen in der Familie (vgl. hierzu
BVerwGE a. a. O.).

Die Feststellung des objektiven Bestätigungsmerkmals ist
nicht erforderlich, wenn ausnahmsweise festgestellt werden
kann, dass seine familiäre Vermittlung unter den im maß-
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geblichen Aussiedlungsgebiet zu der für die Vermittlung
maßgebenden Zeit, d. h. von Geburt bis spätestens zur Voll-
jährigkeit (vgl. BVerwG vom 19. Oktober 2000 5 C 44.99 –,
Umdruck S. 11), herrschenden Verhältnissen nicht möglich
oder unzumutbar war. (Diese Regelung entspricht dem gel-
tenden Recht.) Die Notwendigkeit eines Bekenntnisses oder
eines Bekenntnissurrogats wird hiervon nicht berührt. Lie-
gen dagegen die in Satz 5 umschriebenen Hinderungs-
gründe für ein Bekenntnis vor, wird dieses unter den dort
angegebenen Bedingungen fingiert. Auf die Feststellung des
Bestätigungsmerkmals kann in diesen Fällen jedoch nur un-
ter den in Satz 4 normierten Voraussetzungen verzichtet
werden.

Ergänzend zu diesen Ausführungen hat der Ausschuss im
Zuge seiner Beratungen auf Grund von Eingaben von Ver-
bänden klargestellt, dass durch die Wendung „... nur zum
deutschen Volkstum bekannt ...“ in § 6 Abs. 2 Satz 1
SpStatG nicht ausgeschlossen ist, dass in einem Fall von
Behördenwillkür, der zur Dokumentation eines anderen
Volkstumbekenntnisses geführt hat, der Antragsteller
gleichwohl glaubhaft machen kann und muss, sich tatsäch-
lich zum deutschen Volkstum bekannt zu haben.

Zu Nummer 2

(§ 100a)

Diese Regelung ist notwendig, um einer steigenden Zuwan-
derung durch Personen zu begegnen, die schon im Besitz ei-
nes Aufnahmebescheides sind und einer Änderung des gel-
tenden Rechts durch den Gesetzgeber als Reaktion auf die
Entscheidungen des BVerwG vom 19. Oktober 2000 durch
Zuwanderung zuvorkommen möchten. Dabei geht es weni-
ger um die Antragstellung nach § 15 Abs. 1 durch Personen,
die einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler erhalten ha-
ben, als vielmehr um Anträge gemäß § 15 Abs. 1 BVFG

durch Personen, die im Aufnahmeverfahren (§§ 26 ff.
BVFG) als nicht deutsche Ehegatten oder Abkömmlinge in
den Aufnahmebescheid von Spätaussiedlern einbezogen
worden sind. Bei ihnen würde – unbeschadet der vorgesehe-
nen Ergänzung des § 15 Abs. 2 BVFG (Artikel 1 Nr. 3) –
ohne die Anordnung zur Anwendung des im Zeitpunkt der
Entscheidung geltenden Rechts eine Vielzahl von sog. Um-
stufungsanträgen (Anträgen auf Anerkennung als Spätaus-
siedler im Bescheinigungsverfahren [§ 15 BVFG]) provo-
ziert, insbesondere durch Antragsteller, deren Antrag auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler we-
gen fehlender Deutschkenntnisse abgelehnt wurde.

Ferner würden Anträge auf Ausstellung einer Bescheini-
gung nach § 15 Abs. 1 BVFG von bereits in Deutschland
aufgenommenen Personen provoziert, die entweder noch
keinen derartigen Antrag gestellt haben oder deren hierauf
gerichteter Antrag wegen fehlender Deutschkenntnisse
schon bestands- oder rechtskräftig abgelehnt wurde (§ 49
VwVfG [vgl. hierzu auch BVerfGE 59, 128, 168], § 51
Nr. 1 VwVfG) und die einer Änderung des BVFG durch
den Gesetzgeber zwecks Rückkehr zum rechtlichen Status
quo ante zuvorkommen möchten. Dabei ist mit Blick auf die
einbezogenen oder einbeziehbaren nichtdeutschen Ver-
wandten der Spätaussiedler besonders zu berücksichtigen,
dass sie zwar gleichfalls mit ihrer Aufnahme in Deutschland
den Deutschen-Status erwerben (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG),
jedoch rechtlich grundsätzlich solange nicht als Spätaus-
siedler betrachtet werden, bis ihnen eine ihren Spätaussied-
lerstatus bestätigende Bescheinigung nach § 15 Abs. 1
BVFG ausgestellt wird.

Zu Artikel 2

Der Vorschlag enthält die übliche Inkrafttretens-Regelung.

Berlin, den 4. Juli 2001

Günter Graf (Friesoythe)

Berichterstatter

Hartmut Koschyk

Berichterstatter

Marieluise Beck (Bremen)

Berichterstatterin

Dr. Max Stadler

Berichterstatter

Ulla Jelpke

Berichterstatterin

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