BT-Drucksache 14/6571

Zur Abschaffung der Liste verordnungsfähiger Arzneimittel

Vom 4. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6571
14. Wahlperiode 04. 07. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion F.D.P.

Zur Abschaffung der Liste verordnungsfähiger Arzneimittel

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

§ 33a SGB V, eingefügt durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Kran-
kenversicherung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I, S. 2626) mit Wirkung ab
1. Januar 2000, ermächtigt das Bundesgesundheitsministerium zum Erlass
einer Liste verordnungsfähiger Arzneimittel durch Rechtsverordnung, die der
Zustimmung des Bundesrates bedarf. In dieser Positivliste sollen Wirkstoffe
und Wirkstoffkombinationen jeweils unter Berücksichtigung der Indikationen
und Dareichungsformen aufgeführt werden. Zur Vorbereitung der Rechtsver-
ordnung ist ein Institut für die Arzneimittelverordnung in der gesetzlichen
Krankenversicherung beim Bundesministerium für Gesundheit eingerichtet
worden, das seine Vorarbeiten nunmehr weitgehend abgeschlossen hat.

Bereits im Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 21. Dezember
1992 (BGBl. I S. 2266) war in § 34a SGB V eine Ermächtigung für ein Liste
verordnungsfähiger Fertigarzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung
vorgesehen. Für die Vorarbeiten war gemäß § 92a SGB V in der Form des
Artikels 8 § 20 Gesundheitsneuordnungs-Gesetz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I
S. 1416) mit Wirkung vom 1. Juli 1994 bis 31. Dezember 1995 ein Institut
„Arzneimittel in der Krankenversicherung“ zuständig, das eine wirkstoffbezo-
gene Vorschlagsliste verordnungsfähiger Fertigarzneimittel vorlegen sollte. Im
Laufe der Arbeiten an dieser Positivliste hat sich jedoch herausgestellt, dass die
Erwartungen, die mit einer solchen Liste verbunden sind, mit diesem Instru-
ment nicht zu erfüllen sind. Die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat des-
halb konsequenter Weise die Positivliste durch Aufhebung des § 34a SGB V
mit Artikel 1 des Fünften SGB V-Änderungsgesetzes (BGBl. I S. 1986) vom
18. Dezember 1995 mit Wirkung ab 1. Januar 1996 wieder abgeschafft.

An den Argumenten gegen den Erlass einer Positivliste hat sich seither nichts
verändert. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert,

§ 33a SGB V in der Fassung vom 22. Dezember 1999 aufzuheben, um die Ver-
sorgung der Patienten mit individuell wirksamen Arzneimitteln nicht zu gefähr-

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den und die pharmazeutische Industrie von den Unsicherheiten eines zweiten
Zulassungsverfahrens neben der Zulassung durch das Institut für Arzneimittel
und Medizinprodukte zu befreien. Angesichts der Tatsache, dass die Liste ver-
ordnungsfähiger Arzneimittel, die in Kürze von dem Arzneimittelinstitut ver-
öffentlicht werden soll, de facto eine ebensolche Wirkungskraft entfalten wird,
wie die durch Rechtsverordnung verabschiedete Liste, wird die Bundesregie-
rung zudem aufgefordert, die Veröffentlichung dieser Vorschlagsliste zu unter-
binden. Diese Vorschlagsliste ist nicht einmal von der Regierung verantwortet.
Sie darf deshalb nicht zur Grundlage der Entscheidungen von Ärztinnen und
Ärzten mit entsprechender Wirkung für die Patientinnen und Patienten werden.

Berlin, den 4. Juli 2001

Dr. Dieter Thomae
Detlef Parr
Dr. Irmgard Schwaetzer
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung

Eine Arzneimittelpositivliste gehört zum Arsenal einer dirigistischen Kosten-
dämpfungspolitik. Sie steht einer effektiven und effizienten Arzneimittelversor-
gung entgegen und ist ordnungs-, innovations- und industriepolitisch in höchs-
tem Maße bedenklich. Gemäß einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung
vom Juni dieses Jahres lehnt eine Mehrheit der Bundesbürger von 66 Prozent
die Positivliste ab. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild:

1. Die Positivliste stellt eine eklatante Gefährdung für die Arzneimittelfor-
schung und für die Innovation neuer Produkte dar.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6571

Forschung im Arzneimittelbereich ist ein riskantes Unterfangen, bei dem
lange offen bleibt, ob spezifische Forschungsanstrengungen zu einem ent-
wicklungsfähigen Arzneimittel führen oder nicht. Bislang können die Unter-
nehmen sicher sein, dass sie ein entwickeltes Arzneimittel, das den Kriterien
des Zulassungsverfahrens des Instituts für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte genügt, auch auf dem deutschen GKV-Markt plazieren können. Ob
sich das Mittel dann am Markt durchsetzt ist natürlich eine andere Frage. Das
ist und bleibt das Risiko des Unternehmers. Es ist jedoch völlig kontrapro-
duktiv, quasi ein zweites Zulassungsverfahren für den GKV-Markt zu etab-
lieren, nachdem durch das Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte im
ersten Zulassungsverfahren bereits Wirksamkeit und Qualität hinreichend
geprüft worden sind. Das schafft zusätzliche Kosten durch unnötigen Büro-
kratieaufwand und belastet Unternehmensentscheidungen wegen der damit
verbundenen mangelnden Planungssicherheit.

2. Die Positivliste als zweites Zulassungsverfahren ist auch im Hinblick auf die
Qualitätssicherung überflüssig.

Zurzeit befinden sich noch 7 300 Arzneimittel in der Nachzulassung. Das
Nachzulassungsverfahren wird jedoch nach Aussagen des Instituts für Arz-
neimittel und Medizinprodukte in absehbarer Zeit abgeschlossen sein. Dann
verfügen sämtliche Arzneimittel auf dem deutschen Markt über eine Zulas-
sung durch das Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das neben der
Unbedenklichkeit auch die Wirksamkeit der Produkte zu prüfen hat. Damit
entfällt die Grundlage für eine über die Negativliste hinausgehende Ausgren-
zung von Arzneimitteln für die Versorgung von GKV-Patienten.

3. Die Positivliste führt nicht zu den erwarteten Einsparungen im Arzneimittel-
bereich.

Die Behauptung, dass für mindestens 7 Mrd. DM umstrittene, das heißt in
der Sichtweise der Verfasser dieser Behauptung wirkungslose Arzneimittel
verordnet werden und deshalb durch eine Positivliste dieses Geld gespart
werden könne, beruht auf Angaben des Arzneiverordnungs-Reports und
stellt eine private Autorenmeinung dar. Schaut man sich die Zahlen des
Arzneiverordungsreports genau an, stellt man fest, dass die so genannten
umstrittenen Arzneimittel nicht zu den Kostentreibern innerhalb der
GKV-Ausgaben für Arzneimittel gehören. So ist von 1981 bis 1998 der
Anteil der so genannten umstrittenen Arzneimittel am GKV-Gesamtum-
satz von 40,8 auf 14,4 Prozent zurückgegangen. Bei weiterer rückläufiger
Tendenz. Der Preis pro Verordnung liegt seit 1992 bei ca. 25 DM während
der Preis pro Packung im übrigen Verordnungsspektrum von 36,16 DM
auf 58,70 DM angestiegen ist. Während von 1992 bis 1998 die Ausgaben
für so genannte umstrittenen Arzneimittel um 4,26 Mrd. DM zurückge-
gangen sind (minus 45,3 Prozent) ist der Gesamtumsatz um 1,53 Mrd.
DM (plus 4,3 Prozent) angestiegen. Das heißt, dass der GKV-Umsatz für
nicht umstrittene Arzneimittel in den letzten sechs Jahren um 23,4 Prozent
angestiegen ist. Dieser Effekt ist durch eine Positivliste nicht zu beheben.

4. Eine weitere Senkung der Arzneimittelausgaben ist durch eine Liste verord-
nungsfähiger Arzneimittel nicht erreichbar, wie die Berechnungen von
Marktbeteiligten auf der Basis des damaligen Entwurfs einer Vorschlagsliste
ergeben haben. Im Gegenteil besteht die Gefahr, dass nach der Ausgrenzung
eines erheblichen Teils bisher verordneter Arzneimittel aus der Leistungs-
pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung massive Substitutionseffekte
entstehen, die zu einer Verteuerung der Arzneimittelversorgung führen.

Drucksache 14/6571 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
5. Wer dirigistische Marktzugangsschranken einführt, reduziert den Wettbe-
werb. Die Intensität des Wettbewerbs hat maßgeblichen Einfluss auf die
Höhe der Preise. Mit der Einführung einer Positivliste ist deshalb häufig
die Forderung nach direkten Preisverhandlungen zwischen den Kranken-
kassen und der Arzneimittelindustrie verbunden. Ein Markteingriff zieht
dabei weitere Markteingriffe nach sich. Erst kommt die Wettbewerbsein-
schränkung durch die Positivliste, dann sollen zur Stabilisierung der Preis-
entwicklung direkte Preisverhandlungen eingeführt werden.

6. Eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel führt zu sozialen Härten.

Bei vielen chronischen Erkrankungen gibt es heute noch keine Mittel, die
eine ursächliche Therapie ermöglichen. Es gibt aber Mittel, die dem
Patienten subjektiv helfen und sein Leben dadurch erleichtern. Die Aus-
grenzung solcher Mittel aus der Leistungspflicht der GKV führt dazu, dass
nur solche Patienten, diese für sie bewährten Präparate kaufen können, die
finanziell hierzu in der Lage sind.

7. Die Liste verordnungsfähiger Arzneimittel belastet das Vertrauensverhält-
nis zwischen Arzt und Patient. Die Entscheidung, ob eine Erkrankung eine
geringfügige Gesundheitsstörung darstellt oder der Vorbote von Komplika-
tionen ist, muss der Arzt im Zusammenhang mit dem Patienten fällen. Die
Liste verordnungsfähiger Arzneimittel belastet überproportional chronisch
Kranke und alte Patienten und behindert insbesondere Allgemeinärzte und
Internisten in der täglichen Praxis. Den Ärzten werden pharmakotherapeu-
tische Interventionsmittel aus der Hand genommen und es besteht die Ge-
fahr, dass therapeutische Lücken entstehen. Bei älteren und chronisch kran-
ken Patienten führt das zu nicht akzeptablen ökonomischen Belastungen.

8. Positivlisten sind medizinisch kaum zu verantworten. In letzter Kon-
sequenz bedeuten sie Therapiestandards, obwohl es den Standardpatienten
nicht gibt. Deshalb darf es auch keine Standardmedizin geben. Zu den
hohen Leistungsgaranten unseres Gesundheitswesens gehört, dass die Me-
dizin den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Patienten Rechnung
tragen kann. Wenn Ärzte bestimmte Arzneimittel verordnen, dann in aller
Regel weil sie mit der medikamentösen Therapie durch diese Arzneimittel
gute Erfahrungen gemacht haben. Von diesen guten Erfahrungen würden
sie und ihre Patienten mit einer Positivliste faktisch abgeschnitten.

9. Eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel ist angesichts der Komplexität
des deutschen Arzneimittelmarktes nicht in der Lage, ein fehlerfreies Ab-
bild verschreibungsfähiger Arzneimittel zu gewährleisten, wie intensive,
kontroverse Diskussionen über schwierige Bewertungsfragen in Bezug auf
einzelne Arzneimittel sowie Arzneimittelgruppen zeigen.

10. Der Stellenwert der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wird
durch eine Positivliste deutlich in Frage gestellt. Daran ändert auch die
Regelung nichts, dass Arzneimittel der Phytotherapie, der Homöopatie und
der Anthroposophie gesondert in einem Anhang aufzulisten sind und Arz-
neimittel der besonderen Therapierichtungen, die den üblichen Urteilsstan-
dards entsprechen, in den Hauptteil aufgenommen werden können. Die
Stigmatisierung dieser für die Behandlung der Patienten wichtigen Arznei-
mittel ist damit vorprogrammiert.

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