BT-Drucksache 14/6548

Gesetz zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit

Vom 3. Juli 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

6548

14. Wahlperiode

04. 07. 2001

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Ulrich
Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der F.D.P.

Gesetz zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit

A. Problem

Betriebliche Bündnisse für Arbeit gehören mittlerweile zur Normalität in der
Bundesrepublik Deutschland. Fast täglich vereinbaren Belegschaften und ihre
Betriebsräte betriebliche Bündnisse für Arbeit, zumeist sind auch die örtlichen
Vertreter der Tarifparteien stillschweigend daran beteiligt. Die Belegschaften
tauschen für die Garantie der Sicherung des Arbeitsplatzes die Änderung ein-
zelner tariflicher Konditionen über Arbeitszeit und Vergütung ein. Diese be-
trieblichen Bündnisse für Arbeit werden nach höchstrichterlicher Rechtspre-
chung als Verstoß gegen das Tarifvertragsgesetz angesehen.

B. Lösung

Um den Arbeitnehmern in den Betrieben vor Ort die Möglichkeit zu eröffnen,
selbst über die Annahme oder Ablehnung einer Beschäftigungsgarantie ent-
scheiden zu können, müssen die betrieblichen Bündnisse für Arbeit gesetzlich
abgesichert werden, indem die kollektivrechtliche Sperrwirkung im Tarifver-
tragsgesetz beseitigt wird. Durch eine Ergänzung des Günstigkeitsprinzips in
§ 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz um die Arbeitsplatzgarantie als Komponente des
Günstigkeitsvergleichs wird den Arbeitnehmern eine Option eröffnet, eine Än-
derung ihrer Arbeitsbedingungen gegen eine Beschäftigungsgarantie zu verein-
baren.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit

Der Bundestag hat folgendes Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Das Tarifvertragsgesetz (TVG) in der Fassung vom
25. August 1969 (BGBl. I S. 1323), geändert durch das
Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974
(BGBl. I S. 2879), mit Maßgabe für das Gebiet der ehe-
maligen DDR durch Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A
Abschnitt III Nr. 14 des Einigungsvertrages vom 31. August
1990 (BGBl. II S. 889) wird wie folgt geändert:

1. In § 4 wird Absatz 3 um folgende Sätze 2 und 3 ergänzt:

„Eine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers kann auch
dann vorliegen, wenn dieser gegen Aufgabe oder Ein-
schränkung einzelner tarifvertraglich festgelegter Posi-
tionen die Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis oder den

Verzicht des Arbeitgebers auf betriebsbedingte Kündi-
gungen erlangt (betriebliche Beschäftigungssicherungs-
abrede). Von der Günstigkeit einer solchen Abrede ist
auszugehen, wenn

a) der Arbeitnehmer jederzeit unter Wahrung einer sei-
ner gesetzlichen Kündigungsfrist entsprechenden
Ankündigungsfrist die Tarifbedingungen in An-
spruch nehmen kann oder

b) ihr der Betriebsrat oder 75 vom Hundert der mit
einem entsprechenden Angebot des Arbeitgebers
bedachten Arbeitnehmer des Betriebs zustimmen.“

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2002 in Kraft.

Berlin, den 4. Juli 2001

Dr. Heinrich L. Kolb
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

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Begründung

A. Allgemeines

Die zunehmende Flucht aus dem Flächentarifvertrag resul-
tiert aus dem hohen Niveau der Arbeitskosten in der Bundes-
republik Deutschland, welches die internationale Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft immer mehr
beeinträchtigt, da die höheren Lohnkosten zunehmend nicht
mehr durch einen entsprechenden Vorsprung an Innovation,
Qualifikation der Belegschaft und andere Standortvorteile
ausgeglichen werden können. Zu wenig wird von den Tarif-
parteien in Deutschland erkannt, dass es sich bei der Ausein-
andersetzung über Löhne und Arbeitszeit nicht mehr aus-
schließlich um einen Konflikt zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern handelt, sondern mittlerweile als entschei-
dender Faktor der internationale Wettbewerb um Standorte
und Arbeitsplätze hinzugekommen ist. Das heißt, auch die
Arbeitnehmer stehen in einem globalen Wettbewerb um ihre
Qualifikation, Löhne und Arbeitszeit. Die wettbewerbsbe-
schränkende Funktion der Tarifverträge verliert ihre Ord-
nungsfunktion, weil der Arbeitsmarkt, gerade auch durch den
europäischen Binnenmarkt, eine globale Dimension erlangt
hat und Vereinbarungen deutscher Tarifparteien diesen nicht
mehr ausreichend beeinflussen.

Während sich die Tarifparteien mit dieser Erkenntnis
schwertun, ist zu registrieren, dass die Betriebsparteien die-
ser Entwicklung schon seit längerem Rechnung tragen. Seit
Jahren treffen Arbeitnehmer mit und erforderlichenfalls auch
ohne ihre Betriebsvertretung im Interesse der Sicherheit ihrer
Arbeitsplätze mit Unternehmen Vereinbarungen, in denen
auf einzelne tarifliche Positionen verzichtet wird, um im
Gegenzug eine Beschäftigungszusage zu erlangen. Oft sind
auch die örtlichen Tarifparteien stillschweigend duldend in
solche betriebliche Bündnisse für Arbeit eingebunden.

In anderen Fällen wird jedoch die Wirksamkeit solcher Ver-
einbarungen bei einer beiderseitigen Tarifgebundenheit der
Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf die zwingende Wir-
kung der Tarifverträge bestritten und durch Klage vor dem
Arbeitsgericht angefochten. Das Bundesarbeitsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 20. April 1999 (1 ABR 72/98) den
Gewerkschaften einen Unterlassungsanspruch gegen be-
triebliche Bündnisse für Arbeit eingeräumt.

In der gleichen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht es
abgelehnt, arbeitsvertragliche Beschäftigungsgarantien in
die Günstigkeitsbewertung des § 4 Abs. 3 TVG aufzuneh-
men. Das Bundesarbeitsgericht sieht den Günstigkeitsbegriff
des § 4 Abs. 3 TVG ungeachtet des offenen Gesetzeswortlau-
tes unter Rückgriff auf die bisherige Rechtsprechung im
Sinne des so genannten Sachgruppenvergleichs eingeengt.
Daher hat es das Bundesarbeitsgericht abgelehnt, einen Ver-
zicht auf tarifliche Rechte mit einer vom Arbeitgeber ge-
währten Arbeitsplatzgarantie im Sinne des Günstigkeitsver-
gleiches in Beziehung zu setzen. Das Bundesarbeitsgericht
führt weiter aus, für die Aufnahme spezieller betrieblicher
Interessenlagen in das Prüfungsprogramm eines Günstig-
keitsvergleiches fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.
Das Bundesarbeitsgericht hat aber ausdrücklich festgestellt,
dass es dem Gesetzgeber offensteht, den Günstigkeitsver-

gleich unter Einbeziehung arbeitsvertraglicher Beschäfti-
gungsgarantien neu zu fassen.

Die Wettbewerbssituation auf dem globalen Arbeitsmarkt,
die langsame und oft gar nicht erfolgende Reaktion der Tarif-
parteien auf die neuen globalen Wettbewerbsbedingungen
erfordern eine Neufassung des Günstigkeitsvergleichs in § 4
Abs. 3 TVG. Angesichts der Selbstbeschränkung des Bun-
desarbeitsgerichts bei der Auslegung des Günstigkeitsprin-
zips ist die vom Gericht für nötig gehaltene gesetzliche
Grundlage vom Gesetzgeber zur Verfügung zu stellen, um
den in der betrieblichen Praxis entwickelten und vereinbarten
betrieblichen Beschäftigungspaketen rechtliche Anerken-
nung zu verschaffen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

(Änderung des Tarifvertragsgesetzes)

Satz 2 des § 4 Abs. 3 TVG stellt zunächst klar, dass Arbeits-
platzgarantien in Form des Verzichts auf betriebsbedingte
Kündigung in den Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3
TVG einzubeziehen sind. Sie begegnet der vom Bundesar-
beitsgericht auf Grundlage der derzeitigen Gesetzesfassung
entwickelten Rechtsprechung, dass eine Beschäftigungsga-
rantie nicht geeignet sei, Verschlechterungen beim Arbeits-
entgelt oder bei der Arbeitszeit zu rechtfertigen.

Da die Gewichtung und Abwägung der betroffenen tarifli-
chen Positionen mit der Garantie der Arbeitsplatzsicherheit
im Rahmen des Günstigkeitsvergleiches schwierig ist, wird
für die Entscheidung in § 4 Abs. 3 Satz 3 TVG auf formale
Kriterien in den Buchstaben a und b abgestellt.

§ 4 Abs. 3 Satz 3 Buchstabe a sieht vor, dass für die Günstig-
keit einer arbeitsvertraglichen Abrede ein dem Arbeitnehmer
eingeräumtes Wahlrecht spricht. Wenn dem Arbeitnehmer
vorbehalten wird, sich unter Einhaltung einer Ankündi-
gungsfrist, die der Kündigungsfrist entspricht, jederzeit aus
der Beschäftigungssicherungsabrede zu lösen und die Tarif-
bedingungen wieder in Anspruch zu nehmen, begründet al-
lein diese ihm eingeräumte Option die Günstigkeit der Ab-
sprache. Im Zusammenhang mit der Günstigkeitsbewertung
unterschiedlicher Arbeitszeitfestlegungen hat der Große Se-
nat des Bundesarbeitsgerichts bereits auf die günstigkeitsbe-
gründende Bedeutung einer dem Arbeitnehmer eingeräum-
ten Option hingewiesen.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 3 Buchstabe b spricht auch für die Güns-
tigkeit betrieblicher Beschäftigungsabreden, wenn sich der
Betriebsrat oder 75 v. H. der betroffenen Belegschaftsmit-
glieder eines Betriebes für deren Abschluss aussprechen. Die
vom Bundesarbeitsgericht noch betonte alleinige tarifpoliti-
sche Verantwortung der tarifpolitischen Koalitionen für die
Wirkungen ihrer Regelungen ist durch Artikel 9 Abs. 3 GG
keineswegs gefordert und angesichts der heute nicht mehr zu
negierenden gewachsenen Kompetenz der Arbeitnehmer und
ihrer betrieblichen Vertretungen nicht mehr zu rechtfertigen.

Zu Artikel 2

(Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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