BT-Drucksache 14/6510

Ökologische und ökonomische Bewertung der Förderung von Windenergieanlagen im Meer

Vom 27. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6510
14. Wahlperiode 27. 06. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer,
Gudrun Kopp, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel,
Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der F.D.P.

Ökologische und ökonomische Bewertung der Förderung von
Windenergieanlagen im Meer

Das von der Bundesregierung im Frühjahr 2000 erlassene Gesetz für den Vor-
rang Erneuerbarer Energien – Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – hat in
Deutschland zu einem massiven Ausbau von Windenergieanlagen geführt.
Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie setzten die beteiligten Unter-
nehmen im vergangenen Jahr rd. vier Mrd. DM um und beschäftigten mehr als
30 000 Personen; die Zahl der Beschäftigten übertrifft damit beispielsweise
jene in der deutschen Werftindustrie. Gegenwärtige Ausbaubestrebungen
betreffen insbesondere die Errichtung zusätzlicher Anlagen im Meer, da § 7
Abs. 1 EEG bestimmt, dass für „Offshore-Anlagen“ mit einem Betriebsbeginn
vor dem 31. Dezember 2006 der Höchstsatz der Vergütung von 17,8 Pfennig
je Kilowattstunde für einen Zeitraum von neun Jahren gewährt wird. Dem
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie liegen derzeit 15 Anträge zur
Entscheidung über Windkraftanlagen außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone vor;
für Standorte innerhalb dieser Zone haben die zuständigen Länder gegenwärtig
über 30 weitere Anträge zu entscheiden. Nach Angaben der Antragsteller sollen
in den kommenden Jahren zehn Windparks in der Nordsee und fünf in der Ost-
see mit insgesamt mehr als 2 000 Windrädern errichtet werden.

Ein „Positionspapier“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU) zur Windenergienutzung auf See führt dazu u. a. aus,
dass bei der Nutzung der Windenergie auf See ernste Beeinträchtigungen von
Umwelt und Natur auftreten können und benennt diesbezüglich „erheblichen
Forschungsbedarf“. Gleichwohl sieht ein „Stufenplan zur Erschließung der
Windnutzung auf See“ bereits in einer „Vorbereitungsphase 2001 bis 2003“
erste Genehmigungen für Pilotwindparks vor. In diesem Zusammenhang wer-
den zwei Flächen in der Nordsee – nordöstlich vor Borkum und westlich vor
Sylt – benannt. Der insoweit geschaffene Zeitdruck droht irreversible Fakten zu
schaffen, ohne dass zuvor die erheblichen ökologischen, ordnungspolitischen
und ökonomischen Bedenken gegen eine forcierte Nutzung der Windenergie im
Meer angemessen geprüft worden sind. Windparks auf See werden aus ökolo-
gischer Sicht insbesondere wegen einer Beeinträchtigung der Meeresfauna bei
der Errichtung und beim Betrieb der Anlagen kritisiert. Jenseits dessen werden

Drucksache 14/6510 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Nachteile für den Fremdenverkehr befürchtet, sofern Windkraftanlagen das
Landschaftsbild beeinträchtigen. Ordnungspolitisch wird vor allem eingewandt,
dass die durch das EEG marktfern und künstlich geschaffenen Investitionsbe-
dingungen zu einer weitgehend irreversiblen Fehlallokation von Anlagenkapital
führen.

Wir fragen die Bundesregierung.

1. Hat die Bundesregierung konkrete wissenschaftliche Untersuchungsauf-
träge bezüglich der ökologischen Auswirkung der Errichtung und des Be-
triebs von Offshore-Windkraftanlagen auf maritime Lebensräume bzw. auf
die Meeresfauna in Auftrag gegeben und spezifiziert?

2. Wenn ja: Wie lauten diese Untersuchungsaufträge gegebenenfalls?

3. Wenn nein: Beabsichtigt die Bundesregierung, solche Untersuchungen in
Auftrag zu geben?

4. Welche Einrichtungen sollen mit der Durchführung derartiger Unter-
suchungen gegebenenfalls betraut werden, und welche Kriterien legt die
Bundesregierung bei der Auswahl dieser Einrichtungen zugrunde?

5. Innerhalb welcher Zeitspanne rechnet die Bundesregierung mit dem
Abschluss zugehöriger Untersuchungen und der Vorlage entsprechender
Resultate?

6. Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass die Ergebnisse ent-
sprechender Forschungsarbeiten bei politischen und administrativen Ent-
scheidungen über die Genehmigung von Windparkanlagen angemessen
Berücksichtigung finden?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass durch den Betrieb von
maritimen Windkraftanlagen mit Blick auf die Rolle deutscher Küsten-
gewässer als Rast- und Überwinterungsgebiet für Meeresvögel massive
ökologische Störungen zu erwarten sind?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass bestimmte Meeres-
säuger durch Lärm und Erschütterungen massiv gestört und aus ihren
Lebensräumen dauerhaft vertrieben werden, welche bei der Errichtung
maritimer Windkraftanlagen insbesondere beim Setzen der Fundamente
entstehen?

9. Trifft es zu, dass in dem „Positionspapier“ zur Windenergienutzung auf See
vor der Insel Borkum ein Gebiet für einen Pilot-Windpark benannt wird,
welches über einer Tiefwasserstraße liegt, in der u. a. mehrere tausend
Gefahrgutschiffe pro Jahr verkehren?

10. Wenn ja: Welche Überlegungen haben das BMU veranlasst, dieses Gebiet
dennoch für eine Windparkanlage konkret in Erwägung zu ziehen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass durch großflächige
Windkraftanlagen die Gefahr von Havarien in intensiv genutzten Seegebie-
ten zunehmen wird?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass durch großflächige
Windkraftanlagen Seevögel, Fische und Meeressäuger sowie ökologisch
sensible Küstengebiete (z. B. Wattenmeernationalparke) zusätzlich belastet
werden könnten, indem das Risiko eines Austritts von Öl und anderen Che-
mikalien beim Betrieb der Anlagen sowie durch ein Abdriften havarierter
Schiffe zunimmt?

13. Inwieweit haben ökologische Bedenken gegenüber einem forcierten Aus-
bau von Windenergieanlagen Eingang und Berücksichtigung bei der be-
absichtigten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gefunden?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6510

14. Welche Regelungen im Rahmen der Novelle des Bundesnaturschutzgeset-
zes beziehen sich auf eine Genehmigung von Anlagen zur Windenergie-
nutzung auf See, und welche konkreten Fortschritte erwartet die Bundes-
regierung von diesen Bestimmungen im Vergleich zur bisherigen
Rechtslage?

15. Wie viele Windkraftanlagen hält die Bundesregierung in der Nähe von
Schifffahrtswegen für tolerierbar, und auf welchen Überlegungen basiert
ihre diesbezügliche Einschätzung?

16. Welche Größenmerkmale muss eine Windkraftanlage aufweisen, um im
Sinne des „Positionspapiers“ des BMU als „Pilotanlage“ gelten zu können?

17. Welche rechtlichen Regelungen existieren zur Festlegung von Standorten
zur Errichtung und zum Betrieb von Windenergieanlagen zum gegenwärti-
gen Zeitpunkt?

18. Beabsichtigt die Bundesregierung, diesbezüglich bestehende Regelungen
zu verändern bzw. solche zu formulieren, und welchen Inhalt sollen solche
Vorgaben gegebenenfalls haben?

19. Welche Kosten werden mit dem Bau und der Unterhaltung der geplanten
Offshore-Windkraftanlagen im Rahmen jener Ausbauphasen verbunden
sein, welche im „Positionspapier“ des BMU genannt werden?

Berlin, den 26. Juni 2001

Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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