BT-Drucksache 14/6491

Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen bei Leistungen der Krankenpflege (SGB V) und der medizinischen Behandlungspflege (SGB XI)

Vom 28. Juni 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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6491

14. Wahlperiode

28. 06. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth Fuchs und der Fraktion der PDS

Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen bei Leistungen der Kranken-
pflege (SGB V) und der medizinischen Behandlungspflege (SGB XI)

In den Einrichtungen der stationären Behindertenhilfe leben und wohnen ge-
genwärtig ca. 140 000 Bewohnerinnen und Bewohner, oft über mehrere Jahr-
zehnte. Etwa 120 000 von ihnen sind Mitglieder der gesetzlichen Krankenver-
sicherung (GKV), die regelmäßig entsprechende Beiträge entrichten. Etwa
72 000 davon sind nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI. Sie sind in einer
Werkstatt für Behinderte oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berufstätig.
Der verbleibende Personenkreis von rund 48 000 Menschen ist dagegen pflege-
bedürftig im Sinne des SGB XI.

Mit der Neufassung der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen über die Verordnung der häuslichen Krankenpflege (Ziffer I
„Grundlagen“) wird seit dem Jahr 2000 den ca. 120 000 in der GKV versicher-
ten Menschen mit psychischer und/oder körperlicher Behinderung, die in sta-
tionären Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, die gesetzliche Leistung
der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V durch die Krankenkassen ver-
weigert.

Dabei berufen sich die Krankenkassen auf die Vorschrift des § 37 SGB V, dass
Versicherte lediglich „in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie“ häusliche Kran-
kenpflege erhalten. Bei pflegebedürftigen Menschen mit Behinderungen im
Sinne des SGB XI wird darüber hinaus häusliche Krankenpflege unter Bezug
auf § 43a SGB XI in Verbindung mit § 43 Absatz 2 SGB XI verweigert. Offen-
sichtlich wird bei diesen Begründungen negiert, dass die jeweilige Behinder-
teneinrichtung für die dort wohnenden Menschen Häuslichkeit darstellt.

In einer Erklärung vom 18. Juni 2001 hat der „Deutsche Verein für öffentliche
und private Fürsorge“ diese Entwicklung kritisiert und darauf verwiesen, dass
die Verweigerung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege in stationären
Einrichtungen der Eingliederungshilfe gegen das Benachteiligungsverbot des
Grundgesetzes ( Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 ) verstößt, da „Menschen mit Behinde-
rungen in den von ihnen selbst gewählten Wohnformen benachteiligt und von
lebensnotwendigen Leistungen der Krankenversicherung trotz Mitgliedschaft“
ausgeschlossen werden. Er fordert daher, „im SGB V klarzustellen, dass Häus-
lichkeit in Wohneinrichtungen für Menschen mit psychischer und/oder körper-
licher Behinderung vorliegt“.

Darüber hinaus ist auch eine Benachteiligung durch die Regelung des § 43a
SGB XI festzustellen, da sie festlegt, dass die Pflegekassen sich an den Kosten
der Pflege in Einrichtungen der Behindertenhilfe mit einem Betrag von höchs-
tens 500 DM je Kalendermonat beteiligen dürfen. Dies trifft auch dann zu,
wenn es sich um Menschen der Pflegestufe III handelt, die an sich einen An-
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spruch in Höhe von 2 800 DM gegenüber der Pflegekasse hätten. Der Sachver-
ständige der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Be-
hinderung e. V. hat daher bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und
Sozialordnung zum SGB IX am 19. Februar 2001 von einem „Ungleich-
gewicht“ gesprochen und die Notwendigkeit betont, nach der Verabschiedung
des SGB IX „diese Ungereimtheiten zu beseitigen“ (siehe Wortprotokoll der
81. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, 19. Februar 2001,
S. 33). Da das SGB IX zum 1. Juli 2001 in Kraft tritt, ist eine entsprechende
Neuregelung dringend erforderlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die vom „Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge“ in seiner Erklärung vom 18. Juni 2001 getroffene Ein-
schätzung, dass die Verweigerung von Leistungen der häuslichen Kranken-
pflege für Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen der Behinderten-
hilfe trotz Mitgliedschaft (einschließlich Beitragszahlung) in der GKV einen
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes darstellt, und
wenn ja, welchen Handlungsbedarf sieht sie, um eine Beendigung dieser
Situation zum frühest möglichen Zeitpunkt zu gewährleisten?

2. Welche konkreten gesetzgeberischen Schritte beabsichtigt die Bundesregie-
rung, um im SGB V klarstellende Regelungen zu treffen, die es Menschen
mit Behinderungen ermöglicht, ihren individuellen Rechtsanspruch auf die
Erbringung der nach ärztlichem Ermessen notwendigen Leistungen der
GKV durch entsprechend qualifiziertes Fachpersonal und auf Übernahme
der Kosten als Versicherte zuverlässig und uneingeschränkt zu realisieren?

3. Bis zu welchem Zeitpunkt sollen die in Frage 2 genannten klarstellenden
Regelungen im SGB V in Kraft treten?

4. Durch welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, die von den
Behindertenverbänden – insbesondere von der Lebenshilfe im Zusammen-
hang mit der Erarbeitung und Verabschiedung des SGB I – geforderte Auf-
hebung der bisherigen Begrenzung der Aufwendungen für die Pflege in Ein-
richtungen der Behindertenhilfe auf 500 DM gesetzgeberisch umzusetzen?

5. Bis zu welchem Zeitpunkt sollen die in Frage 4 genannten Regelungen im
SGB XI in Kraft treten?

Berlin, den 27. Juni 2001

Dr. Ilja Seifert
Dr. Ruth Fuchs
Roland Claus und Fraktion

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