BT-Drucksache 14/6479

Situation von Minderheiten in Indien

Vom 26. Juni 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

26. 06. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, Rainer Eppelmann,
Dr. Heiner Geißler, Dr. Christian Schwarz-Schilling, Aribert Wolf, Dr. Norbert Blüm,
Hubert Hüppe, Hans-Peter Repnik, Heinz Schemken, Dr. Erika Schuchardt,
Clemens Schwalbe, Dr. Hans-Peter Uhl und der Fraktion der CDU/CSU

Situation von Minderheiten in Indien

Seit der Regierungsübernahme der National Democratic Alliance (NDA), einer
Koalitionsregierung unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP, Indische
Volkspartei), haben die Anschläge auf Angehörige religiöser Minderheiten, vor
allem auf Christen, zugenommen. Extremistische, hindunationalistische Kräfte
konnten offensichtlich an Einfluss und Macht gewinnen. Der Präsident des All
India Christian Council (AICC), Dr. Joseph D’Souza beklagt, dass die Hindu-
nationalisten mit ihren Übergriffen auf Christen versuchen, die Nation religiös
zu spalten; dieses Vorgehen sei daher gegen die Interessen der Nation gerichtet.
Alle Vorwürfe, Anhänger ihrer Partei seien in die Übergriffe auf religiöse Min-
derheiten involviert, werden von der BJP-Führung aber strikt zurückgewiesen.
Vielmehr werfen Vertreter der BJP den Oppositionsparteien vor, die Angriffe
auf Christen gegen die NDA zu instrumentalisieren und die nationalen Interes-
sen Indiens darüber zu vergessen. Der hindunationalistische Vishwa Hindu
Parishad (VHP) bezeichnet religiöse Minderheiten explizit als „anti-national
forces“.

Die Situation für religiöse Minderheiten ist derzeit im Vergleich zu den letzten
fünf Jahrzehnten überdurchschnittlich angespannt. Für dieses Klima ist maß-
geblich der Hindunationalismus verantwortlich. Nicht nur auf Christen, son-
dern auch auf Muslime, Buddhisten und Sikhs werden Anschläge verübt, wobei
die Attacken auf Christen ein für die säkulare Kultur und den politisch-sozialen
Frieden gefährliches Ausmaß erreicht haben. Den führenden Repräsentanten
der BJP, allen voran Premierminister Atal Behari Vajpayee, ist die Rückwir-
kung auf ausländische Wirtschaftspartner sehr wohl bewusst. Gleichzeitig ste-
hen sie aber unter dem Druck des hindunationalistischen Flügel ihrer eigenen
Partei und anderen zur Bewegung Sangh Parivar gehörenden Organisationen,
wie der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), der Vishwa Hindu Parishad
(VHP), die Bajrang Dal und die Hindu Jagran Manch. Diese Organisationen
werfen den Regierenden der BJP vor, mit ihrem Kurs einer wirtschaftlichen
Liberalisierung den Interessen Indiens zu schaden.

Die religiösen Zusammenstöße haben vor allem auch sozioökonomische und
ethnische Wurzeln. Die meisten gewalttätigen Übergriffe gegen Christen fan-
den in abgelegenen und benachteiligten Gebieten, wie Gujarat und Orissa, statt,
aber auch in wesentlich entwickelteren Regionen wie Mumbai oder Goa kam es
zu Konflikten. Christliche Gruppen engagieren sich traditionell in medizini-
schen und pädagogischen Entwicklungsprojekten, um die Lage der unterdrück-
ten Dalits (Kastenlose, offiziell Scheduled Castes) und Adivasi (Stammes-
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gemeinschaften, offiziell Scheduled Tribes) zu verbessern und somit einen
sozioökonomischen Wandel herbeizuführen. Dieses Engagement liegt aber
nicht im Interesse der extremistischen Hindu-Gruppen und ist daher eine Ursa-
che für die Übergriffe.

In dem Bericht der National Commission for Minorities (NCM) vom Mai letz-
ten Jahres werden die Übergriffe auf Christen entweder als zufällig eingestuft
oder als zusammenhanglose Aktionen von Kleinkriminellen bezeichnet. In
früheren Berichten der NCM, d. h. bevor die Regierung diese im Januar 2000
revidiert und abgeschwächt hatte, war allerdings noch die strafrechtliche
Verfolgung dieser Angriffe empfohlen und die Regierung der vorsätzlichen
Nachlässigkeit beschuldigt worden.

In den neuen Rahmenrichtlinien des indischen Erziehungsministeriums für alle
Grund- und weiterführenden Schulen wird der Schwerpunkt auf die indisch-
hinduistische Tradition gelegt und die Überlegenheit dieser Kultur gegenüber
allen anderen hervorgehoben. Auch das Geschichtsbild soll eine Wandlung er-
fahren: Statt der angeblichen bisherigen eurozentristischen Perspektive sowie
des vermeintlichen großen Einflusses fremder Kulturen soll künftig die Be-
deutung Indiens und seiner „indigenen“ Wurzeln hervorgehoben werden. Dem-
entsprechend sollen auch im Sprachunterricht Veränderungen vorgenommen
werden: Hindi und Sanskrit sollen gegenüber Englisch und den Regional-
sprachen aufgewertet werden. Gleichzeitig mit den neuen Rahmenrichtlinien
wurde vom Erziehungsministerium eine neue Zeitschrift, das „Journal of Value
Education“ vorgestellt, in dem ausdrücklich die Einführung eines hinduistisch
geprägten Religionsunterrichts gefordert und vor den so genannten Buch-
religionen gewarnt wird. In mehreren Bundesstaaten besteht ein Gesetz, das
Bürgern vorschreibt, eine staatliche Genehmigung einzuholen, wenn sie ihre
Religion wechseln wollen. In weiteren Bundesstaaten soll die Absicht be-
stehen, ähnliche Regelungen zu schaffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation religiöser Minderheiten in
Indien im Allgemeinen und die der christlichen Gemeinden im Speziellen?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die neuen Rahmenrichtlinien für den
Unterricht an indischen Schulen?

Wie schätzt die Bundesregierung Sorgen religiöser Minderheiten ein, durch
die Rahmenrichtlinien ausgegrenzt zu werden?

3. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass die Entscheidung des
Sondergerichts in Allahabad vom 4. Mai 2001, die Klagen wegen öffent-
licher Hetze und Aufruf zur Gewalt gegen drei Minister der NDA an die
Landesregierung von Uttar Pradesh zurückzugeben, mit der Verletzung von
Minderheitenrechten in Zusammenhang gebracht werden kann?

4. Wie und mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung Bildungs-
einrichtungen in Indien und welche Informationen besitzt sie über die Akti-
vitäten von Nichtregierungsorganisationen im Bildungsbereich?

5. Wie bewertet die Bundesregierung im Vorfeld der UN-Weltkonferenz gegen
Rassismus die Forderung der Dalit-Movements, die Diskriminierung auf-
grund der Kastenzugehörigkeit und Unberührbarkeit als Rassismus einzu-
stufen und zu ächten?

6. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Bemühungen der
christlichen und muslimischen Dalits zu unterstützen, die gleichen Rechte
zu erhalten wie Dalits, die Hindus, Sikhs, Jains oder Buddhisten sind?
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7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderungen des „Führers“ der
rechtsradikalen, hindunationalistischen Basisorganisation RSS, den Islam
zu „indinisieren“ und die christlichen Kirchen in Indien zu nationalisieren?

8. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der ideologi-
schen Ausrichtung der verschiedenen hindunationalistischen Organisatio-
nen (wie VHP, RSS, Bajrang Dal, Hindu Jagran Manch) vor, die zum
Sangh Parivar gehören?

Wie bewertet sie die Beobachtung der indischen Opposition und des AICC,
dass der Sangh Parivar faschistische Züge hat und vom Nationalsozialis-
mus sehr stark beeinflusst ist?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Bemühungen des VHP ein, bei den
Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation anerkannt zu werden?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Rückwirkung der Diskriminierung
von Minderheiten auf die wirtschaftlichen Beziehungen Indiens mit dem
Ausland ein?

Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung für die bilateralen Be-
ziehungen?

11. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welche indischen Organisatio-
nen und Verbände staatliche finanzielle Unterstützung aus Deutschland
oder Fördermittel der EU erhalten?

Welche Informationen besitzt die Bundesregierung darüber, ob unter den
Empfängern auch hindunationalistische Gruppierungen sind?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, dass hinter den Anschlägen
auf Christen und christliche Einrichtungen der pakistanische Geheimdienst
Inter-Services Intelligence (ISI) steht, wie dies von hinduistischen Organi-
sationen behauptet wird?

Berlin, den 19. Juni 2001

Hermann Gröhe
Monika Brudlewsky
Rainer Eppelmann
Dr. Heiner Geißler
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Aribert Wolf
Dr. Norbert Blüm
Hubert Hüppe
Hans-Peter Repnik
Heinz Schemken
Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Hans-Peter Uhl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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