BT-Drucksache 14/6403

Konsequenzen aus der Festnahme eines hohen Europol-Beamten und aus dem Urteil gegen einen BND-Beamten

Vom 20. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6403
14. Wahlperiode 20. 06. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Konsequenzen aus der Festnahme eines hohen Europol-Beamten und aus dem
Urteil gegen einen BND-Beamten

Ein hochrangiger EDV-Abteilungsleiter beim Europäischen Polizeiamt (Euro-
pol), N. P., ist nach Presseberichten (u. a. DER SPIEGEL vom 11. Juni 2001) in
der vorvergangenen Woche wegen des Verdachts auf schweren Betrug und Ur-
kundenfälschung festgenommen worden. „Eine amtsinterne Untersuchung hatte
ergeben“, schreibt „DER SPIEGEL“, „dass von Geldern für neue Computersys-
teme für Europol offenbar mindestens 250 000 DM auf Privatkonten im Ausland
abgezweigt wurden. Einige dieser Konten sollen sich bei Offshore-Gesellschaf-
ten auf den Bermudas befinden. Der EDV-Beamte, dessen Immunität inzwischen
aufgehoben wurde, hatte auch Kontakt zum deutschen Bundesnachrichtendienst
(BND). Bei Projekten für multilinguale Informationssysteme kooperierte er mit
auf Sprachtechnologie spezialisierten BND-Mitarbeitern. Ein weiterer beteilig-
ter Europol-Beamter arbeitet inzwischen als Polizist in Albanien.“ Bei diesem
Beamten soll es sich nach anderen Presseberichten um den bayerischen Polizei-
beamten K. E. S. handeln.

Bei dem o. g. BND-Mitarbeiter handelt es sich um C. R. K., Direktor der Abtei-
lung MÜ/Ki (= maschinelle Übersetzung/künstliche Intelligenz) des Amts für
Auslandsfragen.

Aufgrund der Klage einer Münchner Softwarefirma wurde am 20. Dezember
2000 ein Urteil des Amtsgerichts München gegen C. R. K. rechtskräftig. Er wird
darin wegen „versuchten Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung“ zu einer
Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 150 DM, also 13 500 DM, verurteilt. Hinter-
grund: Er hatte in seiner – für einen BND-Mann erstaunlichen – Funktion als
„Projektkoordinator im Rahmen eines Forschungsprojektes der Europäischen
Union“ (Zitat aus dem Urteil des Amtsgerichts München) die Inhaberin einer
Münchner Softwarefirma im Zusammenhang mit Projekten betrogen, bei denen
es um die Entwicklung von mehrsprachigen Informations- und Analysesystemen
für Europol und andere Polizeidienststellen ging und an denen offenbar auch der
BND Interesse hat. Bei dem Forschungsprojekt der EU, in dem der vom Amtsge-
richt München verurteilte BND-Mann tätig war, handelt es sich um das von der
Europäischen Kommission finanzierte Projekt „Sensus“. Europol war ebenfalls
Vertragspartner in diesem Projekt und wurde vertreten durch den o. g. K. E. S.,
der gleichzeitig auch als „Chairman of the User board“ fungierte.

C. R. K. war nach Presseberichten (u. a. „De Standaard“ vom 13. Juni 2001)
ferner verwickelt in Finanztransaktionen mit der dubiosen belgischen Sprach-
technologiefirma Lernout & Hauspie. Deren Gründer sitzen seit Ende April in
Haft. Ihnen wird u. a. Kursmanipulation vorgeworfen, in deren Folge das Unter-
nehmen von einem Börsenkapitalwert von 10 Mrd. Dollar abstürzte und inzwi-
schen Insolvenz angemeldet hat. Unter seinem BND-Decknamen war C. R. K.

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aufgetreten als Mitglied der Geschäftsführung der Firma Radial Belgium N.V.,
die ihrerseits Kleinfirmen gründete für die Entwicklung von exotischen Spra-
chen wie Farsi oder Bahassa. Diese Firmen wiederum kauften angeblich Lizen-
zen von Lernut & Hauspie, was zum scheinbaren Markterfolg und Kursanstieg
dieser Firma maßgeblich beitrug.

In Presseberichten über diese Firmenkonstruktion wird öffentlich auch über Ver-
bindungen zu internationalen Geldwäsche-Geschäften gemutmaßt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Festnahme und inzwi-
schen erfolgter Freilassung des hohen Europol-Beamten N. P. und die Hin-
tergründe dieser Festnahme?

2. Für welche IT- bzw. Sprachtechnologie-Projekte von Europol war der fest-
genommene Beamte zuständig?

Aus welchen Mitteln der EU wurden diese Programme unter welchen Titeln
finanziert?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Verbindungen zwischen
dieser Festnahme und den seit Ende letzten Jahres bekannten Straftaten des
BND-Mitarbeiters C. R. K.?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Art und Ausmaß der Kon-
takte der hohen Europol-Beamten N. P. und K. E. S. mit dem BND?

a) Seit wann bestanden diese Kontakte?

b) Erstreckten sich diese Kontakte nur auf die Entwicklung von multilingua-
len Informationssystemen für Europol und verschiedene Geheimdienste
oder auch auf andere Aufgabengebiete?

c) Seit wann war die Bundesregierung über diese Kontakte informiert und
was hat sie nach Erhalt dieser Informationen veranlasst?

d) Welche Absichten verfolgte der BND bei der Aufnahme und Weiterver-
folgung dieser Kontakte mit den Europol-Beamten N. P. und K. E. S.?

5. Welchen Auftrag hatte der inzwischen verurteilte BND-Mitarbeiter C. R. K.
seitens des BND für seine Funktion als Projektkoordinator für das EU-Pro-
jekt „Sensus“?

6. Welche Verbindungen bestehen zwischen dem BND-Mitarbeiter C. R. K.
und der Firmengruppe Radial, insbesondere zu den Firmen Radial Sprach-
technologie GmbH und Radial Belgium N.V.?

7. Handelte C. R. K. diesbezüglich im Auftrag des BND?

Wenn ja, worin bestand dieser Auftrag?

Wenn nein, seit wann wusste der BND von diesen Aktivitäten?

8. Was hat der BND unternommen, um diese Aktivitäten zu beenden bzw. wa-
rum hat der BND diese Aktivitäten trotz eventueller Kenntnis nicht beendet?

9. Hält die Bundesregierung die Übernahme solcher Positionen in der EU
durch deutsche Geheimdienstmitarbeiter für vertretbar und vereinbar mit
den Amtspflichten von EU-Beamten, z. B. der Pflicht zur Verschwiegenheit
und zur Vertraulichkeit?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6403

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Kontakten des BND mit
anderen Beamten bei Europol?

11. Hält die Bundesregierung Kontakte zwischen dem BND und Europol-Be-
amten mit dem Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten für
vereinbar?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, was will die Bundesregierung unternehmen, um solche Kon-
takte in Zukunft zu unterbinden?

12. Hält die Bundesregierung Kontakte von Europol-Beamten mit dem BND
für vereinbar mit den vertraglichen Grundlagen von Europol?

Wenn nein, was will die Bundesregierung unternehmen, um für die Zu-
kunft die Zusammenarbeit zwischen Europol-Beamten und einzelnen Ge-
heimdiensten zu unterbinden?

13. Welche Funktion hat der BND-Mitarbeiter C. R. K. nach Kenntnis der
Bundesregierung heute?

14. Besteht ein Zusammenhang zwischen den Ermittlungen zum Fall „Sensus“
(aufgrund der Klagen der von dem BND-Beamten betrogenen Münchner
Softwarefirma) und dem Ausscheiden des bayerischen Polizeibeamten
K. E. S. bei Europol und dessen Versetzung nach Albanien?

Wenn ja, welcher?

15. Seit wann ist K. E. S. in Albanien tätig, wem untersteht er und welche Auf-
gaben erfüllt er dort?

16. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den jetzt aufgetrete-
nen Vorwürfen gegen hohe Europol-Beamte im Hinblick auf die immer
noch fehlende parlamentarische Kontrolle von Europol und im Hinblick
auf die Diskussionen über eine Ausweitung der Kompetenzen und Mittel
von Europol?

Berlin, den 15. Juni 2001

Ulla Jelpke
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

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