BT-Drucksache 14/6402

Naturschutz in Kooperation mit den Betroffenen

Vom 20. Juni 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

6402

14. Wahlperiode

20. 06. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Marita Sehn, Birgit Homburger, Ulrich Heinrich, Hildebrecht
Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Klaus Haupt, Dr. Werner Hoyer,
Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto
Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Naturschutz in Kooperation mit den Betroffenen

Das Bundeskabinett hat am 30. Mai 2001 einen Entwurf zur Novellierung des
Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) beschlossen. Nach Darstellung der
Bundesregierung soll damit das Naturschutzrecht des Bundes neu ausgerichtet
werden, um den Anforderungen des Erhalts der biologischen Vielfalt in einem
modernen Industriestaat gerecht zu werden. Dabei geht es u. a. um eine neue
Abgrenzung des Verhältnisses von Naturschutz und Landwirtschaft, um eine
verstärkte Einbeziehung anerkannter Naturschutzvereinigungen in natur-
schutzrelevante Entscheidungen durch die Einführung einer so genannten Ver-
bands- bzw. Vereinsklage in das Bundesrecht sowie um die Schaffung eines
bundesweiten Biotopverbunds zur Sicherung von heimischen Tier- und Pflan-
zenarten („Netz verbundener Biotope“).

Stellungnahmen von Experten sowie Einlassungen von Verbandsseite haben
erhebliche Einwände und Bedenken gegenüber dem Entwurf der Bundes-
regierung deutlich gemacht. Neben ordnungspolitisch begründeter Kritik und
Hinweisen auf erhebliche Kostenbelastungen, die mit der geplanten Gesetzes-
novelle verbunden sein werden, erwarten vor allem die landwirtschaftlichen
Betriebe nachteilige Folgen. Einkommenseinbußen der Land- und Forstwirte
sind zu befürchten, wenn es – insbesondere mit Blick auf das geplante groß-
flächige Biotopverbundsystem – zu weiteren ordnungsrechtlichen Vorgaben bei
gleichzeitiger Aushöhlung bestehender Ausgleichsregelungen kommt. Unter
solchen Voraussetzungen läuft das geplante Biotopverbundsystem auf mindes-
tens zehn Prozent der Landesfläche dem bewährten und auf freiwilliger Basis
organisierten Vertragsnaturschutz zuwider. Damit wird der ursprünglich durch
die Einführung des Vertragsnaturschutzes in das geltende BNatSchG einge-
schlagene Weg der Kooperation mit Land- und Forstwirten verlassen. Statt
dessen stehen Instrumente des Ordnungsrechts im Vordergrund. Die gute fach-
liche Praxis ist im Rahmen der Fachgesetze als ordnungsgemäße Landwirt-
schaft eindeutig und auf hohem Niveau festgelegt. Weitere Verschärfungen
sind daher nicht sachgerecht und verschlechtern zudem die Wettbewerbsfähig-
keit der heimischen Land- und Forstwirte, die aufgrund der strengen Fach-
gesetze in Deutschland bereits höchste Anforderungen im Natur-, Umwelt- und
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Verbraucherschutz zu erfüllen haben. Das Eigentum darf nicht noch weiter
unter dem Deckmantel der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu Lasten der
Grundeigentümer ausgehöhlt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Weshalb beabsichtigt die Bundesregierung, Natur und Landschaft nicht
mehr – wie bisher – als „Lebensgrundlage des Menschen und als Vo-
raussetzung für seine Erholung“, sondern um ihrer selbst willen zu
schützen?

2. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung von der damit im-
plizit verbundenen Abkehr des Naturschutzes vom anthropozentrischen
Ansatz?

3. Sieht die Bundesregierung darin einen Widerspruch zum Grundsatz der
Nachhaltigkeit, der ökologische mit sozialen und wirtschaftlichen Aspek-
ten ins Verhältnis setzt und sich damit auch an menschlichen Bedürfnissen
ausrichtet und wenn nein, warum nicht?

4. Verfügt die Bundesregierung über Informationen, in welcher Form und
Höhe land- und forstwirtschaftliche Betriebe sowie die Bewohner der je-
weils betreffenden Region von Nationalparks, Biosphärenreservaten und
anderen Naturschutzgebieten profitieren?

5. Wie bewertet die Bundesregierung den Einwand, dass der Gesetzentwurf
einer dirigistischen Grundlinie verhaftet sei, indem Naturschutz vor allem
durch Nutzungseinschränkungen, mithin durch – vor allem an die Land-
wirtschaft gerichtete – staatliche Auflagen erreicht werden soll, anstatt den
Vertragsnaturschutz und freiwillige Maßnahmen in den Vordergrund zu
stellen?

6. Wie bewertet die Bundesregierung den Einwand, wonach der Gesetzent-
wurf u. a. durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe die Ermessens-
spielräume der vollziehenden Behörden erweitere, was zum einen deren
Leistungsfähigkeit unangemessen beanspruche und zum anderen aus Sicht
der Betroffenen erhebliche Planungsunsicherheiten entstehen lassen
könnte?

7. Was versteht die Bundesregierung unter einer „natur- und landschaftsver-
träglichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft“ im Sinne von § 5 Abs. 1
des Gesetzentwurfs und wie verhält sich dieses Begriffsverständnis zu dem
bisherigen Begriffsverständnis der „guten fachlichen Praxis“?

8. Welche Erfahrungen wurden in ökologischer Hinsicht mit dem bisherigen
Begriffsverständnis der „guten fachlichen Praxis“ gemacht und inwieweit
begründen diese Erfahrungen zusätzlichen Handlungsbedarf?

9. Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung – jenseits der Ausführungen
im Rahmen der Begründung zum Gesetzentwurf – die Kostenwirkungen
des Gesetzentwurfs insbesondere im Zusammenhang einer Verwirklichung
des geplanten Biotopverbundes?

10. Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung den Verwaltungsaufwand,
der sowohl auf Seiten der Verwender von Pflanzenschutz- und Dünge-
mitteln als auch bei den zuständigen Behörden entsteht, um den vorgesehe-
nen Dokumentationspflichten über deren Einsatz zu genügen („Schlag-
kartei“)?
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11. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, wonach die im
Begründungstext des Gesetzentwurfs aufgenommenen Kalkulationen der
haushaltsmäßigen Auswirkungen zu niedrig angesetzt seien, u. a. weil bei
Ausweisung der gesetzlich geschützten Biotope für die betroffenen Flä-
chen eine erhebliche Verkehrswertminderung anzunehmen sei und über-
dies Wertverluste durch eine eingeschränkte Beleihungsfähigkeit des
Grundbesitzes zu erwarten seien?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, wonach der Gesetz-
entwurf zu einem Wertverlust allein der landwirtschaftlichen Nutzflächen
in Deutschland von über 4 Mrd. DM führen werde?

13. Verfügt die Bundesregierung über Informationen betreffend die Höhe
durchschnittlicher Mindererträge im Zusammenhang mit zusätzlichen
Bewirtschaftungsauflagen durch die Ausweitung von Naturschutzgebie-
ten?

14. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Auswei-
sung von Naturschutzgebieten und dem Strukturwandel in der deutschen
Landwirtschaft und wenn ja, wie lässt sich dieser Zusammenhang kenn-
zeichnen?

15. Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung die jeweils nach Betriebs-
größe und Standort spezifizierten Mehrkosten, welche land- und forstwirt-
schaftlichen Betrieben durch die vorgesehenen Nutzungsauflagen im Rah-
men naturschutzrechtlicher Auflagen entstehen werden?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhältnis zwischen dem mit der
beabsichtigten Gesetzesnovelle verbundenen ökologischen Nutzen auf der
einen sowie der damit verbundenen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe auf der
anderen Seite?

17. Wie bewertet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass der Gesetzent-
wurf mit Blick auf den geplanten Biotopverbund keine klaren qualitativen
Vorgaben formuliert und dass deshalb zu befürchten ist, dass in der Voll-
zugspraxis Flächen allein nach ihrer Verfügbarkeit und damit willkürlich,
nicht aber aufgrund fachlicher Gesichtspunkte in den Verbund integriert
werden?

18. Sieht die Bundesregierung einen Konflikt zwischen dem Ziel, einerseits
durch eine zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien zum Klimaschutz
beitragen zu wollen, während andererseits deren forcierte Nutzung mit-
unter erhebliche Beeinträchtigungen beim Natur- und Landschaftsschutz
bedeuten kann?

19. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Zielkonflikt?

20. Soll das geplante Biotopverbundsystem zu dem Netz „Natura 2000“
deckungsgleich sein, welches nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie zu
errichten ist?

21. Enthalten die im Gesetzentwurf benannten europäischen Richtlinien Min-
destvorgaben für einen Flächenanteil von Schutzgebieten?

22. Wenn ja, um welche Vorgaben handelt es sich dabei im Einzelnen?

23. Wenn nein, weshalb sieht der Gesetzentwurf Regelungen vor, welche in
diesem Sinne über das europarechtlich vorgesehene Maß hinausgehen?
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24. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine über die europäi-
schen Vorgaben hinausgehende nationale Verpflichtung die regionalen
wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Land- und Fortswirt-
schaft beeinträchtigt und dass deren Konkurrenzfähigkeit im europäischen
Binnenmarkt insoweit verschlechtert werde?

Berlin, den 19. Juni 2001

Marita Sehn
Birgit Homburger
Ulrich Heinrich
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Klaus Haupt
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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