BT-Drucksache 14/6372

Verbesserung der Familienförderung

Vom 20. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6372
14. Wahlperiode 20. 06. 2001

Antrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Klaus Haupt, Dr. Irmgard
Schwaetzer, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Gisela Frick, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Birgit
Homburger, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Marita Sehn, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der F.D.P.

Verbesserung der Familienförderung

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kinder sind Zukunft und ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Doch die Be-
dingungen in unserem Land sind nicht immer kinderfreundlich. Die F.D.P. for-
dert eine familienpolitische Offensive. Kinder müssen als Bereicherung, nicht
als Belastung der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Eine moderne Familienpolitik muss den sich ändernden gesellschaftlichen Be-
dingungen Rechnung tragen. Neben der traditionellen Eltern-Kind-Familie
prägen Verantwortungsgemeinschaften mit Kindern zunehmend die Form des
Zusammenlebens. So gibt es eine Vielzahl von Nichtverheirateten mit Kindern,
Getrenntlebenden mit Kindern und Geschiedenen mit Kindern, die eine Ver-
antwortungsgemeinschaft bilden. Angesichts der zurückgehenden Geburten-
raten mit weit reichenden gesellschaftlichen Folgen für die sozialen Siche-
rungssysteme und für die Zukunft der Arbeitswelt ist eine stärkere Förderung
von Kindern und Familien ein Gebot der Stunde. Deshalb muss eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum zentralen Element einer wirksamen
Familienförderung gemacht werden. Defizite bei der Betreuung von Kindern
müssen beseitigt und das Steuerrecht familienfreundlicher gestaltet werden.

Insgesamt sind die Familien oft großen Belastungen ausgesetzt, die es durch
gezielte Förderung und Unterstützung zu mindern gilt. Deshalb wurde in der
letzten Legislaturperiode der Familienleistungsausgleich geändert, Kindergeld
als negative Einkommensteuer ausgezahlt und das Kindergeld für das 1. und
2. Kind von 70 DM auf 220 DM erhöht. In dieser Legislaturperiode wurde das
Kindergeld für das 1. und 2. Kind unter Beibehaltung dieses Verfahrens ab
1999 auf 250 DM und ab dem Jahr 2000 auf 270 DM erhöht.

Es gelten folgende Grundsätze:

– Der im Grundgesetz gesicherte Schutz der Familie muss gewahrt bleiben.
Deshalb sind Familien stärker zu fördern.

– Verantwortungsgemeinschaften, in der Menschen füreinander einstehen und
Verantwortung füreinander übernehmen, können gefördert werden.

Drucksache 14/6372 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– Jeder muss seine individuelle Lebensform frei von gesellschaftlichen und
staatlichen Zwängen wählen können. Aus der Übernahme von Verantwor-
tung für andere im Rahmen von Familien und Lebensgemeinschaften dürfen
keine Nachteile erwachsen.

– Beiden Geschlechtern müssen die gleichen Chancen eingeräumt werden.
Frauen sollen nicht mehr vor der Alternative Familie oder Beruf stehen. Zur
besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss ein ausreichendes und
flexibles Betreuungsangebot geschaffen werden. Notwendig ist auch, ver-
mehrt Teilzeitarbeitsplätze bereitzustellen.

Ausgehend von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom No-
vember 1998 sollte die zukünftige Familienförderung als „Familiengeld“ be-
zeichnet und wie folgt ausgestaltet werden: Zum familiären Existenzminimum
gehört der existentielle Sachbedarf des Kindes, ab dem Jahr 2000 der Betreu-
ungsbedarf und ab dem Jahr 2002 der Erziehungsbedarf. Daneben wird weiter-
hin das Kindergeld ausgezahlt und mit der steuerlichen Wirkung des Freibe-
trags verrechnet. Beim Familiengeld soll das Existenzminimum der Familie
steuerfrei bleiben.

II. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Kinderbetreuungskosten, die über die angesetzten Pauschalbeträge hinaus-
gehen, sind für Arbeitnehmer als Werbungskosten und für Selbständige als
Betriebsausgaben abzugsfähig. Damit wird es Frauen erleichtert, weiter ih-
rem Beruf nachgehen zu können.

2. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten endet mit dem
Erreichen des 16. Lebensjahres.

3. Der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angesprochene
Haushaltsfreibetrag wird als Erziehungsfreibetrag allen Familien gewährt.
Er beträgt 5 512 DM bzw. 2 820 Euro.

4. Das direkt ausgezahlte Kindergeld bleibt erhalten.

5. Das Existenzminimum für Kinder muss jedes Jahr überprüft und gegebenen-
falls angehoben werden. Das gilt auch für die Freibeträge für Betreuung und
für Erziehung.

6. Es soll ein Bund-Länder-Programm zur Förderung von Kinderbetreuungs-
einrichtungen auf fünf Jahre angelegt werden, in dem jedes Jahr der Bund
und die Länder jeweils 1 Mrd. DM einsetzen.

7. Die Finanzierung kann aus dem steigenden Steueraufkommen aufgebracht
werden. Die Steuermehreinnahmen betragen nach der letzten Steuerschät-
zung im Jahr 2002 rd. 38 Mrd. DM, im Jahr 2003 rd. 33 Mrd. DM, im Jahr
2004 rd. 48 Mrd. DM und im Jahr 2005 rd. 21 Mrd. DM, insgesamt also rd.
140 Mrd. DM. Selbst wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert und
die Steuerschätzung korrigiert werden muss, wäre die Finanzierung gesichert.

Berlin, den 19. Juni 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6372

Begründung

Der Gesetzentwurf der Koalition ist mutlos und ohne Perspektive für Familien.
30 DM Kindergelderhöhung werden von den Familien nicht als spürbare Ent-
lastung angesehen, wenn der Staat zeitgleich die Kosten für Familien erhöht,
insbesondere durch die nächste Stufe der Ökosteuern. Widersprüchlich ist es,
die Anhebung des Kindergeldes von den Familien durch verschiedene Maßnah-
men selbst finanzieren zu lassen. Das gilt insbesondere für den Abbau des
Haushaltsfreibetrags für Alleinerziehende. Die Koalition räumt in der Begrün-
dung des Gesetzentwurfs selbst ein, dass es dadurch zu erheblichen Schlechter-
stellungen kommen wird. Auch die Reduzierung des Ausbildungsfreibetrags ist
für Familien kontraproduktiv. Die Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Kos-
ten von Haushaltshilfen ist entschieden abzulehnen. Die derzeit gültige Rege-
lung erleichtert die Schaffung von Arbeitsplätzen in Privathaushalten und er-
möglicht so den Abbau von Schwarzarbeit.

Künftig gilt es, neue Wege in der Familienpolitik zu beschreiten. Die Anhe-
bung von Kindergeld und Freibeträgen ist gut gemeint, wird aber in der Regel
als nicht ausreichend angesehen. Eine gezieltere Familienförderungspolitik
muss sich zunächst damit befassen, wie und wodurch Haushalte mit Kindern
besonders belastet werden, d. h. in welchen Bereichen kinderspezifische Kos-
ten entstehen. Erst wenn die Ursachen für den Anstieg dieser Kosten nicht zu
beseitigen sind, sollten direkte staatliche Fördermaßnahmen einsetzen.

In diesem Zusammenhang steht zu befürchten, dass Kindergartengebühren
häufig dann steigen, wenn das Kindergeld angehoben wurde. Es kann auch
nicht sein, dass einerseits Bildungseinrichtungen weitgehend unentgeltlich in
Anspruch genommen werden können, dass Familien aber ausgerechnet für die
Betreuung von Kindern in Kindergärten und -tagesstätten erhebliche finanzielle
Mittel aufwenden müssen. Aus diesem Grund sollten daher keine Kindergar-
tengebühren im Rahmen des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz
mehr erhoben werden.

Die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen,
ist ein wichtiger Beitrag für wirkliche Familienförderung. Dazu muss das An-
gebot an Kinderbetreuungsplätzen – besonders in den alten Bundesländern –
flexibilisiert und erweitert werden. Die Zahl der Betreuungsplätze ist unzu-
reichend, insbesondere im Bereich der Ganztagsbetreuung, für Kinder unter
drei Jahren sowie für Grundschulkinder. Dieser wichtigen Aufgabe müssen
sich Bund und Länder gemeinsam stellen. Daher sollte ein Bund-Länder-Pro-
gramm auf fünf Jahre angelegt werden, bei dem Bund und Länder jeweils
1 Mrd. DM jährlich einsetzen. Daneben muss die Verbesserung der Kinder-
betreuung durch mehr Markt und Wettbewerb erreicht werden. Dazu sollte das
Konzept eines Betreuungsgutscheins, der so genannten KiTa-Card, eingeführt
werden. Mit dieser KiTa-Card wird der Anspruch auf Kinderbetreuung bestä-
tigt. Damit treten Eltern auf dem Markt als Nachfrager auf und die Anbieter
müssen sodann ihre Angebotsstruktur so anpassen, wie Umfang und Struktur
der Nachfrage dies verlangen.

Schließlich sollten auch unkonventionelle Wege beschritten werden. Auch Ver-
brauchsteuern auf kindbezogene Produkte belasten Familien. Die Bundesregie-
rung sollte sich in der EU dafür einsetzen, dass z. B. für Kinderkleidung, für
Windeln oder Spielzeug der ermäßigte Mehrwertsteuersatz eingeführt werden
kann.

Fazit: Die Reduzierung der Kostenbelastung von Familien mit Kindern dürfte
in vielen Fällen möglich sein und wirksamer als die Erhöhung von Kindergeld
und -freibeträgen. Direkte staatliche Förderung sollte erst ansetzen, nachdem
andere Formen der Entlastung von Familien gegriffen haben.

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