BT-Drucksache 14/6200

Auswirkungen der Veröffentlichung von Botschaftsberichten auf die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands

Vom 30. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6200
14. Wahlperiode 30. 05. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke,
Hans-Michael Goldmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Auswirkungen der Veröffentlichung von Botschaftsberichten auf die
außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands

Der Bericht der deutschen Botschaft in den USA über das Gespräch von
Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem amerikanischen Präsidenten George
W. Bush am 29. März 2001 in Washington ist durch Indiskretionen an die Öf-
fentlichkeit geraten. Dem Bericht zufolge hat der außenpolitische Berater des
Bundeskanzlers, Ministerialdirektor (MD) Michael Steiner, die amerikanische
Seite u. a. davon unterrichtet, Libyens Staatspräsident Muammar al-Gaddafi
habe ihm gegenüber eine Beteiligung Libyens an terroristischen Aktionen wie
bei dem Attentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“ und auf das amerika-
nische Passagierflugzeug über dem schottischen Lockerbie eingestanden.
Während das Auswärtige Amt bestätigt, der Bericht habe die Äußerung von
MD Michael Steiner korrekt wiedergegeben, wird dies vom Sprecher der
Bundesregierung bestritten. Unterdessen wird berichtet, MD Michael Steiner
habe den Botschaftsbericht nach vorheriger Korrektur selbst autorisiert.

Nachdem dieser Vorfall zunächst Fragen nach der Abstimmung zwischen dem
Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt sowie nach dem verantwortungs-
vollen Umgang mit Protokollen von vertraulichen Gesprächen auf höchster
politischer Ebene aufgeworfen hatten, häufen sich nunmehr auch Stimmen aus
dem Ausland, die die Verlässlichkeit der deutschen Außenpolitik in Frage
stellen. Um eine weitere Beeinträchtigung deutscher außenpolitischer Interessen
zu verhindern, muss die Bundesregierung die Umstände, die zu diesem präze-
denzlosen Vorfall geführt haben, rückhaltlos aufklären, unzweideutig zu den
sich widersprechenden Stellungnahmen des Auswärtigen Amts und des Bundes-
kanzleramtes Stellung nehmen und dafür Sorge tragen, dass sich derartige
Vorfälle nicht wiederholen können. Es darf im Interesse der außenpolitischen
Handlungsfähigkeit Deutschlands und der vertrauensvollen Zusammenarbeit
mit unseren internationalen Partnern, insbesondere mit unseren amerikanischen
Verbündeten, keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der
Bundesregierung aufkommen.

Drucksache 14/6200 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der Bericht der deutschen Bot-
schaft in Washington den Inhalt des Gespräches zwischen Bundeskanzler
Gerhard Schröder und Präsident George W. Bush am 29. März 2001 kor-
rekt wiedergegeben hat?

2. Hat der Bericht der deutschen Botschaft in Washington insbesondere die
Äußerungen von MD Michael Steiner über sein Gespräch mit Revolutions-
führer Muammar al-Gaddafi korrekt wiedergegeben?

3. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass MD Michael Steiner den Be-
richt der Botschaft Washington über das Gespräch zwischen Bundeskanzler
Gerhard Schröder und Präsident George W. Bush vor dessen Weiterleitung
eigenhändig korrigiert und autorisiert hat?

4. Welches politische Ziel wurde mit dem Besuch von MD Michael Steiner
beim libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi verfolgt, in
wessen Auftrag ist MD Michael Steiner gereist und war dieser Besuch
zuvor mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt?

5. War die Frage libyscher Verwicklungen in internationale Terroranschläge
Gegenstand des Gespräches zwischen Muammar al-Gaddafi und MD
Michael Steiner und welche konkreten Aussagen hat Muammar al-Gaddafi
zu diesem Thema gemacht?

6. Ist die in dem Botschaftsbericht in Klammern enthaltene Nennung von
„Lockerbie“ und „La Belle“ so zu verstehen, dass MD Michael Steiner in
seinen Ausführungen gegenüber Präsident George W. Bush diese beiden
Terroranschläge namentlich erwähnt hat?

7. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung der Bericht der „Frankfurter
Rundschau“ vom 22. Mai 2001 zu, dass MD Michael Steiner nach Veröf-
fentlichung des Berichtes in Telefonaten mit leitenden Persönlichkeiten der
US-Administration geltend gemacht hat, er habe während des Gespräches
zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident George W. Bush
nie davon gesprochen, Muammar al-Gaddafi habe ihm gegenüber eine Ver-
wicklung Libyens in terroristische Aktivitäten eingestanden?

8. Kann die Bundesregierung den Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung“ vom 22. Mai 2001 bestätigen, dass der genannte Vorfall Gegenstand
eines Gesprächs des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt und künftigen
deutschen Botschafters in Washington Wolfgang Ischinger mit dem stell-
vertretenden amerikanischen Außenminister Richard Armitage war, in des-
sen Verlauf die amerikanische Seite nicht nur die Tatsache der Veröffentli-
chung des Berichtes, sondern auch den Umstand kritisiert hat, dass MD
Michael Steiner während des Gespräches mit Präsident George W. Bush
den Eindruck erweckt habe, der libysche Revolutionsführer Muammar
al-Gaddafi habe ihm, Michael Steiner, gegenüber, die Verantwortung für
Terroranschläge in der Vergangenheit übernommen?

9. An welchen Adressatenkreis ist der Bericht vom Auswärtigen Amt weiter-
geleitet worden und welches sind die Kriterien für den hierfür verwendeten
Verteiler?

10. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem genannten Vor-
fall für die zukünftige Handhabung der internen Berichterstattung über
vertrauliche hochrangige politische Gespräche?

11. Kann nach Auffassung der Bundesregierung der deutschen Botschaft in
Washington und ihrem Leiter in Bezug auf den genannten Vorfall
irgendein, wie auch immer geartetes, Fehlverhalten vorgeworfen werden?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6200

12. Kann nach Auffassung der Bundesregierung dem außenpolitischen Berater
des Bundeskanzlers, MD Michael Steiner, in Bezug auf den genannten
Vorfall irgendein, wie auch immer geartetes, Fehlverhalten vorgeworfen
werden?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung irgendwelche personellen Konsequenzen
aus dem genannten Vorfall zu ziehen und falls ja, welche?

14. Teilt die Bundesregierung die in verschiedenen deutschen und ausländi-
schen Medien geäußerte Auffassung, dass der Vorfall geeignet sei, die
Handlungsfähigkeit und damit auch die außenpolitischen Interessen
Deutschlands zu beeinträchtigen?

15. Teilt die Bundesregierung insbesondere die von der „New York Times“ am
23. Mai 2001 geäußerte Auffassung, die Veröffentlichung des Botschafts-
berichtes habe zu einer Belastungsprobe des deutsch-amerikanischen Ver-
hältnisses geführt?

16. Kann die Bundesregierung den Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“
vom 21. Mai 2001 bestätigen, wonach die Botschaft der Vereinigten
Staaten in Berlin gegenüber dem Auswärtigen Amt vor einer Gefährdung
der deutsch-amerikanischen Gesprächsatmosphäre gewarnt und darauf hin-
gewiesen habe, dass die Veröffentlichung der Berichte über Gespräche im
Weißen Haus geeignet seien, die nationale Sicherheit der Vereinigten
Staaten zu beeinträchtigen?

17. Ist der genannte Vorfall geeignet, die Bereitschaft ausländischer Regie-
rungschefs zu einem vertrauensvollen Dialog mit der Bundesregierung zu
beeinträchtigen?

18. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der russische Präsident
Wladimir Putin den Botschaftsbericht als eine Provokation bezeichnet hat,
die darauf abziele, „die Beziehungen Russlands mit der EU und mit
Deutschland zu zerstören“ und falls ja, welche Konsequenzen zieht die
Bundesregierung hieraus für die zukünftige Gestaltung der deutsch-
russischen Beziehungen?

19. Welche Auswirkung hat die Veröffentlichung des Botschaftsberichtes nach
Auffassung der Bundesregierung auf die deutsch-libyschen Beziehungen
und auf die Aussicht auf die Erteilung von Ölförderlizenzen für interes-
sierte deutsche Unternehmen?

Berlin, den 29. Mai 2001

Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Irmer
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger

Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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