BT-Drucksache 14/6161

Konjunkturabschwung stoppen - Wachstumskräfte stärken

Vom 29. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6161
14. Wahlperiode 29. 05. 2001

Antrag
der Abgeordneten Gunnar Uldall, Matthias Wissmann, Wolfgang Börnsen
(Bönstrup), Klaus Brähmig, Hansjürgen Doss, Albrecht Feibel, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Dr. Jürgen Gehb, Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken,
Ulrich Klinkert, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Vera Lengsfeld,
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Elmar Müller (Kirchheim), Bernd Neumann
(Bremen), Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Peter Rauen,
Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr,
Hartmut Schauerte, Heinz Schemken, Karl-Heinz Scherhag, Dietmar Schlee,
Max Straubinger, Andrea Voßhoff, Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Konjunkturabschwung stoppen – Wachstumskräfte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verläuft enttäuschend. Der von
der Bundesregierung versprochene Beschäftigungsaufbau kommt kaum voran.
Die Konjunktur im Jahr 2000 war in hohem Maße auf den gestiegenen Export
infolge des schwachen Euro zurückzuführen. Eine nachhaltige Stärkung der in-
neren Wachstumskräfte ist bisher nicht gelungen. Nicht zuletzt deshalb bleibt
das Wirtschaftswachstum im internationalen Vergleich deutlich zurück:

– Das reale Bruttoinlandsprodukt ist im Durchschnitt der OECD um 3,0 % in
1999 bzw. 4,3 % in 2000 gestiegen, in Deutschland dagegen nur um 1,5 %
bzw. 3 %. Seither ist die Wachstumsrate stark rückläufig.

– Von den EU-Staaten hatten im Jahr 2000 nur Italien und Dänemark ein
schwächeres Wachstum aufzuweisen. In diesem Jahr wird Deutschland im
Euro-Raum voraussichtlich Schlusslicht sein beim Wachstum und beim Be-
schäftigungszuwachs.

Der internationale Vergleich macht deutlich, dass Deutschland Wachstums- und
Arbeitsplatzchancen verspielt.

Der Deutsche Bundestag sieht mit Sorge, dass sich das Wachstum seit Mitte
2000 immer weiter verlangsamt hat und die Schwarzarbeit immer stärker zu-
nimmt. Die schlechtere Wirtschaftslage schlägt auf Arbeitsmarkt und Steuerein-
nahmen durch. Mit Recht weist der Sachverständigenrat darauf hin, dass bei der
Lösung des derzeit dringlichsten Problems, der hohen Arbeitslosigkeit, nur
unzureichende Fortschritte verzeichnet wurden. Nach seiner Einschätzung ver-
lief der Beschäftigungsaufbau im Gefolge des derzeitigen Konjunkturzyklus
enttäuschend, insbesondere verglichen mit der Entwicklung während der Auf-
schwungphasen in den achtziger und neunziger Jahren. Die ohnehin schon nied-
rige Dynamik beim Abbau der Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich hat sich
von Oktober 2000 bis April 2001 auf 132 000 Personen halbiert. Gleichzeitig hat

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das Erwerbspersonenpotential aufgrund der arbeitsmarktpolitisch günstigen
demographischen Entwicklung allein im Jahr 2000 um rd. 160 000 Personen
abgenommen und so den Arbeitsmarkt erheblich entlastet. In Erwerbsstunden
gerechnet ist der Beschäftigungsaufbau zum Stillstand gekommen.

Mit besonderer Besorgnis sieht der Deutsche Bundestag das Zurückbleiben der
wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern. Das Wirtschaftswachstum
erreichte im Jahr 2000 in den neuen Ländern lediglich 1,3 %. Damit hat sich die
Schere im Wirtschaftswachstum zwischen neuen und alten Ländern stark geöff-
net. Auch für 2001 und 2002 erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute, dass
sich dieses Auseinanderdriften fortsetzen wird.

Alle seriösen Prognosen gehen davon aus, dass sich das Wachstum im Jahr
2001 in Deutschland weiter auf möglicherweise unter 2 % abschwächen wird.
Damit hat sich die Wachstumsprognose des Jahreswirtschaftsberichts als unrea-
listisches Wunschdenken erwiesen. Das Geschäftsklima in der deutschen Wirt-
schaft hat sich in den letzten Monaten stetig verschlechtert. Diese Entwicklung
ist bei weitem nicht allein auf den Wachstumseinbruch in den USA und die
schwache wirtschaftliche Entwicklung u. a. in Japan zurückzuführen. Ursäch-
lich ist vor allem die nachteilige Beeinflussung der wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen durch die Bundesregierung, die das Ausschöpfen der
Wachstumspotentiale verhindert.

Auch die Preisentwicklung gibt zur Sorge Anlass. Mit ca. 3,5 % im Mai 2001
dürfte die Preissteigerungsrate für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte
den höchsten Wert seit Januar 1994 erreichen – beim Regierungswechsel im
September 1998 betrug sie dagegen 0,7 %. Bei den gewerblichen Erzeugerprei-
sen stieg der Preisindex im April um 5 % gegenüber dem Vorjahr und erreichte
damit den höchsten Wert seit Juli 1982.

Die Bundesregierung hätte nach Auffassung des Deutschen Bundestages die
relativ günstige konjunkturelle Lage im Jahr 2000 für längst fällige Reformen
auf dem Arbeitsmarkt nutzen müssen. Die von der Bundesregierung beschlos-
senen Maßnahmen sind dagegen ungeeignet, die Arbeitslosigkeit zu verringern.
Nur wenn die Beschäftigungspolitik klare Signale für Investitionen, Innovatio-
nen und Existenzgründungen gibt, wird es gelingen, die Arbeitslosigkeit nach-
haltig abzubauen. Der Politik der Bundesregierung mangelt es an der notwendi-
gen Kontinuität und Berechenbarkeit, um das Vertrauen von Bürgern und
Wirtschaft in die weitere konjunkturelle Entwicklung zu stärken. Ziel muss es
sein, die ordnungspolitischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft wieder
in das Zentrum der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Bundesregie-
rung zu rücken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerade für den Mittelstand und die
Arbeitnehmer durchgreifend zu verbessern, die Steuer- und Abgabenlast zu
reduzieren und auf einen Kurs konsequenter Deregulierung einzuschwenken:

1. Um Leistungsanreize zu setzen, die Binnennachfrage zu stärken und legale
Arbeit wieder bezahlbar zu machen, muss die Steuerbelastung von Arbeit-
nehmern und mittelständischen Unternehmen über den gesamten Tarifver-
lauf spätestens zu Beginn 2003 wesentlich stärker und schneller als von der
Bundesregierung vorgesehen zurückgeführt werden. Die Ökosteuer muss
abgeschafft werden. Bei der Erbschaftsteuer darf es keine zusätzlichen Be-
lastungen geben.

Mittelständische Personenunternehmen, Motor für Wachstum und Beschäf-
tigung in Deutschland, werden durch die Steuerreform gegenüber Kapital-
gesellschaften deutlich benachteiligt. Das gilt für Zeitpunkt und Umfang der

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steuerlichen Entlastung ebenso wie für die Besteuerung von Veräußerungs-
gewinnen, die Schlechterstellung von Business Angels, die Einschränkung
der Verlustverrechnung (§ 2 Abs. 3 EStG) oder die Benachteiligung von
Sachanlagen- gegenüber Finanzkapitalinvestitionen. Diese Defizite müssen
umgehend beseitigt werden.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die zum 1. Januar 2001 in Kraft ge-
tretenen AfA-Tabellen zu überarbeiten, um negative Auswirkungen auf die
Investitionsfähigkeit der Betriebe zu vermeiden. Insbesondere sollen bei der
Bemessung der Nutzungsdauer sowohl technische als auch betriebswirt-
schaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Angesichts der Bedeutung von
Abschreibungsmodalitäten für ein wettbewerbsfähiges Steuersystem ist es
unabdingbar, die Neukonzeption der AfA-Tabellen in enger Abstimmung
mit den Wirtschaftsverbänden vorzunehmen.

Die ohnehin schon geringen Entlastungswirkungen der Steuerreform werden
durch die Ökosteuer in erheblichem Umfang aufgezehrt, zumal die Renten-
versicherungsbeiträge nur geringfügig gesenkt werden. Gerade bei mittel-
ständischen Betrieben insbesondere auch im Transport- und dienstleistungs-
nahen Gewerbe stehen wegen dieser steuerpolitisch falschen Weichenstellung
tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

2. Die Lohnzusatzkosten sind in Deutschland unter allen Industrieländern am
höchsten. Das von der Bundesregierung angestrebte Ziel einer Absenkung
des Gesamtsozialversicherungsbeitrags auf unter 40 % ist mangels Reform-
willen trotz Einführung der Ökosteuer kaum zu erreichen. Die gesetzliche
Renten- und Krankenversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung müs-
sen mit dem Ziel, die Eigenverantwortung zu stärken, grundlegend refor-
miert werden.

Die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung ist ohne Ergän-
zung durch eine bürokratisch einfach gestaltete private Altersvorsorge nicht
dauerhaft gewährleistet. Mit dem Gesetz zur Alterssicherung werden die
Lohnzusatzkosten nicht spürbar verringert, der Einstieg in die geförderte pri-
vate Vorsorge ist zu zaghaft und zu bürokratisch, das Wohneigentum stief-
mütterlich behandelt und die Besteuerungsfrage bleibt weitgehend offen.

Bei der Arbeitslosenversicherung müssen die bestehenden finanziellen
Spielräume für eine ggf. zweistufige Reduzierung des Beitragssatzes von
derzeit 6,5 % auf 5,5 % im Jahr 2002 genutzt werden, was zu einer Entlas-
tung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber um insgesamt 14 Mrd. DM führen
würde. Im Bereich der Krankenversicherung muss auf den bisherigen Diri-
gismus verzichtet werden. Notwendig ist mehr Wettbewerb und eine enge
Begrenzung des Risikostrukturausgleichs zwischen den Kassen.

3. Insbesondere die falsche Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung kostet
Wachstum und Beschäftigung. Zu Recht hat der Sachverständigenrat darauf
hingewiesen, dass die Arbeitsmarktpolitik die gravierendste Zielverfehlung
der Wirtschaftspolitik in Deutschland darstellt:

Deutschland hat weltweit einen der am stärksten regulierten Arbeitsmärkte.
Trotzdem hat die Bundesregierung die 1996 eingeführten maßvollen Er-
leichterungen beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall wieder zurückgenommen. Angefangen bei der 630-DM-Neu-
regelung und dem so genannten Gesetz gegen Scheinselbständigkeit über das
Gesetz zur Teilzeitarbeit bis hin zu den Einschränkungen bei der befristeten
Beschäftigung wurde die Regulierungsdichte auf dem Arbeitsmarkt weiter
verschärft und damit neue Einstellungshemmnisse besonders für die mittel-
ständischen Betriebe errichtet.

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Auch die von der Bundesregierung beabsichtigte Reform des Betriebsver-
fassungsgesetzes ist arbeitsmarktpolitisch ein Schritt in die falsche Rich-
tung. Den mittelständischen Unternehmen entstehen infolge einer Erhöhung
der Zahl der Betriebsräte und der Freistellungen Zusatzkosten in Milliarden-
höhe, die alle Maßnahmen zur Senkung der Kostenbelastung am Standort
Deutschland konterkarieren. Notwendig ist es angesichts des beschleunigten
Strukturwandels stattdessen, die Verfahrensabläufe bei der Mitbestimmung
zu beschleunigen und auf mehr Partnerschaft zwischen Unternehmenslei-
tung und Betriebsrat zu setzen.

Statt weitere Regulierungen einzuführen, sollte die Bundesregierung endlich
Reformen zur Stärkung der Anreize zur Arbeitsaufnahme bei der Arbeits-
losen- und Sozialhilfe, zur Unterstützung betrieblicher Bündnisse für Arbeit,
zur erleichterten Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in den 1. Arbeits-
markt, für mehr Effizienz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und zur ver-
stärkten Mitarbeiterbeteiligung anpacken.

4. Wir brauchen eine Infrastrukturoffensive für einen beschleunigten Ausbau
der Schienenwege, der Autobahnen und der Landstraßen und – insbesondere
in den neuen Bundesländern – der kommunalen Infrastruktur. Dies trägt auch
dazu bei, dass die notleidende Bauwirtschaft endlich wieder Boden unter die
Füße bekommt. Die Bundesregierung muss den Mut zu Umschichtungen im
Haushalt zugunsten von Investitionen aufbringen und die Investitionsfähig-
keit von Ländern und Kommunen vor allem in den neuen Ländern stärken.
Außerdem sollte sie endlich ihre Denkblockade bei Privatfinanzierungs-
modellen aufgeben und bei der Finanzierung der Infrastruktur verstärkt von
der Steuer- auf die Nutzerfinanzierung übergehen. Großbritannien weist hier
den richtigen Weg. Dort werden 20 % des öffentlichen Investitionsvolumens
über private Betreibermodelle finanziert. Damit konnte eine Kostenersparnis
von 17 % erreicht werden – Mittel, die für andere Projekte zusätzlich zur Ver-
fügung stehen.

5. Die Bürokratie geißelt insbesondere den Mittelstand. Deshalb müssen alle
Formen staatlicher Regulierung und die staatliche Wirtschaftstätigkeit auf den
Prüfstand gestellt werden. Der staatliche Dirigismus auf den Produkt- und
Dienstleistungsmärkten wirkt zu Lasten der Verbraucher. Deshalb muss ent-
gegen der Absicht der Bundesregierung z. B. das Briefmonopol der Post wie
ursprünglich vorgesehen zum 31. Dezember 2002 auslaufen. Auch darf das
von der vorherigen Bundesregierung durchgesetzte Aufbrechen der Strom-
monopole nicht durch neue gesetzliche Regelungen konterkariert werden.

Die Privatisierung von staatlichem Beteiligungsbesitz setzt zusätzliche wirt-
schaftliche Dynamik frei, verbessert die unternehmerische Leistungser-
stellung und muss deshalb konsequent fortgeführt werden. Die daraus her-
vorgehenden Einnahmen müssen zur Reduzierung der Kreditaufnahme des
Staates, zur Stärkung der Investitionshaushalte und für durchgreifende
Steuersenkungen eingesetzt werden.

Berlin, den 29. Mai 2001

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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