BT-Drucksache 14/6129

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vorschriften

Vom 21. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6129
14. Wahlperiode 21. 05. 2001

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, Heidemarie
Lüth, Petra Pau und der Fraktion der PDS

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer
Vorschriften

A. Problem

Asylsuchende werden für die Dauer des Anerkennungsverfahrens einer Kom-
mune zugewiesen. Den Bezirk der für sie zuständigen Ausländerbehörde dürfen
sie in der Regel nur dann verlassen, wenn sie vorher eine entsprechende Geneh-
migung eingeholt haben. Jeder Besuch bei Familienangehörigen, Verwandten
oder Freunden, jede Teilnahme an einer Veranstaltung oder Demonstration,
jeder Diskothekenbesuch und jeder Schulausflug bzw. jede Klassenfahrt muss,
soweit dabei der Bezirk der Ausländerbehörde verlassen wird, vorher geneh-
migt werden. Dabei ist die Praxis der einzelnen Ausländerbehörden sehr unter-
schiedlich: Was der eine Sachbearbeiter genehmigt, wird vom anderen Sach-
bearbeiter abgelehnt. Verstöße gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung
stellen im Wiederholungsfall eine Straftat dar.

Diese Regelungen werden von Asylsuchenden zu Recht als unverhältnismä-
ßige Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit empfunden. Sie sind im Übrigen
überflüssig, da das Ziel der gleichmäßigen Verteilung von Asylsuchenden auf
das Bundesgebiet bereits durch die Wohnortzuweisung sichergestellt ist.

B. Lösung

Abschaffung der die räumliche Aufenthaltsbeschränkung begründenden Be-
stimmungen.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Mit der Aufhebung der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung wird der Verwal-
tungsaufwand, der bisher durch die Bearbeitung von Anträgen auf Genehmi-
gungen zum vorübergehenden Verlassen des Bezirks einer Ausländerbehörde
und durch strafrechtliche Verfahren wegen Verstoßes gegen die Aufenthalts-
beschränkung entstanden ist, wegfallen. Insbesondere für die Kommunen ist
somit eine Kosteneinsparung in nicht bezifferbarer Höhe zu erwarten.

Drucksache 14/6129 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer
Vorschriften

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates fol-
gendes Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Asylverfahrensgesetzes

Das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 27. Juli 1993 (BGBl. I S. 1361), zuletzt geän-
dert durch ..., wird wie folgt geändert:

1. In § 40 Abs. 1 Satz 1 werden die Worte „in deren Bezirk
sich der Ausländer aufzuhalten hat“ durch die Worte „in
deren Bezirk der Ausländer Wohnung zu nehmen hat“
ersetzt.

2. In § 54 werden die Worte „in deren Bezirk sich der Aus-
länder aufzuhalten hat“ durch die Worte „in deren Bezirk
der Ausländer Wohnung zu nehmen hat“ ersetzt.

3. In § 55 Abs. 1 wird Satz 2 gestrichen. Satz 3 wird
Satz 2.

4. Die §§ 56 bis 59 werden aufgehoben.

5. § 60 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 werden die Worte „Aufent-
halt und“ gestrichen.

b) Absatz 3 wird wie folgt gefasst: „Zuständig für Maß-
nahmen nach den Absätzen 1 und 2 ist die Auslän-
derbehörde, in deren Bezirk der Ausländer Wohnung
zu nehmen verpflichtet ist.“

6. § 63 Abs. 3 wird wie folgt geändert:

a) Satz 2 wird wie folgt gefasst: „Im Übrigen ist die
Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk der
Ausländer Wohnung zu nehmen verpflichtet ist.“

b) In Satz 3 werden die Worte „und Änderungen der
räumlichen Beschränkungen“ gestrichen.

7. § 71 Abs. 7 wird wie folgt geändert:

a) Satz 1 wird gestrichen.

b) Im bisherigen Satz 2 wird das Wort „auch“ gestrichen.

8. § 71a Abs. 3 Satz 2 wird wie folgt gefasst: „Die §§ 60
bis 67 gelten entsprechend.“

9. § 85 Nr. 2 wird gestrichen.

10. § 86 wird aufgehoben.

Artikel 2

Änderung des Ausländergesetzes

Das Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von
Ausländern im Bundesgebiet vom 9. Juli 1990 (BGBl. I
S. 1354), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

§ 36 wird wie folgt gefasst: „Ein Ausländer hat den Teil des
Bundesgebiets, in dem er sich einer vollziehbaren Auflage
zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.“

Artikel 3

Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Das Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), zu-
letzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

1. In § 10b Abs. 3 Satz 1 werden die Worte „asyl- oder aus-
länderrechtliche räumliche Beschränkung“ durch die
Worte „vollziehbare Auflage zur Aufenthaltsgenehmi-
gung“ ersetzt.

2. In § 11 Abs. 2 werden die Worte „asyl- oder ausländer-
rechtlichen räumlichen Beschränkung“ durch die Worte
„vollziehbaren Auflage zur Aufenthaltsgenehmigung“
ersetzt.

Artikel 4

Inkrafttreten

Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 17. Mai 2001

Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Heidemarie Lüth
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6129

Begründung

A. Allgemeines
Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Asyl-
suchenden im laufenden Verfahren (in der politischen Dis-
kussion manchmal etwas missverständlich als „Residenz-
pflicht“ bezeichnet) stellt eine starke Beschneidung der per-
sönlichen Bewegungsmöglichkeiten und damit einen gra-
vierenden Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Jeder
Besuch bei Familienangehörigen, Verwandten oder Freun-
den, jede Teilnahme an einer Veranstaltung, an einer De-
monstration oder einem Fest, jeder Besuch einer Diskothek,
jeder Schulausflug und jede Klassenfahrt – alles, was den
einzelnen Menschen außerhalb des Bezirks der Ausländer-
behörde bringt, muss vorher von der Behörde genehmigt
werden. In einigen Bundesländern ist die Bewegungsfrei-
heit zwar auf die Regierungsbezirke ausgedehnt worden,
dies ändert jedoch nichts am grundsätzlichen Problem. Die
Genehmigungspraxis erscheint häufig sehr uneinheitlich
und eher willkürlich: was hier genehmigt wird, wird dort
versagt. Nur allzu oft werden Genehmigungen verweigert,
weil ein Besuch bei der Mutter pro Monat ausreiche oder
die Teilnahme an einer Demonstration dem Asylsuchenden
nicht zustehe.

Die hierdurch entstehende Isolation der einzelnen Men-
schen ist erheblich, besonders wenn sie in kleinen Orten
weitab von Freunden, Bekannten und Verwandten unterge-
bracht sind.

Die räumliche Beschränkung bläht außerdem unnötig die
Kriminalitätsstatistik auf, denn nach geltendem Recht ist
der Verstoß gegen sie im Wiederholungsfall eine Straftat.

Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts ist zur Lasten-
verteilung unter den Kommunen nicht notwendig. Auch
nach ihrem Fortfall bleiben die Bestimmungen bestehen,
nach denen dem Asylsuchenden ein Wohnort zugewiesen
wird. Eine übermäßige Belastung einzelner Kommunen im
Sozialhilfebereich oder durch Verwaltungsaufwand ist da-
her bei einem Wegfall der räumlichen Beschränkung nicht
zu erwarten.

Es ist auch nicht einzusehen, weshalb Asylsuchende
schlechter gestellt sein sollen als unerlaubt einreisende
Ausländer, die keinen Asylantrag stellen. Auch nach dem
Gesetzentwurf des Bundesrates (Bundestagsdrucksache
14/5266) sollen diese Personen auf die Länder und ggf. in-
nerhalb der Länder „verteilt“ werden – eine räumliche Be-
schränkung des Aufenthalts zusätzlich zur Wohnortzuwei-
sung ist jedoch nicht vorgesehen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Zu den Nummern 1 und 2

Durch die Aufhebung der generellen räumlichen Aufent-
haltsbeschränkung auf den Bezirk einer Ausländerbehörde
wird diejenige Ausländerbehörde für die ausländerrechtli-
che Behandlung eines Ausländers zuständig, in deren Be-
zirk der Ausländer Wohnung zu nehmen hat. Die Bestim-
mungen über die Mitteilungspflicht des Bundesamtes für

die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge an die Auslän-
derbehörde und umgekehrt sind entsprechend zu fassen.

Zu Nummer 3

Dem Asylsuchenden soll die freie Wahl des Aufenthaltes
offen stehen. Ihm soll lediglich der Wohnort zugewiesen
werden. Daher ist § 55 Abs. 1 Satz 2 zu streichen.

Zu Nummer 4

Die §§ 56 bis 59 regelten bisher die räumliche Beschrän-
kung des Aufenhalts für die Dauer des Asylverfahrens, die
Bedingungen für das ausnahmsweise Verlassen des Aufent-
haltsbereichs und die Durchsetzung der räumlichen Be-
schränkung. Da die räumliche Beschränkung fortfallen soll,
sind diese Vorschriften zu streichen.

Zu Nummer 5

Dem Asylsuchenden soll die freie Wahl des Aufenthaltes
offen stehen. Ihm soll lediglich der Wohnort zugewiesen
werden. Dem sind § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 anzupas-
sen.

Zu Nummer 6

Da die Aufenthaltsgestattung nicht auf einen Bezirk be-
schränkt sein soll, ist die Zuständigkeitsregelung entspre-
chend zu fassen. Wenn es keine räumliche Beschränkung
des Aufenthaltes geben soll, ist auch eine Änderung nicht
möglich.

Zu Nummer 7

Wenn eine räumliche Beschränkung nicht bestehen soll,
kann sie auch nicht fortwirken. Für ausländerrechtliche
Maßnahmen nach den Absätzen 5 und 6 ist somit die Aus-
länderbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Auslän-
der aufhält.

Zu Nummer 8

Folge aus Nummer 4.

Zu den Nummern 9 und 10

Folge aus den Nummern 4 und 8.

Zu Artikel 2

Die Verlassenspflicht nach § 36 AuslG ist auf diejenigen
Fälle zu beschränken, in denen der Aufenthalt (ausnahms-
weise) durch eine ausdrückliche Auflage beschränkt worden
ist.

Zu Artikel 3 Nr. 1 und 2
Da die räumliche Beschränkung fortfallen soll, sind die
hierauf Bezug nehmenden Bestimmungen des Asylbewer-
berleistungsgesetzes so zu fassen, dass sie nur in Fällen an-
wendbar sind, in denen eine vollziehbare Auflage zur Auf-
enthaltsgenehmigung besteht.

Zu Artikel 4
Enthält die übliche Vorschrift über das Inkrafttreten.

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