BT-Drucksache 14/6067

Vorsorgende Verbraucherpolitik gestalten und stärken

Vom 16. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6067
14. Wahlperiode 16. 05. 2001

Antrag
der Abgeordneten Jella Teuchner, Matthias Weisheit, Brigitte Adler, Ernst Bahr,
Rainer Brinkmann (Detmold), Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Christel
Deichmann, Peter Dreßen, Marga Elser, Annette Faße, Iris Follak, Günter Graf
(Friesoythe), Reinhold Hemker, Gustav Herzog, Iris Hoffmann (Wismar), Eike
Hovermann, Barbara Imhof, Ilse Janz, Marianne Klappert, Helga Kühn-Mengel, Ute
Kumpf, Werner Labsch, Holger Ortel, Silvia Schmidt (Eisleben), Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Heinz Schmitt (Berg), Karsten Schönfeld, Reinhard Schultz
(Everswinkel), Dr. Angelica Schwall-Düren, Antje-Marie Steen, Reinhold Strobl
(Amberg), Lydia Westrich, Dr. Norbert Wieczorek, Heino Wiese (Hannover),
Dr. Wolfgang Wodarg, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Heidi Wright, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorsorgende Verbraucherpolitik gestalten und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bewusstsein für Verbraucherschutz ist in Deutschland durch eine Reihe
von Lebensmittelskandalen, insbesondere die BSE-Krise, gewachsen. Eine
umfassende Verbraucherpolitik geht allerdings weit über Ernährungsfragen
hinaus. Verbraucherschutz ist eine Querschnittsaufgabe und damit eine Ge-
samtaufgabe, die alle Ressorts berührt. Aktuelle Handlungsfelder der Verbrau-
cherpolitik sind z. B. Ernährung und Lebensmittelsicherheit, allgemeine Pro-
duktsicherheit und Produkthaftung, Handel und Dienstleistungen, Gesundheit,
Altersvorsorge, Geldanlagen und Versicherungen, Weiterbildung, Bauen und
Wohnen, Verkehr und Energie sowie neue Technologien.

Vorsorgende Verbraucherpolitik muss folgende Ziele erreichen:

 Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher,

 Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen,

 Herstellen von Chancengleichheit zwischen Verbrauchern und Anbietern,

 hohe Sicherheit und Qualität der Produkte,

 Verbesserung der Markttransparenz sowie der Information und Bildung der
Verbraucherinnen und Verbraucher.

Drucksache 14/6067 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen eine wichtige und hörbare Stimme
in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erhalten. Sie müssen bewusst und selbst-
ständig ihre Entscheidungen am Markt treffen können.

Verbraucherpolitik ist Teil einer modernen Wirtschaftspolitik in der sozialen
Marktwirtschaft. Dabei steht der vorsorgende Verbraucherschutz an erster
Stelle. Instrumente zur Umsetzung sind die Anwendung des Vorsorgeprinzips,
die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen zur Sicherstellung der
Ziele der Verbraucherpolitik, in geeigneten Fällen auch Selbstverpflichtungen
der Wirtschaft sowie die Schaffung von Transparenz insbesondere durch Quali-
täts- und Herkunftssicherungssysteme und deren Überwachung. Alle Akteure
müssen frühzeitig an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt

 die Entscheidung, politische Verantwortung für den Verbraucherschutz in
einem Ressort zu bündeln. Nur so können die unterschiedlichen Themenbe-
reiche des Verbraucherschutzes koordiniert bearbeitet werden;

 die Absicht der Bundesregierung, eine Behörde für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit einzurichten;

 die Absicht der Bundesregierung, die Organisationen des Verbraucherschut-
zes zu stärken;

 die Einrichtung einer Energieagentur, die Hilfen zur Orientierung auf dem
liberalisierten Energiemarkt und beim Energieeinsatz im Eigenheim- und
Wohnungsbau gibt;

 die Stärkung der Verbraucherrechte mit der Vorlage des Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Schuldrechts.

III. Der Deutsche Bundestag fordert

 den Verbraucherschutz als eines der durchgängigen Leitprinzipien anzuer-
kennen und bei politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen
dazu beizutragen, dass die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrau-
chern zur Richtschnur der Politik bei allen Entscheidungen auf EU-, Bun-
des-, Landes- und kommunaler sowie internationaler Ebene werden;

 Vorschläge zu erarbeiten, in welchen Bereichen Zertifizierungen einen wich-
tigen Beitrag zu Verbraucherschutz und mehr Transparenz leisten können;

 zu prüfen, wie die Produkthaftung auch im Bereich des Handels zu verbes-
sern ist;

 Produktlabels, Standardsetzungen und Normierungen daraufhin zu überprü-
fen, ob sie insbesondere Kindern, Kranken und schutzbedürftigen Personen
gerecht werden;

 die Spielräume für behördliche Informationen – unter Wahrung der Subsidi-
arität und der Datenschutzinteressen der Hersteller – zugunsten der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher auszuweiten;

 durch Information und Bildung die Stellung der Verbraucherinnen und Ver-
braucher gegenüber den Produzenten zu stärken;

 die Verbraucherinnen und Verbraucher durch möglichst weitgehende und
transparente Kennzeichnung von Waren besser zu informieren;

 die unabhängige und verbrauchernahe Aufklärung, Information, Interessen-
vertretung und Beratung auszubauen und die Verbraucherorganisationen zu
stärken;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6067

 die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über gesunde Ernäh-
rung zu stärken. Das Ernährungsverhalten stimmt oft nicht mit den gesund-
heitlichen Ernährungszielen überein. Hier müssen verlorene Kompetenzen
im Umgang mit Lebensmitteln und Ernährung wieder aufgebaut werden.
Ein wichtiger Schritt dazu ist es, die Ausbildung in den Bereichen Ernäh-
rung und Gesundheit an den Hochschulen, in der Berufsbildung und der be-
ruflichen Weiterbildung zu intensivieren;

 die Länder auf, durch entsprechende Lehr- und Informationsangebote die
Schülerinnen und Schüler zu einer gesunden Ernährungsweise anzuleiten.
Ernährung und Verbraucherschutz sollten bei der Lehrerfortbildung themati-
siert und die Lehrkräfte befähigt werden, entsprechende Unterrichtsinhalte
zu vermitteln;

 den Verbraucherschutz in der Ressortforschung zu stärken, u. a. sollte eine
unabhängige wissenschaftliche Einrichtung zur Bewertung von Produktrisi-
ken bei Lebensmitteln eingerichtet werden;

 Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit und zur besseren Information der
Verbraucherinnen und Verbraucher über Inhaltsstoffe, Herstellungsverfahren
und Herkunft von Lebensmitteln konsequent auszubauen. Dazu gehören
u. a. das umfassende Verbot von Tiermehl und Antibiotika als Leistungsför-
derer in der Tierhaltung, das Verbot von Separatorenfleisch sowie die offene
Kennzeichnung von Lebensmitteln und Futtermitteln insbesondere auch im
Bezug auf gentechnische Veränderungen;

 dafür Sorge zu tragen, dass die in der EU geltenden Sicherheitsstandards
nicht durch Importe unterlaufen werden. Gegebenenfalls müssen Kenn-
zeichnungsregelungen gefunden werden;

 im Bereich der modernen Kommunikationstechniken umfassenden Daten-
schutz, Datensicherheit und Rechtssicherheit herzustellen. Dazu gehört ins-
besondere:

– Daten über die Nutzung des Internets sollen für statistische Zwecke nur
gespeichert und genutzt werden, wenn dafür im Einzelfall ein konkreter
wichtiger Grund besteht. Für kommerzielle Zwecke sind diese Daten nur
für die Nutzung der Angebote im Internet oder für Abrechnungszwecke
zu verwenden. Soweit geboten, ist die Rechtsstellung der Verbraucher
durch Änderung deutscher und internationaler Rechtsvorschriften weiter
zu verbessern.

– Im Online-Handel müssen die Rahmenbedingungen für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher verbessert werden. Kunden sollten bei Konflik-
ten mit Anbietern vor den Gerichten ihres Landes klagen und nur dort
verklagt werden können. Die Entwicklung und Anwendung von sicheren
Zahlungssystemen für den Online-Handel muss unterstützt werden. On-
line-Händler müssen für die richtige Konfiguration von Sicherheitssyste-
men auf der Anbieterseite haften.

– Dem Datenschutz, dem Telekommunikationsgeheimnis und dem Schutz
der Privatsphäre ist auch in der Telekommunikations-Überwachungsver-
ordnung ausreichend Rechnung zu tragen;

 sicherzustellen, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Fragen der
privaten Altersvorsorge eine unabhängige Beratung über die individuellen
Vorsorgestrategien zur Verfügung steht. Es ist auch zu prüfen, ob der Anle-
gerschutz z. B. durch Einrichtung eines Konkurssicherungsfonds für Ver-
sicherer, Regelungen der Vermittlertätigkeit, Regelungen zur Umstellung
von Altverträgen und einer Begrenzung der Storno- und Provisionskosten zu
verbessern ist;

Drucksache 14/6067 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
 auf dem sich wandelnden Gesundheits- und Pflegemarkt die Position des
Patienten gegenüber Ärzten, Krankenkassen und Dienstleistern zu stärken
und auch hier für eine unabhängige Beratung als Entscheidungshilfe für die
Patienten zu sorgen;

 die Anstrengungen im umweltbezogenen Gesundheitsschutz fortzuführen
und auszugestalten. In der Umwelt- und Gesundheitspolitik sind die Aus-
wirkungen von Umweltschäden auf den Menschen vorsorgend und systema-
tisch zu berücksichtigen. Entsprechende Forschung ist zu intensivieren;

 in Zusammenarbeit mit den Ländern die Qualität von Angeboten auf dem
Bildungsmarkt zu steigern und den Verbrauchern unabhängige Entschei-
dungshilfen zu geben; den Nachfrager nach beruflicher Weiterbildung zu
stärken, Initiativen zur Qualitätssicherung bei Weiterbildungsanbietern zu
unterstützen und unabhängige Weiterbildungstests sowie Entwicklung neuer
und ergänzender Instrumente der Qualitätssicherung zu fördern und die
Transparenz der Angebote zu erhöhen;

 die Informations- und Beratungsangebote im Bau- und Wohnungsbereich zu
erweitern, damit die Verbraucher mit Bauträgern, Bau- und Handwerksfir-
men und Vermietern chancengleich verhandeln können und bewusste Ent-
scheidungen treffen können. Es soll geprüft werden, ob durch gesetzliche
Maßnahmen, unter anderem durch eine qualifizierte Dokumentation von
Bauteilen und Baustoffen, die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher besser gewahrt werden können. Die Einführung eines Energiebedarfs-
ausweises ist voranzutreiben;

 Maßnahmen zu ergreifen, damit die Vorteile des offenen Wettbewerbs auf
dem Energiemarkt im vollen Maße auch den privaten Stromverbrauchern
zugute kommt.

Berlin, den 16. Mai 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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