BT-Drucksache 14/5840

Hemmnisse im Tourismus für behinderte Menschen abbauen

Vom 4. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5840
14. Wahlperiode 04. 04. 2001

Große Anfrage
der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Dieter Thomae, Dr. Heinrich L. Kolb,
Dr. Klaus Kinkel, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer
Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich
Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer, Marita Sehn,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr.Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der F.D.P.

Hemmnisse im Tourismus für behinderte Menschen abbauen

Urlaub und Reisen haben für alle und selbstverständlich auch für behinderte
Menschen eine zentrale soziale Komponente. Sie dienen der Kommunikation,
vermitteln Kontakte und Erfahrungen und erweitern den Erfahrungshorizont.
Für behinderte Menschen bieten Urlaub und Reisen eine Chance zur Steigerung
der Akzeptanz und zur sozialen Eingliederung, also zur gesellschaftlichen Teil-
habe. Dabei wollen behinderte Menschen ebenso wie alle anderen auch im
Rahmen ihrer Möglichkeiten über Ort, Zeit und die individuelle Gestaltung ih-
res Urlaubes selbst entscheiden. Die neuen Medien, hier vor allem das Internet,
bieten behinderten Menschen verstärkt die Möglichkeit zu einem selbst be-
stimmten Urlaub.

Allein rund 10 Millionen Menschen in Deutschland sind in ihrer persönlichen
Mobilität eingeschränkt. Dazu gehören auch rund 500 000 Menschen, die auf
einen Rollstuhl angewiesen sind. Demographische Untersuchungen der Euro-
päischen Verkehrsministerkonferenz belegen, dass der Anteil der von einer Mo-
bilitätseinschränkung betroffenen Personen in naher Zukunft 30 bis 35 % der
Bevölkerung betragen wird. Insgesamt 90 % aller mobilitätsbehinderten Perso-
nen wären voll reisefähig, wenn gewisse Erleichterungen, ohne große Mehr-
kosten zu verursachen, für sie geschaffen werden.

Für den mobilitätseingeschränkten Reisenden ist es entscheidend, Informatio-
nen über Zugangsbedingungen zu Verkehrsmitteln, die Ausstattung und bauli-
chen Gegebenheiten der Unterkünfte und die jeweils zuständige Erreichbarkeit
im Vorfeld der Planung einer Reise zu bekommen. Nur wenn bereits im Vorfeld
bekannt ist, ob die Unterkunft und der Urlaubsort für den Gast entsprechend
seiner individuellen Behinderung geeignet ist, können behinderte Reisende ihre
Reise planen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Allerdings muss Touris-
mus alle Arten von Behinderungen im Blick haben. Auch geistig, psychisch
und sensorisch behinderte Menschen haben ein Recht auf Teilhabe, insbeson-
dere auch im Urlaub.

Drucksache 14/5840 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die konkreten Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen, die Menschen mit
Behinderungen an Reiseziele, Unterkünfte und Transportmittel stellen, sind
bisher nicht grundlegend wissenschaftlich untersucht worden. Auch die Frei-
zeitangebote am Reiseziel und das Freizeitverhalten der behinderten Gäste be-
dürfen der grundsätzlichen Untersuchung, damit die Angebote überprüft oder
im Hinblick auf diese Bedürfnisse neu konzipiert werden können. In diesem
Zusammenhang kann von der Schaffung von Modell-Betrieben, Modell-Ge-
meinden oder gar Modell-Regionen ein Impuls für das gesamte Reiseangebot
ausgehen. Eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung ist im Interesse der
Behinderten und der Tourismusbranche durchzuführen.

Dabei ist die Barrierefreiheit eine wichtige Voraussetzung und ein zukunftsfähi-
ges Qualitätsmerkmal für die Tourismuswirtschaft. Dazu zählt auch z. B. die Kon-
trastoptimierung für Sehschwache. Von der Barrierefreiheit profitieren nicht nur
behinderte Menschen, sondern auch ältere Menschen sowie diejenigen, die z. B.
mit Kinderwagen unterwegs sind, somit die Gesellschaft insgesamt. Für die Tou-
rismusbranche wird der Behindertentourismus weiter an wirtschaftlicher Bedeu-
tung gewinnen. Dieses Potential zu nutzen ist auch im Interesse der Branche.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Liegen der Bundesregierung neuere Untersuchungsergebnisse vor, wie
viele behinderte Menschen in Deutschland und Europa leben?

2. Um welche Arten von Behinderungen handelt es sich und welcher prozen-
tuale Anteil der Bevölkerung ist davon betroffen?

3. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele dieser Menschen mit Behinde-
rungen Jahr für Jahr in Deutschland und in Europa in Urlaub fahren und
mit welchen Verkehrsmitteln?

4. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viel ein Behinderter durchschnittlich
im Jahr für Reisen im In- und Ausland ausgibt?

5. Welche Fördermaßnahmen im Bereich Behindertentourismus sind in Zu-
kunft geplant?

6. Sind der Bundesregierung wissenschaftliche Untersuchungen bekannt, in
denen die konkreten Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen, die Men-
schen mit Behinderungen jeder Art an Reiseziele, Unterkünfte und Trans-
portmittel stellen, untersucht und ausgewertet wurden?
Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

7. Sind der Bundesregierung wissenschaftliche Untersuchungen bekannt, die
die Freizeitangebote am Reiseziel und das Freizeitverhalten der behinder-
ten Gäste im Hinblick auf deren Bedürfnisse untersucht haben?
Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?
Werden die Bedürfnisse behinderter Menschen, die nicht mobilitätseinge-
schränkt sind, sondern unter einer anderen Art der Behinderung leiden, be-
rücksichtigt?

8. Hält die Bundesregierung derartige wissenschaftliche Untersuchungen für
sinnvoll?
Wenn ja, was wird die Bundesregierung unternehmen, damit diese Unter-
suchungen durchgeführt werden?

9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass von der Schaffung von
Modell-Betrieben, Modell-Gemeinden oder gar Modell-Regionen ein Im-
puls für das gesamte Reiseangebot im Bereich „Behinderten-Tourismus“
ausgehen kann?

10. Was hat die Bundesregierung zur Unterstützung und Förderung solcher
Modellprojekte getan und was ist für die Zukunft geplant?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5840

11. Wie bewertet die Bundesregierung die zurzeit am Markt erhältlichen Reise-
führer für Behinderte?

12. Welche Verbesserungen und Ergänzungen wären wünschenswert?

13. Welche Pläne und Vorschläge hat die Bundesregierung entwickelt, um das
Angebot in Reiseführern gemeinsam mit allen Beteiligten für Behinderte
interessanter und informativer zu gestalten?

14. Welche gesamtgesellschaftliche Bereicherung sieht die Bundesregierung
durch die stärkere Einbindung und Teilnahme behinderter Menschen an
touristischen Aktivitäten?

15. In welchen Bereichen sieht die Bundesregierung gesetzlichen Handlungs-
bedarf, um ein barrierefreies Reisen für Behinderte zu verwirklichen?

16. Mit welchen finanziellen Mehrbelastungen rechnet die Bundesregierung in
diesem Zusammenhang für die Tourismusbranche?

17. Welche Anforderungen sind aus Sicht der Bundesregierung an die Touris-
musbranche selbst zu stellen, damit eine Barrierefreiheit entsteht?

18. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Deutsche
Bahn AG (DB AG) und ihr Angebot?

19. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll auf die DB AG einzuwirken, da-
mit alle Neuanschaffungen mit fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen ausge-
stattet werden?
Wenn ja, welche Ansatzmöglichkeiten sieht die Bundesregierung?

20. Ist der Bundesregierung bekannt, wie und in welchem Umfang sich die
verschiedenen Städte in Deutschland auf den „Behinderten-Tourismus“
eingestellt haben?

21. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Hotelpersonal und Mitarbei-
ter in Kommunen ausreichend für die Betreuung von behinderten Men-
schen geschult sind?
Wenn nein, welche Ansatzmöglichkeiten bestehen, um diese Mängel abzu-
stellen?

22. Sind in deutschen Städten ausreichend behindertengerechte Hotels und
sonstige Unterkünfte für behinderte Menschen vorhanden?

23. Sind solche Angebote in allen Preissegmenten verfügbar?

24. In welcher Form wird auf das vorhandene Angebot aufmerksam gemacht,
um die Zielgruppe zu informieren?

25. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie Städte im europäischen
Ausland und mit welchem Erfolg Angebote und Service für behinderte
Menschen gestalten?

26. Wie bewertet die Bundesregierung aus dem Blickwinkel von behinderten
Menschen den Umstand, dass Städte mit mehreren Rehabilitationskliniken
nicht mit dem PKW, sondern nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu errei-
chen sind?

27. Wie bewertet die Bundesregierung die Anbindung von Kurorten, die nur
ungenügend oder gar nicht für Rollstuhlfahrer mit dem Bahnnetz zu errei-
chen sind?

28. Welche Vorteile für behinderte Menschen bieten standardisierte und nor-
mierte Angaben wie z. B. die DIN-Haltigkeit von Maßnahmen und Bewe-
gungsflächen?

29. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung, um durch den Zugang zu
den neuen Medien, z. B. Online-Buchungen im Internet, Urlaub und Reisen

Drucksache 14/5840 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
für behinderte Menschen attraktiver zu gestalten und werden hier die Be-
lange der Sehbehinderten ausreichend berücksichtigt?

30. Welche Auflagen und Hürden werden behinderten Menschen bei Aus-
landsreisen hinsichtlich der notwendigen Krankenversicherung zugemutet?

31. Sieht die Bundesregierung hier Änderungsbedarf?

32. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die das Wirtschaftspotential
des „Behinderten-Tourismus“ in Deutschland und Europa und das zukünf-
tige Potential beziffern?

33. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Wirtschaftskraft von
behinderten Menschen vor?

Berlin, den 3. April 2001

Ernst Burgbacher
Dr. Dieter Thomae
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Klaus Kinkel
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr.Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.