BT-Drucksache 14/5832

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechts und des Strafprozessrechts

Vom 5. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5832
14. Wahlperiode 05. 04. 2001

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler,
Heidemarie Lüth und der Fraktion der PDS

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechts und des
Strafprozessrechts

A. Problem

Die §§ 129, 129a StGB stellen als Organisationsdelikte das Kernstück des poli-
tischen Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland dar. Diese Strafnormen
sind ein Fremdkörper im deutschen Strafrecht, da sie auf eine konkrete Tat des
Beschuldigten verzichten, sondern für die Strafbarkeit stattdessen überwiegend
auf die behauptete Gesinnung des Beschuldigten abstellen. In der Strafverfol-
gungspraxis hat sich gezeigt, dass diese Vorschriften zu einer erheblichen Ein-
schränkung der Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren führen.

Aufgrund der Unbestimmtheit und Uferlosigkeit der Tatbestände bleibt ihre
Anwendung der Willkür der speziell für Staatsschutzdelikte zuständigen Abtei-
lungen der Strafverfolgungsbehörden überlassen. Die Organisationsdelikte
werden dabei überwiegend als Anknüpfungspunkt für besondere Ermittlungs-
methoden genutzt. Zu den strafprozessualen Besonderheiten gehören unter
anderem die grundsätzliche Anordnung von Untersuchungshaft, die Raster-
fahndung, die Schleppnetzfahndung, die Ermächtigung zu Einrichtung flächen-
deckender Kontrollstellen, die Möglichkeit der Kontaktsperre und der Kon-
trolle auch der Verteidigerpost. Entsprechende Verfahren ermöglichen daher
weitgehende Eingriffe in die Grundrechte der Beschuldigten und unverdächti-
ger Dritter. Zu Verurteilungen aufgrund dieser Straftatbestände kommt es hin-
gegen kaum. Im Gegensatz zum restlichen materiellen Strafrecht ist daher nicht
die drohende Strafe das eigentliche Repressionsmittel, sondern schon das Straf-
verfahren selbst wird zur Einschüchterung und Ausforschung eingesetzt.

In ihrer Gesamtheit haben die Organisationsdelikte mit ihrem prozessualen An-
nex zu einer Deformierung des rechtsstaatlichen Strafprozesses geführt. Daher
fordern Bürgerrechtsvereinigungen wie z. B. die Humanistische Union, das
Komitee für Grundrechte und Demokratie und die Gustav-Heinemann-Initia-
tive sowie Juristenverbände wie z. B. die Vereinigung Demokratischer Juristin-
nen und Juristen und Strafverteidigervereinigungen seit langem ihre Abschaf-
fung.

B. Lösung

Der Entwurf schlägt die Streichung der nicht an ein vorheriges formelles Ver-
eins- oder Parteiverbot anknüpfenden Organisationsdelikte sowie der an sie ge-
koppelten verfahrensrechtlichen Vorschriften vor. Daneben soll das Straf-

Drucksache 14/5832 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

prozessrecht von weiteren im Rahmen der Terrorismusgesetzgebung neu
eingeführten Regelungen befreit werden. Dabei sollen unter anderem neu ge-
schaffene Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zur Einbeziehung Unbetei-
ligter in die Ermittlungen, die Beschränkungen der Verteidigungsmöglichkeiten
des Angeklagten und die teilweise Verlagerung der Zuständigkeit für die Straf-
verfolgung von der Landes- auf die Bundesebene rückgängig gemacht werden.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Keine

Drucksache 14/5832 – 3 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechts und des
Strafprozessrechts

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekannt-
machung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zu-
letzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
1. § 129 wird gestrichen.
2. § 129a wird gestrichen.
3. § 130a wird gestrichen.
4. § 138 Abs. 2 wird gestrichen. Der bisherige Absatz 3

wird zu Absatz 2.
5. § 139 Abs. 3 Satz 1 erhält folgende Fassung:

„Wer eine Anzeige unterläßt, die er gegen einen Ange-
hörigen erstatten müsste, ist straffrei, wenn er sich ernst-
haft bemüht hat, ihn von der Tat abzuhalten oder den Er-
folg abzuwenden, es sei denn, dass es sich um einen
Mord (§ 211), einen Totschlag (§ 212) oder einen Völ-
kermord in den Fällen des § 220a Abs. 1 Nr. 1 handelt.“

6. In § 261 Abs. 1 Nr. 4 werden das Wort „und“ am Ende
gestrichen und das verbleibende Komma durch einen
Punkt ersetzt. § 261 Abs. 1 Nr. 5 wird gestrichen.

Artikel 2
Änderung des Betäubungsmittelgesetzes

Das Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 1. März 1994 (BGBl. I, S. 358), zuletzt geän-
dert durch ..., wird wie folgt geändert:

§ 30b wird gestrichen.

Artikel 3
Änderung des Ausländergesetzes

Das Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354),
zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

In § 92 Abs. 1 werden das Wort „oder“ am Ende von Num-
mer 6 durch einen Punkt ersetzt und Nummer 7 gestrichen.

Artikel 4
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekannt-
machung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zu-
letzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
1. § 98a und § 98b werden gestrichen.
2. In § 98c werden die Worte „oder zur Gefahrenabwehr“

gestrichen.
3. § 100a Nr. 1 Buchstabe c wird gestrichen. Die Buchsta-

ben d und e werden zu den Buchstaben c und d.
4. § 100c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe e wird gestrichen.
5. Der bisherige Buchstabe f wird zu Buchstabe e, das

Komma am Ende des Buchstaben d wird durch das Wort
„oder“ ersetzt.

6. § 103 Abs. 1 Satz 2 wird gestrichen.
7. § 105 Abs. 1 Satz 2 wird gestrichen.
8. § 108 Satz 3 wird gestrichen.
9. § 111 wird gestrichen.

10. § 112 Abs. 3 wird gestrichen.
11. In § 137 Abs. 1 und 2 wird jeweils der zweite Satz

gestrichen.
12. §§ 138a bis 138d werden gestrichen.
13. § 146 wird gestrichen.
14. § 146a wird gestrichen.
15. § 148 Abs. 2 wird gestrichen.
16. § 148a wird gestrichen.
17. In § 153c Abs. 4, § 153d Abs. 1 und § 153e Abs.1 wird

der Verweis auf 㤠120 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 des Gerichts-
verfassungsgesetzes“ durch den Verweis „§ 120 Abs. 1
Nr. 1 bis 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes“ ersetzt.

18. § 163b Abs. 2 wird gestrichen.
19. § 163c Abs. 4 wird gestrichen.
20. § 163d wird gestrichen.
21. § 163e wird gestrichen.
22. § 231a wird gestrichen.
23. § 231b Abs. 2 erhält folgende Fassung:

„(2) Sobald der Angeklagte wieder vorgelassen wor-
den ist, hat ihn der Vorsitzende, solange noch nicht mit
der Verkündung des Urteils begonnen worden ist, von
dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in
seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.“

24. In § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 werden die Worte „die
Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten
(§ 231a) anordnen oder“ sowie am Ende von Satz 2 die
Worte „§ 138d Abs.6 bleibt unberührt“ gestrichen.

Artikel 5
Änderung des Gesetzes zur Beschränkung

des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fern-

meldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz)
vom 13. August 1968 (BGBl. I S. 949), zuletzt geändert
durch ..., wird wie folgt geändert:

In § 2 werden Satz 1 Nr. 6 und 7 sowie Satz 2 gestrichen.

Artikel 6
Änderung des Gesetzes zur Änderung

der Strafprozeßordnung
(DNA-Identitätsfeststellungsgesetz)

Das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung
(DNA-Identitätsfeststellungsgesetz) vom 7. September
1998 (BGBl. I S. 2646), zuletzt geändert durch ..., wird wie
folgt geändert:

Nummer 1 der Anlage zu § 2c wird gestrichen, die bishe-
rigen Nummern 2 bis 41 werden zu den Nummern 1 bis 40.

Drucksache 14/5832 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Artikel 7
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz vom 9. Mai 1975
(BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt
geändert:
1. In § 74a Abs. 1 Nr. 4 werden die Worte „in den Fällen

des § 129 des Strafgesetzbuches und“ durch die Worte
„im Fall“ ersetzt und die Worte „dies gilt nicht, wenn
dieselbe Handlung eine Straftat nach dem Betäubungs-
mittelgesetz darstellt“ gestrichen.

2. § 120 Abs. 1 Nr. 6 wird gestrichen. Die bisherigen Num-
mern 7 und 8 werden die Nummern 6 und 7.

3. § 120 Abs. 2 erhält folgende Fassung:

„(2) Die Oberlandesgerichte sind ferner für die Ver-
handlung und Entscheidung im ersten Rechtszug zustän-
dig bei den in § 74a Abs. 1 bezeichneten Straftaten,
wenn der Generalbundesanwalt wegen der besonderen
Bedeutung des Falles nach § 74a Abs. 2 die Verfolgung
übernimmt. Sie verweisen bei der Eröffnung des Haupt-
verfahrens die Sache an das Landgericht, wenn eine be-
sondere Bedeutung des Falles (§ 74a Abs. 2) nicht vor-
liegt.

4. In § 142a Abs. 4 werden die Worte „§ 120 Abs. 2 Nr. 2
oder 3 oder“ gestrichen.

Artikel 8
Änderung des Einführungsgesetzes zum

Gerichtsverfassungsgesetz
Das Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 77), zuletzt geändert
durch ..., wird wie folgt geändert:

§§ 31 bis 38 werden gestrichen.

Artikel 9
Änderung des Gesetzes über das

Bundeskriminalamt
Das Gesetz über das Bundeskriminalamt vom 7. Juli

1997 (BGBl. I S. 1650), zuletzt geändert durch ... , wird wie
folgt geändert:
1. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 erhält folgende Fassung:

„3. in den Fällen international organisierter Straftaten
nach den §§ 105 und 106 des Strafgesetzbuches
zum Nachteil des Bundespräsidenten, eines Verfas-
sungsorgans des Bundes oder des Mitgliedes eines
Verfassungsorgans des Bundes und damit im Zu-
sammenhang stehender Straftaten.“

2. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird gestrichen.
3. In § 4 Abs. 1 Satz 3 entfallen die Worte „Buchstabe b“.
4. In § 32 Abs. 4 Satz 5 werden die Worte „und bei der Ver-

hütung und Verfolgung von Straftaten nach § 129a des
Strafgesetzbuches fünf Jahre“ gestrichen.

Artikel 10
Änderung der Bundesgebührenordnung

für Rechtsanwälte
Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom

26. Juli 1957 (BGBl. I S. 907), zuletzt geändert durch ...,
wird wie folgt geändert:

§ 97a wird gestrichen.

Artikel 11
Änderung des Strafvollzugsgesetzes

Das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (BGBl. I
S. 581, berichtigt BGBl. I S. 2088 und BGBl. 1977 I S. 436)
wird wie folgt geändert:
1. § 26 Satz 4 wird gestrichen.
2. § 27 Abs. 4 Satz 3 wird gestrichen.
3. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 wird gestrichen.
4. § 122 Abs. 2 wird gestrichen.

Artikel 12
Änderung des Gesetzes über das

Ausländerzentralregister
Das Gesetz über das Ausländerzentralregister vom

2. September 1994 (BGBl. I S. 2265) zuletzt geändert
durch ..., wird wie folgt geändert:

§ 2 Abs. 2 Nr.7 wird gestrichen. Die bisherigen Nummern 8
bis 10 werden zu den neuen Nummern 7 bis 9.

Artikel 13
Änderung des Vereinsgesetzes

Das Vereinsgesetz vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593),
zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

In § 20 Abs.1 Satz 1 werden die Worte „oder 129“ ge-
strichen.

Artikel 14
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 3. April 2001

Ulla Jelpke
Petra Pau
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Heidemarie Lüth
Roland Claus und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5832

Begründung

A. Allgemeines

Schon in der letzten Legislaturperiode hat die PDS-Fraktion
im Rahmen eines umfassenden Vorschlags zur Reform des
Strafrechts (Bundestagsdrucksache 13/10272) unter ande-
rem die Streichung der §§ 129, 129a StGB gefordert. Dieser
Gesetzentwurf ist insoweit weiter, als er auch die vielen
prozessualen Normen erfasst, die an die Organisations-
delikte anknüpfen. Andererseits beschränkt er sich auf ein
kleines Teilgebiet des Strafrechts. Eine umfassende Straf-
rechtsreform unter Rückbesinnung auf den Grundsatz, dass
Strafe stets nur das letzte Mittel ist und das Strafrecht daher
nicht als Allzweckwaffe gegen jegliches gesellschaftliches
Übel eingesetzt werden kann, bleibt dringend erforderlich.
Gleiches gilt für das allgemeine Strafprozessrecht, dessen
Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ebenfalls von einer
zunehmenden Erosion der rechtsstaatlichen Verfahrensga-
rantien geprägt war.
Der Entwurf knüpft an bereits 1984 (Bundestagsdrucksache
10/2396) und 1990 (Bundestagsdrucksache 11/7139) von
der Fraktion DIE GRÜNEN vorgelegte Gesetzentwürfe an,
auf deren überwiegend noch aktuelle Begründung ergän-
zend verwiesen wird. In die gleiche Richtung wies teilweise
auch ein Antrag der SPD-Fraktion (Bundestagsdrucksache
10/1883).

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu den Nummern 1 und 2 (§§ 129 und 129a StGB)

Im Strafgesetzbuch von 1871 finden sich in § 128 das Ver-
bot der Geheimgesellschaften und in § 129 das Verbot der
„Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder
Beschäftigung gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die
Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu
verhindern oder zu entkräften", der so genannten staats-
feindlichen Vereinigung. Anhänger der SPD waren ab
Erlass des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestre-
bungen der Sozialdemokratie“ schon wegen dem Versuch,
die Organisation der SPD aufrechtzuerhalten, strafbar nach
§ 129 StGB.
In der Weimarer Republik wurde durch § 7 Abs. 4 Repub-
likschutzgesetz die staatliche Verfassung als Schutzgut des
§ 129 StGB mit aufgenommen. Dadurch wurde der Tatbe-
stand weiter von der „staatsfeindlichen Tat“ auf die „staats-
feindliche Gesinnung“ verlegt. In der praktischen Anwen-
dung traf dies nicht die politische Rechte, wie vom Gesetz-
geber nach dem Mord an Walther Rathenau beabsichtigt,
sondern Anhänger der KPD. Ausreichend für eine Bestra-
fung war dabei das Schreiben von Briefen „kommunisti-
schen Inhalts“ oder der Besitz des Kommunistischen Mani-
festes.
Mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August
1951 (BGBl. I S. 738) bekam der § 129 StGB den neuen
Namen „kriminelle Vereinigung“. Dabei wurde die Straf-
barkeit auch auf unpolitische Vereinigungen und die bloße
Unterstützung der Vereinigung erstreckt. In der praktischen
Anwendung blieb der § 129 StGB eine Norm des politi-

schen Strafrechts. Im Rahmen von ca. 125 000 Ermittlungs-
verfahren im Zusammenhang mit dem Verbot der KPD war
diese Norm der Auffangtatbestand, wenn die anderen Nor-
men des politischen Strafrechts nicht griffen.
Seit der Vereinsrechtsnovelle vom 5. August 1964 ist auch
das „Werben“ für eine kriminelle Vereinigung strafbar. Mit
der Einführung des § 129a StGB als Qualifikationstatbe-
stand löste dieser den § 129 StGB als Instrument der politi-
schen Verfolgung der radikalen Opposition ab. Als notwen-
diges Instrument gegen die Bewegung 2. Juni und die RAF
gerechtfertigt, wurde er vor allem gegen die diesen Gruppen
aus Sicht des Staates politisch nahe stehenden Menschen
eingesetzt, die als Terroristensympathisanten diffamiert
wurden.
Erheblich ausgeweitet wurde der Anwendungsbereich des
§ 129a StGB durch die Novellierung von 1987. Seitdem
gelten auch gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und
Flugverkehr (§ 315 StGB), die Störung öffentlicher Be-
triebe (§ 316b StGB) und sogar die Zerstörung wichtiger
Arbeitsmittel (§305a StGB) als hinreichende Ziele einer
terroristischen Vereinigung. Dies ermöglichte unter ande-
rem die Verfolgung von Teilen der Anti-Atomkraftbewe-
gung, von Hausbesetzern und militanten Tierschützern als
Terroristen.
In der gesamten Geschichte der praktischen Anwendung der
§§ 129, 129a StGB läßt sich eine deutliche Konzentration
der Strafverfahren auf Gruppierungen am linken Rand des
politischen Spektrums feststellen. So leitete die General-
bundesanwaltschaft in den Jahren 1996 bis 2000 wegen
„Linksterrorismus“ insgesamt 494 Verfahren aufgrund von
§ 129a StGB ein, hingegen gab es nur drei Ermittlungsver-
fahren nach § 129a StGB wegen „Rechtsterrorismus“. Auch
auf die so genannte Organisierte Kriminalität werden die
Vorschriften kaum angewandt. Schon aus dieser bisherigen
Praxis der Strafverfolgungsbehörden ergibt sich, dass die
Streichung dieser Tatbestände keine negativen Folgen für
die Bekämpfung der gewöhnlichen Kriminalität oder des
rechtsextremen Terrors haben wird.
Die §§ 129 und 129a StGB stellen beide auf die Willens-
richtung der Täter und nicht auf ihr konkretes Handeln ab.
Die Strafverfolgungsbehörden sind zu Vermutungen über
die Pläne, das Denken und die Gesinnung des Beschuldig-
ten gezwungen. Schon aus diesem Ansatz der Norm ergibt
sich, warum sie in der Regel nur gegen politisch motivierte
Vereinigungen angewandt wird. Denn nur diese bekennen
sich öffentlich zu ihren Absichten und kündigen Straftaten
teilweise sogar vorher an. Gewöhnliche kriminelle Vereini-
gungen werden hingegen sorgsam darauf bedacht sein, ihre
Existenz geheim zu halten und insbesondere über die ge-
planten Taten Stillschweigen zu bewahren. Daher scheitern
Anklagen nach § 129 StGB im Bereich der normalen Krimi-
nalität regelmäßig daran, dass das Bestehen einer genügend
festen Vereinigung nicht nachgewiesen werden kann.
Politische Vereinigungen werden von Staatsanwaltschaften
und Gerichten hingegen schon bei relativ geringfügigen
oder vereinzelten Gesetzesverstößen als kriminelle bzw.
sogar terroristische Vereinigung behandelt. So wurde zuletzt
eine antifaschistische Gruppe als kriminelle Vereinigung

Drucksache 14/5832 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

eingeordnet, da sie das Ziel verfolge, unangemeldete De-
monstrationen durchzuführen. Zur Hochzeit des Antikom-
munismus in der Bundesrepublik Deutschland wurden
Organisationen, die Ferienfahrten für Kinder in die DDR
anboten, als kriminelle Vereinigungen verfolgt. Der BGH
ließ für eine kriminelle Vereinigung auch die Absicht aus-
reichen, Graffitis zu sprühen (wobei im zu entscheidenden
Fall untypischerweise Rechtsextreme betroffen waren).
Zu einer Anklage kommt es in etwa 95 % der Verfahren
nach § 129a StGB nicht. Dieses deutliche Missverhältnis
zwischen der Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren
und den strafrechtlich relevanten Ergebnissen zeigt den
Charakter der Organisationsdelikte als reine Ermittlungspa-
ragrafen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ermöglicht
der Verdacht einer Straftat nach § 129 oder § 129a StGB,
gegen Personen zu ermitteln, gegen die wegen konkreter
Taten kein Verdacht besteht, großzügig Telefonanschlüsse
abzuhören und die Beschuldigten ohne weiteren Haftgrund
in Untersuchungshaft zu nehmen.
Soweit auch mit solchen Ermittlungsmaßnahmen den ein-
zelnen Angeklagten keine konkrete Tatbeteiligung nachge-
wiesen werden kann, wird auch bei der Anwendung der ge-
wöhnlichen Strafgesetze auf die zuvor festgestellte Mit-
gliedschaft in einer kriminellen/terroristischen Vereinigung
zurückgegriffen. Durch die Annahme einer kollektiven Wil-
lensbildung innerhalb der Vereinigung kann jede der Ver-
einigung zurechenbare Tat auch allen ihren Mitgliedern zu-
gerechnet werden. Die Gerichte ersparen sich so den Nach-
weis einer konkreten Beteiligung oder zumindest des Mit-
wissens des Angeklagten.
Eine eigenständige Bedeutung als materielle Straftatbe-
stände haben die Organisationsdelikte hingegen im Bereich
der politischen Meinungsäußerung. Insbesondere die Tatbe-
standsvarianten des Werbens und des Unterstützens verla-
gern die Strafbarkeit noch weiter in das Vorfeld einer denk-
baren Rechtsgutverletzung. Was im übrigen Strafrecht nur
als Verbrechensverabredung, Anstiftung, Beihilfe oder im
Einzelfall auch als psychische Beihilfe strafbar ist, wird hier
zu einer eigenständigen Haupttat verselbständigt. Das hat
die Konsequenz, daß zu dieser Straftat wiederum Beihilfe
geleistet werden kann. Auch kann z. B. die regelmäßige in-
haltliche Beschäftigung mit einer terroristischen Vereini-
gung im Sinne des § 129a StGB wiederum den Vorwurf der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung begründen,
deren Ziel die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 3
StGB ist. Auch hier ist die Verfolgung des politischen Um-
feldes dieser neu konstruierten kriminellen Vereinigung
über den Vorwurf der Unterstützung oder Werbung denkbar.
Auch die Verteidiger in Strafverfahren nach § 129a StGB
sind immer der Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer anwalt-
lichen Tätigkeit strafrechtlich verfolgt zu werden.
Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
wurden unter anderem Verteidiger verurteilt, weil in ihrer
nach § 148 Abs. 2 StPO überwachten Korrespondenz mit
ihren Mandanten Texte enthalten waren, die zwar nach An-
sicht des den Schriftverkehr überwachenden Richters nicht
den Zweck der Untersuchungshaft gefährdeten, aber trotz-
dem eine strafbare psychische Unterstützung einer terroris-
tischen Vereinigung darstellen sollten. Auch die Weitergabe
von Informationen zwischen den einzelnen Verteidigern
wurde als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
verfolgt, soweit sie über das nach Ansicht der Gerichte zur

Verteidigung Relevante hinausging. Den Verteidigern wird
durch diese Strafverfolgungspraxis die Pflicht zur Zensur
der Kommunikation ihrer Mandanten auferlegt. Die für die
Verteidigung nötige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi-
schen Verteidiger und Mandant wird so unmöglich.

Zu Nummer 3 (§ 130a StGB)

Der 1987 wieder in das Strafgesetzbuch aufgenommene
§ 130a StGB ermöglicht die Verfolgung objektiv neutraler
Berichterstattung über die bei einer Straftat benutzten Me-
thoden. Die Rechtsprechung hat auch die Berichterstattung
über „anschlagsrelevante“ Themen und damit mögliche Tat-
objekte ausreichen lassen.

Zur Unterscheidung zwischen erlaubter Berichterstattung
und strafbewehrter Anleitung zu Straftaten muss das Ge-
richt aufgrund von Randindizien die Gesinnung des Täters
ermitteln. Schon die seit 1976 geltende Fassung des § 130a
StGB war 1981 unter anderem aufgrund der bedenklichen
Auswirkungen auf die Pressefreiheit aufgehoben worden.
Für die jetzige Fassung kann nichts anderes gelten. Zur Ver-
folgung von tatsächlich den öffentlichen Frieden gefährden-
den Publikationen ist die Strafnorm des § 111 StGB mehr
als ausreichend.

Zu den Nummern 4 und 5 (§ 138 Abs. 2, § 139 Abs. 3
StGB)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129a
StGB.

Die weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit auf die Nicht-
anzeige geplanter Straftaten nach § 129a StGB war stets als
Auffangdelikt gedacht. Im Gegensatz zu den restlichen Ka-
talogtaten des § 138 StGB geht es hier nicht um die Mög-
lichkeit, eine konkrete Gefahr für ein Rechtsgut noch abzu-
wehren. Denn schon der § 129a StGB selbst konstituiert
eine Strafbarkeit im Vorfeld einer tatsächlichen Beeinträch-
tigung von Rechtsgütern.

Zu Nummer 6 (§ 261 Abs.1 Nr. 5 StGB)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129
StGB.

Zu Artikel 2 (Änderung des Betäubungsmittel-
gesetzes)

Der § 30b entfällt aufgrund der Streichung des § 129 StGB.

Zu Artikel 3 (Änderung des Ausländergesetzes)

Die Strafvorschrift des § 90 Abs.1 Nr. 7 AuslG steht in der
Tradition der Gesetzgebung gegen Geheimgesellschaften.
Die Mitgliedschaft in diesen war früher nach § 128 StGB
für jedermann strafbar, für Ausländer ist sie auch nach Auf-
hebung dieser allgemeinen Vorschrift strafbar geblieben.

Die Vorverlagerung der Strafbarkeit reicht hier noch weiter,
als in den allgemeinen Organisationsdelikten §§ 129, 129a
StGB. Nicht einmal die Absicht, irgendwann einmal Straf-
taten zu begehen, muß den Beschuldigten nachgewiesen
werden, es reicht vielmehr das Bestreben, gerade nicht ne-
gativ aufzufallen, sondern in der Legalität zu verbleiben.
Nach dem Wortlaut macht sich z. B. auch strafbar, wer einer
Gruppe angehört, die völlig grundlos davon ausgeht, ihr
würde ein Verbot drohen. Aufgrund der weiten Vorver-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/5832

legung des Tatbestandes auf die Willensbildung des Täters
ist hier auch strafbar, was im restlichen Strafrecht als Wahn-
delikt unbestraft bliebe. Im Strafverfahren selbst wird der
Nachweis einer strafbaren Tat noch leichter. Schon Anhalts-
punkte für die, wie sich spätestens mit den Strafverfahren
gezeigt hat, nicht unbegründete Angst vor staatlicher Re-
pression reichen zum Nachweis der subjektiven Willens-
richtung.

Die Streichung dieser Strafnorm ist im Übrigen aus den
gleichen Gründen geboten wie die Streichung der §§ 129
und 129a StGB.

Zu Artikel 4 (Änderung der Strafprozessordnung)

Im Rahmen der Terrorismusgesetzgebung ist die Strafpro-
zessordnung durch einige Regelungskomplexe ergänzt wor-
den, die Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Strafprozes-
ses außer Kraft setzen. Es handelt sich dabei um Einschrän-
kungen der Verteidigungrechte, Ermittlungsbefugnisse auch
gegenüber unbeteiligten Dritten und polizeirechtliche Ein-
griffsnormen, die dem Zweck eines Strafverfahrens fremd
sind.

Zu Nummer 1 (§§ 98a, 98b StPO)

Die Rasterfahndung nach dem § 98a StPO richtet sich ge-
gen eine unbestimmte Zahl unverdächtiger Dritter und setzt
keinen konkreten Verdacht gegen einen einzigen von ihnen
voraus. Maßnahmen nach § 98a StPO dienen insofern nicht
der weiteren Aufklärung eines Verdachts, sondern sollen es
erst ermöglichen, anhand der verarbeiteten Daten einen Ver-
dächtigen zu ermitteln. Dies geschieht anhand von Daten,
die die Bürger dem Staat gegenüber vielleicht nie offenba-
ren würden. Insbesondere angesichts der inzwischen durch-
gehenden Computerisierung des Lebens ermöglicht diese
generelle Zugriffsmöglichkeit auf gesammelte Daten für die
Strafverfolgungsbehörden schwerwiegendere Eingriffe in
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als je
zuvor. Der von einer Rasterfahndung betroffene Bürger er-
fährt zudem in aller Regel nicht von dieser Maßnahme und
kann sich daher auch nicht gerichtlich dagegen wehren.

Zu Nummer 2 (§ 98c StPO)

Die Möglichkeit des Zugriffs im Strafverfahren auf von der
Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr
erhobener Daten durchbricht die Trennung zwischen Straf-
verfolgung und Gefahrenabwehr. Die speziellen Regelun-
gen zur Datenerhebung im Strafverfahren werden über
diese Vorschrift um sämtliche nach den Polizeigesetzen zu-
lässige Datenerhebungsmöglichkeiten ergänzt und so um-
gangen. Der Anlass, der die Datenerhebung rechtfertigen
soll, muss aber auch den Umfang der Verwendung der Da-
ten bestimmen. Denn die Datenerhebung findet nicht um ih-
rer selbst statt, sondern um eine bestimmte Verwendung der
erhobenen Daten zu ermöglichen.

Zu Nummer 3 (§ 100a Nr.1 StPO)

Der Verweis auf die §§ 129 und 129a StGB entfällt mit der
Streichung dieser beiden Normen.

Zu Nummer 4 (§ 100c Abs.1 Nr.3 StPO)

Der Verweis auf § 129a StGB in Buchstabe e entfällt auf-
grund der Streichung dieser Norm.

Zu Nummer 5 (§ 103 Abs. 1 StPO)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129a
StGB.

Zu Nummer 6 (§ 105 Abs. 1 StPO)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129a
StGB.

Zu Nummer 7 (§ 108 Satz 3 StPO)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129a
StGB.

Zu Nummer 8 (§ 111 StPO)

Auch diese Vorschrift macht jeden Bürger ohne konkrete
Verdachtsmomente zum Objekt des Strafverfahrens. Wäh-
rend im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen
wurde, die Kontrollstellen würden nur in unmittelbarer
Nähe des Tatortes bei der begründeten Aussicht auf Fest-
nahme der Täter eingerichtet, hat sich in der Praxis eine
äußerst extensive Anwendung der Vorschrift durchgesetzt.
In der Regel genehmigt der Ermittlungsrichter am Bundes-
gerichtshof auf Antrag des Generalbundesanwaltes auch die
bundesweite Einrichtung von Kontrollstellen über mehrere
Monate. Ein Bezug zum konkreten Strafverfahren ist nicht
mehr erkennbar. Es ist daher auch kaum verwunderlich,
dass Kontrollstellen nach § 111 StPO noch zu keinem einzi-
gen Fahndungserfolg geführt haben.

Der praktische Wert für die Polizei lag zeitweise in der
Möglichkeit, im Vorfeld von Demonstrationen flächen-
deckende Kontrollen durchführen zu können. Durch die in-
zwischen erfolgte Erweiterung der Kontrollbefugnisse nach
den Landespolizeigesetzen ist dieser Missbrauch der Vor-
schrift zu präventiven Zwecken überflüssig geworden. Eine
Bedeutung im Rahmen der eigentlichen Strafverfolgung hat
der § 111 StPO hingegen nie besessen.

Zu Nummer 9 (§112 Abs. 3 StPO)

Die Regelung entfällt aufgrund der Streichung des § 129a
StGB.

Der Verdacht, dass eine besonders schwere Straftat began-
gen worden ist, kann allein nicht die Anordnung von Unter-
suchungshaft rechtfertigen. Die Untersuchungshaft hat nur
den Zweck, die Durchführung des Strafverfahrens zu si-
chern. Wenn sie verhängt wird, ohne dass die klassischen
Haftgründe der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorlie-
gen, ist dies eine vorweggenommene Bestrafung des Be-
schuldigten, der bis zu einer Verurteilung als unschuldig zu
gelten hat. Soweit es um die Abwehr einer vom Beschuldig-
ten ausgehenden Gefahr geht, ist die Regelung in § 112a
StPO angemessener, die das Vorliegen einer Wiederho-
lungsgefahr voraussetzt.

Dieser Gesetzentwurf beschränkt sich auf die Streichung des
§ 129a StGB aus dem Absatz. Die generelle Anordnung von
U-Haft in Verfahren nach § 129a StGB stellt einen Miss-

Drucksache 14/5832 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

brauch der Untersuchungshaft dar. Vor dem Hintergrund,
dass die allermeisten Verfahren nach § 129a StGB keine
schwerwiegenden Straftaten betreffen und auch nicht zu ei-
ner Verurteilung führen, ist dies noch bedenklicher als bei
den anderen in § 112 Abs. 3 StPO aufgeführten Delikten.

Zu Nummer 10 (§ 137 StPO)

Die Beschränkung der Zahl der Wahlverteidiger auf drei ist
zur prozessualen Absicherung des Prozesses gegen die erste
Generation der RAF in Stuttgart-Stammheim in einem ge-
setzgeberischen Schnellverfahren eingeführt worden. Ge-
rade in einem solchen komplexen Verfahren, das sich über
Jahre hinziehen kann, ist es zu einer sachgerechten Verteidi-
gung oft nötig, mehr als drei Verteidiger heranzuziehen. Es
ist auch nicht ersichtlich, warum eine größere Zahl von Ver-
teidigern den Strafprozess lahmlegen sollte. Überdies findet
sich eine entsprechende Regelung nicht für die Staats-
anwaltschaft. Das Gericht selbst ist in größeren Staats-
schutzsachen sogar stets mit 5 Berufsrichtern besetzt. Was
Gericht und Staatsanwaltschaft zugestanden wird, muss
auch der Verteidigung schon aus Gründen der Waffen-
gleichheit im Strafprozess zugestanden werden, um ein fai-
res Verfahren zu ermöglichen.

Zu Nummer 11 (§§ 138a bis d StPO)

Auch die Regelung zum Verteidigerausschluss ist im Zu-
sammenhang mit den Strafverfahren gegen die RAF einge-
führt worden und kam auch nur in solchen Verfahren zur
Anwendung. Möglich war dies über die oben dargestellte
extensive Anwendung des Tatbestands des Unterstützens ei-
ner terroristischen Vereinigung, die auch Verteidigerhand-
lungen erfasste. Seit 1982 ist kein Verteidiger mehr nach
diesen Vorschriften vom Verfahren ausgeschlossen worden.

Es handelt sich bei dieser Regelung daher um eine Ausnah-
mevorschrift, die zu streichen ist.

Zu Nummer 12 (§ 146 StPO)

Auch das Verbot der gemeinsamen Verteidigung ist als
Maßnahmegesetz gegen die Blockverteidigung in Stamm-
heim eingeführt worden. Das Ziel, die Verteidigung aus-
einander zu dividieren, konnte damit jedoch nicht erreicht
werden. Daraufhin ging die Bundesanwaltschaft zur oben
erwähnten Kriminalisierung der Kommunikation der einzel-
nen Verteidiger untereinander über.

Die in der geltenden Regelung enthaltene Wertung, dass die
gemeinsame Verteidigung stets zu Interessenkonflikten
führe, geht an der Wirklichkeit vorbei. Insbesondere bei
Massenverfahren, bei denen allen Angeklagten dieselben
Handlungen vorgeworfen werden, führt die Regelung zu ei-
ner Explosion der Kosten der Verteidigung. Ab einer gewis-
sen Zahl von Angeklagten wird es auch zunehmend schwie-
rig, überhaupt noch genug qualifizierte Verteidiger zu fin-
den. Im Rahmen von Verfahren nach § 129a StGB kommt
hinzu, dass hier der Begriff der Tatidentität uferlos ausdehn-
bar ist, z. B. mit Hilfe des Begriffes der „terroristischen Ge-
samtorganisation“.

Überdies muss es die Entscheidung des Angeklagten sein,
ob er eine gemeinsame oder getrennte Verteidigung bevor-
zugt, seine Interessen mit denen der übrigen Angeklagten
übereinstimmen oder kollidieren.

Zu Nummer 13 (§ 146a StPO)

Die Streichung ergibt sich aus den Änderungen unter den
Nummern 10 und 12.

Zu Nummer 14 (§ 148 Abs. 2 StPO)

Die ebenfalls aus Anlass der ersten Prozesse in Stammheim
eingeführte Postkontrolle für einer Straftat nach § 129a
StGB Beschuldigte ist ein schwerwiegender Eingriff in das
Recht auf angemessene Verteidigung. Die Vorbereitung auf
den Prozess wird in unzumutbarer Weise behindert. Hinzu
kommt die Trennscheibenregelung nach § 148 Abs. 2 Satz 3
StPO, durch die es für den Verteidiger auch unmöglich ist,
zusammen mit dem Mandanten die Akten durchzugehen.

Ideologischer Hintergrund dieser Regelung ist die geradezu
paranoide Vorstellung der durch die Verteidiger vermittelten
Steuerung der in Freiheit befindlichen Angehörigen einer
terroristischen Vereinigung durch die Inhaftierten. Auch mit
Hilfe illegaler Abhöraktionen konnte bei der RAF nie ein
Hinweis auf entsprechende Strukturen erlangt werden. Eine
aus den Gefängnissen gesteuerte terroristische Vereinigung
wäre auch wirklich ein Armutszeugnis für die Sicherheits-
behörden. Trotzdem ist eine entsprechende Struktur von der
Bundesanwaltschaft immer wieder behauptet und so die
Verteidigung auf übelste Weise diffamiert worden.

Zu Nummer 15 (§ 148a StPO)

Die Vorschrift entfällt aufgrund der Streichung des § 148
Abs. 2 StPO.

Zu Nummer 16 (§§ 153c ff. StPO)

Die Verweisungen entfallen aufgrund der Streichung des
§ 129a StGB.

Zu Nummer 17 (§ 163b Abs. 2 StPO)

Die Vorschrift kehrt die gesetzliche Unschuldsvermutung
um und macht jeden Bürger zum potentiellen Objekt eines
Strafverfahrens, das ihn selbst nicht betrifft. Besonders gra-
vierend ist das Fehlen jeglicher Tatbestandsvoraussetzun-
gen, die näher eingrenzten, wozu die Identitätsfeststellung
erfolgen kann. Dass eine Maßnahme im Strafverfahren „zur
Aufklärung einer Straftat geboten“ sein muß, ist eine Selbst-
verständlichkeit. Warum die Ermittlungsbehörden jedoch
dieser Ansicht sind, müssen sie dem Betroffenen nicht of-
fenbaren. Dieser kann sich daher auch kaum gegen diese
Maßnahme zur Wehr setzen.

Die zur vorgeschlagenen Streichung des § 111 StPO vorge-
tragenen Gründe gelten hier entsprechend.

Zu Nummer 18 (§ 163c Abs. 4 StPO)

Die Vorschrift entfällt aufgrund der Streichung des § 163b
Abs. 2 StPO.

Zu Nummer 19 (§ 163d StPO)

Auch die so genannte Schleppnetzfahndung ermöglicht
Fahndungsmaßnahmen gegen unverdächtige Bürger. Die
Maßnahme dient nicht der Fahndung nach einem einer
Straftat Verdächtigen, sondern soll erst einen Verdacht be-
gründen, auf den dann weitere Fahndungsmaßnahmen ge-
stützt werden können. Die Regelung ist daher aus denselben
Gründen zu streichen wie die Rasterfahndung.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/5832

Hinzu kommt, dass mit der Streichung von § 111 StPO die
einzige strafprozessuale Quelle für die Schleppnetzfahn-
dung wegfällt. Es bleibt die Möglichkeit der Einrichtung
von Kontrollstellen nach den Landespolizeigesetzen. Diese
müssen jedoch zur Gefahrenabwehr eingerichtet werden.
Die Nutzung der bei solchen Kontrollstellen angefallenen
Daten zur Strafverfolgung umgeht wiederum die speziellen
Regelungen der Strafprozessordnung.

Zu Nummer 20 (§ 163e StPO)

Die Anordnung zur polizeilichen Beobachtung nach § 163e
StPO soll die Erstellung eines Bewegungsbildes des Be-
schuldigten anhand der an Kontrollstellen zufällig erfassten
Daten ermöglichen. Der praktische Nutzen zur Ermittlung
eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes ist äußerst ge-
ring. Neben den oben zu § 111 StPO angeführten rechts-
politischen Einwänden gegen die Errichtung von Kontroll-
stellen als Ermittlungsmaßnahme ist insbesondere die Er-
streckung auf unverdächtige Personen durch Absatz 1
Satz 3 bedenklich. Hierin liegt eine weitere Durchbrechung
des strafprozessualen Grundsatzes, dass nur derjenige Er-
mittlungsmaßnahmen dulden muss, gegen den ein konkreter
Tatverdacht vorliegt.

Zu Nummer 21 (§ 231a StPO)

Auch die Möglichkeit, ein Strafverfahren bei Verhandlungs-
unfähigkeit des Angeklagten ohne diesen fortzusetzen, ist
als Maßnahmegesetz zur beschleunigten Durchführung des
Strafverfahrens vor dem OLG Stuttgart-Stammheim gegen
Baader, Meinhof u. a. eingeführt worden.

Ein Strafverfahren ohne Anwesenheit des Angeklagten ist
dem deutschen Strafprozess fremd und führt zur endgülti-
gen Verweigerung der Gewährung rechtlichen Gehörs für
den Angeklagten, da das Urteil trotzdem rechtskräftig wird.
Wo ausländische Strafprozessordnungen eine Verhandlung
gegen Abwesende zulassen, ist das Ergebnis zumindest vor-
läufig und dient der Beweissicherung.

Gerade in den Stammheimer Verfahren hat sich auch ge-
zeigt, dass sich kaum objektiv feststellen lässt, ob der Ange-
klagte seine Verhandlungsunfähigkeit selbst verschuldet hat
oder ob sie nicht vielmehr Folge der Haftbedingungen ist.

Zu Nummer 22 (§ 231b Abs. 2 StPO)

Die Änderung ergibt sich aus der Streichung von § 231a
StPO.

Zu Nummer 23 (§304 Abs. 4 StPO)

Die Änderung ergibt sich aus den Änderungen unter den
Nummern 10 und 12.

Zu Artikel 5 (Änderung des Gesetzes zu Artikel 10
Grundgesetz)

Die Änderung ergibt sich aus der Streichung des § 129a
StGB und des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG.

Zu Artikel 6 (Änderung des DNA-Identitäts-
feststellungsgesetzes)

Die Änderung ergibt sich aus der Streichung des § 129a
StGB.

Zu Artikel 7 (Änderung des Gerichtsverfassungs-
gesetzes)

Zu den Nummern 1 und 2 (§ 74a und § 120 GVG)

Die Verweisungen entfallen aufgrund der Streichung des
§ 129a StGB.

Zu den Nummern 3 und 4 (§ 120 Abs. 2 und § 142a
Abs. 4 GVG)

Die vorgeschlagene Änderung stellt die bis 1987 geltende
Zuständigkeitsregelung wieder her. Die wesentliche Aus-
dehnung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlan-
desgerichte durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom
19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2566) ist verfassungsrecht-
lich und rechtspolitisch bedenklich. Über die entsprechen-
den an die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesge-
richtes anknüpfenden Vorschriften wird auch die Zuständig-
keit der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes
erheblich ausgeweitet. Dadurch wird über den traditionellen
Bereich der schweren Staatsschutzdelikte hinaus in die Jus-
tiz- und Polizeihoheit der Länder eingegriffen. Die schwam-
mige Fassung der Regelung ermöglicht der Bundesanwalt-
schaft, anhand innenpolitischer Erwägungen zu entschei-
den, was eine Straftat besonderer Bedeutung ist und daher
vor dem Oberlandesgericht angeklagt werden kann. Mit der
Anklage vor dem Oberlandesgericht wird dem Angeklagten
die zweite Tatsacheninstanz genommen. Überdies wird der
Bundesanwaltschaft die Möglichkeit gegeben, über die über
die Anklage entscheidenden Richter mitzubestimmen, was
den Grundsatz des gesetzlichen Richters zumindest beein-
trächtigt.

Die vorgeschlagene Änderung stärkt demgegenüber die
Kompetenz der Länder und die Rechte des Beschuldigten.

Zu Artikel 8 (Änderung des EGVG)

Das 1977 in einem beispiellosen Schnellverfahren verab-
schiedete Kontaktsperregesetz ermöglicht die Isolation aller
nach § 129a StGB angeklagten oder verurteilten Gefange-
nen für den Fall, dass eine gegenwärtige Gefahr für Leib,
Leben oder Freiheit einer dritten Person besteht und der be-
gründete Verdacht besteht, diese Gefahr gehe von einer ter-
roristischen Vereinigung aus.

Offensichtlich handelt es sich also um eine Regelung, die
der Gefahrenabwehr dienen soll. Die Gefahr muss aber
nicht von den betroffenen Gefangenen ausgehen. Ihre Isola-
tion dient nicht der Abwehr von Gefahren, die durch sie ver-
ursacht werden, sondern der Erhöhung des Drucks auf die
außerhalb der Gefängnisse agierende Vereinigung. Die
Maßnahme trägt insoweit repressive Züge, die Gefangenen
werden zu Geiseln des Staates, zu unerklärten Kriegsgefan-
genen. Der Staat begibt sich damit auf dieselbe Ebene wie
die Terroristen, die er bekämpfen will, wird vom rechts-
staatlich eingehegten Wahrer des Gewaltmonopols zur
Kriegspartei.

Diese Einschätzung der Kontaktsperre als institutionalisier-
ten Missbrauch der Justiz als Mittel der Bürgerkriegsfüh-
rung wird auch durch die Ausgestaltung des Verfahrens ge-
stützt. Angeordnet wird die Kontaktsperre nicht seitens der
Strafvollstreckungskammer, sondern von der Exekutive.
Erst nach zwei Wochen darf ein Gericht die Kontaktsperre

Drucksache 14/5832 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

„bestätigen“, wie es das Gesetz in dankenswerter Offenheit
formuliert. Der Betroffene kann die entsprechenden Akten
nicht einsehen und keinen Verteidiger konsultieren. Eine
Höchstdauer der Kontaktsperre sieht das Gesetz nicht vor.

Die seit 1985 vorgesehene Möglichkeit der Beiordnung
eines Rechtsanwaltes als Kontaktperson ändert an dem Cha-
rakter der Kontaktsperre nichts. Überdies kann insbeson-
dere von einem politischen Gefangenen kaum erwartet wer-
den, zu einem von ihm nicht ausgesuchten Verteidiger das
zu einer angemessenen Interessenvertretung nötige Ver-
trauen zu fassen.

Zu Artikel 9 (Änderung des BKAG)

Die Änderungen ergeben sich aus der Streichung des § 129a
StGB.

Zu Artikel 10 (Änderung der BRAGO)

Die Änderung folgt aus der Streichung der §§ 31 bis 38
EGVG.

Zu Artikel 11 (Änderung des Strafvollzugs-
gesetzes)

Die Vorschriften entfallen aufgrund der Streichung des
§ 129a StGB.

Zu Artikel 12 (Änderung des Gesetzes über das
Ausländerzentralregister)

Die bisherige Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 7 AZRG wird teil-
weise aufgrund der Streichung des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG
(bei Erlass der AZRG noch unter Nummer 8) sowie des
§ 129 und § 129a StGB obsolet. Der verbleibende Inhalt hat
keinerlei Bezug zu dem Zweck des Ausländerzentralregis-
ters, den Ausländerbehörden ihre Arbeit zu erleichtern. Es
handelt sich vielmehr um Informationen, die im Rahmen
der Strafverfolgung anfallen und auch dort gebraucht wer-
den. Die Informationen im Ausländerzentralregister werden
hingegen im Rahmen von aufenthaltsrechtlichen Entschei-
dungen genutzt. Wenn in solchen Verfahren die Information
einfließt, dass der betroffene Ausländer von der Polizei der
Begehung oder Planung bestimmter Straftaten verdächtigt
wird, kann dies den Ausgang des entsprechenden Verfah-
rens negativ beeinflussen. Schon der durch die Polizei geäu-
ßerte Verdacht kann so zu Folgen führen, die an sich erst für
eine Verurteilung vorgesehen sind. Insofern handelt es sich
um eine teilweise Vorverlagerung der Bestrafung aus dem
Strafverfahren in das hierfür nicht vorgesehene Verwal-
tungsverfahren.

Die Regelung ist daher ganz zu streichen.

Zu Artikel 13 (Änderung des Vereinsgesetzes)

Die Änderung ergibt sich aus der Streichung des § 129
StGB.

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