BT-Drucksache 14/5794

Zusätzliche Arbeitsplätze fördern - soziale Sicherungssysteme festigen

Vom 4. April 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

04. 04. 2001

Antrag

der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Pia Maier, Dr. Heidi Knake-Werner,
Dr. Ruth Fuchs, Gerhard Jüttemann, Rosel Neuhäuser, Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion der PDS

Zusätzliche Arbeitsplätze fördern – soziale Sicherungssysteme festigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. In Deutschland fehlen nach den Feststellungen des Sachverständigenrates
für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 5 bis 6 Millio-
nen existenzsichernde Arbeitsplätze, die in das Regelwerk der sozialen
Sicherung einbezogen sind. Mehr sozialversicherungspf ichtige Arbeits-
plätze festigen die sozialen Sicherungssysteme.

2. Der Sockel struktureller Langzeitarbeitslosigkeit hat sich im ver gangenen
Jahr wieder auf über 35 % erhöht. Arbeitsförderungspolitik muss sich am
Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit beweisen. V on besonderer Bedeutung
sind hierbei Maßnahmen, die





die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw . Kindererziehung verbes-
sern,





die den Eintritt ins Berufsleben für unter 25-jährige verbessern,





die verhindern, dass über 45-jährige Erwerbstätige auf das Abstellgleis
„ältere Arbeitlose“ geschoben werden, und Maßnahmen, die





Menschen mit Behinderungen nachhaltig beim Zugang zu Arbeitsplätzen
unterstützen.

3. Die jetzt über zwei Jahrzehnte anhaltende hohe und strukturell steigende
Massenarbeitslosigkeit belegt das V ersagen von Politik und W irtschaft vor
ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung, für alle Erwerbsarbeit suchen-
den Menschen ein ausreichendes Angebot an existenzsichernden, sozialver-
träglichen Arbeitsplätzen zu schaf fen. Statt eine neue W elle der Dif famie-
rung von Arbeitslosen zu fördern und sich neue Pf ichten Arbeitsloser
gegenüber der Gemeinschaft auszusinnen, ist es an der Zeit, über die V er-
pflichtung von Politik, irtschaft und Unternehmen zu sozialverträglichem
Handeln zu reden.

4. Die Staaten der Europäischen Union haben sich zu einer Politik der V oll-
beschäftigung und zur Reform der sozialen Sicherungssysteme auf hohem
Niveau verpflichtet. Hierzu zählt eine Politik, die auf die präventive erhin-
derung von Arbeitslosigkeit und die Ausweitung des vorhandenen Arbeits-
platzangebotes zielt. Aufgabe der Arbeitsförderung im besonderen ist es,
notwendige wie gesuchte beruf iche Qualifikationen zu fördern, das Arbeits
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platzangebot insgesamt zu erhöhen und Frauen hinsichtlich eines gleichbe-
rechtigten und -gestellten Zugangs zum Arbeitsmarkt zu unterstützen.

5. Arbeitsförderpolitik kann ihr primäres Ziel, die V ermittlung von Arbeits-
losen auf dem nichtgeförderten Arbeitsmarkt, nur erreichen, wenn sich pa-
rallel zu den Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen das Arbeitsplatzange
bot ausweitet. Erfolgreich im Sinne hoher V ermittlungsquoten kann
Arbeitsförderpolitik letztlich nur im Rahmen einer Gesamtpolitik sein, die
primär am Erhalt bestehender und der Schaf fung neuer Arbeitsplätze aus-
gerichtet ist. Es reicht nicht aus, lediglich die „Beschäftigungsfähigkeit“ und
die „Startchancen“ von Arbeitslosen verbessern zu wollen, ohne gleichzeitig
aktiv auf die Ausweitung des Arbeitsplatzangebotes hinzuwirken.

6. Neben allen Erfolgen in der Arbeitsförderpolitik waren in den vergangenen
Jahren vor dem Hintergrund eines schrumpfenden bzw. stagnierenden allge-
meinen Arbeitsmarktes Entwicklungen zu beobachten, die von Arbeitslosen
und in der Öf fentlichkeit als bloße V erwaltung von Arbeitslosigkeit, nicht
aber als effektive Hilfe begriffen wurden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Die Bundesregierung leitet noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetzge-
bungsverfahren zur umfassenden Reform des Arbeitsförderrechtes ein, um
eine nachhaltige, sozialverträgliche Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt zu
bewirken.

2. Die Arbeitsförderung und damit die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik
werden stärker mit anderen Politikfeldern, insbesondere der regionalen
Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik verzahnt. Die aktive Arbeitsmarkt-
politik wird verstetigt, was die ungekürzte Bereitstellung der bisherigen
Mittel und die Zuführung von eventuellen Überschüssen bei sinkender Zahl
von leistungsbeziehenden Arbeitslosen erneut in Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik bedeutet.

3. Die „Personenförderung“ des SGB III wird durch eine regelmäßige „Pro-
jektförderung“ ergänzt bzw. teilweise ersetzt. Die Projektförderung hat den
Erhalt und den Ausbau öffentlicher Güter im Bereich der sozialen, ökologi-
schen und kulturellen Infrastruktur zum Gegenstand; sie soll auch die aufga-
benorientierte Kombination unterschiedlicher Fördermittel und die Koope-
ration öf fentlicher Haushalte deutlich erleichtern und den geförderten
Projekten mehr wirtschaftliches Agieren ermöglichen.

4. Als Erfolgs- und Ef fektivitätsmaßstäbe der Arbeitsförderung werden die
Verbesserung der Qualif kation und die V ermittlung in den ungeförderten
Arbeitsmarkt einerseits und die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur,
die Verminderung der gesamtf skalischen Kosten der Arbeitslosigkeit und
die Stärkung der Binnennachfrage andererseits entwickelt. Letzteres erfor -
dert den Aufbau einer mehrjährigen volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-
Rechnung.

5. Im SGB III wird ein Rechtsanspruch des einzelnen Arbeitslosen auf einen
konkreten individuellen „Eingliederungsplan“ geschaf fen. Der Eingliede-
rungsplan berücksichtigt die Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten des
Arbeitslosen und führt – falls erforderlich – über eine Umschulung, eine zu-
sätzliche Ausbildung oder Qualif zierung als eigentliches Ziel zu einem
Arbeitsplatz mit existenzsicherndem tarif ichen Lohn entsprechend der
erworbenen Qualifikation.

6. Die Zumutbarkeitsklauseln der Arbeitsvermittlung und des Leistungsrechtes
werden nach der Maßgabe überprüft und geändert, dass eine V erpflichtun
zur Annahme eines untertarif ich entlohnten, nicht sozialversicherungs-
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pflichtigen Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen wird. Es werden keine An
forderungen an die Arbeitsaufnahme von Arbeitslosen für zumutbar erklärt,
die im normalen, geregelten Arbeitsleben als unzumutbar gelten.

7. Die Arbeitsförderinstrumente werden überprüft und erweitert insbesondere
mit den Zielen:





die Jobrotation mit der Absicht zu fördern, dass die betriebliche oder ex-
terne, arbeitsamtgeförderte Weiterbildung zur Einstellung eines Arbeits-
losen, mit der Bevorzugung älterer oder Langzeitarbeitsloser , auf dem
vorübergehend frei gewordenen Arbeitsplatz führt;





eine sozialverträgliche, arbeitsplatzschaffende Arbeitszeitpolitik der Un-
ternehmen, insbesondere die Umwandlung von Überstunden in zusätz-
liche Arbeitsplätze, angereizt wird;





die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kindererziehung für Frauen und
Männer verbessert wird.

Berlin, den 2. April 2001

Dr. Klaus Grehn
Pia Maier
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Ruth Fuchs
Gerhard Jüttemann
Rosel Neuhäuser
Dr. Ilja Seifert
Roland Claus und Fraktion

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