BT-Drucksache 14/5789

Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden - eine Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit

Vom 4. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5789
14. Wahlperiode 04. 04. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau,
Rudolf Bindig, Detlef Dzembritzki, Klaus Hagemann, Reinhold Hemker,
Frank Hempel, Ingrid Holzhüter, Karin Kortmann, Tobias Marhold, Lothar Mark,
Günter Oesinghaus, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Dr. Emil Schnell, Dr. Angelica Schwall-Düren, Adelheid Tröscher,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Antje Hermenau, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden – eine Herausforderung
für die Entwicklungszusammenarbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) kommt der Förderung der
Zivilgesellschaft, d. h. den Nichtregierungsorganisationen (NRO), Kirchen,
Stiftungen, Gewerkschaften und unabhängigen Medien, sowohl in den Ländern
des Nordens als auch in den Entwicklungsländern eine hohe Bedeutung zu. Der
Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren zunehmend eine umfassendere Rolle
zugewiesen worden, einerseits weil im Norden die staatliche Planungseuphorie
früherer Dekaden einer nüchternen Einschätzung technokratischer Steuerungs-
möglichkeiten gewichen ist; andererseits weil die Regierungen in Entwick-
lungsländern (EL), häufig autoritäre Regime, den komplexen Problemen, v. a.
der Unterentwicklung, vielfach nicht gewachsen sind. Zudem hat sich allge-
mein die Einsicht durchgesetzt, dass ohne eine weitreichende Partizipation ge-
sellschaftlicher Kräfte keine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen ist.

Zivilgesellschaftliche Korrekturen und Ergänzungen können Regierungshan-
deln erheblich verbessern, präzisieren und effizienter werden lassen (nicht aber
ersetzen). Entsprechend hat sowohl im Norden als auch im Süden die Zahl der
zivilgesellschaftlichen Organisationen erheblich zugenommen. Insbesondere
die Umsetzung der lokalen Agenda 21 als Folge der Beschlüsse der UN-Kon-
ferenz in Rio 1992 hat diese Entwicklung noch zusätzlich verstärkt.

Zivilgesellschaftliche Akteure sollen hier als regierungsunabhängige, gemein-
nützige und nichtprofitorientierte Bewegungen und Organisationen definiert
werden. Ihre Zunahme wird in der entwicklungspolitischen Debatte als über-
wiegend positiv für die Entwicklungschancen der ärmeren Länder beurteilt. Sie
bieten Dienstleistungen an, die in dem Raum zwischen Staat und Markt ange-
siedelt sind. Beispielsweise übernehmen sie „watch-dog“-Funktionen, artiku-
lieren die Interessen benachteiligter Bevölkerungsgruppen und fördern die

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Transparenz staatlichen Handelns. Im Norden tragen sie darüber hinaus zur not-
wendigen Bewusstseinsbildung im Sinne der „Einen-Welt“ bei und fördern die
notwendige Entwicklung von neuen Konsummustern und Verhaltensweisen,
indem sie beispielsweise die Konsumenten zum Kauf von zertifizierten und fair
gehandelten Produkten animieren.

Nur durch „Capacity-building“ kann eine starke Zivilgesellschaft entstehen.
Deren tatsächliche Beteiligung an Entwicklungsprozessen ermöglicht eine par-
tizipative und soziale Entwicklung zum inneren Frieden, eine Einschränkung
von zentralstaatlicher Macht und eine Stärkung dezentraler Strukturen. Die
intensivere Einbindung der betroffenen Bevölkerung baut deren Selbsthilfe-
potentiale für eine nachhaltige Entwicklung weiter auf.

Die Förderung der Zivilgesellschaft ist deshalb ein wichtiger Beitrag zur Unter-
stützung von Demokratisierungsprozessen, zur Durchsetzung von Menschen-
rechten, zur Konfliktprävention sowie zur nachhaltigen Entwicklung. Darüber
hinaus hat sich die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Träger vor allem in der
selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung, der Nothilfe und der – für gesell-
schaftliche Entwicklungen besonders wichtigen – Förderung von Frauen be-
währt.

Die Förderung der Zivilgesellschaft ist unter bestimmten Umständen auch in
solchen Ländern angebracht, in denen nicht alle der 5 Kriterien der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit (Beachtung der Menschenrechte, Gewährleis-
tung von Rechtssicherheit, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Pro-
zess, Schaffung einer marktfreundlichen und sozialorientierten Wirtschaftsord-
nung und die Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns) eingehalten
werden. Denn die Erfüllung dieser Kriterien muss als Prozess angesehen
werden, d. h. wenn in einem Land zivilgesellschaftliche Akteure positive Ent-
wicklungen hin zur Einhaltung der 5 Kriterien anstoßen, sollten eben diese
auch unterstützt werden.

Allerdings besteht die Gefahr der Überforderung der zivilgesellschaftlichen
Akteure. Die Aktivitäten der NRO dürfen unter keinen Umständen als Ersatz
essentieller staatlicher Leistungen missverstanden werden. So bleibt beispiels-
weise das „Capacitiy-building“ zur Stärkung des staatlich-institutionellen Rah-
mens in EL eine der Kernaufgaben der staatlichen EZ. Die Förderung der Zivil-
gesellschaft durch die EZ sollte vielmehr nach dem Subsidiaritätsprinzip
erfolgen und die Aufgabenübertragung vom Staat an die Zivilgesellschaft
kritisch hinterfragen.

Zudem dient nicht jede zivilgesellschaftliche Aktivität automatisch der nachhal-
tigen Entwicklung. So können sich beispielsweise Eliten zivilgesellschaftlich
organisieren. Mitunter versuchen auch Regierungen die Entwicklungsprozesse
innerhalb der und durch die Zivilgesellschaft zu beeinflussen und zu kontrollie-
ren. Schließlich muss die mangelnde Legitimität einiger zivilgesellschaftlicher
Organisationen beachtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung über ihr breit gefächertes Instrumentarium zur Förderung von Nichtregie-
rungsorganisationen hinaus folgende Maßnahmen veranlasst bzw. bereits
durchgeführt hat:

– Aufbau des Zivilen Friedensdienstes als Gemeinschaftswerk staatlicher und
nichtstaatlicher Träger der Entwicklungs- und Friedensarbeit;

– Einrichtung einer von Bund und Ländern gemeinsam getragenen „Service-
stelle für kommunale Entwicklungszusammenarbeit“ zum 1. Januar 2002;

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– Schaffung des Arbeitskreises „Entwicklungspolitische Krisenprävention und
Konfliktbearbeitung“ beim BMZ, in dem staatliche und nichtstaatliche Trä-
ger zusammenwirken;

– langjährige Zusammenarbeit im Arbeitskreis „Armutsbekämpfung“ zwi-
schen staatlichen und nichtsstaatlichen Organisationen, mit dem Ziel des
Informations- und Erfahrungsaustausches und der besseren Koordinierung
in der Armutsbekämpfung;

– Förderung – in begrenztem Umfang – von Süd-NRO durch Mittel der staat-
lichen TZ, so z. B. durch das überregionale Vorhaben zur rechts- und sozial-
politischen Beratung für Frauen;

– angesichts der derzeit exisitierenden Differenzen zwischen der EU-Kommis-
sion und den an der praktischen Durchführung der Entwicklungspolitik
maßgeblich beteiligten NRO die Aufforderung an beide Seiten, zur vertrau-
ensvollen Zusammenarbeit der letzten Jahre zurückzukehren;

– Verpflichtung zur Weiterfinanzierung bis zum 31. Dezember 2001 der nicht
gedeckten Ausgaben zur Beratung von NRO über Fördermöglichkeiten von
EU-Kofinanzierungsvorhaben im Rahmen des Beratungsprogramms TAN
(Trainig and Advice Network), welches einen Teilaufgabenbereich von
Bengo darstellt;

– Aufbau eines unabhängigen deutschen Menschenrechtsinstituts, an dem ne-
ben den Ressorts des Bundesministeriums der Justiz (BMJ), dem Auswärti-
gen Amt (AA) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung (BMZ) insbesondere nichtstaatliche Träger und
Foren der Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit beteiligt wer-
den sollen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

In der Erkenntnis, dass zivilgesellschaftliche Träger sowohl in den Entwick-
lungsländern als auch in den Ländern des Nordens einen wesentlichen Beitrag
zur EZ leisten, muss deren systematische und sorgfältige Förderung als strategi-
sches Element der deutschen EZ ausgeweitet und entsprechend haushaltsrecht-
lich stärker berücksichtigt werden. Im Einzelnen sind folgende Punkte zu be-
achten:

1. Gestaltung einer vertieften partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen
BMZ, staatlichen Durchführungsorganisationen und deutschen NRO durch:

a) institutionalisierte Gespräche mit allen Beteiligten. NRO verfügen über
wertvolles Wissen, welches für die staatliche EZ eine große Bereicherung
darstellt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, über ihre Erfahrungen
der Einbeziehung von NRO bei der Erarbeitung von Länderkonzepten in
naher Zukunft zu berichten. Darüber hinaus kann durch eine noch intensi-
vere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit NRO die Handlungs- und
Leistungsfähigkeit der deutschen NRO und ihrer Partner im Süden gestei-
gert werden. Hierzu gehört auch die Prüfung verstärkter Kooperation vor
Ort unter Berücksichtigung der jeweiligen traditionellen Stärken. Dies
kann besonders dann sinnvoll sein, wenn sichergestellt ist, dass nicht alle
Mittel, die die deutschen NRO vom BMZ oder der EU erhalten, aus-
schließlich im Rahmen der Zielsetzungen neuer Koordinierungsvorhaben
vergeben werden müssen. Doch selbst wenn die NRO partiell in die Ko-
ordinierung miteingebunden sind, sollte ihnen eine größtmögliche Auto-
nomie zugestanden werden. Nur so können sie ihre Vorteile gegenüber
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit aufrecht erhalten: die grö-
ßere Vielfalt der Vorgehensweisen, der Methoden und der lokalen Kon-
takte, die die NRO in den Ländern des Südens haben;

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b) mehr Transparenz in entwicklungspolitischen Entscheidungen. Die NRO
sollten systematisch bei allen entwicklungspolitischen Entscheidungen,
die ihre Arbeit betreffen, zu Rate gezogen werden. Nur so kann eine ver-
trauensvolle und dauerhafte Zusammenarbeit mit den NRO begründet
werden, die sich dann auch in der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der
NRO positiv niederschlägt;

c) Unterstützung einer weiterhin regelmäßigen und intensiven Beteiligung
von zivilgesellschaftlichen Trägern bei internationalen Konferenzen bzw.
Verhandlungen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, über die Mög-
lichkeiten einer verstärkten Einbeziehung von NRO im multilateralen
Rahmen (EU/UN-Konferenzen) zu berichten.

2. verstärkte Förderung deutscher NRO durch:

a) einfachere Gestaltung der Vergaberichtlinien und Abrechnungsformalitä-
ten des BMZ für Projektmittel. Vor allem kleine, auf ehrenamtlicher Ba-
sis arbeitende NRO verfügen häufig nicht über das Know-how und die
logistischen Voraussetzungen, um den mit der Erfüllung der Richtlinien
verbundenen Aufwand zu bewältigen;

b) Prüfung der haushaltsrechtlichen Bestimmungen, die es NRO ermögli-
chen, einen bestimmten Prozentsatz bewilligter Zuschüsse für wertvolle
Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu verwenden;

c) wie bisher die finanzielle und logistische Unterstützung bei der Professio-
nalisierung, Vernetzung und Evaluierung der NRO-Arbeit;

d) hinwirken darauf, dass die NRO-Projektarbeit von Abgaben und Gebüh-
ren an das Partnerland (z. B. Zollgebühren) befreit wird;

e) die Prüfung der Einrichtung einer Stiftung auf Bundesebene nach Maß-
gabe des Haushaltes mit dem Ziel, die Finanzierung der Trägerstrukturen
in der deutschen EZ unabhängig zu gestalten und langfristig zu sichern.
Dies – wie auch die Möglichkeit einer NRO-Trägerstrukturfinanzierung –
wäre angesichts des geänderten deutschen Stiftungsrechts heute einfacher
realisierbar;

f) Prüfung der Möglichkeit eines Beitritts zum Nord-Süd-Zentrum des Eu-
roparates in Lissabon.

3. verstärkte Unterstützung von Süd-NRO durch:

a) Erstellung eines Kriterienkatalogs zur Überprüfung staatlicher und nicht-
staatlicher Maßnahmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit bei der Förde-
rung der Zivilgesellschaft in Entwicklungsländern. Anzustreben ist die
Bewahrung und Förderung der Vielfalt an zivilgesellschaftlichen Aktivi-
täten und damit eines breiten Spektrums an Gruppen und Ideen;

b) Erarbeiten eines Evaluierungsrasters zur kritischen Prüfung der zu för-
dernden zivilgesellschaftlichen Akteure im Süden wie im Norden. Zu
prüfen sind die Wirkungen ihrer geplanten Maßnahmen, insbesondere de-
ren praktische Relevanz, z. B. bei der Bewältigung von Problemen und
Konflikten und bei der Veränderung der sozialen Beziehungen zugunsten
der Interessen von benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Zudem ist ihre
Struktur, ihre Vernetzung, die Effizienz ihres Managements und die Ak-
zeptanz der NRO in der Bevölkerung bei der Förderung zu berücksichti-
gen. Sie sollten nicht nur gegenüber den unterstützenden Institutionen
Rechenschaft ablegen, sondern auch gegenüber Mitgliedern und Ziel-
gruppen;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5789

c) verstärkte Einbeziehung und Befähigung der NRO in die Ausarbeitung
der „poverty reduction strategy papers“ der Weltbank sowie der „country-
support-strategies“ der EU;

d) Prüfung einer stärkeren und gleichberechtigten Miteinbeziehung von
Süd-NRO bei internationalen Konferenzen.

4. verstärkte Förderung von Süd- und Nord-NRO auf Ebene der Europäischen
Union (EU) durch:

a) die Fortsetzung und Vertiefung der in den letzten 25 Jahren im Rahmen
des Liaison Committees (dem Dachverband der europäischen entwick-
lungspolitischen NRO – auch unter dem französischen Akronym
CLONG bekannt), begründeten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwi-
schen EU-Kommission und europäischen NRO, obwohl die Differenzen
in Brüssel bislang nicht ausgeräumt werden konnten. Im Interesse einer
besseren Verankerung der europäischen Entwicklungspolitik in den Be-
völkerungen der EU-Mitgliedstaaten sollte die EU eine breite und reprä-
sentative Netzwerk-Struktur von NRO aktiv unterstützen und durch eine
entsprechende finanzielle Förderung absichern;

b) Unterstützung von Initiativen zur Förderung entsprechender Netzwerk-
Strukturen durch die EU-Kommission in den Partnerländern der EU, um
die durch den Cotonou-Vertrag und „poverty reduction strategy papers“-
Prozesse auf die Süd-NRO zukommenden neuen Aufgaben auch adäquat
bewältigen zu können;

c) Aufforderung an die EU-Kommission, das bisherige System der Kofinan-
zierung auf EU-Ebene auszubauen und auch für kleine und mittlere NRO
zugänglich zu halten. Der in der jetzigen Haushaltslinie B7-6000 enthal-
tene Gedanke der Partnerschaft von Nord- und Süd-NRO und das darin
implizierte Initiativrecht der NRO für eigene Projektvorschläge soll er-
halten bleiben;

d) Vereinfachung der Verfahren zur Antragstellung im Bereich der NRO-
Kofinanzierung und Verbesserung der Beratung für antragstellende NRO,
um eine größere Breite der NRO-Projektzusammenarbeit zu gewährleis-
ten und auch kleineren NRO die Möglichkeit der Finanzierung ihrer Vor-
haben über NRO-Mittel zu ermöglichen.

Berlin, den 4. April 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Begründung
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben eine Reihe komparativer Vorteile,
die für die EZ relevant und mittlerweile unverzichtbar sind. Die europäischen
Nichtregierungsorganisationen (ENGO) haben einen direkten Zugang zu loka-
len zivilgesellschaftlichen Akteuren des Südens. Damit erreichen sie die Ziel-
gruppen in Entwicklungsländern auf unbürokratischem, flexiblem und bedarfs-
gerechtem Wege. Da sie nicht an staatliche Verhaltensvorgaben gebunden sind,
können sie auch nichtregierungskonforme und oppositionelle Gruppen fördern.
Auch in den europäischen Ländern verfügen die ENGO über spezifische
Vorteile. Als Interessenvertreter des Südens leisten sie eine wichtige Bildungs-,

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Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und tragen darüber hinaus hier wesentlich zu
dem notwendigen Bewusstseinswandel im Sinne der „Einen-Welt“ bei.

In den Entwicklungsländern übernehmen lokale zivilgesellschaftliche Akteure
wichtige demokratiefördernde Funktionen, z. B. die Artikulation der Interessen
benachteiligter Bevölkerungsgruppen und das Aufbrechen von verkrusteten
Strukturen. Sie stoßen Diskussionsprozesse über Entwicklungsstrategien an,
kontrollieren staatliche Politik (accountability) und fördern die Partizipation
der Bevölkerung an Entscheidungs- und Aushandlungsprozessen. Zum Kon-
zept der Zivilgesellschaft gehört also nicht nur die Existenz von nichtstaatli-
chen Akteuren außerhalb der administrativen und gesetzgeberischen Institutio-
nen des Staates, sondern auch die Verbindung und Interaktion zwischen ihnen
und dem Staat. Erst durch den Gestaltungsanspruch und Veränderungswillen
von Organisationen können sich demokratische Strukturen als Gegengewicht
zum staatlichen Herrschaftsanspruch herausbilden, die es rechtfertigen, von Zi-
vilgesellschaft zu sprechen.

Der Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden muss deshalb in
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit eine zentrale Rolle zukommen.
Die nachhaltige Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen wird durch die
Existenz günstiger politischer, wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher und infra-
struktureller Rahmenbedingungen erheblich erleichtert. Bei der Unterstützung
des Aufbaus bzw. Ausbaus dieser Strukturen ist nach wie vor die bilaterale und
multilaterale EZ gefordert.

Die Förderung der Zivilgesellschaft muss jedoch sorgfältig erfolgen. So muss
die Handlungsfähigkeit zivilgesellschaftlicher Träger realistisch eingeschätzt
werden. Vor allem in Entwicklungsländern mit erst schwach ausgeprägter Zivil-
gesellschaft kann eine einseitige Förderung bestimmter Bevölkerungsgruppen
zu Verzerrungen und als Spätfolge zu neuen Konflikten führen. Deshalb sollte
eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure unterstützt werden. Hierbei sollte al-
lerdings, wie bereits angedeutet, beachtet werden, dass nicht jede zivilgesell-
schaftliche Aktivität automatisch der nachhaltigen Entwicklung dient, u.a. des-
wegen weil häufig weniger Entwicklungs- als Erwerbsinteressen Motivation
und Hintergrund bei der Gründung von Süd-NRO bilden. Entsprechend können
sich deren Aktivitäten kontraproduktiv für die benachteiligten Bevölkerungs-
gruppen auswirken. Insofern muss die externe Förderung der Zivilgesellschaft
sensibel erfolgen, um die genannten positiven Effekte zivilgesellschaftlicher
Strukturen zu verstärken.

Der nun auf EU-Ebene angestrebte Reformprozess der europäischen Entwick-
lungszusammenarbeit ist sehr zu begrüßen. Dieser sollte jedoch nicht durch
Differenzen zwischen der Kommission und den an der praktischen Durchfüh-
rung der Entwicklungszusammenarbeit maßgeblich beteiligten NRO belastet
werden. Der Deutsche Bundestag erwartet, dass beide Seiten weitere Anstren-
gungen unternehmen, um die derzeitigen Meinungsverschiedenheiten auszu-
räumen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre gezielt aus-
zubauen und zu vertiefen.

Die Umsetzung der oben genannten Forderungen würde einen wesentlichen
Beitrag zur Förderung von Demokratisierungsprozessen, der Durchsetzung von
Menschenrechten, der Konfliktprävention sowie auch der selbsthilfeorientier-
ten Armutsbekämpfung leisten.

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