BT-Drucksache 14/5676

Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfallwirtschaft

Vom 28. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5676
14. Wahlperiode 28. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Hildebrecht
Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst
Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Klaus Haupt, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfallwirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ausgangslage für die deutsche Abfallwirtschaft hat sich grundlegend geän-
dert. An die Stelle des vor 10 Jahren drohenden Müllnotstandes sind Überkapa-
zitäten bei Hausmüll- und Sondermülldeponien sowie freie Kapazitäten bei
Müllverbrennungsanlagen getreten. Das spätestens ab 2005 geltende Verbot der
Deponierung nicht vorbehandelter Siedlungsabfälle wird das Überangebot an
Deponieraum noch weiter vergrößern. Überdies werden durch die EG-Abfall-
verbrennungsrichtlinie gleiche Emissionsanforderungen für Mono- und Mitver-
brennungsanlagen geschaffen, so dass Vorbehalte gegen diese Form der Ent-
sorgung nicht länger begründet sind. Die energetische Verwertung von
Siedlungsabfällen wird in Zukunft wegen der fortgeschrittenen technischen
Entwicklung an Bedeutung gewinnen. Ein Entsorgungsengpass ist daher für die
Zukunft nicht mehr zu erwarten.

Der Vollzug des deutschen Abfallrechts durch Landesbehörden, Landesabfall-
gesellschaften und Kommunen ist dabei zunehmend an wirtschaftlichen Inte-
ressen ausgerichtet; die Auslastung bestehender Anlagenkapazitäten steht im
Vordergrund. Der gesetzliche Vorrang der Verwertung wie auch die Freiheit der
gewerblichen Wirtschaft, ihre Abfälle in eigener Verantwortung privatwirt-
schaftlich zu entsorgen, werden dabei nur noch unzureichend beachtet. Der Be-
schluss der Umweltminister der Länder, im Kreislaufwirtschafts- und Abfall-
gesetz (KrW-/AbfG) die gemischten Gewerbeabfälle ausschließlich den
Kommunen zuzuweisen, ist Ausdruck einer Orientierung an Abfallwirtschafts-
konzepten vergangener Dekaden.

Stattdessen gilt es, in der deutschen Abfallwirtschaft künftig eine stärkere
Marktorientierung zu gewährleisten. Bei der Realisierung ökologischer Ziele
soll Markt- und Wettbewerbsprozessen innerhalb umweltpolitischer Rahmen-
bedingungen mehr Raum gegeben werden. Wie bei Telekommunikation und
Energieversorgung muss auch bei der Abfallentsorgung der Weg der weiteren
Liberalisierung beschritten werden. Umfang und Intensität der abfallpolitischen

Drucksache 14/5676 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Regulierung sollen auf das umweltpolitisch gebotene und gerechtfertigte
Ausmaß reduziert werden. Handlungsbedarf besteht sowohl im Bereich der
Verwertung als auch im Bereich der Entsorgung von Abfällen.

– Mit Blick auf die Abfallverwertung sind die Auswirkungen der Ver-
packungsverordnung als Pilotprojekt der Produktverantwortung zwiespältig.
Erkennbar sind einerseits Erfolge bei der ökologischen Verbesserung von
Verpackungen und deren Verwertung. Andererseits wurde mit dem Dualen
System Deutschland (DSD) eine monopolistische Abfallwirtschaftsstruktur
geschaffen. Geschäftspolitik und Vertragsgebaren der DSD benachteiligen
insbesondere mittelständische Unternehmen der Entsorgungswirtschaft. Der
bei vielen Abfallfraktionen – beispielsweise bei Glas, Blech und Papier –
zuvor funktionierende Wettbewerb wurde weitgehend außer Kraft gesetzt.
Es gilt, wettbewerbliche Strukturen zu gewährleisten, um kostensenkende
Markt- und Innovationsprozesse anzuregen, die geeignet sind, Belastungen
der Verbraucher zu senken.

– Die Entsorgung von Abfall ist angesichts ausreichender und gesicherter
Kapazitäten künftig nicht mehr als kommunale Aufgabe der Daseins-
vorsorge einzustufen. Es muss vielmehr den einzelnen Haushalten in Eigen-
verantwortung obliegen, ihre Abfälle durch geeignete Abfallentsorgungs-
unternehmen entsorgen zu lassen. Dabei ist eine Verpflichtung der Privaten
zum Abschluss eines geeigneten Entsorgungsvertrages vorzusehen. Den
Kommunen verbleibt die Aufgabe, die Privathaushalte bei der Erfüllung
ihrer diesbezüglichen Pflichten zu unterstützen, indem die Körperschaften
für geeignete Entsorgungsbezirke die Entsorgungsdienstleistungen wett-
bewerblich transparent ausschreiben. Ferner obliegt es den Kommunen, die
Einhaltung der Entsorgungspflicht durch die Haushalte zu kontrollieren.

– Auch die Länder müssen sich aus der operativen Abfallwirtschaft zurück-
ziehen. Landesrechtliche Andienungspflichten für Sonderabfälle sind ange-
sichts ausreichender und gesicherter Entsorgungskapazitäten nicht begrün-
det. In diesem Sinne ist die Zuständigkeit der Länder in der Abfallwirtschaft
auf die Überwachung zu beschränken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– durch den seit langem angekündigten Erlass einer Allgemeinen Verwaltungs-
vorschrift den Verwaltungsvollzug in den Ländern und Kommunen in einem
Sinne zu vereinheitlichen, wonach dem beseitigungsorientierten Gesetzes-
vollzug entgegengewirkt wird, der dem Wortlaut und dem Sinn des KrW-/
AbfG widerspricht,

– Vorschläge zur Änderung des KrW-/AbfG vorzulegen, um eine Überführung
der kommunalen Abfallwirtschaft in privatwirtschaftliche, wettbewerbliche
Strukturen zu ermöglichen, soweit dies nicht bereits durch die Vorschriften
des Gesetzes möglich ist,

– durch eine unverzügliche Umsetzung der EG-Abfallverbrennungsrichtlinie
in deutsches Recht gleiche Standards für die Mitverbrennung von Abfällen
wie für Müllverbrennungsanlagen zu schaffen, um Vorbehalte gegen die
energetische Verwertung von Abfällen auszuräumen und so dieses Potential
besser zu nutzen,

– Vorschläge zur Änderung des KrW-/AbfG mit dem Ziel der Aufhebung
landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten vorzulegen und
parallel im Rahmen der Umweltministerkonferenz (UMK) auf die Länder
im Sinne dieser Zielsetzung einzuwirken,

– geeignete Schritte zu unternehmen, um die kartellrechtliche Duldung der
Monopolstellung der DSD GmbH aufzuheben und so die Voraussetzung für

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5676

eine wettbewerbsgerechte und mittelstandsfreundliche Neugestaltung der
Verträge zu schaffen. Entsorgungsverträge sind dabei getrennt nach Ver-
packungsmaterialien auszuschreiben, um Quersubventionierungen zu
vermeiden. Diesbezügliche Vertragslaufzeiten sind geeignet zu begrenzen.

– bei der seit langem angekündigten Novellierung der Verpackungsverord-
nung im Sinne dazu vorliegender Stellungnahmen des Bundeskartellamtes
stärker als bisher konkurrierenden Systemen faire Wettbewerbsbedingungen
zu gewährleisten,

– bestehende Sonderquoten für bestimmte Verwertungsverfahren aufzuheben,

– auf Länder und Kommunen in einem Sinne einzuwirken, wonach durch
Änderung von Landesgesetzen dafür Sorge getragen wird, dass Kommunen
wie auch Landesbehörden nicht Aufgaben der Überwachung und des Geset-
zesvollzuges wahrnehmen und zugleich selbst Marktteilnehmer der Abfall-
wirtschaft sein können.

III. Der Deutsche Bundestag

– bittet die Länder, in ihrem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich sowie bei
den Kommunen für eine strikte Trennung von Überwachung und wirtschaft-
licher Betätigung Sorge zu tragen. Dazu gehört auch die Privatisierung der
von Landesabfallgesellschaften betriebenen Entsorgungsanlagen.

– appelliert an die Kommunen, die Chancen einer privatwirtschaftlichen, wett-
bewerblichen Organisation der kommunalen Abfallwirtschaft im Interesse
der Bürger wahrzunehmen.

Berlin, den 27. März 2001

Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion der F.D.P.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.