BT-Drucksache 14/567

Zahlungsverzug bekämpfen - Verfahren beschleunigen - Mittelstand stärken

Vom 17. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/567 vom 17.03.1999

Antrag der Fraktion der F.D.P. Zahlungsverzug bekämpfen - Verfahren
beschleunigen - Mittelstand stärken =

17.03.1999 - 567

14/567

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Türk, Cornelia Pieper, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Dr. Wolfgang Gerhardt,
Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz
Guttmacher, Klaus Haupt, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Dirk
Niebel, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele und der Fraktion der
F.D.P.
Zahlungsverzug bekämpfen - Verfahren beschleunigen - Mittelstand
stärken

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Zahlungsmoral in Deutschland hat sich zu einem ernsthaften Problem
für die Wirtschaft entwickelt. Zahlungssäumnis ist Vertragsbruch.
Dennoch sind Verschleppungen bei der Zahlung statt zur Ausnahme zur
vielgeübten Praxis geworden; ein gesetzlich festgelegter Verzugszins
von 4 % im BGB bzw. 5 % im HGB ermuntert leider viele Schuldner
regelrecht zum Zahlungsverzug als besonders günstige Kreditvariante.
Dies, obwohl zusätzlich bei Verzug der tatsächliche Verzugsschaden und
damit der Kreditzinssatz des Gläubigers gegenüber dem Schuldner geltend
gemacht werden kann und zudem bereits im Vertrag höhere Zinsen
vereinbart werden können. Dabei bewirkt Zahlungsverzug beim Gläubiger
Liquiditätsprobleme, eine Beeinträchtigung der Rentabilität und eine
Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit. Im schlimmsten Fall kommt es zum
Konkurs und zum Verlust von Arbeitsplätzen.
Besonders betroffen von der schlechten Zahlungsmoral ist der
Mittelstand. Die durch Zahlungsverzug entstehenden Finanzkosten sind
dort besonders hoch, da Liquiditätsengpässe durch kurzfristige Kredite
oder Überziehungskredite mit relativ hohem Zinssatz abgedeckt werden
müssen. Die Verwaltungskosten für die Eintreibung von Schulden sind für
den Mittelstand überproportional hoch, denn er verfügt weder über
Fachleute noch über Zeit und Personal, um die ausstehenden Beträge zu
verwalten. In einer Untersuchung der Deutschen Ausgleichsbank aus dem
Jahr 1995 gaben Existenzgründer als Ursachen für Liquiditätsengpässe zu
62,4 % die schlechte Zahlungsmoral ihrer Kunden an.
Auch häufen sich gerade im Bauhandwerk die Klagen, daß Zahlungen selbst
bei einwandfreier Arbeit bewußt verweigert werden. Auf fast schon
erpresserische Weise wird der lange Rechtsweg zur Einforderung der
Zahlungen ausgenutzt, den Zahlungsbetrag zu drücken. Dabei verlassen
sich die Schuldner gern darauf, daß die Gerichte, auch aufgrund ihrer
Überlastung, häufig zu einem Vergleich drängen. Die beschriebenen
Verhaltensweisen von Schuldnern haben nach Aussage der Handwerkskammer
Rheinhessen dazu geführt, daß Außenstände von einem Drittel bis zur
Hälfte des Jahresumsatzes keine Ausnahme mehr sind.
Wie die Bauinnung Stuttgart feststellen mußte, unterscheidet sich in
diesem skandalösen Verhalten die öffentliche Hand nicht von privaten
Auftraggebern. Die öffentliche Hand gibt beim Thema Zahlungsverzug
generell ein denkbar schlechtes Beispiel ab. So sieht die
Verdingungsverordnung Bau (VOB) vor, daß Abschlagsrechnungen innerhalb
von 18 Tagen, Schlußrechnungen spätestens nach zwei Monaten zu
begleichen sind. Eine Befragung unter Mitgliedsbetrieben der
Wirtschaftsvereinigung Bauindustrie Nordrhein-Westfalen zeigt jedoch
ein beschämendes Bild: Demnach gingen 1997 Abschlagszahlungen von Bund
und Land im Durchschnitt erst 30 Tage nach Rechnungsausgang ein, die
Kommunen ließen sich durchschnittlich 28 Tage Zeit. Schlußrechnungen
beglich der Bund in der Regel erst nach 101 Tagen, bei den Ländern
waren es 99 Tage. Besser, aber mit durchschnittlich 73 Tagen immer noch
weit von den gesetzlichen Vorgaben entfernt, schnitten die Kommunen ab.
Berichte der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern
bestätigen dieses erschreckende Bild vom Zahlungsverhalten privater und
öffentlicher Hand, insbesondere in den neuen Ländern.
Diese Mißstände in der Zahlungsweise von Aufträgen sind weder
akzeptabel noch hinnehmbar. Vertragstreue gehört zu den wesentlichen
Grundlagen einer erfolgreich arbeitenden sozialen Marktwirtschaft. Der
Verwilderung der Sitten muß sich der Gesetzgeber energisch
entgegenstellen. Bei der Abnahme einer Leistung muß der Grundsatz
gelten, das die vereinbarte Zahlung erfolgen muß. Unerhebliche Mängel
oder erst später beanstandete Mängel dürfen vom Schuldner nicht dazu
mißbraucht werden, daß er die gesamte Zahlung für eine
Leistungserbringung bis zu einem rechtskräftigen Urteil verschleppen
kann.
Aber auch die überlangen Gerichtsverfahren und die fehlende
Durchsetzung von Urteilen bei zahlungsfähigen, aber zahlungsunwilligen
Schuldnern ist nicht mehr hinnehmbar. Der Rechtsstaat ist verpflichtet,
seinen Bürgern im Erkenntnisverfahren zum Recht (Urteil) zu verhelfen.
Es besteht jedoch nur dann Rechtsstaatlichkeit, wenn der Bürger darauf
vertrauen kann, daß der Staat seine getroffenen Entscheidungen der
Zwangsvollstreckung auch mit Nachdruck durchsetzt und die Bemühungen
hierfür nicht allein dem Bürger überläßt.
Daher benötigt die Wirtschaft nicht nur ein schnelles und effektives
Erkenntnisverfahren, sondern auch ein Zwangsvollstreckungsverfahren,
das erkanntes Recht auch durchsetzt.
In der letzten Legislaturperiode sind durchaus gesetzliche
Verbesserungen erreicht worden. Stichworte: Forderungsverkauf, 2.
Zwangsvollstreckungsnovelle, eigenkapitalersetzende Darlehen,
Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts und
Vergaberechtsänderungsgesetz. All das ist noch zu wenig, um das
drängende Problem des Zahlungsverzugs wirksam zu bekämpfen. Daher wurde
auf Initiative der F.D.P. mit einem Koalitionssantrag (Mangelnde
Zahlungsmoral verbessern, Drucksache 13/10794 vom 26. Mai 1998) der
weitere Handlungsbedarf deutlich gemacht. Die neue Bundesregierung hat
bisher noch nichts unternommen, um dem Mittelstand bei diesen
drängenden Schwierigkeiten zu helfen.
Der Deutsche Bundestag möge darum beschließen:
1. Die Bundesministerin der Justiz wird aufgefordert, in der
Justizministerkonferenz mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den
Ländern eine zügige Einigung über die Einführung zentraler Mahngerichte
in allen Ländern für das automatisierte Verfahren zur schnelleren und
effektiveren Durchführung von Mahnverfahren herbeizuführen. Dabei
sollen und können vorhandene Mahngerichte zur Kostensenkung auch von
mehreren Ländern gemeinschaftlich betrieben werden.
2. Der gesetzliche Verzugszins ist dahin gehend zu reformieren, daß
gesetzliche Verzugszinsen als günstigere Kreditlinie gegenüber
Kontokorrent ausgeschlossen werden. Zu diesem Zweck wird der
gesetzliche Zinssatz zur vereinfachten Geltendmachung als
Verzugsschaden im europäischen Rahmen erhöht. Die Bundesregierung wird
aufgefordert, sich in Europa entsprechend einzusetzen. Weiterhin bleibt
die Möglichkeit bestehen, im Vertrag oder den allgemeinen
Verkaufsbedingungen einen anderen Verzugszins zu vereinbaren.
3. Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Werkvertragsrecht eine
Regelung aufzunehmen, die sicherstellt, daß Mängel, die den Wert oder
die Tauglichkeit des Werkes nur unerheblich mindern oder nach der
Abnahme beanstandete Mängel, nicht zu einer Herabsetzung der Vergütung
über den Wert der Minderung hinausführen.
4. Der Fälligkeitstermin für die Zahlung vertraglich geschuldeter
Teilbeträge durch öffentliche Behörden darf 31 Kalendertage nach
Leistungserbringung nicht überschreiten. Bei Überschreiten des
Fälligkeitstermins hat der Gläubiger auf alle noch ausstehenden Beträge
gegenüber der öffentlichen Behörde Anspruch auf Zinsen, und zwar in
Höhe des neu geregelten, gesetzlichen Verzugszinses. Die öffentliche
Behörde ist auf Zahlung der gesetzlichen Verzugszinsen zu verpflichten;
ein entsprechender Antrag ist nicht erforderlich. Der öffentlichen
Behörde ist es nicht gestattet, den Gläubiger zu ersuchen oder von ihm
zu verlangen, auf eines der oben genannten Rechte zu verzichten.
5. Die Verdingungsverordnung Bau (VOB) wird dahin neu geregelt, daß
bei Abschlagszahlungen nach 6 Werktagen und bei Schlußrechnungen
innerhalb von 18 Werktagen mitzuteilen ist, ob eine Rechnung als
prüfbar angesehen wird. Bei Ablehnung einer Rechnung wegen
Nichtprüfbarkeit nach der gesetzlichen Frist fallen unabhängig von der
Prüfbarkeit einer Rechnung für die Fristüberziehung Verzugszinsen an.
6. Die Kommunalaufsicht durch die Länderregierungen ist effektiver zu
gestalten, damit den Klagen mittelständischer Unternehmen über die
schlechte Zahlungsmoral kommunaler Auftraggeber nachgegangen und auch
Abhilfe geschaffen werden kann. Auch im Bereich der übrigen
öffentlichen Verwaltung, in der diese als öffentlicher Auftraggeber
tätig wird, muß die Organisation verbessert werden, so daß auch in
Spitzenzeiten der Belastung die zügige Bearbeitung und Zahlungen von
Rechnungen gewährleistet ist.
7. Für Schuldbeträge unter 30 000 Euro ist ein vereinfachtes
Gerichtsverfahren einzuführen. Das gesamte Verfahren vor Gericht ist so
zu gestalten, daß bei unbestrittener Zahlungsschuld zwischen dem
Eingangsdatum des Gläubigerantrags und dem Datum der Unanfechtbarkeit
des Vollstreckungsbescheides ein Zeitraum von 60 Kalendertagen nicht
überschritten wird. Bei strittiger Zahlungsschuld ist ein Zeitraum von
90 Kalendertagen nicht zu überschreiten.
8. Das Erkenntnisverfahren vor Gericht ist mit einer erleichterten
Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung zum Schutz der
Gläubigerrechte zu unterstützen.
9. Die Bundesregierung wird aufgefordert zu prüfen, durch welche
gesetzgeberische Maßnahmen verhindert werden kann, daß der Schuldner
sein Vermögen so verschiebt, daß eine Zwangsvollstreckung gegen ihn
behindert, teilweise sogar vereitelt wird.
Bonn, den 17. März 1999
Jürgen Türk
Cornelia Pieper
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dirk Niebel
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

17.03.1999 nnnn

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