BT-Drucksache 14/5572

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinksken, und weiter Abg. der CDU/CSU -14/3870, 14/4603-

Vom 14. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5572
14. Wahlperiode 14. 03. 2001

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter
Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksachen 14/3870, 14/4603 –

Chancen des Mittelstandes in der globalen Wirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

– Der Steuerreform I muss bald eine Steuerreform II folgen. Die Steuer-
reform I hat ein Signal für die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik ge-
setzt, ist aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Deutsche
Bundestag hält eine von oben verordnete Steuerreformpause bis zum Jahre
2006 angesichts des schnellen wirtschaftlichen Wandels für ein falsches
Signal. Statt dessen müssen weitere Steuersenkungen und vor allem eine
radikale Steuervereinfachung angegangen werden. Eine Steuerreform II ist
innerhalb der nächsten Legislaturperiode umzusetzen. Im Mittelpunkt der
Steuerreform II muss der Übergang zu einem einfachen Stufentarif mit
Steuersätzen von 15 Prozent, 25 Prozent und in der Spitze 35 Prozent ste-
hen. Von Vereinfachungen im Einkommensteuerrecht profitieren insbeson-
dere mittelständische Unternehmen, die nur selten über Möglichkeiten und
Kapazitäten für Steueroptimierungsstrategien verfügen. Deshalb wird im
Zuge einer Steuerreform II auch ein radikaler Abbau steuerlicher Ausnah-
meregelungen und eine einheitliche Besteuerung der Einkommen von
Gewerbebetrieben, Freiberuflern sowie Land- und Forstwirten zu verwirk-
lichen sein;

– das Arbeitsmarktrecht ist mittelstandsfreundlich zu reformieren. Der Deut-
sche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, die Einführung
gesetzlicher Öffnungsklauseln im Tarifvertragsrecht durch Streichung des
Tarifvorbehalts in § 77 BetrVG zu ermöglichen. Dadurch wird die Möglich-
keit, zu freiwilligen Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beleg-

Drucksache 14/5572 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

schaft über Lohn- und Arbeitszeiten zu kommen, entscheidend verbessert.
Zugleich fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, das
Günstigkeitsprinzip (§ 4 Absatz 3 TarifVG) zu erweitern. Wenn 75 Prozent
der Beschäftigten dies wollen, müssen zukünftig auch Lohn- und Arbeits-
zeitzugeständnisse möglich werden, um Arbeitsplätze zu sichern. Auch der
Tendenz von Verbandsklagen ist im Arbeitsrecht gesetzlich entgegenzutre-
ten. Schließlich ist die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung
von Tarifverträgen abzuschaffen. Dies kommt dem Mittelstand besonders
entgegen, da in der Vergangenheit Allgemeinverbindlichkeitserklärungen
vor allem in Branchen mit einer hohen Zahl von Kleinbetrieben abgegeben
wurden. Nur durch eine Abschaffung solcher Allgemeinverbindlichkeits-
erklärungen kann der Druck auf die Tarifparteien erhöht werden, bei ihren
Abschlüssen die Interessen kleinerer Unternehmen stärker zu berücksich-
tigen;

– den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Juli 2001 von 6,5 auf
5,5 Prozent zu senken. Die positive konjunkturelle Entwicklung und das
altersbedingte Ausscheiden vieler Erwerbstätiger aus dem Berufsleben füh-
ren zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit, zu einer Verringerung der Leis-
tungsverpflichtungen und zu einem geringeren Bedarf an arbeitsmarktpoliti-
schen Maßnahmen. Mittelfristig müssen die Kann-Leistungen der
Bundesanstalt für Arbeit vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert
werden. Aber schon jetzt ergibt sich ein deutlicher Spielraum für eine Bei-
tragssetzung. Eine Absenkung um einen Prozent-Punkt bedeutet eine Ent-
lastung der Beitragszahler um rd. 13 Mrd. DM. Aufgrund der Verringerung
der Lohnnebenkosten würde sich eine unmittelbar positive Wirkung auf den
Arbeitsmarkt ergeben;

– die im Kabinett verabschiedete Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes
vollständig zurückzuziehen. Insbesondere die Absenkung der Schwellen-
werte ist mittelstandsfeindlich, die Kosten belasten überproportional klei-
nere und mittlere Unternehmen und die Ausweitung von Mitbestimmungs-
ritualen aus den 70er Jahren passt nicht zu modernen Entscheidungsabläufen
in Unternehmen im Zeitalter der Netzwerk-Ökonomie;

– den Mittelstand zielgerichtet von Bürokratielasten zu befreien. Insbesondere
sollte die Bundesregierung demnächst konkrete Maßnahmen ergreifen, um
längere Erhebungsfristen beim Steuereinzug und großzügigere Abschneide-
grenzen bei der amtlichen Statistik vorzusehen. Darüber hinaus sind die mo-
natlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen abzuschaffen. Schließlich ist eine
einheitliche und behördenübergreifende Verdienstbescheinigung zu entwi-
ckeln. Derzeit existiert ein Nebeneinander von weit über 20 unterschiedli-
chen Verdienstbescheinigungen für über 60 Anforderungsgründe. Künftig
ist außerdem jede Neuregelung, die zu einer Verlagerung von Verwaltungs-
arbeiten auf Unternehmen führt, mit einer Vergütungsverpflichtung für den
Staat zu koppeln;

– die Belange des Mittelstandes bei der Bildungspolitik, insbesondere der
Berufsbildung, stärker zu berücksichtigen. Künftig müssen die Ausbil-
dungsordnungen generell die Bereitstellung von Verbundausbildungsplätzen
durch mehrere Ausbildungsbetriebe zulassen. Grundsätzlich sollten außer-
dem einfachere, zweijährige Ausbildungsberufe geschaffen werden, um ins-
besondere die Integration von theorieschwächeren Jugendlichen durch sol-
che stärker praxisorientierten Berufe zu fördern. Weiter müssen die
Berufsschulzeiten flexibler entsprechend regionaler und branchenmäßiger
Besonderheiten organisiert werden;

– die Ökosteuer in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung aufgrund ihrer mittel-
standsfeindlichen Wirkung unverzüglich auszusetzen. Die mittelstands-
feindliche Wirkung ergibt sich insbesondere durch die Kombination aus zu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5572

mutbarer Eigenbelastung (Sockelbetrag), konstanter Ermäßigung des
Steuersatzes um 80 v. H. oberhalb des Sockelbetrages und der Vergütung in
Sonderfällen nach § 25a MineralölsteuerG. Die Annahme der Bundesregie-
rung, dass nicht produzierende Unternehmen wie z. B. Handelsunternehmen
oder Dienstleistungsunternehmen im Regelfall nicht im Wettbewerb zu aus-
ländischen Konkurrenten stehen, und deshalb höher belastet werden könn-
ten, ist in dieser Allgemeinheit falsch und bedeutet im Ergebnis eine ele-
mentare steuerliche Diskriminierung gerade des Mittelstandes;

– die gesetzlichen Regelungen gegen die sog. Scheinselbständigen unverzüg-
lich aufzuheben. Das Gesetz gegen die sog. Scheinselbständigkeit verhin-
dert die Gründung von Existenzen, der Abgrenzungskatalog ist nicht hand-
habbar und eine dynamische Entwicklung im Mittelstand wird gebremst. Im
Ergebnis entstehen weniger Arbeitsplätze und werden auch die Sozialkassen
nicht entlastet.

– den § 23 Abs. 1 Satz KSchG so zu ändern, dass nur Betriebe mit mehr als
zehn Arbeitnehmern unter das Gesetz fallen.

Die Inhaber kleiner Betriebe haben Schwierigkeiten bei der Anwendung des
komplizierten Kündigungsrechts, so dass sie teilweise schon aus diesem
Grund von Einstellungen Abstand nehmen. Diese Betriebe werden zudem
durch langwierige Kündigungsschutzverfahren oder zur Abwendung dieser
Verfahren geleistete Abfindungen wirtschaftlich erheblich mehr belastet als
größere Betriebe. Sie können vielfach aus finanziellen Gründen keine Abfin-
dungen zur Vermeidung von Kündigungsschutzprozessen anbieten. Schließ-
lich ist zu berücksichtigen, dass kleine Betriebe häufig kaum Reserven
bilden können und deshalb Schwankungen der Auftragslage durch personal-
wirtschaftliche Flexibilität ausgleichen müssen.

Bei den kleineren Unternehmen handelt es sich zudem vielfach um Unter-
nehmen in der Existenzgründungsphase, die zu zusätzlichen Einstellungen
ermutigt werden und von tatsächlich und psychologisch einstellungshem-
menden Vorschriften nicht zu sehr eingeschränkt sein sollen. Da die durch-
schnittliche Arbeitnehmerzahl in neu gegründeten Betrieben bei 5,3 Arbeit-
nehmern liegt und in den ersten sieben Jahren nach der Gründung auf
11,8 Arbeitnehmer ansteigt, erscheint auch aus diesem Grund eine Herauf-
setzung des Schwellenwertes auf zehn Arbeitnehmer gerechtfertigt;

– das sogenannte Bündnis für Arbeit aufzulösen und die Facharbeiten in die
dafür zuständigen Fachministerien zurückzuverlagern. Im Bündnis für Ar-
beit ist der Mittelstand nicht vertreten, und die bisherigen Regelungen haben
sich vielfach als mittelstandsfeindlich erwiesen. Über betriebliche Abläufe
sollten nicht Verbandsfunktionäre entscheiden, sondern nur die Unterneh-
men vor Ort. Das gilt insbesondere für den Mittelstand, dessen Belange von
keiner der im Bündnis für Arbeit beteiligten Parteien bisher ernsthaft und
sachverständig vertreten wurden.

Berlin, den 13. März 2001

Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann

Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 14/5572 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Begründung
Der Mittelstand ist der größte Arbeitgeber in Deutschland. Über zwei Drittel
aller Beschäftigten arbeiten in mittelständischen Betrieben. Während Groß-
betriebe Arbeitsplätze reduzieren, bauen kleine und mittlere Betriebe auch in
konjunkturell schlechteren Zeiten kontinuierlich neue Jobs auf. Gerade mittel-
ständische Unternehmen fungieren als Antriebskräfte des Wettbewerbs und
zwingen behäbige Großunternehmen zu Innovationen. 99,6 Prozent aller mit-
steuerpflichtigen Unternehmen werden in Deutschland zum Mittelstand ge-
rechnet. Mittelständische Unternehmen erbringen weit über 80 Prozent der
Ausbildungsleistung in Deutschland. Ein besonderes Verdienst kommt hierbei
den Handwerksbetrieben zu, die allein über 40 Prozent der Ausbildungsplätze
stellen.

Der Mittelstand muss deshalb Bedingungen vorfinden, die es ihm ermöglichen,
seine Potentiale im Interesse von Gesellschaft und Wirtschaft voll zu entfalten.

Der rasante technologische Wandel und die zunehmende Globalisierung stellen
gerade kleine und mittlere Unternehmen vor besondere Herausforderungen.
Einerseits muss der Mittelstand sich selbst für das Zeitalter der Internet-Ökono-
mie fit machen. Andererseits sind Start-Ups selbst klassische mittelständische
Unternehmen. Die dynamische Entwicklung der Internet-Ökonomie wird ge-
rade von kleinen innovativen und beweglichen Einheiten getragen, die Send-
bote einer neuen Unternehmenskultur für die gesamte Volkswirtschaft sind.

Der zentralen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Rolle, die der Mittel-
stand in Deutschland spielt, muss mit einer entsprechend ausgerichteten Politik
Rechnung getragen werden.

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