BT-Drucksache 14/5565

Für ein aktives mitbestimmendes Leben im Alter

Vom 14. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5565
14. Wahlperiode 14. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Klaus Haupt, Dr. Irmgard Schwaetzer, Ina Lenke, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, Jürgen
Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Für ein aktives und mitbestimmtes Leben im Alter

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

I.

Seit über 25 Jahren, seit dem 7. August 1974, gibt es das Heimgesetz als
Schutzgesetz für Heimbewohner. Bislang hat es zwei Änderungen in den Jah-
ren 1990 und 1997 gegeben. Aufgrund zwischenzeitlicher Entwicklungen und
Änderungen in der gesellschaftlichen Realität, Strukturveränderungen auf dem
Gebiet der Betreuung älterer Menschen und besonders aufgrund der demogra-
phischen Entwicklung ist eine nunmehr grundlegende Novellierung des Heim-
gesetzes erforderlich. Hinzu kommt, dass die letzten 25 Jahre gezeigt haben,
dass sich einige Regelungen in der Praxis nicht so bewährt haben wie beabsich-
tigt.

Nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklung ist festzustellen, dass
sich heutzutage in Heimen immer ältere Bewohner befinden. Das Eintrittsalter
liegt bei 80 Jahren, das Durchschnittsalter bei 82 Jahren und die durchschnitt-
liche Verweildauer bei 3,4 Jahren. Ein weiterer Grund dafür ist in dem – grund-
sätzlich positiv zu bewertenden – Bestreben zu sehen, sich möglichst lange
selbst in der eigenen Wohnung versorgen zu wollen und zu können.

Die wichtigsten Zielsetzungen, die bei der Novellierung des Heimgesetzes im
Vordergrund stehen müssen, sind eine saubere und klare Abgrenzung des
Heimgesetzes zur Pflegeversicherung (SGB XI) und zum Bundessozialhilfege-
setz im Hinblick auf die Qualitätssicherung, kein unnötiger und lähmender
Bürokratismus, eine eindeutige und unmissverständliche Definition des Heim-
begriffs und eine interessengerechte Ausgestaltung der Mitwirkungs- und Mit-
bestimmungsrechte der Heimbewohner.

Senioren wollen als geachtete und gleichberechtigte Bürger behandelt werden.
Sie wollen sich entsprechend ihren Wünschen und Möglichkeiten entfalten. Sie
wollen auch im Alter ein selbständiges Leben führen, in Solidarität mit der
eigenen und im Dialog mit den anderen Generationen. Sie wollen ihr Leben so
lange wie möglich selbst bestimmen. Dazu gehören ein größeres Angebot ent-

Drucksache 14/5565 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

sprechender Wohnformen, Seniorenbüros, Altenclubs zur gegenseitigen Unter-
stützung, Seniorenfamilien und Hilfsbörsen, aber auch entsprechende Mit-
sprachemöglichkeiten in Heimen.

Zunächst ist es unabdingbar, Feststellungen darüber zu treffen, welche Arten
von Heimen oder sonstige Wohnformen es für ältere Menschen überhaupt gibt
und wie die Altersstruktur und die gesundheitliche Situation der Bewohner ist.
Wichtig ist, eine möglichst flexible und breit gefächerte, auf verschiedene Be-
dürfnisse zugeschnittene Angebotspalette der verschiedenen Wohn- und Be-
treuungsinstitionen zu ermöglichen. Insofern darf es neben den sicher notwen-
digen Kontrollfunktionen und -möglichkeiten zu keiner Überregulierung kom-
men, die Initiativen gerade auch privater Dienstleister in diesem Bereich ver-
hindert.

II.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Es muss eine klare Definition des Begriffs „Heimgesetz“ erfolgen. Das
„Betreute Wohnen“ soll nicht unter den Geltungsbereich des Heimgesetzes
fallen.

2. Eine erweiterte Mitwirkung ist vorzusehen. Es sollte durch eine „Experi-
mentierklausel“ die Möglichkeit geschaffen werden in bestimmten Teil-
bereichen, die die Bewohner besonders betreffen, ihnen Mitbestimmungs-
rechte zuzubilligen.

3. Der Begriff „Heimfürsprecher“ wird in den Begriff „Heimbewohnerfür-
sprecher“ geändert.

4. Die Einsetzung des Heimbewohnerfürsprechers wird durch Wahl vorgenom-
men (Kommunalparlament) und durch Abstimmung legitimiert.

5. Bei Uneinigkeit über die Erhöhung des Heimentgelts soll es eine Schieds-
stelle als Überprüfungsinstanz geben, die innerhalb einer kurzen Frist ein
Gutachten über das Erhöhungsbegehren erstellt.

6. Bevor ein Heimbetrieb wegen festgestellter Mängel untersagt werden muss,
soll als weitere vorgeschaltete Sanktionierungsmöglichkeit ein kommissari-
scher Heimverwalter eingesetzt werden, bis die gesetzlich vorgeschriebene
Qualität wieder sichergestellt ist.

Berlin, den 13. März 2001

Klaus Haupt
Dr. Irmgard Schwaetzer
Ina Lenke
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich

Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5565

Begründung

Zu 1.

Um eine größere Rechtssicherheit zu erhalten und einer späteren Korrektur
oder Interpretation durch gerichtliche Entscheidungen zu begegnen, ist eine
eindeutige und unmissverständliche Definition des Begriffs „Heim“ notwendig.
Um die Vielfalt verschiedener Wohnformen, wie z. B. das betreute Wohnen, zu
erhalten bzw. zu fördern, sollte die Regelung des Heimgesetzes auch nur für
Heime im engeren Sinne gelten. Einrichtungen, in denen ältere Menschen be-
wusst ihre Selbstständigkeit in Eigenverantwortung beibehalten wollen, be-
dürfen nicht der strengen Schutzvorschriften des Heimgesetzes. Hier sind die
bestehenden Schutzregelungen beispielsweise des normalen Mietrechts aus-
reichend. Ausschlaggebend für die Frage, ob das Heimgesetz Anwendung fin-
det oder nicht, sollten die tatsächlichen Gegebenheiten in der jeweiligen Ein-
richtung sein. Ist der Bewohner darauf angewiesen, die zusätzlich zum Wohn-
raum angebotenen Pflegeleistungen der Einrichtung in Anspruch zu nehmen,
handelt es sich um ein Heim. Wenn den Bewohnern die freie Auswahl bleibt,
neben der Anmietung eines Wohnraums unter unterschiedlichen, auch vom
Einrichtungsbetreiber unabhängigen Pflegeleistungen zu wählen, ist die An-
wendbarkeit des Heimgesetzes nicht erforderlich.

Zu 2.

Selbst- und Mitbestimmung kennt keine Altersgrenze. § 10 n. F. bzw. der zur-
zeit noch geltende § 5 des Heimgesetzes regelt die Mitwirkung der Heim-
bewohner und bezieht sich durch den Heimbeirat auf Angelegenheiten des
Heimbetriebs wie Unterkunft, Betreuung, Aufenthaltsbedingungen, Heim-
ordnung, Verpflegung und Freizeitgestaltung sowie auch die angemessene Qua-
lität der Betreuung im Heim.

Heimbewohner wollen nicht nur versorgt und verwaltet werden, sondern auch
aktiv am Heimleben teilnehmen und Entscheidungen mitbestimmen. Der Leit-
wert „Verantwortung“ wird in § 2 n. F. des Heimgesetzes „Zweck des Gesetzes“
nicht aufgeführt. In Bereichen, die Heimbewohner unmittelbar betreffen, wie
Planung und Durchführung von Veranstaltungen, Freizeitgestaltung, Unterkunft
und Verpflegung sind mögliche Mitbestimmungsrechte zur Erprobung geeignet.
Insoweit sollten – legitimiert durch eine Experimentierklausel – hier vereinzelte
Modellversuche durchgeführt und die dort gewonnenen Erfahrungen festgehal-
ten und ggf. gesetzgeberische Schlussfolgerungen gezogen werden. Dass dies
praktikabel ist, ist durch die nun im Gesetzentwurf vorgesehene Öffnung des
Heimbeirats für Externe gewährleistet. Aufgrund der Alters- und Gesundheits-
struktur in vielen Heimen – viele Demenzkranke – ist es oft nicht mehr möglich,
einen Heimbeirat zu wählen. Dies wird durch die vorgesehene Neuregelung er-
leichtert.

Zu 3.

In § 10 IV n. F. ist der so genannte Heimfürsprecher im Heimgesetz geregelt,
um in Heimen, in denen kein Heimbeirat gebildet werden konnte, trotzdem
eine Interessenvertretung der Heimbewohner zu schaffen. Jedoch ist die Be-
zeichnung „Heimfürsprecher“ missverständlich und unklar. Daher muss eine
Umbenennung in „Heimbewohnerfürsprecher“ erfolgen.

Drucksache 14/5565 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Zu 4.

Bislang soll der Heimbewohnerfürsprecher durch die Behörde im Benehmen
mit der Heimleitung eingesetzt werden. Dieses Benehmen impliziert eine Inte-
ressenverbindung und mindert damit das Vertrauen seitens der Heimbewohner.
Eine Wahl des Heimbewohnerfürsprechers würde den demokratischen Ge-
pflogenheiten entsprechen. Sie sollte im zuständigen Kommunalparlament er-
folgen. Die Abstimmung im pluralistisch zusammengesetzten Parlament garan-
tiert eine Ausgewogenheit bei der Auswahl der Person des Heimbewohnerfür-
sprechers und stärkt damit seine Stellung, als Sprachrohr für die Heimbewoh-
ner zu agieren.

Zu 5.

Das Heim kann unter bestimmten Voraussetzungen die Höhe des Entgelts her-
aufsetzen, wenn sich die Pflegeleistungen und der Pflegeaufwand erhöht haben.
Eingeschränkt wird dies bei Leistungsempfängern der Pflegeversicherung
durch die Regelungen der Pflegeversicherung bzw. bei Personen, die Hilfe in
Einrichtungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten, durch die Verein-
barungen nach Abschnitt 7 des Bundessozialhilfegesetzes. Heimbewohner füh-
len sich unter Umständen dadurch übervorteilt und sind auch oft nicht ohne
weiteres in der Lage, die vorgelegten Unterlagen, die ein solches Begehren des
Heims untermauern sollen, sachkundig zu kontrollieren.

Des Weiteren dauern die verwaltungsgerichtlichen Überprüfungsverfahren un-
verhältnismäßig lange, meist sogar Jahre. Dieser Zustand der Rechtsunsicher-
heit ist sowohl für den Heimbewohner selbst als auch für die Heimleitung un-
zumutbar. In vielen Fällen dürfte der Heimbewohner bereits verstorben und un-
ter Umständen nicht unerhebliche Nachforderungen dann den Erben gegenüber
geltend zu machen sein.

Um diesen Missstand aufzufangen, sollte es als Zwischenverfahren eine
Schiedsstelle geben, die innerhalb eines kurzen Zeitraumes – einem Monat –
das Erhöhungsbegehren gutachterlich überprüft.

Zu 6.

Werden bei einer Überprüfung eines Heims gravierende Mängel festgestellt, ist
nach § 19 n. F. der Betrieb des Heims zu untersagen. Dies hat weitreichende
Konsequenzen für die Bewohner, die sich ein neues Heim mit unter Umständen
höherem Entgelt, in einer für sie ungewohnten Umgebung etc. suchen müssen.
Eine befristete Entziehung der Verfügungsgewalt über den Heimbetrieb gegen-
über dem Heimbetreiber durch die Einsetzung eines kommissarischen Be-
triebsverwalters analog dem Insolvenzrecht würde das Interventionsspektrum
bzw. die Interventionsmöglichkeiten der Heimaufsicht sinnvoll und angemes-
sen ergänzen. Damit würde dem Interesse der Heimbewohnerinnen und Heim-
bewohner besser entsprochen und die Betriebsuntersagung das wirklich letzte
Eingriffsmittel sein.

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