BT-Drucksache 14/5514

Kosovo - was ist die Wahrheit, was ist Legende?

Vom 7. März 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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5514

14. Wahlperiode

07. 03. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Ina Albowitz, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther
(Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann,
Birgit Homburger, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Cornelia Pieper,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der F.D.P.

Kosovo – Was ist die Wahrheit, was Legende?

Am 16. Januar 1999 berichteten die internationalen Fernsehmedien über ein
Massaker, welches in Rac

ÿ

ak, einem kleinen Dorf im Kosovo, von Serben an
ca. 44 Zivilisten der albanischen Bevölkerung dieses Ortes durchgeführt wor-
den sein soll.

In dem Bauerndorf Rugovo im südlichen Kosovo soll sich am 29. Januar
1999, gemäß den Darstellungen des Bundesministers der Verteidigung, Rudolf
Scharping, vom 27. April 1999, ebenfalls ein Massaker der serbischen Spezial-
polizei an unschuldigen Zivilisten ereignet haben, bei dem ca. 25 Kosovo-
Albaner hingerichtet wurden.

Im Stadion von Pris

ÿ

tina, der Hauptstadt des Kosovo, soll Berichten des Bun-
desministers der Verteidigung, Rudolf Scharping, vom 28. März 1999 zufolge
ein Konzentrationslager eingerichtet worden sein, in dem angeblich mehrere
tausend Menschen interniert wurden. Ferner soll die serbische Bevölkerung in
Pris

ÿ

tina aufgefordert worden sein, ihre Haustüren mit einem großen „S“ zu
beschriften, um zu vermeiden, dass sie von den ethnischen Säuberungen und
Vertreibungen betroffen wird.

Im Rahmen des vom Bundesminister der V erteidigung, Rudolf Scharping, am
7. April 1999 der Öf fentlichkeit präsentierten so genannten „Operationsplans
Hufeisen“ soll die jugoslawische Armee seit Oktober 1998 systematisch und
von langer Hand geplant die albanische Zivilbevölkerung des Kosovo um-
schlossen und aus dem Kosovo vertrieben haben.

Aufgrund neuester Pressemeldungen haben sich, soweit nicht bereits vorhan-
den, Zweifel an der Richtigkeit dieser Ereignisse sowie an der Art und W eise,
wie diese von der Bundesregierung der deutschen Öf fentlichkeit vermittelt
wurden und heute noch vermittelt werden, aufgetan bzw. verstärkt. Diese Zwei-
fel wurden von der Bundesregierung bisher nicht oder in einem nicht hin-
reichenden Maße kommentiert.
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Wir fragen die Bundesregierung deshalb:

1. Was hat sich aus heutiger Sicht nach Ansicht der Bundesregierung und
nach allen der Bundesregierung heute vorliegenden Erkenntnissen am
15. Januar 1999 in dem Ort Rac

ÿ

ak im Kosovo genau ereignet?

2. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass nach heutigen Erkenntnissen
unter der Prämisse, dass es sich tatsächlich um ein Massaker gehandelt hat,
die Möglichkeit besteht, dass das, was sich am 15. Januar 1999 in Rac

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ak
abgespielt hat, ein von den Angehörigen der UCK inszeniertes und provo-
ziertes Ereignis war zu dem Zweck, eine Intervention der NA TO im Ko-
sovo herbeizuführen?

3. Kommt nach Ansicht der Bundesregierung nicht möglicherweise auch die
Version in Betracht, dass die Ereignisse, so, wie sie sich am 15. Januar
1999 in Rac

ÿ

ak abgespielt haben, eine Polizeiaktion von serbischer Seite
gegen Kämpfer der UCK gewesen ist, und die UCK es danach so hat aus-
sehen lassen, wie es am 16. Januar 1999 in den Fernsehmedien präsentiert
wurde, ebenfalls zu dem Zweck, eine Intervention der NA TO im Kosovo
herbeizuführen?

4. Wenn nein, wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der Abschluss-
bericht der Gruppe finnischer Pathologen unter Leitung von Frau Hele
Ranta, genau diesen Schluss zulässt?

5. Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, dass angesichts der Zweifel,
die allenthalben im Zusammenhang mit den Ereignissen von Rac

ÿ

ak vom
15. Januar 1999 geäußert wurden und werden, die Darstellung in den
Medien, es handele sich um ein Massaker von Serben an ca. 44 Zivilisten
der albanischen Bevölkerung des Kosovo, so, wie sie am 16. Januar erfolgt
ist, nicht haltbar ist?

6. Existiert im Bundesministerium der V erteidigung (BMVg) ein Dokument
„VS NfD“, welches das angebliche Massaker in Rugovo als „Gefecht“ ein-
stuft?

7. Wenn ja, hatte der Bundesminister der V erteidigung, Rudolf Scharping,
von diesem Dokument oder von den Erkenntnissen, auf denen dieses
Dokument basiert, am 27. April 1999 Kenntnis?

8. Was ist nach Ansicht der Bundesregierung der Unterschied zwischen
einem Massaker und einem Gefecht?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die vom da-
maligen OSZE-Beobachter, Hennig Hensch, gemachten Aussagen, die Er -
eignisse in Rugovo hätten so, wie sie in den Medien dar gestellt und vom
Bundesminister der V erteidigung, Rudolf Scharping, am 27. April 1999
präsentiert wurden, nicht stattgefunden?

10. Wie kommentiert die Bundesregierung die jüngst veröf fentlichten Zweifel
an dem vom Bundesminister der V erteidigung, Rudolf Scharping, am
7. April 1999 vorgelegten so genannten „Operationsplan Hufeisen“?

11. Welchen Grad an Glaubwürdigkeit misst die Bundesregierung den von
vom Bundesminister der V erteidigung, Rudolf Scharping, angeführten
Zeugenaussagen bezüglich der Existenz eines Konzentrationslagers im
Stadion der Stadt Pris

ÿ

tina bei, angesichts gegenteiliger Aussagen von An-
wohnern in der Nähe des Stadions, Selbiges hätte schon immer als Lande-
platz für Helikopter gedient und habe diese Funktion im Übrigen auch
heute noch inne?

12. Wie hat sich nach der heutigen Einschätzung der Bundesregierung die
planmäßige, systematische V ertreibung der albanischen Zivilbevölkerung
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basierend auf dem „Operationsplan Hufeisen“ im Zeitraum von Oktober
1998 bis zu Beginn der NA TO-Intervention im Kosovo konkret zugetra-
gen?

13. Wie setzt sich das vom Bundesminister der V erteidigung, Rudolf
Scharping, als Beweis der Existenz des „Operationsplans Hufeisen“ an-
geführte „vielfältige Informationsangebot“ genau zusammen?

14. Wie kommentiert die Bundesregierung die Aussagen der Bewohner der
von dem „Operationsplan Hufeisen“ betrof fenen Ortschaften Randubrava
und Petershtica, die keinesfalls Rückschlüsse auf eine systematische V er-
treibung, wie vom „Operationsplan Hufeisen“ vorgesehen, zulassen?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Brigadegenerals a. D.
Heinz Loquai, Fachleute im BMVg hätten ihm gegenüber bestätigt, dass es
keinen „Operationsplan Hufeisen“ gäbe?

16. Weshalb beruft sich der Bundesminister der V erteidigung, Rudolf
Scharping, um die Authentizität des „Operationsplanes Hufeisen“ zu be-
legen, gerade auf die Überprüfung desselben durch die Fachleute im
BMVg?

17. Steht die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister der V er-
teidigung, Rudolf Scharping, angesichts der vor gebrachten Zweifel auch
heute noch uneingeschränkt zu den Aussagen, die während des NATO-Ein-
satzes in Kosovo zum Thema „Operationsplan Hufeisen“ seitens der Bun-
desregierung gemacht wurden?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Auskunft
des Auswärtigen Amtes vom 12. Januar 1999 an das V erwaltungsgericht
Trier (Az: 514-516.80/32 426), nach welcher eine „explizit an die albani-
sche Volkszugehörigkeit anknüpfende politische V erfolgung auch im Ko-
sovo nicht festzustellen“ sei?

19. Wie erklärt sich die Bundesregierung ferner , dass zahlreiche Verwaltungs-
gerichte auf Grundlage dieser vom Auswärtigen Amt zur V erfügung ge-
stellten Lageberichte nicht zu dem Schluss kommen, dass „ein geheimes
Programm oder ein auf serbischer Seite vorhandener stillschweigender
Konsens, das albanische Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in
der vorstehend beschriebenen extremen W eise zu verfolgen“ existiert (so
exemplarisch Oberverwaltungsgericht Münster vom 24. Februar 1999
(Az: 14 A 3840/94.A)?

20. Aus welchem Grund ist die 1999 vom BMVg publizierte Broschüre zum
„Operationsplan Hufeisen“ heute nicht mehr erhältlich?

21. Wie kommentiert die Bundesregierung die Äußerungen von NA TO-Spre-
cher Jamie Shea, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Bundesminister
der Verteidigung, Rudolf Scharping, und der Bundesminister des Auswärti-
gen, Joseph Fischer, wären ein großes Beispiel für politische Führer, die es
verstehen eine öffentliche Meinung zu formen?

22. Welche Notwendigkeit besteht nach Meinung der Bundesregierung für
eine derartige Aussage eines Repräsentanten der NATO?

23. Bestreitet die Bundesregierung, dass die damalige Darstellung der in Rede
stehenden Ereignisse ihrerseits der Politik in dieser Sache einen gewissen
Rückhalt in Bevölkerung und Parlament verschaf ft hat, ohne den es ange-
sichts der T ragweite der Entscheidungen, die damals zu tref fen waren,
weitaus schwerer gewesen wäre, diese Entscheidungen zu treffen?
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24. Wenn ja, ist es angesichts der bestehenden Zweifel an der Richtigkeit der
Darstellungen nach Ansicht der Bundesregierung heute nicht angebracht,
diese Zweifel durch eine umfassende und rückhaltlose Aufklärung auszu-
räumen?

Berlin, den 6. März 2001

Jürgen Koppelin
Ina Albowitz
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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