BT-Drucksache 14/5495

Belastungen des deutschen Mittelstands durch eine Zentralisierung von Patentverletzungsstreitigkeiten in Europa

Vom 6. März 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

5495

14. Wahlperiode

06. 03. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dr. Norbert Röttgen, Norbert Geis,
Gunnar Uldall, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hansjürgen Doss, Erich G. Fritz,
Dr. Jürgen Gehb, Dr. Wolfgang Götzer, Volker Kauder, Ulrich Klinkert, Elmar Müller
(Kirchheim), Friedhelm Ost, Ronald Pofalla, Dr. Bernd Protzner, Hans-Peter
Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Karl-Heinz Scherhag, Dr. Rupert Scholz,
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Max Straubinger, Dr. Susanne Tiemann, Andrea
Voßhoff, Matthias Wissmann, Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Belastungen des deutschen Mittelstands durch eine Zentralisierung von Patent-
verletzungsstreitigkeiten in Europa

1. Für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland sind Patente sehr
häufig ein Hauptvermögensgegenstand. Sie sind darauf angewiesen, i
Patentverletzungsstreitigkeiten vor einem bewährten deutschen Gericht in
deutscher Sprache mit überschaubaren f nanziellen Belastungen klagen zu
können. An 80 Prozent der Patentverletzungsklagen sind mittelständische
Unternehmen beteiligt, die – anders als große Unternehmen – nicht über
große Patentportfolios und entsprechende Verhandlungsmacht verfügen.

2. Der große Anteil mittelständischer Unternehmen an Patentverletzungspro-
zessen in Deutschland ist möglich, weil Patentverletzungsstreitigkeiten hier-
zulande – anders als beispielsweise in Großbritannien oder den Niederlan-
den – relativ kostengünstig, relativ schnell und nach allgemeinem Urteil
durch erfahrene, technikkundige Richter gut entschieden werden. Diese in
Deutschland für die mittelständische Wirtschaft günstige Lage wäre gefähr-
det, wenn die Pläne zur Zentralisierung von Patentverletzungsstreitigkeiten
in Europa verwirklicht würden, die gegenwärtig diskutiert werden.

3. Zwei Arbeitsgruppen der Revisionskonferenz zum Europäischen Patent-
übereinkommen (EPÜ) unter dem Vorsitz von Deutschland und der Schweiz
erarbeiten gegenwärtig ein Protokoll zum EPÜ, mit dem im Rahmen der
Europäischen Patentorganisation ein erst- und zweitinstanzliches Patentver -
letzungsgericht geschaffen werden soll, das bei Streitigkeiten über die vom
Europäischen Patentamt (EPA, München) erteilten „Europäischen Patente“
tätig werden soll. Bei den Europäischen Patenten handelt es sich um ein
Bündel nationaler Patente, das aufgrund einer einheitlichen Prüfung ge-
schaffen wird.

4. Parallel dazu arbeitet die EU-Kommission an einer Gemeinschaftspatent-
Verordnung, durch die sie ein gemeinschaftsweit geltendes Patentrecht auf
der Grundlage der Patenterteilung durch das EPA schaffen will. Auch im be-
reits vorliegenden Entwurf dieser Gemeinschaftspatent-V erordnung ist ein
zentrales Gericht vor gesehen. Nachdem anfänglich nur über ein zweitins-
tanzliches zentrales Gericht für Gemeinschaftspatente debattiert wurde, hat
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die EU-Kommission nun ein zentrales erstinstanzliches europäisches Patent-
verletzungsgericht vorgeschlagen.

5. Da es auf Gemeinschaftsebene noch kein Prozessrecht und Zivilrecht gibt,
wäre eine Lösung vollständig ausreichend, wonach nur und allein über die
Patentverletzung und die Gültigkeit des Patents von einem europäischen Ge-
richt entschieden werden würde (Option 1). Diese Zentralisierungsaufgabe
könnte der Europäische Gerichtshof, und zwar dort eine Spezialkammer des
Gerichts erster Instanz, übernehmen.

Will man einen Schritt weiter gehen, kommt eine Zentralisierung der Fragen
der Patentverletzung und der Gültigkeit des Patents in einer zweiten Instanz
nach einer nationalen ersten Instanz in Betracht (Option 2). Alle prozessua-
len und materiellen Fragen – insbesondere alle Fragen des Schadensersatzes
– werden bei dieser Option von den nationalen Gerichten der Mitgliedstaa-
ten entschieden.

Eine vollständige Zentralisierung des Patentverletzungsrechtsstreits in zwei-
ter Instanz (Option 3) setzt die Schaf fung eines übernationalen (EP A-Ge-
richt) oder europäischen (Gemeinschafts-Patentgericht) Prozess- und Zivil-
rechts voraus und erscheint daher unrealistisch. In diese Richtung gingen
aber die bisherigen Überlegungen der EU-Kommission.

Für die mittelständische W irtschaft in Deutschland inakzeptabel wäre die
noch weitergehende, nunmehr von der EU-Kommission und einer Gruppe
von EPÜ-Staaten erwogene Lösung, wonach ein erstinstanzliches zentra-
lisiertes Gericht für Patentverletzungsstreitigkeiten zuständig sein soll
(Option 4). Hier er geben sich nicht nur die Probleme des fehlenden ge-
meinschaftlichen Prozess- und Zivilrechts. Hinzu kommt, dass ein solches
Gericht mit den zu erwartenden 1 000 bis 1 500 jährlichen Patentverlet-
zungsfällen vollständig überlastet und mit Sicherheit wesentlich kosten-
trächtiger wäre als die bisherigen Verfahren, insbesondere in Deutschland.

6. Es spricht aus Sicht der Fraktion der CDU/CSU viel dafür , für die erste
Instanz den „Wettbewerb der Systeme“ beizubehalten, der gegenwärtig ein-
deutig zugunsten der deutschen Gerichtsbarkeit ausgeht: In Deutschland
werden schätzungsweise 700 bis 800 Patentverletzungsstreitigkeiten pro
Jahr entschieden, in Großbritannien etwa 10 bis 20, in den Niederlanden
50 bis 60. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich in Großbritannien und
den Niederlanden meist um Rechtsstreitigkeiten zwischen Großunter -
nehmen handelt, die die Kosten der dortigen Verfahren zu tragen bereit und
in der Lage sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung im Rahmen der Revision
des Europäischen Patentübereinkommens und im Rahmen der V erhandlun-
gen über die Gemeinschaftspatent-Verordnung im Hinblick auf eine europä-
ische Patentgerichtsbarkeit?

2. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor , welche Mehrbelas-
tungen sich für die mittelständische W irtschaft bei Realisierung der unter -
schiedlichen Optionen ergeben werden?

3. Wie gedenkt die Bundesregierung die berechtigten Interessen der deutschen
mittelständischen Wirtschaft in den laufenden Verhandlungen zu vertreten?

4. Welche andere Möglichkeit als den V erweis auf das EPÜ gibt es aus Sicht
der Bundesregierung, um die Sprachenfrage kostengünstig und praxisge-
recht zu lösen und wie stehen die Chancen für eine Umsetzung?
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5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Positionen der
übrigen EU-Mitgliedstaaten vor?

6. Hat die Bundesregierung bereits den Dialog mit den Betrof fen gesucht
oder wann gedenkt sie dies – beispielsweise im Rahmen eine Anhörung –
zu tun?

7. Wie ist der momentane Stand der Beratungen über den V erordnungsent-
wurf der Europäischen Kommission (KOM (2000)412 endgültig)?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung das Problem des fehlenden gemein-
schaftlichen Prozess- und Zivilrechts?

9. Welche laufenden Kosten für den Bundeshaushalt und den Haushalt der
Europäischen Union erwartet die Bundesregierung bei Errichtung eines
zentralen erstinstanzlichen europäischen Patentgerichts?

10. Wie kann aus Sicht der Bundesregierung sicher gestellt werden, dass bei
Schaffung eines europäischen Patentgerichts Richter mit besonderer tech-
nischer Qualifikation tätig werden?

11. Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Möglichkeit, dass ein bereits an-
erkanntes deutsches Patentgericht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf,
als europäisches Patentgericht ausgestaltet wird?

Berlin, den 6. März 2001

Hartmut Schauerte
Dr. Norbert Röttgen
Norbert Geis
Gunnar Uldall
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Hansjürgen Doss
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Elmar Müller (Kirchheim)
Friedhelm Ost
Ronald Pofalla
Dr. Bernd Protzner
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Rupert Scholz
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Max Straubinger
Dr. Susanne Tiemann
Andrea Voßhoff
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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